[B] Sprüche auf Apotheke gegen Fundi-Aufmarsch am 19.9

Graffiti in Kreuzberg an der Undine-Apotheke

Auf der Undine-Apotheke in Neukölln waren heute morgen Sprüche gegen die 1000Kreuze-Demo zu sehen. Die Undine-Apotheke weigert sich die Pille danach zu verkaufen und wird von einem fundamentalistischen Christen betrieben. Am Wochenende wollen wieder mehrere tausend Abtreibungsgegner_innen durch Berlin ziehen. Das soll verhindert werden.

 

 

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Antifeminismus sabotieren! Für körperliche Selbstbestimmung demonstrieren! Christliche FundamentalistInnen blockieren!

Dem Marsch, seinen AkteurInnen und ihrem Gedankengut entschlossen entgegentreten!


Für den 19. September 2015 mobilisiert der Bundesverband Lebensrecht (BVL) wieder zu einem „Marsch für das Leben“ in Berlin. Der Marsch ist einer der wichtigsten öffentlichen Auftritte der selbsternannten „LebensschützerInnen“1 und verbindet eine breite reaktionäre, antifeministische und fundamentalistische Bewegung, die sich im Rahmen dieser jährlichen Veranstaltung kontinuierlich verfestigt. Betroffen von der Forderung des BVL nach einem generellen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen sind vor allem Frauen_Lesben_Trans*_Inter* (kurz: FLTI*2). Ihre Möglichkeiten, darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen wollen oder nicht, sollen noch weiter eingeschränkt werden. Nicht zuletzt die wachsenden TeilnehmerInnenzahlen des Marsches, von der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft bis hin zu organisierten Neonazis, machen eine entschlossene Antwort notwendiger denn je. Wie in den vergangenen Jahren wollen wir die Abtreibungs-GegnerInnen nicht ungestört ihre antifeministischen und reaktionären Positionen verbreiten lassen! Wir werden für körperliche Selbstbestimmung demonstrieren und anschließend den „Marsch für das Leben“ blockieren!

 

Sexualität nur im Dienste der Fortpflanzung – What the fuck?
Der Bundesverband Lebensrecht, der zum 13. Mal zu einem „Marsch für das Leben“ nach Berlin mobilisiert, steht für ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und bezeichnet dies als „Lebensschutz“. Die Märsche, die jährlich in Annaberg-Bucholz, Berlin, Freiburg, Fulda, München und Münster stattfinden, sind dabei die wichtigste Aktionsform für die „LebensschützerInnen“. Die Zahl der TeilnehmerInnen des Berliner »Marsches« wuchs dabei in den letzten Jahren kontinuierlich an. Waren es 2008 noch weniger als 1000 Fundis, beteiligten sich letztes Jahr über 5.000 AbtreibungsgegnerInnen. Für dieses Jahr kündigen die OrganisatorInnen wieder knapp 30 Sonderbusse aus dem ganzen Bundesgebiet an. Prominente Politiker_innen etablierter Parteien bekunden offen ihre Unterstützung für die Ziele der „LebensschützerInnen“, offenbar ohne dabei Kritik fürchten zu müssen. Grußworte beigesteuert haben 2014 neben dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder auch der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe. Kern der Argumentation der „LebensschützerInnen“ ist die Gleichsetzung von befruchteter Eizelle und Kind. Ein Schwangerschaftsabbruch wird somit zur „vorgeburtliche Kindstötung“, die bestraft und verboten werden soll. Diese Gleichsetzung von Embryo und Kind ist dabei eine sehr wirksame soziale Konstruktion, bei der dem Leben und den Interessen der FLTI* das Leben und die Interessen des ungeborenen „Kindes“ gegenübergestellt werden. Einer befruchteten Eizelle werden dabei alle möglichen Eigenschaften sowie ein eigener Lebenswille zugesprochen. Aus diesen Gedanken heraus erscheinen den Abtreibungsgegner_innen alle Schwangerschaftsabbrüche als „Massenmord am ungeborenen Leben“.

 

Die meisten der AbtreibungsgegnerInnen sind christliche FundamentalistInnen. Sie kämpfen für eine Gesellschaft, die auf der bürgerlichen Kleinfamilie, Zweigeschlechtlichkeit, Trans*feindlichkeit, einer strengen Sexualmoral, einem Verbot von Homosexualität und auf „Schicksals“-und Obrigkeitsergebenheit beruht. In der Argumentation der FundamentalistInnen ist ein Embryo vor allem deshalb so wertvoll, weil er ein Segen Gottes ist. Das Leben generell steht für die „LebensschützerInnen“ im Dienste Gottes, nicht nur das des Embryos, sondern auch das der Schwangeren, welche ihre Interessen einem göttlichen Plan unterordnen soll.

 

Mit der Berufung auf „altbewährte“ Normen bieten die „LebensschützerInnen“ dabei eine einfache Antwort auf die Verunsicherungen u.a. des kapitalistischen Alltags, die insbesondere in Zeiten der Wirtschaftskrise laut werden und die der bürgerlichen Gesellschaft des Kapitalismus aufgrund seiner Zwänge und Widersprüche innerlich sind. Dahinter stecken vermeintliche Ängste vor dem Verlust des eigenen Lebensstandards, die sich in der Abneigung von allem „Neuen“ äußern, zum Beispiel in der Aufweichung des traditionellen Familienmodells oder auch einer sogenannten  „Überfremdung“ durch Geflüchtete. Ihre Vorstellungen von Familie und Sexualität stützen sich dabei auf patriarchale Gesellschaftsstrukturen, deren Kern die weiße heterosexuelle Kleinfamilie und der Ausschluss aller Abweichungen von dieser sind.

 

Familie als Keimzelle der Nation – What the fuck?
Die Sehnsucht nach rückwärtsgewandten Lebensentwürfen als stabilisierende Koordinaten kommt  in der Ablehnung vermeintlich schädlicher Folgen von Modernisierung und Individualisierung zum Ausdruck, beispielsweise in den Debatten um „Genderismus“ der sogenannten „Besorgten Eltern“ und in deren Externalisierung auf ‘Fremdes’. Der „Marsch für das Leben“ ist ein Ausdruck dieser reaktionären gesellschaftlichen Debatten. Im Zuge zunehmender rechtspopulistischer Mobilisierungen in Europa können sich die christlichen FundamentalistInnen mit ihren Positionen einer wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz sicher sein. Der Marsch hat damit über das Spektrum des christlichen Fundamentalismus hinaus Bedeutung als ein breites Sammelbecken reaktionärer, nationalistischer und völkischer Positionen und politischer Kräfte.

 

Nicht erstaunlich, zeigen sich ihre Argumentationen doch immer wieder offen und anschlussfähig gegenüber nationalistischen und rassistischen Argumentationen. Während das Selbstbestimmungsrecht von FLTI* in der christlichen Rhetorik dem vermeintlichen Dienst an Gott untergeordnet wird, sind es eben auch Volk und Nation, denen sie als „Mütter“ zu dienen haben. So formuliert die Vorsitzende der AfD, Frauke Petry: „Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen.“ Sie bedient damit eine zentrale Argumentation sowohl der „Lebensschutz“-Bewegung als auch der Neuen Rechten, die beide in völkisch-nationalistischer Manier die Hebung der ‘deutschen’ Geburtenrate zur Lösung der demografischen Krise fordern. Personen der organisierten „Lebensschutz“-Bewegung sind politisch  mit reaktionären und konservativen Parteien und Organisationen bestens vernetzt. So sind beispielsweise auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière oder die Europaparlaments-abgeordnete  der AFD Beatrix von Storch gern gesehene Gäste auf den Veranstaltungen der fundamentalistischen ChristInnen und anderer „Lebensschutz“-Organisationen. Über das Thema vernetzen sie sich auch mit der Neuen und radikalen Rechten. Dies zeigen beispielsweise Interviews des Vorsitzenden der BVL, Martin Lohmann, in Zeitschriften wie der  „Jungen Freiheit“und dem Magazin „Compact“. Besonders zynisch wird ein nationalistischer „Lebensschutz“ in Anbetracht des politischen Tagesgeschehens, in dessen Folge durch Abschottung und Austerität an Europas Außengrenzen und seiner Peripherie tausende Menschen verelendet werden und sterben.

 

Christlicher Fundamentalismus und Abtreibungsverbot – What the fuck?
Weltweit sind Abtreibungs- und andere reproduktive Rechte umkämpft, von deren Einschränkungen vor allem FLTI* betroffen sind. Nach wie vor sterben weltweit jährlich mehrere zehntausend FLTI* an nicht korrekt durchgeführten – weil illegalisierten –Schwangerschaftsabbrüchen. Anders als oft angenommen gilt eine Abtreibung auch in Deutschland gemäß §218 Strafgesetzbuch weiterhin als Straftat, die nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt. Wer abtreiben will, muss sich zwangsweise von staatlich anerkannten Stellen beraten lassen und danach drei Tage warten, bevor der Eingriff vorgenommen wird. Diese Regelung bedeutet eine staatlich institutionalisierte Entmündigung von FLTI*, die nicht selbst über ihren Körper und ihre Lebensplanung entscheiden dürfen. Die Beratung und Abtreibung muss in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft geschehen – es sei denn, es wird eine „Gefahr für die psychische und physische Gesundheit“ der schwangeren Person festgestellt.

 

Andererseits sind aber „Schädigungen“ des Fötus, die in vorgeburtlichen Untersuchungen festgestellt werden, oft der eigentliche Grund für einen Abbruch nach der zwölften Woche. FLTI* werden zunehmend für die „Gesundheit“ und „Qualität“ ihres Nachwuchses zur Verantwortung gezogen und zu solchen Untersuchungen gedrängt. Dass sie ein Recht auf Nichtwissen haben, wird meist nicht erwähnt. Ein Gen-Test mit dem Blut der schwangeren Person auf Trisomie 21 („Down-Syndrom“) wurde 2013 auf dem deutschen Markt zugelassen. Der Druck auf Schwangere zur Selektion ist Bestandteil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die mit rassistischen, ableistischen (behindertenfeindlichen) und sexistischen Normvorstellungen aufrechterhalten wird.

 

Auffallend ist, dass in der Lebensschutz-Bewegung zunehmend nicht mehr nur die Kritik an Schwangerschaftsabbrüchen laut wird, sondern darüber hinaus auch vermehrt als Kritik am Selbstbestimmungs-Begriff. Insbesondere im Zusammenhang mit den Diskussionen um Sterbehilfe, Pränataler Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik deklariert die Lebensschutz-Bewegung die Kritik an der Selbstbestimmung als ihr Thema. Diese auch berechtigte Kritik am Begriff der Selbstbestimmung und den Verfahren vorgeburtlichen Diagnostik greift die Lebensschutzbewegung in Form einer Selektionskritik im Namen Gottes auf. Hierbei inszenieren sie sich, trotz jahrzehntelanger Selbstorganisation von Menschen mit Behinderung, als rettende und legitime HelferInnen. Selbstbestimmung wird darin kritisiert, weil in ihr die Gefahr einer Emanzipation von Gott lauert. Dabei sollen nicht die lebenden Menschen entscheiden, wann sie sterben wollen oder ob sie Schwangerschaften austragen, sondern Gott.

 

Eine kritische emanzipatorische Perspektive am Konzept der Selbstbestimmung im Kontext der kapitalistischen Verhältnisse sieht jedoch anders aus. Selbstbestimmung im Kapitalismus  bedeutet oft eine permanente Leistungsbereitschaft, Selbstoptimierung und Dauerverwertung. Selbstbestimmung muss trotz aller Widersprüchlichkeiten dennoch eine wichtige Forderung queerfeministischer Kämpfe bleiben. Denn wo weiße deutsche cis*-Frauen überlegen können, inwiefern ihre selbstbestimmten Entscheidungen für oder gegen eine Schwangerschaft ideologisch aufgeladen sind, haben eine solche Möglichkeit nicht alle FLTI*. Das gilt beispielsweise in Deutschland sowohl für illegalisierte FLTI* als auch für Trans* und Inter*Personen, die mit weitaus höheren pathologisierenden medizinischen Barrieren rechnen müssen, sofern sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.

 

Unsere Antwort: Sabotieren, Demonstrieren, Blockieren!
Auch wenn sich die „LebenschützerInnen“ oft als harmlose Gläubige darstellen, sind sie das keineswegs. Im Gegenteil: Reaktionärer Fundamentalismus ist eine reale Gefahr. Er ist es als christlich fundamentalistische „Lebensschutz“-Bewegung und er ist es als reaktionäre Bewegung von Rechtspopulist_innen und Rechtsradikalen. So bedrängen „LebensschützerInnen“ regelmäßig FLTI* mit Horrorbildern von Abtreibungen im Rahmen von weltweit praktizierten “Gehsteigberatungen”. Insbesondere in den USA kommt es hier vermehrt zu körperlichen Angriffen auf FLTI* oder auf entsprechende Kliniken.

 

Ihr Einfluss in Gesellschaft, Medien und Parlamenten wächst. Die EU-weite Petition der Bürgerinitiative „One of us“ erreichte mehr als 1,8 Millionen Unterschriften. Darin wird u.a. gefordert, dass Entwicklungshilfeorganisationen, die FLTI* den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gewährleisten, die finanziellen Mittel gestrichen werden. Durch Aktionen wie den “Marsch für das Leben” versuchen sie ihre Positionen weiter in die Öffentlichkeit zu tragen und zu stärken. Das werden wir nicht zulassen! Wir müssen den „Marsch für das Leben“ als das verstehen, was er ist: Keine harmlose Prozession von Christ_innen, sondern ein direkter Angriff auf die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung von FLTI*s und allen Menschen, die sich keinem reaktionären, nationalistischen und rassistischen Gesellschaftsbild beugen wollen! Diesem Angriff werden wir uns entschlossen entgegenstellen! Deshalb rufen wir dazu auf, sich an unserer feministischen und antifaschistischen Demonstration zu beteiligen und anschließend den “Marsch” der FundamentalistInnen zu blockieren und zu sabotieren!

 

Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der weder religiöse Moralvorstellungen, gesellschaftliche Normierungen noch staatliche Zugriffe über das Leben und den Körper von Menschen bestimmen.


FLTI* sollen auf Grund eines Schwangerschaftsabbruches weder gesundheitliche noch rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssen. Die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft soll ohne Eingriff oder Belehrungen des Staates und ohne Angst vor moralischer Verurteilung möglich sein. Dazu gehört auch der Zugang zu Verhütungsmitteln wie der Pille danach. Um die Rahmenbedingungen für eine weitreichende Selbstbestimmung über den eigenen Körper herzustellen, muss Abtreibung legalisiert werden. Wir wollen eine Gesellschaft, in der eine „Behinderung“ kein Problem oder Mangel darstellt und nicht als medizinisches Argument für Schwangerschaftsabbrüche angebracht wird. Kein Mensch soll sich aus einer gesellschaftlichen Verwertungslogik heraus „verpflichtet“ fühlen abzutreiben, weil eine Behinderung des späteren Kindes wahrscheinlich erscheint. Wir fordern eine Gesellschaft, in der sexuelle Selbstbestimmung und unterschiedliche sexuelle Lebensweisen gleichberechtigt anerkannt werden. Wir fordern eine Gesellschaft ohne Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Nationalismus und Volk. Wir kämpfen für eine emanzipatorische Praxis von Selbstbestimmung, die sich nicht in kapitalistischen Verwertungslogiken verirrt und nur jenseits von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen funktionieren kann.

 

Antifaschistische und queerfeministische Demonstration:

19. September 2015, 11 Uhr, S Anhalter Bahnhof (Bahnhof verfügt über einen Fahrstuhl)

 

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