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Am 3. Oktober will sich der deutsche Staat zum ”25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung”, des Einkaufs der DDR durch die BRD, von seiner besten Seite, dem neuen aufgeklärten, toleranten Deutschland präsentieren. Das Spektakel wird vom 2. bis 4. Oktober in Frankfurt stattfinden, weil Hessen in diesem Jahr die Bundesratspräsidentschaft inne hat.

Zu den Feierlichkeiten werden angeblich eine Million Menschen in der Stadt erwartet. Am zentralen Festakt soll natürlich die Bundeskanzlerin teilnehmen, der unvermeidliche Joachim Gauck wird labern, das gesamte Bundeskabinett muss erscheinen, sowie die Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer. Neben den 1600 Gäste aus dem In- und Ausland wird der EU-Präsident und Steueroasenkönig Jean-Claude Junker eine prominente Stellung einnehmen. Und natürlich werden, frisch aus der Mottenkiste, auch “die Architekten der Einheit”, Michail Gorbatschow und Oberschwarzgeld-Verwalter Helmut Kohl erwartet. George Bush senior hat dagegen abgesagt. Na, sowas!

Hochsymbolisch wird sich die Elite in der Paulskirche versammeln. Hochsymbolisch werden erstmals(!) Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR eingeladen. Hochsymbolsch werden die geläuterten Staatsfeinde Frankfurts, die ganze Sponti-Riege von Batschkapp und Tigerpalast für das künstlerische Rahmenprogramm eingesponnen. Schließlich soll ja das neue Deutschland, das tolerante, offene, verantwortungsvolle Deutschland präsentiert werden. Das dreitägige “Bürgerfest” soll angeblich der historischen Verantwortung und Erinnerung Deutschlands Raum geben. So fabuliert der hessische Ministerpräsident und V-Mann-Führer-Beschützer Volker Bouffier: „Der 3. Oktober ist ein Freiheitstag für das deutsche Volk. Er erinnert uns daran, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind“. So, so!

Was die Herrschenden unter Verantwortung und Demokratie verstehen, wissen wir zu gut. Und wir lassen uns nicht von ein paar warmen Worten über Demokratie und Verantwortung den Kopf verdrehen.

Preußen geht in Europa auf

Wir wissen, dass der «Zwei-plus-Vier-Vertrag», nicht nur das Aufgehen der DDR in die BRD besiegelte. Sondern das dieser Vertrag von Deutschland dazu benutzt wird, sich von jeglichen weiteren Kriegsschulden und Reparationskosten zu entledigen. Verantwortung übernehmen würde heißen die geforderten und sowas von überfälligen 278,7 Milliarden Euro persönlich und sofort nach Athen zu bringen. Und im Handgepäck jene Richter und Staatsanwälte, die die wenigen Verfahren gegen ausgewählte deutsche Kriegsverbrecher nicht schnell genug einstellen konnten. Aber die herrschende Eilte sieht Deutschlands Verantwortung ganz woanders. Sie sieht deutsche Verantwortung darin, das um etwas Keynsianismus bettelnde Griechenland zu demütigen. Stellvertretend für alldiejenigen, die Zweifel, Sorgen und Nöte haben an und unter dem deutschen Weg im Namen Europas. Sie sieht ihre Verantwortung darin, den griechischen Staatsapparat durch die euphemistisch genannten Reformen zu entmachten und zu enteignen. Damit global operierende Konzerne mit Sitz, Tradition und Verbindung ins deutsche Politikwesen sich die Filetstücke der Enteignung, der aufgezwungenen Privatisierung, sichern können.

Die Feierlichkeiten sollen das neue tolerante Deutschland zeigen. Dabei erleben wir aktuell ein Deutschland mit einer wirtschaftlichen Macht, die selbst den Kaiser zu besten Zeiten beeindruckt hätte. Und im Schatten dieser wirtschaftlichen Macht eine knallharte Politik, die alt-deutscher nicht sein könnte: selbstherrisch, besserwisserisch, menschenverachtend, selbstverliebt, rassistisch, chauvinistisch pflügt sich Politik made in Germany durch Europa. Innenpolitisch flankiert nicht nur von der in Nibelungentreu beistehenden Boulevard-Presse, sondern auch dem überwiegenden Teil der restlichen Medienlandschaft. Selten hat ein Spin besser funktioniert als der, von “Reformen” anstatt von Entmachtung und Enteignung zu sprechen, von “Hilfsangeboten” anstatt von Kreditverträgen, von “über ihre Verhältnisse gelebten Griechen” anstatt von deutschen Waffen und deutschem Geld, von Regierungen, Militarismus und Kapitalismus.

Im Angesicht dieses Deutschlands könnte Verantwortung übernehmen für Freiheit und Demokratie bedeuten, Argyris Sfountouris und Manolis Glezos einzuladen und alle anderen einfach mal die Fresse halten zu lassen.

Die Verdammten dieses Deutschlands

Das Deutschland, welches sich am 3.10. feiert, wird abgeriegelt durch die Festung Europa mit tausenden von Toten an seinen Außengrenzen jährlich. Aber es knirscht in dieser Festung. Frontex ist nicht in der Lage die Grenzen dauerhaft und wirkungsvoll abzuriegeln. Die Dublin-Regelungen, mit denen Deutschland seine Verantwortung in den Süden Europas im wortwörtlichen Sinn abschieben möchte, werden in diesen Ländern längst nicht mehr eingehalten. Die Flüchtlinge kommen zu zehntausenden und selbstbestimmt auch in dieses Land. Immer noch ein verschwindend geringer Bruchteil derer, die sich weltweit auf der Flucht befinden, aber plötzlich fällt dem betroffenen Deutschland auf, dass die Welt da draußen zu großen Teilen ein Ort zum Abhauen ist. Die Betroffenheit über den wahnsinnigen Konflikt in Syrien lässt selbst der CSU verbal keine andere Wahl, als zu verkünden, dass Bürgerkriegsflüchtlinge hier aufgenommen werden müssen. Dafür versucht Deutschland umso schneller Roma in den Balkan – dem Hinterhof Europas – abzuschieben. Nachdem das starke Deutschland da seit 1999 Verantwortung übernommen hat, ist ja alles wieder im Lot, oder etwa nicht?

Die Flüchtlinge, die hier ankommen, sind überall in diesem Land unhaltbaren Zuständen, bürokratischen Schikanen, Demütigungen und gesellschaftlichem Rassismus ausgesetzt. Und wer noch etwas Pech hat und im falschen Landstrich landet, sieht sich dem offenen Hass deutscher Faschist*innen gegenüber. Sich als besorgte „Bürger“ und „Asylkritiker“ gebende Rechtsradikale gehen, geschützt von der deutschen Polizei, auf Montagsdemos oder gleich vor Flüchtlingsheime. Militante Kleingruppen haben bei Faschist*innen Konjunktur und zünden wöchentlich Flüchtlingsheime an. Gerade in Sachsen eröffnet der Staat den Faschist*innen Möglichkeiten, als wollten sie ein neues Rostock 92 erzwingen. Das Ineinandergreifen von staatlichen und Neonazi-Strukturen hat in diesem Land Tradition. Bei den Pogromen in den 1990er wie im erwahnten Rostock ebenso, wie bei der “Pannenserie“ um den NSU, wo nicht klar ist, wo der VS aufhört und der NSU anfängt.

Im Angesicht dieses Deutschlands könnte Verantwortung übernehmen für Freiheit und Demokratie bedeuten, Lampedusa-Flüchtlinge und die Initiative Keupstraße einzuladen und alle anderen einfach mal die Fresse halten zu lassen.

Messt sie an ihren Taten

Das demokratische Deutschland übernimmt auch Verantwortung für den Syrien-Konflikt. Bundeswehrraketen in der Türkei sollen, so wird uns erzählt, den NATO-Partner davor schützen vom zusammenbrechenden Assad-Regime angegriffen zu werden. Währenddessen greift die türkische AKP-Regierung due kurdische Guerilla, die einzige demokratische Kraft im Syrien-Konflikt an, die zudem als einzige Erfolge im Kampf gegen die menschenverachtende und faschistoide IS aufweisen kann. Auch dieser schmutzige Krieg wird im alles rechtfertigenden Namen des Kriegs gegen den Terror geführt. Nur wenige stellen dabei die entscheidende Frage, wer eigentlich definiert und bestimmt wer oder was wann Terror und Terroristin ist. Dies definieren beispielsweise unsere Geheimdienste. Wie der Verfassungsschutz, der sich im NSU-Komplex als fähige und funktionierende Behörde erwiesen hat, Todesschwadrone und faschistische Strukturen zu unterstützen, unter Mordverdacht stehende V-Mann-Führer vor polizeilicher und juristischer Verfolgung zu schützen und heiße Akten punktgenau zu schreddern. Oder natürlich der Generalbundesanwalt, der Prioritäten zu setzen weiß, indem er Blogger wegen Landesverrat anklagt, wenn diese Verfassungsschutzakten ausnahmsweise mal zugänglich machen, aber für eine Überwachung von Telekommunikation in Orwellschen Ausmaßen inklusive Wirtschaftsspionage und abgehörten Kanzlerinnenhandy keine Anhaltspunkte für eine Anklage findet.

Im Angesicht dieses Deutschlands könnte Verantwortung übernehmen für Freiheit und Demokratie bedeuten, Milizionäre der YPG und Edward Snowden einzuladen und alle anderen einfach mal die Fresse halten zu lassen.

Wir haben nur einige tagespolitische Punkte angeführt, die Auswahl erfolgte einigermaßen wahllos, es ließe sich seitenweise fortsetzen. Und dann hätten wir noch nicht mal unseren grundsätzlichen Widerspruch zu Staat, Nation und Markt formuliert, sondern nur die Widersprüche und Verwerfungen abgehandelt. Aber allein so ein kleiner Überflieger macht deutlich, warum eines für uns klar ist: Deutschland halt’s Maul! Hier gibt‘s nichts zu feiern – am allerwenigsten Demokratie und Verantwortung!

Keine Angst vor Deutschland

Ihr werdet unsere Vorschläge für eine andere, zumindest symbolische Verantwortungsübernahme nicht annehmen. Denn ihr feiert am 3. Oktober nicht trotz der Verwerfungen, die euer Handeln verursacht – sondern ihr feiert genau diese Politik. Wir sagen: Das allermindeste was angesichts eurer Feier am 3.10. in dieser Stadt steigen müsste, wären die Rauchzeichen des 18.3.. Diese Rauchzeichen waren auch vor Monaten nur ein sehr begrenzter Ausdruck unserer Wut und Unversöhnlichkeit. Denn wir können gar nicht annähernd so viel Steine werfen und Reifen anzünden, wie sie den Verhältnissen angemessen wären. Dem 18.3. ging eine monatelange Kampagne voran, es werden sich nicht annähernd so viele Menschen in der Stadt dazu bewegen, es wird viel weniger Dynamik geben. Aber auch wenn es in dieser Stadt nicht mal genug Spucke gibt, die euch in eure scheinheilige Fresse gerotzt gehört. Wir werden da sein. Wir werden sichtbar sein. Ihr werdet unseren Widerspruch nicht ignorieren können. Ihr könnt eure Hunde vom BFE nicht überall haben. Ihr seid angreifbar. Keine Angst vor Deutschland!

Einige Autonome aus Frankfurt