Mit schätzungsweise 500 Teilnehmer*innen ist die Demonstration des Netzwerks gegen rechte Gewalt und Rassismus als Erfolg zu werten. Mit den ca. 1500 Menschen, die zeitgleich in Heidelberg gegen eine von Nazi-Hools angemeldete Kundgebung demonstrierten waren am vergangenen Samstag mehr als 2000 Menschen in der Region gegen Rechts auf der Straße.
In Ludwigshafen sprach zu Beginn die Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse bei der Kundgebung am Rathaus-Center davon, dass „wir für eine offene und tolerante Stadt stehen“ und dass es in Ludwigshafen zwar Nazis gebe, diese aber „ein Randphänomen“ seien. Solche Aussagen waren von der Stadtspitze zu erwarten. Die weiteren Redebeiträge wurden von einem Sprecher des Netzwerks, dem katholischen Dekan als Vertreter der Kirchen, dem Vorsitzenden des Migrationsbeirates und einer Vertreterin eines gemeinnützigen Vereins zur Flüchtlingshilfe gehalten. Der letzte Redebeitrag kam von Antifaschist*innen aus der Rhein-Neckar-Region (Redebeitrag ist unten angehängt).
Im Vorfeld gab es Drohungen der Nazis die Demo anzugreifen. Überall in der Stadt waren an diesem Tag Kleingruppen von Nazis zu sehen. Entlang der Demo-Route wurden die meisten von ihnen schon früh von den Bullen umstellt und mit Platzverweisen belegt. Drei Ungefähr zehn Nazis schafften es jedoch bis vor das Gewerkschaftshaus zu kommen, während die Demo gerade in LU-Süd unterwegs war. Den dort anwesenden Gewerkschafter*innen gelang es gerade noch rechtzeitig die Tür zu verschließen. Daraufhin traten und schlugen die Nazis gegen Fenster und Türen. Die später eintreffenden Bullen konnten die Gruppe in der Nähe aufgreifen und nahmen fünf in Gewahrsam.
Dieser Vorfall stellte somit den dritten Angriff von Rechten innerhalb einer Woche in Ludwigshafen dar. Dies unterstreicht, dass antifaschistische Interventionen in Ludwigshafen dringend notwendig sind und das Handeln nicht der Stadt – die das Nazi-Problem nicht erkennt – überlassen werden kann.
Eine weitere Problematik in der Stadt zeigte sich während der Demonstration. Es kam zu einem Übergriff auf kurdische und alevitische Demonstrationsteilnehmer*innen durch eine Gruppe Graue Wölfe.
Wir freuen uns über die zahlreiche Teilnahme an der Demonstration.
Es gibt dennoch viel in Ludwigshafen zu tun.
Fangen wir an weiter zu machen!
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Redebeitrag von Antifaschist*innen aus der Rhein-Neckar-Region
Demonstration des Netzwerks gegen rechte Gewalt und Rassismus
Samstag, 24.10.2015 - Ludwigshafen
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
heute vor 70 Jahren – am 24. Oktober 1945 – trat die Charta der Vereinten Nationen in Kraft. Die beteiligten Länder erklärten, zusammenarbeiten zu wollen um – Zitat – „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“.
Diese Erklärung erfolgte unter dem Eindruck des Angriffskrieges des faschistischen Deutschlands auf seine europäischen Nachbarn. Die Weltöffentlichkeit erfuhr von Verbrechen bisher nicht vorstellbaren Ausmaßes, bis hin zur industrialisierten Tötung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Abstammung, ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung oder ihrer sexuellen Orientierung. Nie wieder sollte es hierzu kommen!
Doch auch heute noch gibt es Menschen, die nichts aus der Geschichte gelernt haben. Menschen, die faschistische Positionen vertreten und dies auch ganz offen zeigen. Und leider gibt es solche Menschen auch in Ludwigshafen. Sogar sehr viele! Um es ganz deutlich zu sagen: Ludwigshafen hat ein Problem mit Nazis! In Ludwigshafen finden sie das, was in vielen anderen Städten erfolgreich verhindert werden konnte: eine funktionierende Szene-Infrastruktur. Auf städtischer Seite traf die Ludwigshafener Naziszene in der Vergangenheit und auch heute noch auf eine Politik des Kleinredens, des Wegschauens und Ignorierens. Es fehlt ein nachhaltiges Konzept, wie man die Nazis bekämpft und ihre Strukturen in der Stadt auflöst.
Bereits seit den 1980er-Jahren etablierte sich hier eine feste Nazi-Szene, welche spätestens durch die Gründung des Aktionsbüros Rhein-Neckar im Jahr 2003 eine Führungsrolle in der Rhein-Neckar-Region und darüber hinaus einnahm. Große Stärke der Ludwigshafener Nazis war und ist die Verflechtung von NPD, Kameradschaften, Hammerskins und Hooligans.
Eng mit Ludwigshafen verbunden ist der aktuelle Mannheimer NPD-Stadtrat und gebürtige Ludwigshafener Christian Hehl, der mit seinen Aktivitäten in der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und der Aktionsfront nationaler Kameraden (ANK) Anfang der 90er-Jahre, im neonazistischen „Blood & Honour“-Netzwerk Anfang der 2000er-Jahre und danach in der NPD maßgeblich zur Etablierung faschistischer Strukturen in der Stadt beitrug. Durch seine Mitgliedschaft in der Hooligan-Truppe „The Firm“ im Umfeld des SV Waldhof Mannheim fungiert Hehl als Bindeglied zwischen Hooligans und Nazi-Szene.
Ein weiterer führender Nazi wohnt seit 2001 in Ludwigshafen: der Europachef der Hammerskins Malte Redeker. Seinen Szene-Laden „Streetwear Company“ musste er nach antifaschistischer Intervention durch das Bündnis Ladenschluss im September 2009 schließen. Er betreibt jedoch weiterhin das Rechtsrock-Label „Gjallarhorn Klangschmiede“ mit eigenem Internet-Versandhandel.
Nazis und Rassisten fühlen sich wohl in Ludwigshafen. Sie treten offen im Stadtbild auf und führen hier ihre Aktionen durch. Nazi-Aufkleber sind an vielen Stellen in der Stadt nicht zu übersehen. Stammtische und Infostände kann die NPD weitgehend ungestört durchführen. Erst vor Kurzem hat sich ein Ableger der bundesweit bekannt gewordenen Nazi-Hools der „Berserker Pforzheim“ in Ludwigshafen gegründet.
Und auch hier, wo wir gerade unsere Zwischenkundgebung durchführen, müssen wir Nazis nicht lange suchen: „Chrisi’s Tattoo- und Piercingstudio“ in der Wredestraße dient regelmäßig als Treff- und Anlaufpunkt. Die Inhaberin selbst hat zum Beispiel am 1. Mai dieses Jahr am Nazi-Aufmarsch in Worms teilgenommen. Bei mehreren rechten Aufmärschen und Kundgebungen in der Region war das Studio Anlaufpunkt der gewaltbereiten Naziszene.
In der näheren Vergangenheit gibt es genügend Beispiele für Nazi-Umtriebe in Ludwigshafen:
Am 23. Mai 2015 veranstaltete der III. Weg zuerst einen Aufmarsch in Limburgerhof und anschließend in Mundenheim. Der rassistische Doppelaufmarsch stand unter dem Motto „Asylflut stoppen“.
Die „Kameraden“ vom Nationalen Widerstand Zweibrücken verbreiteten ihr faschistisches Gedankengut am 25. Juli 2015 ebenfalls im Stadtteil Mundenheim, nachdem ihre Kundgebung am ursprünglichen geplanten Ort, vor dem Rathaus-Center, nicht genehmigt wurde. Bei dieser Kundgebung wurde der Holocaust-Leugner Horst Mahler glorifiziert. Der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende und verurteilte Volksverhetzer Günter Deckert aus Weinheim trat als Redner auf.
Überregionale Relevanz hatte Ludwigshafen als eine von mehreren Ersatzveranstaltungen für den in Hamburg verbotenen „Tag der deutschen Patrioten“ am 12. September 2015 vor dem Rathaus-Center stattfand. 50 Nazis um Christian Hehl wollten die Versammlung zuerst in Mannheim durchführen. Als dies untersagt wurde, wichen sie nach Ludwigshafen aus. Erst nach dem dritten Redebeitrag wurde die unangemeldete Versammlung von der Polizei aufgelöst.
Und am 08. Oktober 2015 führte die NPD ungestört einen Infostand vorm Rathaus-Center durch, um Unterstützungsunterschriften für die kommende Landtagswahl zu sammeln. Mit dabei war der Vorsitzende des Kreisverbandes Rhein-Neckar Jan Jaeschke.
Besonders aktiv ist die Ludwigshafener Nazi-Szene, wenn es um das Thema Asyl geht. In sozialen Brennpunkten wie der Bayreuther Straße und der Flurstraße instrumentalisieren Nazis die Anwohnerinnen und Anwohner für ihre Hetze gegen Geflüchtete. An mehreren Informationsveranstaltungen der Stadt Ludwigshafen zum Thema Asyl nahmen Nazis teil, um getarnt mit provokanten Fragen die Debatte aufzuheizen oder um als Gruppe auftretend andere Besucherinnen und Besucher einzuschüchtern.
Nazis und deren Aktionen muss man jedoch immer in einem gesellschaftlichen Kontext sehen. Gerade in der letzten Zeit hat sich in der Gesellschaft eine Offenheit gegenüber rechten Positionen breit gemacht. Rechtspopulismus ist gesellschaftsfähig geworden. Die Alternative für Deutschland ist dabei sich als Partei zu etablieren und Pegida zieht noch immer durch die Straßen. Der Rechtspopulismus kommt um einiges subtiler daher als der Faschismus. Er verpackt seine Menschenfeindlichkeit geschickter, spielt mit Ängsten und zieht die Menschen so auf seine Seite. Er versucht sich vom Faschismus abzugrenzen. Letztendlich will der Rechtspopulismus aber genau das gleiche: eine unfreie Klassengesellschaft, ein unsolidarisches System, in dem Menschen abhängig von ihrer Abstammung, ihrer Nationalität ihrer Verwertbarkeit für das Kapital gegeneinander ausgespielt und ausgebeutet werden.
Es ist sehr gefährlich, wenn Parteien aufgrund einer gesellschaftlichen Stimmung politische Entscheidungen treffen. Die Verschärfung des Asylrechts und die Deklarierung weiterer Staaten zu angeblich „sicheren Herkunftsländer“ sind Wasser auf die Mühlen der rechten Hetzer.
Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz ein neuer Landtag gewählt. Der Wahlkampf hat begonnen und auch rechtspopulistische Töne ließen nicht lange auf sich warten. Die AfD hat bereits angekündigt keine Hemmungen zu haben, Wahlkampf auf Kosten von Geflüchteten zu machen – das war ja zu erwarten. Und da bei knappen Verhältnissen bekanntlich jede Stimme zählt, versucht sich auch die CDU, wie in den 90er-Jahren, weiter nach rechts zu platzieren. Wie sonst ist Julia Klöckners Forderung nach einem „Integrationspflichtgesetz“ zu verstehen.
Dieses „Fischen am rechten Rand“ – das zeigt nicht nur die jüngste Vergangenheit – ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich – ein Spiel mit dem Feuer. In einer Zeit, in der fast wöchentlich irgendwo Unterkünfte brennen, verdienen die oft traumatisierten Geflüchteten unsere Solidarität – und nicht Populismus auf ihre Kosten.
Der rassistische Normalzustand in der Gesellschaft wurde diese Woche auch in Ludwigshafen bittere Realität. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde ein Brandanschlag auf die im Bau befindliche Unterkunft am Messplatz verübt. Am Donnerstagabend wurden die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft im Rampenweg angegriffen. Anders als von der Polizei veröffentlicht handelte es sich hierbei keineswegs nur um Streitigkeiten zwischen Jugendlichen. Rassistische Pöbeleien während des Angriffs legen eine deutliche Intention nahe. Die Propaganda der Nazis in den sozialen Brennpunkten Ludwigshafens zeigt also Wirkung.
Wir müssen uns einmischen, wenn öffentliche Debatten für rechte Propaganda missbraucht werden. Wir müssen Nazis und Rechtspopulismus aktiv bekämpfen und nicht nur Zeichen setzen.
Unser Ziel ist eine solidarische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch als Mensch gesehen wird und nicht als Teil einer kapitalistischen Verwertungslogik. Eine Gesellschaft ohne Faschismus, ohne Rassismus, ohne Sexismus und ohne Homophobie.
Lasst uns gemeinsam Rechtspopulismus entgegentreten und Rassismus bekämpfen!
Namen, Bilder?
Gibt es Namen von den Faschos, die rund um die Demo gesichtet wurden?
War auch jemand vom III. Weg dabei. Der hat sich gebrüstet, zeitgleich vor dem Pfalzbau (Einbruchschutzmesse der Polizei) Unterschriften gesammelt zu haben?
Sebastian Kiefer
Ich glaube ich habe Sebastian Kiefer identifizieren kõnnen vor dem Angriff auf dem Weg zum Rathauscenter. Schwarze Jacke und eine Hooliganmütze hatte er an. Sebastian Kiefer kommt aus Böhl-Iggelheim und ist öfters mit Christian Mörtl aus Mannheim-Neckarau unterwegs. Wochenenden werden in Alzey gefeiert soweit ich weiß.