Antiautoritäre Tage gegen die Knastgesellschaft in HH - Ein Textbeitrag von Thomas Meyer-Falk

Plakat zu Kein Knast! Kein Staat!

Anti-Knast-Bewegung in der Krise und doch so stark wie selten zuvor? - Würde eine Anti-Knast-Bewegung daran gemessen, wie nah das Ideal einer Gesellschaft ohne Knäste gerückt ist, und wie viel eine solche Bewegung dazu beigetragen hat, das Ergebnis wäre sicherlich recht ernüchternd; und auch wenn wir die strukturelle, wie personelle Stärke des Jahres 2015, mit der in den 70ern vergleichen, könnte man in der Tat von einer Art „Krise“ sprechen.

Nun erlebe ich selbst die Knastsituation und Entwicklung hautnah seit rund 20 Jahren aus Gefangenensicht; jedoch nach meiner WAhrnehmung hat sich in diesen zwei Jahrzehnten die Anti-Knast-Bewegung konsolidiert und erstarkt zusehends, ohne allerdings, zugegebenermaßen, strukturell betrachtet substantielle Fortschritte, hin zu einer Gesellschaft ohne Gefängnisse erreicht zu haben.

 

Aber ist dies Grund genug zu resignieren? Ich denke nein. Wir leben in einer Zeit, in der Gefängnisse zusehends „als eine Art Sozialstaubsauger“ (Loic Waquant) dienen, der „den menschlichen Abfall der derzeitigen ökonomischen Transformationen beseitigt“ (a.a.O., Bestrafen der Armen, S. 278).

 

Neben der allgemein-politischen Anti-Knast-Arbeit, leisten all die Akteur*innen darüber hinaus eine in ihrer Bedeutung nich groß genug einzuschätzende konkrete Einzelfallarbeit. Ob es um (ungeklärte) Todesfälle, die Mißhandlung von Gefangenen, und viele, oftmals recht kleinteilige Schikanen in Haftanstalten geht, ohne die solidarische Unterstützung, durch jene Aktivist*innen. Die radikale Kritik an einem Knastsystem üben, stünden all jene, die hinter Gittern zu leben gezwungen sind, ziemlich alleine da!

 

In Ansätzen gibt es auch schon eine internationale Vernetzung von Inhaftierten, primär in (West-)Europa, sporadisch jedoch auch darüber hinaus.

Selbstverständlich ist eine kampfstärkere Bewegung zu wünschen – aber ich halte es für wichtig auch auf das zu schauen was schon ist, und nicht überwiegend auf das was (noch) „nicht-ist“.

 

Herzliche, lebendige und kämpferische Grüße aus dem Süden!

 

Thomas Meyer-Falk

z.Zt. JVA Freiburg

http://freedomforthomas.wordpress.com

 

Informationen zu den Tagen in Hamburg findet Ihr unter:

solidaritaetswerkstatt.noblogs.org/tage-gegen-die-knastgesellschaft

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Wenn ein Armer eine andere Arme beklaut, so helfen weder Knast noch "Wiederherstellung", sondern nur der gemeinsame Kampf gegen die Armut...

Gemäß einer Veröffentlichung von Loreen Walker („Restorative Justice today“ 2013) begann die Wiederbelebung der „Wiederherstellenden Gerechtigkeit“ (RJ) in den 7oerJahren. Opfer und Täter sollten zusammentreffen, über das Geschehene sprechen únd am besten eine Lösung zur beiderseitigen Zufriedenheit erreichen.
Heutzutage, da in der Justiz der Strafgedanke überwiegt, erscheinen solche Gedanken geradezu revolutionär, doch schon im frühen Mittelalter war es eine häufige Methode, Vergehen zu „ahnden“
.
Erst nach der normannischen Eroberung 1066 wurde RJ durch neue Methoden der „Kriminalitäts“bekämpfung abgelöst. Seit RJ so in der westlichen Welt mehr und mehr in Vergessenheit geriet, wurden „Verbrechen“ zunehmend als „Sache“ zwischen Staat und Täter betrachtet.
Das Opfer wurde grössenteils aus dem Täter-Opfer-Ausgleich (T/0/A) ausgenommen.

Ende der 7oerJahre stieß Howard Zehr, der in dieser Zeit Direktor eines „Half-way-House“in Indiana war, eher durch Zufall auf die Vorteile der von ihm genannten „victim-offender reconcilitaion“(/T/0/A).Seitdem wurde RJ (ein Terminus, den der Psychologe Albert Eglash prägte) immer bekannter, zumal sich die Ansicht, dass ein wirksamer T/0/A immer von beiden Seiten ausgehen muss, mehr und mehr durchsetzte.

Obwohl es fast 1000 Jahre gedauert hatte, die Idee der RJ wieder aufzugreifen, spielt sie eine immer größer werdende Rolle, um die Unfähigkeit und Wirkungslosigkeit unseres auf Strafe basierenden Justizsystems zu bekämpfen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Restorative_Justice

Bei dem Versuch, RJ zu definieren, stellen wir fest, dass es keine allgemeingültige Definition gibt. John Braithwaite schrieb 2004, dass „RJ ein Prozess ist, der allen von einer Ungerechtigkeit Betroffenen ermöglicht, darüber zu diskutieren, auf welche Weise sie davon betroffen waren und wie der entstandene Schaden behoben werden kann“. Darüber hinaus versucht RJ den Täter*innen eine aktive Verantwortung zuzuweisen, d.h. anstatt ihnen das „Vergehen“ vorzuhalten und sie dann dafür zu bestrafen, werden sie dazu angehalten, sich zu ihrer Tat zu bekennen und Wiedergutmachung zu leisten.
So gesehen können wir RJ als dritten Weg zwischen konservativer Bestrafung und liberaler Rehabilitation betrachten. Auf jeden Fall ist es ein Versuch, eine Verständigung zwischen Opfer, Gesellschaft und „Täter*in“ herzustellen.

Transformative Justice

Transformative Justice (TJ) geht da ein bisschen weiter, in dem  es nicht versucht, die alte Situation wiederherzustellen, sondern zu verbessern. Das bedeutet nach John F. Wozniak, daß das soziale Umfeld und die Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten verändert werden soll.Im Wissen um die Ungerechtigkeit unseres gegenwärtigen Justizsystems, will TJ verdeutlichen, warum sie zu Opfern wurden, Fehler zu erkennen und den T/O/A herzustellen.
Beeinflusst durch die Schriften von Richard Quinney bekennt sich TJ zum Wissen um die Ungerechtigkeiten in der Welt und der Notwendigkeit, Frieden zu schaffen. Nach Braithwaite ist „Kriminalität eine Möglichkeit, größeres Unheil zu verhindern, und konfrontiert mit Güte und Vergebung die Menschen auf dem Weg der Liebe und des Gebens zu führen.“
Welche Bezeichnung – RJ oder TJ – zutreffender ist, liegt im Auge der jeweiligen Betrachter*innen,  denn beide Konzepte haben das gleiche Ziel.Allerdings gibt es noch Diskussionsbedarf. TJ zielt auf Verbesserung/Veränderung  der Gesellschaft und der individuellen Situation, RJ hat eine nicht so weitergehende Vorstellung. Das führt uns nun zur Frage, was wir wieder herstellen wollen. Wenn ein Armer eine andere Arme beklaut, soll dann der vorherige Zustand der Armut wiederhergestellt werden?

TJ stellt klar, das wir das nicht wollen, sondern die Gesamtsituation für Opfer, Täter*in und Gesellschaft verbessern /verändern wollen.
Übereinstimmung mit Howard Zehr, in dem er erklärt, dass TJ und RJ grundsätzlich das gleiche Konzept haben. Auch wenn sie sich in der Praxis in einigen Dingen unterscheiden mögen, zielen sie auf eine positive Veränderung der Gesellschaft ab, gleich, welcher Terminus benutzt werden mag.
TJ und RJ erscheinen so als unterschiedliche Möglichkeiten, dem selben Konzept zu folgen.

Hätte ich praktisch die Wahl, ziehe ich TJ vor, denn sie zeigt den Weg zu einer anderen Gesellschaft deutlicher und verständlicher auf.

Deshalb möchte ich hier ein wenig mehr auf die Inhalte der „Transformative Justice“ eingehen:
Für TJ gibt es keine eindeutige Definition. Sie bedeutet eine Möglichkeit einer Alternative, die die individuellen Erfahrungen und Eigenschaften anerkennt und aktiv daran arbeitet, den Ungerechtigkeiten des staatlichen Apparates bzw. des Justizsystems entgegenzuwirken.
Für TJ ist Unterdrückung die Wurzel allen Übels (Verletzung, Missbrauch, Bedrohung).Deshalb zielt sie darauf, Unterdrückung auf allen Ebenen zu benennen und Menschen damit zu konfrontieren. Dieses Konzept wird als wesentlicher Bestandteil des T/0/A betrachtet.
„Generation Five“     http://www.generationfive.org/the-issue/transformative-justice/ nennt folgende Ziele der TJ:

- Sicherheit, Unterstützung und "Gesundung" der Opfer
- Übernahme von Verantwortung und Transformation der Täter*innen
- "Gesundung", Übernahme von Verantwortung der Gesellschaft
- Veränderung der sozialen Bedingungen, die Gewalt zementieren ( Unterdrückung, Ausbeutung, Tyrannei, staatliche Gewalt)

TJ versucht, dieser Gewalt mit folgenden Mitteln entgegen zu treten:
- Befreiung
- Machtransfer
- Übernahme von Verantwortung
- gemeinsames Handeln
- respektieren kultureller Unterschiede/Schutz gegen Kulturrelativismus
- Nachhaltigkeit

TJ stellt uns vor folgende Fragen:

-         Wie schaffen wir personelle und gesellschaftliche Möglichkeiten, um Traumatas zu begegnen und Verantwortlichkeit zu unterstützen
-         Wie können wir Macht/Kraft in eine kollektive Befreiung übertragen?
-         Wie können wir effektive und nachhaltige Bewegungen aufbauen, die auf Flexibilität und  Optimismus basieren..

Wenn ein Armer eine andere Arme beklaut, so helfen weder Knast noch "Wiederherstellung", sondern nur der gemeinsame Kampf gegen die Armut... http://digitalresist.blogspot.de/2015/07/alternativen-zu-strafe-und-knas...