[B] Polizei setzte Pfefferspray gegen Flüchtlinge vor LaGeSo ein

Erstveröffentlicht: 
07.08.2015

Scharfe Kritik an Versorgung von Flüchtlingen in Berlin / Hunderte harren bei Rekordhitze vor Erstanlaufstelle Lageso aus
Hitze, Stress, Verzweiflung eine überforderte Verwaltung – eine gefährliche Mischung: Nachdem die Stimmung vor dem LaGeSo am Nachmittag ruhig war, kam es am Abend zu einem Polizeieinsatz.


Update 23.00 Uhr: Der Tag im Rückblick
Was geschah am Freitag vor dem Berliner LaGeSo? So berichtet die Nachrichtenagentur dpa über die Ereignisse:

Die Situation auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin-Moabit wird für Flüchtlinge und Mitarbeiter immer unerträglicher. Bei fast 40 Grad warteten auch am Freitag Hunderte Asylbewerber in sengender Hitze stundenlang auf ihre Registrierung.

 

4000 Liter zusätzliches Trinkwasser, Eis von privaten Helfern und kühlende Wasserduschen sorgten für ein bisschen Erleichterung. Allein am Donnerstag sprachen 1930 Flüchtlinge vor. Die Opposition und auch die regierende SPD sprachen von «unmenschlichen Bedingungen». Die Sozialverwaltung wies die Vorwürfe zurück.

 

Am Freitagabend teilte sie mit, dass den Menschen ab sofort auf dem LaGeSo-Gelände eine Übernachtungsmöglichkeit in der Notunterkunft in Karlshorst geboten werde. Sie hat den Angaben zufolge 150 Plätze und wird vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben. Darüber hinaus werde die Caritas 100 Plätze in kleineren Unterkünften für das Wochenende zur Verfügung stellen.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ließ sich laut Senatskanzlei aktuell in einem Krisengespräch von den Verwaltungen für Soziales und Inneres informieren. Anschließend unterrichtete er die Fraktionsspitzen im Abgeordnetenhaus. Über Ergebnisse oder Beschlüsse wurde nichts mitgeteilt.

 

Die AG Migration der Berliner SPD kritisierte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) scharf. «Humanitäre Notlage mitten in Berlin - schämen Sie sich, Senator Czaja!», erklärte die Vorsitzende Daniela Kaya. Der CDU-Politiker forderte unterdessen erneut mehr Hilfe vom Bund, der leerstehende Kasernen im Osten für Flüchtlinge öffnen und bezahlen sollte.

 

Grüne und LINKE machten sich selbst vor Ort ein Bild. Die Grünen-Vorsitzende Bettina Jarasch forderte anschließend von Regierungschef Müller: «Die Flüchtlingspolitik muss endlich Chefsache werden!» Linksfraktionschef Udo Wolf kritisierte: «Mitten in Berlin dursten Kinder, Schwangere, Hunderte Menschen, die in unserer Stadt Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen.» Müller müsse Czaja «anweisen, zu handeln».

 

Die Grünen warfen Innensenator Frank Henkel (CDU) vor, während er von der Bundeskanzlerin die Beschleunigung der Asylverfahren einfordere, würden in Berlin die Einleitung dieser Asylverfahren verschleppt. Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen müssten die neu ankommenden Flüchtlinge tagelang vor der Zentralen Anlaufstelle in Berlin warten, würden anschließend zum Teil in die Obdachlosigkeit geschickt, weil alle Heime überfüllt seien und Hostels die Flüchtlinge nicht mehr aufnähmen.

 

Der Pirat Fabio Reinhardt bemängelte, dass es auf dem LaGeSo-Gelände kein medizinisches Fachpersonal gebe, die aufgestellten Toiletten verstopft seien und die Versorgung mit Wasser und Essen unzureichend sei. Auch der Verein Asyl in der Kirche sprach von «unhaltbaren Zuständen». Die Versorgung erfolge nur notdürftig und vielfach über Ehrenamtliche.

 

Die Sozialverwaltung von Senator Czaja wies die Vorwürfe zurück. «Die Wasserversorgung klappt gut», sagte Sprecherin Regina Kneiding am Freitag. Die Berliner Wasserbetriebe hätten zusätzlich 4000 Liter Wasser angeliefert, die von Behördenmitarbeitern, dem Malteser Hilfsdienst und Ehrenamtlichen verteilt würden. Es sei zudem eine zusätzliche Gruppen-Zapfstelle eingerichtet worden. Zahlreiche Bäume auf dem Gelände sowie zwei Zelte für die Wartenden spendeten Schatten.

 

Bei einer Auseinandersetzung zwischen Flüchtlingen und Sicherheitspersonal gab es einen Verletzten und eine Festnahme. Bis zu 15 Asylbewerber versuchten am Freitagnachmittag, das Gebäude unerlaubt zu betreten, wie eine Polizeisprecherin berichtete. Sie wurden von den Sicherheitsmitarbeitern zurückgedrängt. Dabei verletzte sich ein 34-jähriger Flüchtling. Weitere Asylbewerber solidarisierten sich laut Polizei mit ihren Schicksalsgenossen und warfen mit Flaschen, Obst und Schuhen nach den Sicherheitskräften.

 

Bei dem Polizeieinsatz kam auch Reizgas zum Einsatz. Ein 22-Jähriger wurde wegen Widerstands und Landfriedensbruchs festgenommen. Bei ihm soll es sich nicht um einen Asylbewerber handeln. Als weitere Polizisten eintrafen, beruhigte sich die Lage laut Sprecherin schnell. 

 

Update 17.20 Uhr: Polizeieinsatz gegen Flüchtlinge
Hitze, Stress, Verzweiflung eine überforderte Verwaltung – eine gefährliche Mischung: Nachdem die Stimmung vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales am Nachmittag zunächst ruhig geblieben war, spitzte sie sich am frühen Abend auf einmal zu: Wie Unterstützer via Twitter melden, kam es aus noch ungeklärter Ursache zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Sicherheitsdienst des LAGeSo und einem wartenden Flüchtling. In der Folge wurden mehrere dutzend Polizisten alaramiert, die Beamten sollen Pfefferspray eingesetzt haben, wodurch unter anderem zwei Kinder verletzt worden sein sollen. Inzwischen soll die Polizei die Behörde umstellt haben.

 

Update 13.20 Uhr: Scharfe Kritik an Versorgung von Flüchtlingen in Berlin
Inmitten der Hitzewelle kommt das Land Berlin bei der Erstversorgung von neu angekommenen Flüchtlingen nicht mehr hinterher. Vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), der Erstanlaufstelle für Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende, waren am Freitag den zweiten Tag in Folge Freiwillige im Einsatz, um bei mehr als 35 Grad im Schatten hunderte wartende Menschen mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Berliner Wasserbetriebe liefern seit Donnerstag täglich 2000 Liter Wasser in so genannten Notwasserbeuteln an.

 

Damit verschärft sich weiter die Kritik an der Lageso und dem verantwortlichen Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Die Berliner Linken-Fraktion forderte Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf, «umgehend Maßnahmen zur humanitären Soforthilfe» einzuleiten. Auch die Berliner Grünen verlangten von Müller, die Flüchtlingspolitik zur «Chefsache» zu machen. Der Verein Asyl in der Kirche Berlin erklärte am Freitag, die Versorgung der Flüchtlinge sei «unhaltbar und für eine Stadt wie Berlin unerträglich».

Die Hauptstadt hat wie einige andere deutsche Metropolen mit besonders großen Zahlen neu ankommender Flüchtlinge zu tun, zuletzt waren es nach Auskunft der Senatsverwaltung rund 400 am Tag. Hinzu kommt, dass dem Lageso im Juli von Wirtschaftsprüfern schwere Mängel bei der Mittelvergabe nachgewiesen worden waren. Außerdem haben Flüchtlinge wiederholt auf der Straße schlafen müssen, weil sie mit Hostel-Gutscheinen der Lageso keine Unterkunft gefunden hatten.

 

Update 13.20 Uhr: Chaos bei Unterbringung von Flüchtlingen beenden
Berlins Grüne haben ihre Kritik an der Flüchtlingspolitik des Senats bekräftigt und ihn aufgefordert, das derzeitige «Chaos bei der Unterbringung und Versorgung» der Menschen zu beenden. Auf einem Gelände in der Turmstraße etwa müssten Flüchtlinge teilweise auf den Grünflächen schlafen, da ihre Anträge nicht angenommen und bearbeitet würden, teilte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Canan Bayram, am Dienstag mit. Zudem stünden keine Plätze in Unterkünften zur Verfügung.

 

Die Verantwortung dafür wies Bayram dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zu. Auch die Unterbringung von Flüchtlingen in Hostels sei mittlerweile zum Erliegen gekommen, da deren Betreiber auf ausstehende Zahlungen des Lageso warteten. Obendrein laufe die Anfrage an die Bezirke zur Beherbergung der Ankömmlinge «völlig chaotisch». «Von den angebotenen Plätzen werden mehr als die Hälfte nicht vom Lageso belegt, und gleichzeitig schlafen Menschen in den Parks der Stadt. Bayram verlangte von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), sofort einen Kriterienkatalog vorzulegen, damit neue Verträge geschlossen werden könnten.

Flüchtlinge warten bei Hitze vor Amt - »Es muss keiner verdursten«

»Nächster bitte!« Im Minutentakt werden Menschen aus aller Herren Länder in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) »abgefertigt«. »Dolmetscher! Arabisch!« ruft eine Mitarbeiterin nach hinten. Ein Mann eilt nach vorne zum Tresen und setzt an. Die Mitarbeiter an den vier Bearbeitungsschaltern wirken gestresst. Hier ist kein Platz für Freundlichkeiten. Mit deutscher Ordnung soll die gereizte Stimmung beruhigt werden. Von 7 Uhr in der Früh bis 19.30 Uhr geht das so. »Welche Nummer haben Sie?«, fragt eine Mitarbeiterin.

 

Die Wartehalle vor den Schaltern ist zum Bersten voll: Frauen, Männer, Jugendliche, Kinder. Manche haben Gepäck, andere nur die Kleider, die sie am Körper tragen, bei sich. Die Luft im Raum ist verbraucht. »Dann soll er nicht diskutieren. Ich kann es doch auch nicht ändern ...«, schnaubt ein Mitarbeiter, der verantwortlich zu sein scheint. Der Betroffene steht zeitgleich unmittelbar vor ihm. Eine Dolmetscherin lächelt daneben.

 

»Sie sehen ja, was hier los ist«, erklärt ein Mitarbeiter aus der Pressestelle des LAGeSo. »Es gibt kaum Unterkünfte. Die meisten müssen wir wegschicken. Am Wochenende haben wir geschlossen.« Dabei könnte man sich das gar nicht leisten.

Draußen vor dem Gebäude ist die Lage noch unübersichtlicher. Mehrere hundert Menschen drängeln sich um die rot-weißen Absperrgitter, die den Bereich vor dem Eingang provisorisch freihalten sollen. Ein paar Menschen stehen in einer Schlange an, um in die überfüllte Wartehalle weitergeleitet zu werden. Die Sicherheitsleute in ihren roten Trikots haben alle Hände voll zu tun. Manche von ihnen reden auf Arabisch mit den Wartenden. Überall liegen und sitzen Menschen. Manche schlafen, andere essen, ruhen sich aus - und warten.

 

»Es ist katastrophal!«, sagt ein junger Syrer. Er ist mit seiner Familie geflüchtet und seit einer Woche in Deutschland. Er und ein Freund dürfen bleiben - noch. Seine Frau und die beiden Kinder wurden weggeschickt. Auf Presse reagiert er empfindlich: »Mit Pegida und so wollen wir nichts zu tun haben«, sagt er.

 

Nebenan auf der Wiese vor dem Gebäude steht ein »Röntgenmobil« des Zentrums für Tuberkulosekranke und -gefährdete. Davor hat sich ebenfalls eine kleine Schlange gebildet. »Das ist die letzte Station, die man durchlaufen muss, wenn man hier durch ist«, sagt eine schwangere Frau. Sie ist mit ihrem Lebensgefährten aus der Türkei hier. »Ich bin im neunten Monat schwanger. Die wollten ihn nach Niedersachsen schicken, obwohl die wussten, dass ich schwanger bin. Das konnte ich verhindern«, sagt sie. Drei Tage mussten sie warten, bis sie endlich dran waren.

 

Unweit steht eine Gruppe von Menschen aus Pakistan. Einer von ihnen erzählt vom Krieg. »Muslims fight Muslims«, sagt er. Muslime bekämpfen Muslime. Die Polizei unterstütze dabei die Sunniten. »Sie bewarfen uns mit Steinen aus einem Haus, hoch über uns.« Der Mann spricht gebrochenes Englisch, denkt auf Urdu, betet zu Allah. »Wir waren auf dem Weg zum Gebet, als man uns angegriffen hat. Die Polizei hat zugesehen.« Sechs Tage hat er deswegen in einem Bus verbracht, um nach Deutschland zu gelangen. Seit einer Woche kampiert er unter freiem Himmel - direkt vor der Landesbehörde. »Wenn es nachts regnet, stellen wir uns da unter«, sagt er und deutet auf ein Vordach. Er lacht, so als hätte er Schlimmeres erlebt. Drei Tage hat er gewartet, um in der Erstaufnahmestelle registriert zu werden. Nun wartet er seit zwei Tagen auf seine Dokumente. 

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Scuffles break out at the Health and Social Centre Moabit in Berlin after a government worker allegedly attacked a Moroccan refugee at the facility.

Earlier in the day, Berliners donated water and food to refugees at the centre, where hundreds have been camping for several days.

After reports of water and food shortages for the asylum seekers, a group of Berliners took matters into their own hands and started to bring donations to the premises themselves.

According to the Ministry of Health and Social affairs, workers are overwhelmed with the task of providing food and water to the refugees and they couldn't meet their basic needs anymore. There is no information on when the situation might be resolved.

 

https://www.youtube.com/watch?v=oRzca04gTtE