"Besser als der Verfassungsschutz" - die Nazi-Jäger von Sachsen

Erstveröffentlicht: 
27.07.2015

Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz und ihr Mann Volkmar Wölk decken rechtsextreme Netzwerke auf

 

Von Andreas Debski


Grimma. "Wir sind besser informiert als der sächsische Verfassungsschutz." Das sitzt. Das ist eine klare Ansage. Kerstin Köditz mag klare Ansagen. Vielleicht hat sie sich gerade deshalb als Stehauffrau der Linken profilieren können - seit 2001 im Landtag, musste sich die Grimmaerin (Kreis Leipzig) nicht nur manchen hämischen Kommentar der Konkurrenz anhören, sondern auch innerhalb ihrer Partei immer wieder gegen Alt- und Realo-Vertreter wehren. Bislang mit Erfolg. Sie hat alle politischen Ränke überlebt.


Das liegt vermutlich daran, dass Kerstin Köditz diese Kämpfe mag, genauso, wie sie den Zigarettenqualm inhaliert, um zu genießen. Und wenn die Vize-Vorsitzende des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses behauptet, besser als der Inlandsgeheimdienst informiert zu sein, sollte man genau hinhören. "Wir schauen ganzheitlich, analysieren im Sinne von Vernetzungen, nicht nur Einzelfälle betrachtend", erklärt Kerstin Köditz, die sich mit ihrem Ehemann Volkmar Wölk seit fast zwei Jahrzehnten den Ruf als Neonazi-Jäger erarbeitet hat, "und das ganz ohne nachrichtendienstliche Mittel, allein mit Hilfe öffentlich zugängiger Quellen." Binnen weniger Minuten ist dies bereits die zweite schallende Ohrfeige für die sächsischen Schlapphüte. Sie kann einfach nicht anders.


Es ist eine Melange aus linkem Gewissen und erbitterter Streiterin, das sich in einem geduckten Grimmaer Fachwerkhaus, eingerahmt von einem Archiv aus fast 5000 Büchern zum Thema Rechtsextremismus, ausbreitet. In einer Atmosphäre, die zwischen Schwarzkaffee und Aschenbecher oszilliert. Hier, im Schatten des historischen Marktes, werden in ihrem heimatlichen Abgeordnetenbüro die Strategien der Neuen Rechten und deren schlagender Straßenkämpfer analysiert. Auf abgewetztem Ikea-Holz stapeln sich Magazine wie "Volk in Bewegung", "Die Aula" oder "Magazin für die Freie Welt" - Sprachrohre der extremen Rechten. Hinzu kommen Flyer und Fanzines, die von Neonazis unter der Hand gedruckt werden, und kiloweise Material aus dem Internet.


"Wir versuchen, möglichst alles zu bekommen, denn nur so lassen sich Strukturen und personelle Konstanten erkennen. Das braucht Zeit, und diese Zeit nehmen wir uns", sagt Kerstin Köditz, und immer, wenn die 48-Jährige vom Wir spricht, hellt sich ihre Stimme auf. Denn Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik in der Linken-Fraktion, ist ohne ihren Mann Volkmar Wölk kaum noch zu denken. Seit 2000 ein Paar und seit dem vergangenen Jahr verheiratet, verkörpern die beiden so etwas wie gleichermaßen Herz und Hirn des informiert-aufgeklärten Antifaschismus in Sachsen. Ein Engagement, das inzwischen von vielen - und selbst vom Landeskriminalamt, das schon mal bei ihnen nachfragt - goutiert wird.


Lange Jahre galt die 1,50 Meter große Frau, die auch für ihren wallenden schwarzen Kleidungsstil bekannt ist, in Dresden als reine Nerverin. Als jemand, der poltert und ätzt. So ist die Linken-Abgeordnete beispielsweise unangefochtene Spitzenreiterin bei den Kleinen Anfragen im Landtag: In der vergangenen Legislatur brachte sie es auf 919 Drucksachen, die von verschiedenen Ministerien, bevorzugt vom Innenminister, zu beantworten waren; in der Wahlperiode zuvor waren es 702. Darunter sind viele jahres- und monatsweise Anfragen zu Aktivitäten der extremen Rechten, Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität sowie zu antisemitischen und rassistischen Vorfällen. Im Innenministerium hat man sich inzwischen an den Köditz-Rhythmus gewöhnt, milde lächelnd darauf eingestellt. Selbst in der Regierungsfraktion CDU wird die Kärrnerarbeit des Duos mittlerweile honoriert, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand.


Eine Anerkennung, die die Grimmaerin durchaus zu schätzen weiß: "Ich stelle fest, dass man mir immer häufiger zuhört, zunehmend Feindbilder fallen. Das empfinde ich schon als Wertschätzung." So war zuletzt, bei der Einsetzung des neuen NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag, ein wohlwollendes Murmeln zu vernehmen, als Kerstin Köditz, die Nachwende-Philosophin und Katzenliebhaberin, am Rednerpult stand - die Poltererin brillierte als Rhetorikerin. "Ich überrasche gern. Und ich habe auch verstanden, dass es nicht unbedingt immer der Säbel sein muss, auch das Florett kann gut sein", sagt die wortgewaltige Linken-Frau, die eine neue Sachlichkeit formulieren will.


Davon bleiben ihre klaren Ansagen allerdings unberührt. "Der Freistaat Sachsen muss sich endlich zu seinem Rechtsextremismus-Problem bekennen, das viele immer noch nicht wahrhaben wollen", redet sich die 48-Jährige dann doch in Rage, "denn nur wenn man sich bekennt, lässt sich etwas dagegen tun und ändern."


Das umfangreiche Archiv ist öffentlich zugänglich und während der Sprechzeiten des Bürgerbüros (Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr) nutzbar. Anmeldungen und nähere Informationen unter Telefon 03437 919627.

 

... Neonazi-Kameradschaften: Die bekannten Kameradschaften sind nicht verschwunden - es gibt nur neue Formen in den Strukturen, oftmals mit personeller Kontinuität in der Führung. Die Organisation verzichtet zum großen Teil auf Organisation, will möglichst wenig Struktur haben. Gerade im ländlichen Raum haben solche eher losen Verbindungen starken Zulauf.


... Pegida/Legida: Eine verhängnisvolle Entwicklung. Die einen formulieren die bis zum Hass reichende Ablehnung - die anderen, die Neonazi-Schläger, fühlen sich dadurch bestärkt und setzen die Parolen in Gewalt um. Der Alltagsrassimus wird immer noch unterschätzt, dabei geht von ihm eine sehr große Gefahr aus.


... den Verfassungsschutz: Die Analysefähigkeit der Ermittler in Sachsen muss endlich gestärkt werden. Viele Fälle werden einzeln betrachtet, ohne dass Strukturen erkannt werden können. Die Behörden unterschätzen die Gefahr des Rechtsterrors und des Rechtsextremismus seit Jahren.


... die Terrorgruppe OSS: Spätestens seit dem NSU war klar, dass es terroristische Konzepte in der rechtsextremen Szene gibt. Doch es erfolgte kein Umdenken in den Sicherheitsbehörden. Wohin das unter anderem führen kann, ist jetzt an den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte zu sehen. Der OSS ist letztlich nur aufgeflogen, weil sich die Gruppe so trottelig angestellt hat.


... Linksextremismus: Dieser darf nicht mit Rechtsextremismus gleichgestellt werden - der Ursprung liegt nicht in einer Gesinnung, die Menschen aufgrund von äußerlichen Merkmalen, wegen des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der Religion ablehnt und verfolgt.


... SED/PDS: Ich bin 1989 eingetreten, weil ich die Illusion hatte, von Innen heraus etwas ändern zu können, ich wollte einen Übergang zu neuen Strukturen. ski

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