Verwaltungsgericht Karlsruhe: Heidelberger Polizeispitzel-Einsatz rechtswidrig

Erstveröffentlicht: 
29.10.2015

Der Einsatz eines Polizeispitzels in der Heidelberger Studentenszene vor fünf Jahren war rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einer Urteilsbegründung festgestellt.

 

Damit gab das Gericht am Donnerstag sieben Klägern recht, die sich gegen den Einsatz des Spitzels im Jahr 2010 gewandt hatten. Verhandelt wurde der Fall bereits im vergangenen August - damals gab es aber keinen endgültigen Beschluss (Az.: 4 K 2107/11).

 

Spitzel enttarnt

Von 2009 bis 2010 hatte ein Polizeispitzel mit dem Decknamen "Simon Brenner" mehrere linke Studentengruppen in Heidelberg ausspioniert. Er hatte auch die Privatleben der Aktiven überwacht. Eine Urlaubsbekanntschaft hatte 2010 den als Germanistik-Studenten verdeckt ermittelnden Polizisten auf einer Party erkannt. So wurde er nach rund einem Jahr enttarnt.

Vor der ersten Verhandlung hatte das Land Baden-Württemberg argumentiert, der Einsatz sei gerechtfertigt gewesen. Schließlich seien 2009 die Zahlen linkspolitisch motivierter Straftaten gestiegen, unter anderem auch in Heidelberg. Angesichts der anhaltenden Konfrontationen zwischen Gruppen des rechten und des linken Spektrums habe Aufklärungsbedarf bestanden.

 

Keine konkrete Gefahr

Diese Argumente überzeugten das Verwaltungsgericht nicht. Die Voraussetzungen für den Einsatz des verdeckten Ermittlers hätten nicht vorgelegen, hieß es. Die vorgelegten Unterlagen belegten keine konkrete Gefahr für wichtige Rechtsgüter wie das Leben einer Person. Die bespitzelten Personen und Kläger hätten der gewaltbereiten Gruppierung auch nicht nahe gestanden.

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Pressemitteilung vom 29.10.2015

Kurzbeschreibung: Heidelberg: Einsatz eines Polizeibeamten als Verdeckter Ermittlers war rechtswidrig

Mit Urteilen vom 26.08.2015, deren Begründung nunmehr vorliegt, hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe den Klagen von insgesamt sieben  Klägerinnen und Klägern aus der sogenannten „Linken Szene“ in Heidelberg, die sich gegen den Einsatz eines Polizeibeamten als Verdeckter Ermittler im Jahr 2010 wandten, stattgeben. Dieser Verdeckte Ermittler war im Dezember 2010 zufällig „enttarnt“ worden. Mit ihren im August 2011 erhobenen Klagen begehrten die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes des Polizeibeamten. Beklagter des Verfahrens ist das Land Baden-Württemberg, mittlerweile vertreten durch das Polizeipräsidium Mannheim. Der Einsatz des Verdeckten Ermittlers beruhte auf zeitlich jeweils befristeten Anordnungen (erstmals vom 25.02.2010) der Polizeidirektion Heidelberg - Kriminalpolizei -. Gestützt waren die Anordnungen auf § 22 PolG Baden-Württemberg („Besondere Mittel der Datenerhebung“). Lediglich einer der Kläger (Verfahren mit dem Aktenzeichen 4 K 2107/11) war in den Anordnungen als eine der Personen genannt, auf die sich die Datenerhebung bezog.

In Bezug auf die sechs weiteren Klägerinnen und Kläger, die in den Einsatzanordnungen nicht namentlich genannt worden waren, machte das beklagte Land im Prozess geltend, deren Klage sei bereits unzulässig, weil der Einsatz des Verdeckten Ermittlers nicht gegen sie gerichtet gewesen sei. Hinsichtlich des Klägers im Verfahren 4 K 2107/11 sei der Einsatz deswegen gerechtfertigt gewesen, weil im Jahr 2009 bundesweit und auch in Heidelberg ein weiterer Anstieg der Fallzahlen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität festzustellen gewesen sei, insbesondere im Bereich der linksmotivierten Straftaten. Der Einsatz habe sich ausschließlich gegen Personen der linksextremistischen Szene gerichtet, die entsprechenden Gruppierungen nahegestanden hätten beziehungsweise deren Führungspersonal zuzurechnen gewesen seien. Zwei dieser Gruppierungen seien die Antifaschistische Initiative Heidelberg und die Anarchistische Initiative Kraichgau-Odenwald. Neben einer Reihe von Ereignissen im Zusammenhang mit Demonstrationen im Zeitraum Juli 2009 bis November 2010 sei auf einen Vorfall am 04.11.2009 zu verweisen. Anlässlich einer Hausdurchsuchung in Räumlichkeiten der „Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald“  seien unter anderem sieben gebrauchsfertige Brandsätze (Molotow-Cocktails) sichergestellt worden. Angesichts einer anhaltenden Rechts-Links-Konfrontation im Raum Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis habe zwingend ein Aufklärungsbedürfnis zur weiteren Erforschung der konkret vorliegenden Gefahrenlage bestanden. Wegen der intensiven szenentypischen Abschottung insbesondere gegenüber den Ermittlungsbehörden sei nur noch der Einsatz verdeckter Ermittler erfolgversprechend gewesen.

Dieser Argumentation ist die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts nicht gefolgt und hat den auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes gerichteten Anträgen sämtlicher Klägerinnen und Kläger entsprochen. Im Verfahren des Klägers, der in den Einsatzanordnungen namentlich benannt war (4 K 2107/11), führte die Kammer aus, dass die nach Maßgabe von § 22 PolG erforderlichen formellen und materiellen Voraussetzungen für den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gegen diesen Kläger nicht vorlagen. Es fehle an der hinreichenden Bestimmtheit hinsichtlich des eingesetzten Mittels, insbesondere ließen die dem Gericht vorliegenden Kopien der Einsatzanordnungen offen, wer konkret als Verdeckter Ermittler eingesetzt gewesen sei. Der Einsatz des Verdeckten Ermittlers erweise sich aber auch als materiell rechtswidrig. Die vom beklagten Land vorgelegten Unterlagen rechtfertigten nicht die Annahme, dass von diesem Kläger eine konkrete Gefahr für eines der in § 22 Abs. 3 Nr. 1 PolG genannten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte) ausgegangen sei. So fehle es an konkreten Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. Eine vom Kläger ausgehende konkrete Gefahr lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass dieser anlässlich einer Demonstration in Sinsheim am 19.09.2009 bei einer der Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald zugerechneten Person gestanden habe, in dessen Wohnung am 04.11.2009 die Molotow-Cocktails gefunden worden seien. Eine konkrete Verbundenheit des Klägers mit dieser Person beziehungsweise mit der Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald sei in den vom beklagten Land überlassenen Unterlagen nicht dokumentiert. Letztlich aus den gleichen Gründen lägen auch die Voraussetzungen für eine Datenerhebung nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 PolG, also zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, nicht vor.

Die Klagen der weiteren sechs Klägerinnen und Kläger hat die 4. Kammer für zulässig erachtet. Dem stehe nicht entgegen, dass diese Klägerinnen und Kläger in den Einsatzanordnungen nicht als eine der Personen genannt seien, gegen die sich der Einsatz des Verdeckten Ermittlers habe richten sollen. Diese Kläger hätten - unwidersprochen - vorgetragen, dass sie nicht nur gelegentlichen, sondern intensiven Kontakt mit dem Verdeckten Ermittler gehabt hätten, woraus folge, dass dem Verdeckten Ermittler zwangsläufig Daten über diese Kläger bekannt geworden sein müssten. Die Klagen der weiteren Klägerinnen und Kläger seien auch begründet. Aufgrund der glaubhaften Angaben eines der Kläger in der mündlichen Verhandlung sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Verdeckte Ermittler über sämtliche weiteren Kläger persönliche Daten erhoben und an das Landeskriminalamt weitergegeben habe. Der darin zu sehende Grundrechtseingriff sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig gewesen. Die Einsatzanordnung vom 25.02.2010 und deren Verlängerungen erfassten die weiteren Klägerinnen und Kläger nicht. Die Datenerhebung über sie lasse sich auch nicht auf § 22 Abs. 4 PolG stützen, wonach Daten auch dann nach § 22 Abs. 3 PolG - also auch durch Einsatz Verdeckter Ermittler - erhoben werden dürften, wenn Dritte unvermeidbar betroffen würden. Dies setze jedenfalls voraus, dass hinsichtlich einer Ziel- beziehungsweise einer Kontakt-/Begleitperson eine Erhebung von Daten rechtmäßig angeordnet worden sei. Dies sei hier nicht der Fall; denn die hierfür allenfalls in den Blick zu nehmende Einsatzanordnung vom 25.02.2010 und deren Verlängerungen seien aus den im Verfahren 4 K 2107/11 dargelegten Gründen formell und materiell rechtswidrig gewesen.

Die Urteile vom 26.08.2015 (Az.: 4 K 2107/11 bis 4 K 2113/11) sind nicht rechtskräftig. Der Beklagte kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung gegen diese Urteile beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beantragen.

 

Quelle: vgkarlsruhe.de/pb/,Lde/Heidelberg_+Einsatz+eines+Polizeibeamten+als+Verdeckter+Ermittlers+war+rechtswidrig