Mumia Abu-Jamal, Knastarbeit und Todesstrafe: ein Veranstaltungsbericht

FREE MUMIA! Weg mit der Todesstrafe!

Während sich in den letzten Wochen viele Auseinandersetzungen um den Weltklimagipfel und die neuesten Rechtfertigungsversuche der Konzerne und ihre Regierungslobbyisten kreisten, fand im "verlassenen" Berlin eine Veranstaltung über politische Repression und die Angleichungen zwischen den USA und Europa statt. Schwerpunkt bildete dabei ein weiteres Mal der Fall von Mumia Abu-Jamal, allerdings anders als auf der 2009er Mumia-Infotour. Verschiedene AktivstInnen hatten sich in der Ladengalerie der Tageszeitung Junge Welt getroffen, um vor und mit ca. 60 ZuschauerInnen zu diskutieren.

 

Hier nun der etwas verspätete Veranstaltungsbericht vom 16. Dezember 09.

Auf dem Podium saßen Nick Brauns (Junge Welt), Rolf Becker (Ver.digruppe für politische Gefangene und Schauspieler), Jürgen Heiser (Internationales Verteidigungskomitee - IVK) und VertreterInnen vom Berliner Free Mumia Bündnis und der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB).

Jürgen Heiser begann, die Person Mumia Abu-Jamal vor dem Hintergrund seiner afro-amerikanischen Biografie im mehrheitlich weißen Amerika vorzustellen. Er las einige kurze Passagen von Mumia über seine Eltern, die mehr über den Autor vermittelten. Es ging auch um die soziale Rolle, die Gefängnisse im Bewusstsein von Minderheiten des modernen Amerika inzwischen einnehmen. Mumia beschreibt das Schicksal der Vergessenen seit knapp 3 Jahrzehnten aus der erster Hand - er "lebt" im Todestrakt.

Rolf Becker schloss einen Besuchsbericht an, in dem er ausführlich mit der modernen  Knastarchitektur begann. Der Todestrakt, als Gefängnis im Gefängnis gelegen ist die klinisch strahlende Endstation für die Entrechteten der Gesellschaft. Das im ländlichen Waynesburg gelegene staatliche Gefängnis SCI Greene (1) ist auch eine Fabrik, in der ca. 1600 Gefangene Bekleidung für andere Haftanstalten im Bundesstaat anfertigen. Vergessen und fernab der Gesellschaft, aus denen sie kamen, erwirtschaften diese Gefangenen außerordentliche Gewinne. Der Überschuss lag allein 2005 bei 32 Millionen US-$. In ihrer Mitte, hinter Nato-Draht und Todesstreifen unerreichbar ein weiterer kleiner Gebäudekomplex - der Todestrakt. Im Unterschied zu vergleichbaren bundesdeutschen Hochsicherheitsgefängnissen beobachtete Becker hier keine Einschüchterungs- oder Demütigungsversuche gegen ihn als Besucher, allerdings sei dies nach den weiteren Eindrücken auch kaum notwendig. Klinisch rein, weiße Wände ohne Tageslicht, lange geräuschisolierte Gänge, Stahltürschleusen, bis er zum wirklichen Todestrakt gelangt. Dieser nur aus wenigen Zellen bestehend, mit der Hinrichtungszelle im selben Gang, also nur wenige Schritte von den Gefangenen entfernt. Diese warten teilweise Jahrzehnte auf den ungewissen Tag, an dem sie dann dort umgebracht werden. (Auf ihren wenigen Wochenstunden Hofgang kommen die Gefangenen an dieser Tür vorbei...). 

Den Besuch bei Mumia selbst schilderte Becker sehr eindrücklich, ein Mittschnitt als Audio-mp 3 Version ist diesem Artikel beigefügt. Neben vielen persönlichen Beobachtungen und Gefühlen berichtet Mumia auch über seine Arbeitsbedingungen als Jounalist im Todestrakt.

Becker sagte, dass er das Gefühl habe, seit seinem Besuch am 6. September 2009 den Todestrakt noch immer nicht verlassen zu haben.

Ein Vertreter vom Berliner Free Mumia Bündnis gab darauf einen Überblick über die Knastindustrie und die Todesstrafe in den USA. Seit über 30 Jahren hat sich der gefängnisindustrielle Komplex (das beschreibt sämtliche Umsätze, die sowohl in privaten wie staatlichen Gefängnissen unter Zwangsarbeit erwirtschaftet werden) zum "drittgrößten Arbeitsgeber" der USA entwickelt. Es gibt kaum einen Industriezweig, der nicht in Gefängnissen produzieren lässt (Lebensmittel, Kosmetik, IT, Pharmaindustrie, Auto-Zulieferer). Aber auch Serviceleistungen werden seit ca. 10 Jahren zunehmend auf Gefängnisse verlagert, allen voran Call Center. 2007 gehörte der gefängnisindustrielle Komplex zu den Topkonzernen der US-Wirtschaft. Seit dem steigen seine Umsatzzahlen stetig, ähnlich wie die "Beschäftigungs-"  oder besser Inhaftierungsraten. Möglich wurde das durch eine seit den 70igern anhaltende "Law And Order" Politik der Angst, vornehmlich an die besitzende Mittelklasse gerichtet, welche bis zur letzten Wahl die einzigen waren, die an Wahlen in den USA teilnahmen. Diesem zumeist weißen Teil der US Bevölkerung wurde über Jahrzehnte ernsthaft eingeredet, angeblich steigende Kriminalität bedrohe sie in ihrer Sicherheit und in ihrem Besitz. Aufsehenserregende Gewaltverbrechen wurden medial oft über Wochen auf den Frontseiten und den Fernsehberichten wiederholt, während die schweren Gewaltverbrechen in der Realität sanken. Mit den Wahlsiegen von Ronald Reagan und später fast aller Politiker beider Flügel des US-Parteiengebildes gelang es jedoch, extrem repressive Gesetze durchzusetzen. Das dabei wichtigste ist die "Three Strikes And You Are Out" Regel, also 20 - 25 Jahre Knast (Lebenslänglich mit Bewährung) bei drei rechtskräftigen Verurteilungen. 2,3 Millionen Menschen sind in den USA inhaftiert. Das sind laut UNO 20% aller Gefangenen weltweit. Bei einem Ausblick auf Australien und Europa wurde deutlich, dass dieses kapitalistische Erfolgsmodell auch dort schon längst aufgegriffen ist. Während in Australien weites gehend alle Gefängnisse und in Großbritanien immerhin bereits 10% privatisiert sind, steht die Entwicklung in der BRD erst am Anfang. Im Mai 2009 eröffenete das erste komplett privat finanzierte Gefängnis in Burg, Sachsen-Anhalt. Völlig privat wurde der Bau aber nicht ganz bezahlt - 500 Millionen Euro gab die Bundesregierung bereits 2007 dazu, kombiniert mit einem "Verwertungsrecht" an den zukünftigen Gefangenen für die nächsten 25 Jahre. Nick Brauns berichtete von ersten Gefangenenkämpfen in diesem Knast. So gab es bereits zwei Hungerstreiks von einzelnen Insassen (2), um grundlegende Rechte auf Privatbesitz und Rechtsmittel durchsetzen zu können. Er beschrieb, wie die privaten Betreiber noch systematischer als in staatlichen Gefängnissen Rechte von Gefangenen einschränken und sie systematisch berauben und ausbeuten. In Burg wird jetzt versucht, industrielle Produktion unter Knastbedingungen zu erproben. Sowohl regionale Firmen als auch der Mannheimer Konzern Bilfinger Berger mit langjähriger Erfahrung im Public Private Partnership (PPP) bereiten hier den Boden für eine ähnliche Industrie wie in den USA.

Dieser Vortrag schloss mit einigen Thesen:

1. Die Knastindustrie ist die Fortsetzung der 1865 abgeschaften Sklaverei unter anderem Namen.
2. Sie dient als repressiver Sozialstaatsersatz, in dem sie die Armen massenhaft inhaftiert und ausbeutet.
3. In der BRD versuchen sowohl Law And Order Politiker wie Koch oder aber auch die Berliner SPD-Senatorin Gisela von der Aue, Akzeptanz für private Gefängnisinvestoren in der Öffentlichkeit zu schaffen.
4. Durch die Doppelwirkung von Repression und großen wirtschaftlichen Gewinnen wird sie sich in den kommenden Jahren überall etablieren können, wo ihr nicht entschiedener Widerstand entgegen gesetzt werden wird.


Darauf wurde das Thema Todesstrafe beleuchtet. Es wurde darauf hingewiesen, dass mit der Ratifizierung der EU Verfassung dieselbe auch in Europa wieder Einzug gehalten hat, wenn auch zunächst nur formal. So steht es allen Mitgliedsstaaten frei, sie im Kriegsrecht (mit entsprechender Verfassungsänderung) anzuwenden. Neben einem weltweiten Kurzüberblick ging es dann schwerpunktmässig um die derzeitige Praxis in den USA und vor allem um den Widerstand dagegen. Es ist offensichtlich, dass in überwiegnder Mehrheit Angehörige der nicht-weissen Minderheiten der US-Bevölkerung von Hinrichtungen bedroht sind. Ausserdem trifft die Todesstrafe fast ausschliesslich Arme, die nicht in der Lage sind, selbst eine angemessene Verteidigung zu organisieren. Der Text des Vortrages ist hier in einer PDF beigefügt.

Auch dieser Teil schloss mit einigen Thesen:

1. Die Todesstrafe dient der Einschüchterung der einkommensschwachen Minderheiten.
Sie soll die bestehende Gesellschaftsordnung absichern. Sie ist Ausdruck von Rassimsus und Klassenjustiz.
2. Seit Staatsgründung der USA halten die alten Eliten aus Gründen der Machterhaltung an dieser Methode fest, obwohl die Todesstrafe momentan starken Widerspruch im öffentlichen Diskurs erhält. Damit werden sie sich zukünftig auf massiven Widerstand einstellen müssen.


Eine Vertereterin der ALB berichtete dann über die geplanten Notfallproteste, sollte die US-Justiz ihre Drohung wirklich in die Tat umsetzen und Mumia Abu-Jamal ermorden wollen. Das ist theoretisch erneut ab dem 11. Januar 2010 möglich, wenn der US Supreme Court seine Sitzungen wieder aufnimmt. Neben einem dezentralen Aktionstag "Mumia 3+12" ist hier auch eine bundesweite Demonstration in Berlin geplant. Datum wäre der letzte Samstag vor einem möglichen Hinrichtungsdatum, Beginn um 14 Uhr auf dem Kreuzberger Oranienplatz und das  Ziel die US-Botschaft am Pariser Platz. (3) 


In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging es vor allem um die Rolle der Medien. Besonders an einem Artikel des Spiegel erhitzten sich die Gemüter. Dieser hatte im Sommer 2009 in fünf Seiten ein völlig verzerrtes Bild von Mumias Fall gezeichnet, es als "Wächter der Menschenrechte" aber nicht geschafft, auch nur ein einziges Mal die Praxis der Todesstrafe in den USA in Frage zu stellen. Ganz im Gegenteil schien es, als ob sie die Hinrichtung herbei schreiben wollten, in dem sie TodesstrafengegenerInnen diskreditierten. Zusätzlich war über die Hälfte dieses Artikels auch vom  politisch rechts-außen stehenden Journalisten Michael Smerconish aus Philadelphia einfach abgeschrieben. Smerconish ist als Schreiber für die FOP-Polizeibruderschaft seit beinahe 20 Jahren aktiv, die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal herbei zu schreiben. Hinter ihm und der FOP steht eine mehrere Millionen Dollar schwere Medienkampagne, die vor kurzem sogar den Umwelt-Staatssekretär der Obama-Regierung zum Rücktritt zwang, weil er sich in der Vergangenheit für ein neue Verhandlung für den afro-amerikanischen Journalisten eingesetzt hatte. Andere bundesdeutsche Medien griffen diese Spiegelvorlage zunächst auf, so. z.B. die Zeit. Der Free Mumia Bewegung gelang es im Spätsommer 2009 jedoch, dieser Propaganda ernsthafte Fakten entgegen zu setzen. Die Berichterstattung über die Todesstrafe in den USA und auch über Mumia Abu-Jamal ist in den letzten Monaten wieder sachlicher geworden.

Zum Abschluss unterschrieben alle TeilnehmerInnen einen Brief an Mumia, in dem sie ihm viel Kraft wünschten, seine Freiheit forderten und sich gegen Krieg, Ausbeutung und Repression wandten.




(1) http://en.wikipedia.org/wiki/SCI-Greene
(2) http://de.indymedia.org/2009/10/263839.shtml?c=on#c604604
(3) http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#notfallproteste240909

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Einzelne Beiträge aus dieser Veranstaltung kommen als Mitschnitte in den nächsten beiden FREE MUMIA News Sendungen.

Mo. 28.12.09
Mo. 4.01.10

jeweils 18 Uhr im Internet
http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u

 

Solidarität für Mumia - einige Termine:

 

Fr. 8.1.2010 Schnarup-Thumby, Berlin: Record-Release-Party vom neuen Free Mumia-Sampler
http://mumia-hoerbuch.de/mumiadeutsch.htm#solisampler111109
Das ist der Freitag vor der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Kommt zahlreich wir wollen das Geld in die (wahrscheinlich) anstehenden Notfallproteste fließen lassen.

So. 10.01.2010 Berlin:
Kommt mit FREE MUMIA Transparenten zum Anti-Kapitalistischen Block auf der LL Demo!
Beginn 10:00 - U5 Frankfurter Tor


Sa. 30.01.2010 Heidelberg:
Demonstration "Gegen politische Repression und staatlichen Rassismus!"
Freiheit für alle politischen Gefangenen! Kampf der Klassenjustiz!
Solidarität mit Mumia Abu-Jamal
Beginn: 14.00 Uhr
Treffpunkt: Bauhaus Heidelberg


Online Demos: Mumia-Webbanner etc.
http://womblog.de/2009/12/21/online-demos-fr-mumia-abu-jamal/
und hier
http://mumia-hoerbuch.de/aktiv.htm

wie groß ist der prozentsatz der in den usa privatisierten gefängnisse?

Insgesamt befanden sich nach Daten des US-Justizministeriums 2007 etwa 7,4 Prozent der fast 1,6 Millionen eingesperrten Erwachsenen in privaten Strafanstalten – insgesamt etwa 120.000 Gefangene. (SZ vom 05./06.01.2009/mel)

Die Verteilung der Privatknäste ist von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. In Kalifornien sind es z.B. viel mehr.

 

Und ausserdem werden in staatlichen Gefängnissen auch produziert, und zwar unter Zwangsarbeit, auch wenn das anders genannt wird. Der gefängnisindustrielle Komplex umfasst alle in Gefängnissen erwirtschafteten Umsätze.

 

Laut US Regierung war der gefängnisindustrielle Komplex 2007 drittgrößter "Arbeitgeber". Vor ihm stand lediglich die Automobilindustrie sowie der Servicesektor. Nach zwei Jahren "Wirtschaftskrise" und vielen Entlassungen werden da die Zahlen für 2009 sicherlich spannend. Denn die Zahl der 2,3 Millionen Gefangenen hat sich seit 2007 mit Sicherheit erhöht.

 

Die Gefängnisindustrie war 2007 als einzelner Konzern mit 2% des Bruttoinlandsproduktes der US-Wirtschaft ausgewiesen. Es handelt sich also um einen der größten Konzerne innerhalb der USA.

 

Nochwas zu den Zahlen: in den USA gibt es Bundes- und Staatsgefängnisse, also Regerungs- oder Bundesstaatsgefangene. Insgesamt waren in den USA 2007 ca. 2,3 Millionen Menschen inhaftiert. Die SZ verwechselt genau wie viele andere bundesdeutsche Medien gerne mal Begriffe, die vielleicht ähnlich klingen, aber in den USA meist eine andere Bedeutung haben.