Terrorgruppe „Rote Zora“: Überraschendes Comeback

Erstveröffentlicht: 
11.04.2007

In Berlin steht seit heute eine 58 Jahre alte Ex-Terroristin der „Revolutionären Zellen“ vor Gericht. 19 Jahre lang war sie abgetaucht, bis sie sich im Dezember stellte. Wo hat sie gesteckt? Vieles bleibt rätselhaft.

 

Von Alexander Marguier
 

Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen ein mutmaßliches ehemaliges Mitglied der linksextremistischen Frauengruppe „Rote Zora“ begonnen. Die 58 Jahre alte Adrienne Gerhäuser soll vor rund 20 Jahren an zwei fehlgeschlagenen Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie versuchte Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen vor.

 

Die Angeklagte ließ eine Erklärung verlesen, sie habe sich „wissentlich und willentlich“ an den Anschlägen auf das Gentechnische Institut im Oktober 1986 im damaligen West-Berlin sowie im Juni 1987 auf ein Bekleidungswerk in der Nähe des bayerischen Aschaffenburg beteiligt. Sie habe jeweils einen Wecker für den Zündmechanismus besorgt, der aber in beiden Fällen versagte. Die Taten hätten ihren damaligen politischen Überzeugungen entsprochen, hieß es in dem Geständnis.


Mehr als eine kurze Meldung war es den Nachrichtenagenturen nicht wert: „Deutsche Terroristen stellen sich nach 19 Jahren“, hieß es im vergangenen Dezember lapidar, dann folgten noch ein paar dürre Personenangaben, verbunden mit dem Hinweis, die beiden Endfünfziger seien 1987 als Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ untergetaucht und hätten sich nun überraschend in die Hände der deutschen Ermittlungsbehörden begeben. Der Haftbefehl sei übrigens noch am selben Tag außer Vollzug gesetzt worden. (Siehe auch: Terroristenpaar stellt sich nach 19 Jahren im Untergrund.)
 

Kapitel des „antiimperialistischen Kampfes“


Vergleicht man diese Berichterstattung mit den medialen Aufwallungen wegen der vorzeitigen Haftentlassung ehemaliger RAF-Terroristen, scheint es sich beim Wiederauftauchen von Thomas Kram und dessen Lebensgefährtin Adrienne Gerhäuser um wenig mehr als eine skurrile Fußnote in der Geschichte des deutschen Linksterrorismus zu handeln. Und überhaupt: „Revolutionäre Zellen“ - was war das gleich nochmal für ein Verein?

 

Mit dem Prozess gegen Adrienne Gerhäuser beginnt vor dem Berliner Kammergericht eines der inzwischen fast vergessenen Kapitel des „antiimperialistischen Kampfes“, der sich Mitte der achtziger Jahre vor allem gegen die damalige Asylpolitik, gegen Einrichtungen der Bio- und Gentechnologie ebenso wie gegen die Ausbeutung von Frauen in der Dritten Welt richtete. Neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wirft die Generalbundesanwaltschaft der Angeklagten vor, sie habe am 17. Oktober 1986 einen Sprengsatz am Gentechnischen Institut in Berlin deponiert und acht Monate später abermals ein Sprengstoff-Attentat auf das Gebäude eines Bekleidungswerks bei Aschaffenburg verüben wollen. Allerdings versagte beide Male der Zündmechanismus.

 

„Gegen alltäglichen Sexismus“


Das klingt zwar nach reichlich bizarrem Stümpertum, aber harmlose Dilettanten waren Adrienne Gerhäuser und ihre Mitstreiterinnen deswegen keineswegs: Die „Rote Zora“, eine Art feministische Unterorganisation der „Revolutionären Zellen“, bekannte sich etwa im August 1987 zu Brandanschlägen auf acht Filialen des Bekleidungskonzerns „Adler“, bei denen ein Schaden in Höhe von schätzungsweise 30 Millionen Mark angerichtet wurde. Arbeiterinnen in südkoreanischen „Adler“-Produktionsstätten kämpften gegen Ausbeutung „und setzen sich gegen alltäglichen Sexismus zur Wehr“, begründete die „Rote Zora“ ihre Aktion. Zehn Jahre zuvor hatten die Terror-Schwestern zum ersten Mal mit einem Sprengstoffanschlag auf die Bundesärztekammer in Köln „als Vertreter der Vergewaltiger in weißen Kitteln, die sich über unser Selbstbestimmungsrecht hinwegsetzen und mit unseren Körpern Profit machen“, auf sich aufmerksam gemacht.

 

In der darauffolgenden Zeit richtete sich der Zorn der „Roten Zora“ gegen Sex-Shops, multinationale Konzerne wie Siemens und Nixdorf oder gegen die philippinische Botschaft, weil von dort aus der internationale Frauenhandel gefördert werde. Die Anschlagsserie endete erst 1995 mit einem Bombenattentat auf die Bremer Lürssen-Werft - doch da war Adrienne Gerhäuser mit ihrem Lebensgefährten Thomas Kram schon seit acht Jahren abgetaucht, vermutlich ins Ausland.

 

Dass „Malte“ und „Lea“, so die Decknamen der beiden Gesuchten, sich vor wenigen Monaten gestellt haben, dürfte insbesondere beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden als mittlere Sensation gelten. Fast zwanzig Jahre lang war vergeblich nach ihnen gefahndet worden, und während Adrienne Gerhäusers Rolle im Terrornetzwerk offenbar von eher untergeordneter Bedeutung war, ist Thomas Kram alles andere als ein kleiner Fisch gewesen. Sondern vielmehr einer der führenden Köpfe der „Revolutionären Zellen“ (RZ) - neben der „Bewegung 2. Juni“ und der RAF eines der schlagkräftigsten und gefährlichsten Netzwerke des deutschen Terrorismus.

 

Weit mehr als 200 Anschläge


Wenn die RZ heute kaum noch im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent sind, dann liegt das vor allem daran, dass ihre Mitglieder meist nicht aus dem Untergrund heraus agierten, sondern ihre Anschläge unter dem Deckmantel mehr oder weniger bürgerlicher Existenzen planten - wodurch sie sich den Ruf als „Feierabend-Terroristen“ einhandelten. Im Gegensatz zu RAF-Leuten wie Ulrike Meinhof, Andreas Baader oder Gudrun Ensslin war es aus den Reihen der „Revolutionären Zellen“ niemandem vergönnt, zum Quasi-Popstar verklärt zu werden, zumal sie es nicht auf das Leben hochgestellter Persönlichkeiten vom Schlage eines Hanns-Martin Schleyer, Jürgen Ponto oder Siegfried Buback abgesehen hatten.

 

Gleichwohl: Der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry verblutete, nachdem ein Mitglied der RZ ihm am 11. Mai 1981 ins Bein geschossen hatte; dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg wurde 1986 während eines RZ-Attentats ebenfalls in die Beine geschossen, ein Jahr später traf es den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher.

 

Nach Angaben der Ermittler gehen weit mehr als 200 Anschläge auf das Konto der 1973 gegründeten „Revolutionären Zellen“, außerdem waren RZ-Mitglieder an zwei Terroraktionen von internationaler Tragweite beteiligt: dem bewaffneten Überfall auf die Opec-Konferenz im Jahr 1975, bei dem drei Sicherheitsbeamte ums Leben kamen. Und 1976 an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe in Uganda. Dem Hijacker-Kommando gehörten neben acht Terroristen der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ die beiden RZ-Mitbegründer Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann an, aber ihr Plan, inhaftierte Genossen von der RAF freizupressen, scheiterte: Böse und Kuhlmann (letztere hatte jene Unterkunft organisiert, in der Ulrike Meinhof 1972 verhaftet worden war) kamen beim Befreiungseinsatz des israelischen Militärs ums Leben.

 

„Carlos, der Schakal“


Die „Revolutionären Zellen“ hatten mit einem Schlag ihre führenden Köpfe verloren, und so machten sich zwei RZ-Männer aus der zweiten Reihe daran, die Lücke zu füllen: Johannes Weinrich und eben Thomas Kram. Vor allem Koordinierungsarbeit war gefragt, denn die einzelnen Zellen arbeiteten grundsätzlich autonom und wussten, wenn überhaupt, nur wenig voneinander. Weinrich und Kram verfügten zwar über keine Befehlsgewalt, dafür aber über hervorragende Kontakte ins RZ-Milieu. Genau das machte sie interessant für einen der skrupellosesten Terroristen seiner Zeit: Ilich Ramírez Sánchez, genannt „Carlos, der Schakal“. Der gebürtige Venezolaner hatte sich schon früh dem palästinensischen Befreiungskampf verschrieben und pflegte gute Beziehungen zum deutschen Linksterrorismus; Johannes Weinrich zumindest wurde sein treuester Gefolgsmann.

 

Carlos, der sich später auch als Auftragsmörder für den rumänischen Geheimdienst verdingte und derzeit eine lebenslange Haftstrafe in einem französischen Hochsicherheitsgefängnis verbüßt, sah in den „Revolutionären Zellen“ jedenfalls einen idealen Rekrutierungspool für sein eigenes Terrornetzwerk. Inwieweit auch Thomas Kram ihm Gefolgschaft leistete, darüber dürfte der Wiederaufgetauchte inzwischen mit dem Bundeskriminalamt gesprochen haben. Sicher ist nur, dass zwischen den beiden über lange Zeit reger Kontakt bestand und dass Kram in den frühen achtziger Jahren Carlos in dessen ungarischem Unterschlupf seine Aufwartung machte. Der ungarische Geheimdienst ging fest davon aus, Thomas Kram sei Teil des deutschen Ablegers der Carlos-Gruppe.

 

Wer hat ihnen Unterschlupf gewährt?


Aber es gibt noch andere interessante Fragen. So wird beispielsweise in Italien seit längerem über eine mögliche Verwicklung Thomas Krams in den Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna spekuliert, bei dem am 2. August 1980 insgesamt 85 Personen ums Leben kamen. Ermittlungsergebnissen zufolge habe er in der Nacht vom 1. auf den 2. August ein Hotelzimmer in Bologna reserviert und sei möglicherweise sogar kurz vor der Detonation im Bahnhof gewesen. Ebenfalls aufklärungsbedürftig sind die Umstände, unter denen Thomas Kram und Adrienne Gerhäuser im Dezember 1987 schließlich untertauchten: Es gilt inzwischen als äußerst wahrscheinlich, dass sie vom Staatssicherheitsdienst der DDR rechtzeitig vor einer bundesweiten Fahndungsoperation des Bundeskriminalamts (“Aktion Zobel“) gewarnt wurden.

 

Und natürlich wüsste man auch gern, wer ihnen in den darauffolgenden 19 Jahren Unterschlupf gewährte. Gegenüber der Presse haben sich die Ermittler und die Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit ein Schweigegelübde auferlegt. Gerhäusers Anwältin Edith Lunnebach geht fest davon aus, dass die lange Zeit zwischen Dezember 1987 und Dezember 2006 in der am Mittwoch beginnenden Verhandlung gegen ihre Mandantin nicht zur Sprache kommen werde. Davon abgesehen, sei Adrienne Gerhäuser wegen der ihr zur Last gelegten Sprengstoffanschläge in vollem Umfang geständig: „Wir rechnen mit einer Bewährungsstrafe.“

 

Ob sich auch Thomas Kram so elegant aus der Affäre wird ziehen können, bleibt abzuwarten; eine Anklageschrift liegt bisher jedenfalls noch nicht vor. Aber zu erzählen hätte er mit Sicherheit einiges.

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Ausführlich berichtete "Der Spiegel":

https://linksunten.indymedia.org/de/node/155050

 

Dort findet sich auch die Presseerklärung des Berliner Kammergericht zum Urteil.