Beitrag zur Broschüre: "radikal & unsympatisch"

Message in a bottle

Wir werfen in die gleiche Richtung, doch vielleicht auf ein anderes Ziel. - Wir haben eure Broschüre aufmerksam und wissbegierig gelesen, selber gespannt auf eure Analysen, Einschätzungen, Themenschwerpunkte und die Auswahl von „auswärtigen“ Texten. Aber vor allem, weil das Thema Gewalt zentral ist für die Sinnhaftigkeit unseres Handelns, als Gruppe, die sich jeden Tag fragt, wie eine Strategie gegen die Zerstörung und widerliche (Um)Gestaltung unseres Lebensumfeldes aussehen muss, welche nicht nur der eigenen Selbstermächtigung dient oder darüber hinaus gehen kann.

Dass wir uns teilweise bereits gefunden haben, ist der größte Anstoß diesen Text zu schreiben. Wir glauben euch gefunden zu haben, weil es sich (auch) unserer Vorstellungskraft entzieht, sich ein Leben auszumalen, dass ohne Widerstand, Hass und permanente Überlegungen – darüber, was in dieser Welt passiert, wogegen wir etwas unternehmen wollen - lebenswert ist, bzw. unseren Ansprüchen an Freiheit und Solidarität entsprechen könnte.

 

Aus dieser ernüchternden Erkenntnis entspringt aber zugleich unsere tägliche Motivation und auch Freude daran, gemeinsam mit den Menschen denen wir vertrauen - an den Stellen, die wir durch Beobachtungen, Erfahrungen und Diskussionen als jene bestimmen, die Ursache und Ausdruck der unterdrückenden Herrschaftsmechanismen sind - Angriffe zu planen und Widerstand zu realisieren.

 

Wir finden es großartig, dass sich Menschen Zeit nehmen so eine Broschüre zu erstellen, die gleichzeitig eine Chronik festhält und noch dazu versucht Hintergründe offen zu legen, die erklären könnten, warum einige Autonome auf jene Weisen aktiv sind.

Wir können uns jedoch mit vielen inhaltlichen Punkten so nicht identifizieren und erfuhren aus Gesprächen, dass einige die Broschüre nach Seite 2 aus der Hand legten.

 

Möglicherweise, weil insgesamt eine einseitige Sicht auf Gewalt und auf das Handeln, im Rahmen der nächtlichen und (selten auch) der Möglichkeiten im Tageslicht abgebildet wird. Wir handeln mit euch, immer wieder gerne, weil wir uns wirklich „gefunden haben“ oder weil wir auf den Straßen der Städte dieser Welt, plötzlich neben einander stehen.

Aber, um es vorweg zu nehmen, unser Ziel ist nicht die Zerstörung der, wie ihr sie darstellt, mitlaufenden und inaktiven Individuen einer Gesellschaft, von der ihr euch gerne unabhängig machen wollt oder bereits außen stehend einordnet. Wir sind natürlich gegen diesen Staat und das gesamte System von Nation, Staatlichkeit und einem mit diesem produzierten Gesellschaftsmodell.

Aber wenn wir das Ziel eines befreiten Lebens vor Augen haben, dann greift es zu kurz ein Bild zu zeichnen von „dem“ Staat, als Apparat den wir mit physischer Gewalt zerstören können und „der“ Gesellschaft, als gehorsame Untertanen, die mitspielen und daher ebenfalls zu Feinden erklärt werden, die „unserem“ Kampf im Wege stünden.

 

Wir wollen Militanz und auch Gewalt breiter verstanden wissen und damit zusammen hängend möchten wir auch für Menschen schreiben, die in „Teilbereichskämpfen“ Kompromisse eingehen oder die in euren Augen „falsche“ „Politik“ machen. Die aber aufgrund ihrer Positionierung in dieser Gesellschaft nicht anders überleben können, keinen Pass bekommen, keine Anerkennung oder nicht mithalten können, mit den absurden Ansprüchen an das Subjekt in diesem System. Klar, der Kampf ums Ganz ist fein oder „Angriffe gegen die Ordnung“ (3), aber nicht alle haben die Privilegien ihr Handeln an diesen abstrakten Floskeln auszurichten.

 

Aber ja, wir teilen die Kritik an Event-Großorganisationen und deren Organisationsfetisch. Dort sitzen überwiegend, in vielerlei Hinsicht, privilegierte Leute, die durch Zusammenarbeit mit Parteien oder durch einen vermeintlichen(!) Aktions-Konsens, die Vereinnahmung und Integration von Konflikten ermöglichen. Dazu wollen wir nicht mehr sagen, eine Auseinandersetzung mit Blockupy fand und findet woanders einen Platz.

 

Ich brauch euch nicht, weil ich steh im VS-Bericht – zum Militanzverständnis.

 

Ziel von militanten Aktionen ist es unserer Meinung nach:

  1. aufzuzeigen, dass es möglich ist, sich den Logiken des Systems zu widersetzen,

    z.B. Fahrscheine infrage stellen.

  2. sich mit Menschen zu solidarisieren, die von Gewalt betroffen sind und die sich als Teil einer jeweils spezifischen Gruppe, oft nur durch kollektive Projekte, Proteste oder Bezugnahme zur Wehr setzen können,

    z.B. Oranienplatz, Kobanê.

  3. für die zwischenmenschliche und eigene Emanzipation zu kämpfen, da wir nur in der alltäglichen Schule des Widerstandes glaubhaft radikale Zellen erhalten und aufbauen können, mit denen wir versuchen so zu leben, wie wir es in all unseren Texten und Aufrufen einfordern,

    z.B. Sexismus und Dominanzverhältnisse in unseren politischen Gruppen angreifen.

  4. Mechanismen, Repressionsapparate, die Strukturen zu verändern, anhalten und abschaffen zu können, um irgendwann die Machtverhältnisse auf unserer Seite zu wissen, d.h. auf der Seite von Menschen, für die Anarchismus oder Freiheit heißt, ohne Zwang, Gewalt, Unterdrückung und nicht auf Kosten anderer Menschen zu leben.

    z.B. Rassismus erkennen und bekämpfen.

 

Das heißt auch, militant sind wir nicht, weil wir stets eine Pfefferdose bei uns tragen, den langen Fahnenstock auf einer Antifa Demo oder vermummt mit einem Juttebeutel voller Steine und Pyro, die Vorkontrollen umgehen.

Militanz als Haltung zu verstehen, die 3 Dinge zusammen denkt,...

 

  1. Den Versuch in all den Handlungen unseres Lebens, die radikal(st)e Variante auszuprobieren/zu wählen, d.h jene, die auf eine Veränderung der zugrunde liegenden Mechanismen abzielt, welche diese infrage stellt oder sich diesen verwehrt (bzw. zuerst versucht, zu analysieren, wie diese funktionieren), Bsp: Häuser besetzen, keine Miete zahlen.

  2. Den Versuch zu unternehmen, bei öffentlichen oder „inszenierten“ Groß-Veranstaltungen (Demos, symbolische Angriffe, Aktions-Camps, Texte etc.) entweder die Ordnung des Spektakels eskalieren zu lassen oder Aktionsformen Raum zu geben, die tatsächlich Kräfteverhältnisse infrage stellen und die Grenzen von legal-illegal für die Beteiligten banal werden lassen z.B. „Atomstaat still legen“, Castor 2011.

  3. Einen sogenannten Mythos zu leben und zu reproduzieren, welcher Anziehungskraft auf Menschen ausübt, die sich nicht in den zugeschriebenen Rollen des Systems wiederfinden wollen, der aber sowohl die Phantasievorstellungen der „Extremismus“Forschenden als auch die Abgrenzungsbestrebungen eingesessener Szene-Macker_innen, bloß stellt,

    Bsp:vllt. passt Mythos nicht so gut, eher: Ideale leben, wo es das System noch nicht zu lässt.

     

...heißt eben gerade Militanz nicht mit „Gewaltbereitschaft“ gleichzusetzen. Wenn das Gewaltverständnis in der Broschüre umfassender gedacht würde, wäre diese Gleichsetzung möglich. Und das bezieht sich sowohl auf das Verständnis von Gewalt, die von uns, wie auf Gewalt die gegen uns verwendet wird. Aber so wie wir es verstehen, beziehen sich die meisten Texte auf (Gegen)Gewalt [wir schreiben hier von „(Gegen)Gewalt“ als Unterscheidung für Gewalt, die von uns ausgeht, im Kampf gegen die Verhältnisse] in der Form physisch ausübbarer Kraft, die durch Werkzeuge verstärkt werden kann und gegen Menschen und Dinge angewandt werden soll. Mit den Zielen jene zu verletzten, einzuschüchtern, zu töten oder finanziellen Schaden zu verursachen. Als indirekte Ziele lesen wir in der Broschüre: irgendwann in der Lage zu sein, mehr Gewalt ausüben zu können als die andere Seite (2), Zeichen der Verbindung zu setzen/Aktionen als Signal für ähnlich Motivierte (3,4), Vertreter_innen aller erkennbaren Machtarchitekturen einzuschüchtern und als Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen (5) etc.

 

Noch einmal ein Sprung zurück. Die zu Beginn unseres Kapitels aufgeführten 4 Ziele von Militanz müssten noch in ihrer Tiefe ergründet oder interpretiert werden und es gibt sicher noch viele weitere. Worauf wir hiermit jedoch hinaus wollen, sind die Fragen, die wir uns immer wieder stellen müssen, wenn wir auf Veränderung abzielen. Was sind die Strategien, Techniken, Taktiken und Argumentationslinien mit denen wir versuchen wollen diese Ziele zu erreichen, unseren Selbstverständnissen gerecht zu werden. Einzelne Gruppen propagieren in der Broschüre hierzu ihre Auffassung von Gewalt und der damit zusammenhängenden Strategie, als „den“ anarchistischen Weg und einzige richtige Methode. Für uns bleiben dabei aber viele Fragen (zu den obigen 4 Zielen) auf der Strecke:

 

Zu 1. Wie ist es möglich Menschen schon allein in der eigenen Stadt daran Teil haben zu lassen bzw. zu vermitteln, was wir tun, warum und mit welchen Techniken? Wer wir sind?

 

Zu 2. Mit welchen Gruppen solidarisieren wir uns und mit welchen Aktionsformen? Für wen sprechen wir dann und interessiert es uns, ob diese Aktion im Sinne dieser Gruppe war? Wer ist dieses vermeintlich homogene „wir“, das agiert?

 

Zu 3. Wie führen wir unser „widerständiges“ Leben? Wer muss lohnarbeiten, kann in den Urlaub fliegen, sich den Kontrollettis entgegen stellen, hat die Visa Karte der Eltern oder eine sportliche Statur?

 

Zu 4. Wie sollen wir denn die „Strukturen“ verändern? Wann haben sich Mechanismen durch unsere Aktionen verändert? Was glauben wir sind Schritte in die Richtung einer allumfassenden Revolte?

Warum diskutieren wir so selten über die Strukturen, die Wurzeln? Fast so, als wären wir alle in dem Moment aufgeklärt, ab dem wir uns „Antiautoritäre“, „Antisexist_innen“ oder „Antifaschist_innen“ nennen. Können wir mit Angriffen auf eine Behörde Rassismus bekämpfen?Und warum diskutieren wir so selten darüber, bei wem unsere Aktionen ankommen sollen und wer davon erfahren hat?

 

Macht und Gewalt- warum sich mit Definitionen herum schlagen?

 

Mit diesen Fragen nähern wir uns dem Thema eurer Broschüre. Wir würden dieses zugespitzt herunter brechen auf:

„Physische Gewalt ist die einzige legitime und richtige Form der Antwort und des Angriffs. Mit der wachsenden Quantität und ausgetüftelten Qualität an Gewalt gegen Sachen und Menschen, werden wir irgendwann die Repressions- und Sicherheitsapparate in die Knie zwingen und den Staat zerstören“. - Das war das, was nach den ersten Texten bei uns ankam.

Eine „unsympatische“ Auffassung von einem widerständigen Handeln und Leben in dieser oder „außerhalb“ dieser Gesellschaft? Ja vielleicht. Vor allem, weil das Verständnis von (Gegen)Gewalt in der Broschüre nur auf spezifische Aktionsformen bezogen wird und damit ein paar Gruppen ihre Aktionsformen als einzig „radikale“ darstellen können.

 

Zu sagen Gewalt geht vom Staat aus, von Militär, Bullen, Secus, Investor_innen, Gentrifizierenden, ist richtig. Aber diese beschränkte Sicht zieht unserer Meinung nach eine schlussfolgernde Strategie von (Gegen)Gewalt nach sich, welche die vielseitigen Machtstrukturen nicht mitdenkt, die Herrschaft reproduzieren und möglich werden lassen.

Wir alle reproduzieren Herrschaftsstrukturen, weil die Macht, die wir ausüben uns gar nicht immer bewusst sein kann und wir sie, genauso wie Privilegien, auch nicht einfach ablegen können, wenn wir das wollen. Macht ist überall und lässt sich nicht mit einem Feuer verbrennen. Zu sagen, sie geht in diesem System vom Staat oder einzelnen Personen aus, ist Unsinn. Und ein Verständnis von Gewalt als wichtigster Methode gegen Machtstrukturen, ist in der aktuellen und in dieser komplexen Gesellschaftsformation eine Wunschvorstellung. Die Begriffe der Macht und ihre verschiedensten Formen der Gewalt zu beleuchten, wäre dagegen zielführend, da es dabei nicht (nur) um Theorie-Arbeit, sondern offensichtlich um Schlussfolgerungen für die Praxis geht.

 

Auch, dass Gewalt von uns allen jederzeit ausgeht, scheint kein gemeinsamer Ausgangspunkt zu sein: von Männern, von uns als Weißen, oder Akademisierten, als Eltern oder indem wir bodyistisch, ableistisch und auf viele weitere Weisen ausgrenzend und herablassend Menschen (auch im nächsten Umfeld) behandeln.

 

Wir möchten in Bezug auf diese Begriffe, den Leittext nicht völlig zerreißen, auch wenn das unser erster Gedanke war. Die meisten Aussagen zum Thema „bewusste Gewalt“, können wir jedoch nicht nachvollziehen. Die folgenden Zitate sagen ja schon einiges aus, über

...einen Gewaltfetisch:

Gewalt ist nichts schlimmes“: Wir bekämpfen diese Gesellschaftsformation doch genau wegen ihrer gewaltvollen Beschaffenheit. „Macht“ ist vielleicht „nichts schlimmes“, sie ist allgegenwärtig und wir könnten sie nicht abschaffen, aber wir können sie gebrauchen,

...Überheblichkeit:

Wir schreiben nicht für eine linke Szene“: Die Autor_innen müssen somit niemandem Rechenschaft ablegen. Damit ziehen sie sich aus der Verantwortung, etwas zu schreiben, dass Anschluss findet, das in der Lage ist ihre Aktionsformen zu begründen, für Menschen außerhalb ihres Umfeldes. Das haben sie geschafft, Gewalt verkommt hier zu einem Selbstzweck und führt anscheinend zu Ignoranz, gegenüber einer Masse Menschen, über die sie sich erheben.

...den zugrunde liegenden Realitätsverlust:

Wir können uns Momente aussuchen, in denen wir in die Offensive gehen“: aber nur, wenn diese nachts, Kamera frei, auf unbelebten Straßen, fern einer Bullenstation, ohne Helikopter und möglichst in wenigen Sekunden vorbei sind: Die Einschätzung einer autonomen Gruppe, die den Kontakt zur Realität verliert und denkt, sich unabhängig gesellschaftlicher Machtverhältnisse, außerhalb von Diskursen und ohne eine Masse ähnlich Gesinnter, jemals in der Offensive befinden zu können. Eine Selbstüberschätzung, die diese Gruppe in Isolation halten wird, in der sie ihre „bewusste Gewalt“ nicht mehr erklären will und kann.

 

Es wird nicht erwartet, dass wir jetzt alle Bücher wälzen, um zu verstehen und zu vermitteln, was Macht, Gewalt und Herrschaft voneinander unterscheidet. Oder um einen Text abtippen zu können, der diese Worte beinhaltet. Aber ein Diskussion zu entwickeln, in welchem diese Begriffe einen Ort finden und formuliert ist, wie diese mit Staat und Gesellschaft zusammen hängen, wäre spannend. So könnten wir besser verstehen, ob wir wirklich so weit voneinander entfernt sind, wie es zumindest in diesem Leittext erscheint.

 

Fehlende Wahrnehmung und Auslassungen

 

Hier wollen wir die Vermutung äußern, dass in der Broschüre eine fehlende Wahrnehmung oder Hierarchiesierung von „politischen“ Kämpfen ihren Ausdruck findet, welche ein anderes Bild zeichnen könnten, von militantem Handeln, (Gegen)Gewalt und radikalem Potenzial, das die Autor_innen nicht sehen wollen.

Eine Vermutung ist auch hier, dass diese Wahrnehmungslücke entsteht, wenn nicht alle Autor_innen gemeinsam darüber diskutieren, wie Machtstrukturen aussehen und wo diese auftauchen.

 

Diese Lücke bezieht sich auf Themen und Aktionsformen, im Text „Proteste, Diskurse, linke Strömungen“ (2), die von den Autor_innen ausgeblendet, nicht gesehen oder gar als reformistisch und „falsch“ befunden werden. Dazu zählen Kämpfe um Geschlechter- und Identitätsfragen, antirassistische Arbeit (wenn es eben nicht der Angriff auf die Ausländerbehörde ist), Nachbarschaftsarbeit oder Mietenkämpfe. Diese Kämpfe seien „die Defensive“ (3), weil es Reaktionen auf Repression und auf Gewalt des Staates seien. Es seien Teilbereichskämpfe und keine „Angriffe gegen die Ordnung“ (3).

Ein Beispiel ist hierfür, dass „Die lange Nacht der Rigaer Straße“ in der Chronik der Broschüre aufgeführt wird, nicht aber die gleichzeitig statt findende Demo und Besetzung des Franz-Künstler Hauses von Refugees in Berlin.

 

Durch diese (hier nur skizzierten) Auslassungen und Trennungen in richtig-falsch, professionalisiert/politisch-autonom/gewaltbereit, wird eine Überheblichkeit der Autor_innen auf den Punkt gebracht: Wir verändern nicht Teile im System, sondern bringen allein mit unseren Aktionen, die tragenden „Säulen“ (14) ins wanken. - Daran haben wir so unsere Zweifel.

 

Ein einseitiger Blick auf Gewalt und Machtstrukturen führt auch zu einseitigen Lösungsstrategien und Aktionsformen. Es schleicht sich immer wieder die Vermutung ein, dass diese propagiert und ausgeführt werden, weil es oft die einzig machbaren zu sein scheinen (Bsp: offen zugängliche S-Bahn Kabelschächte auf der Elsenbrücke in Berlin waren das mehrmalige Anschlagsziel der Vulkan-Gruppen, bis die Schächte abgesperrt wurden).

 

Wir unterstützen die in der Broschüre genannten Aktionsformen, wollen uns damit aber nicht von Teilbereichskämpfen isolieren bzw. von Menschen die diese ausfechten, da wir uns damit aus der Verantwortung ziehen würden, die wir haben, als Menschen, in vielseitig „macht“ausübenden Positionen.

[Was heißt das überhaupt? Was sind keine Teilbereichskämpfe? Sind Anschläge nicht auch immer themen- also teilbereichs-bezogen? Wo geht es ausschließlich ums Ganze?]

 

Wettrüsten mit dem staatlichen Gewaltmonopol

Wir fragten uns während der Lektüre, woher die Annahme rührt, dem Staatsapparat im Grad der Gewaltanwendung jemals die Stirn bieten zu können, allein durch die Potenzierung von (Gegen)Gewalt. Und wie das zusammen hängt, mit dem Wunsch mehr Kontroll-Menschen aus dem Hinterhalt „Messer in den Bauch zu stecken“ (5).

Warum stützt ihr eure Texte so sehr auf das staatliche Gewaltmonopol, dass wir aufbrechen müssen? Den Staat zu zerstören heißt natürlich im Endeffekt auch, das Gewaltmonopol zu delegitimieren und ihm zu entreißen.

Das Gewaltmonopol funktioniert immer in der Logik der jeweiligen Gesellschaftsformation (Kapitalismus), will uns als Verfassungs_feindinnen in den Knast stecken, definiert was „legitime“ Gewalt sei. Aber es ist nur ein Teil der Logik von Staatlichkeit.

Zum ersten muss darüber hinaus analysiert werden, warum es einen massiven Auswuchs an privaten Sicherheits-Firmen gibt, welche in Clubs, Parks, auch öffentlichen Gebäuden und in Kriegsgebieten Waffen tragen dürfen und straffrei bleiben.

Zum zweiten zeigen Blicke auf Länder, in denen das Gewaltmonopol bei allen möglichen Gruppen, Clans oder kriegerischen Banden verteilt liegt und von westlichen Theoretiker_innen dann gerne von „failed States“ gesprochen wird, nicht unbedingt die anarchistische oder eine emanzipatorische Revolte als Konsequenz auf.

Und drittens klingt es so, als ob das Gewaltmonopol dem Staat entrissen werden könne, wie der Lolli einem beglückten Kind. Doch das wäre genauso irreführend wie zu glauben, wir könnten der Queen ihre Krone vom Kopf reißen und sie dadurch ihrer Position entheben.

 

Wir würden, statt auf das Gewaltmonopol, eher darauf abzielen, diesem Konstrukt Staat seine Macht, d.h. seine Legitimationsbasis zu entziehen. Das heißt die unausgesprochene Einigung der in einem „Staatsgebiet“ Lebenden darauf, Autorität von staatlichen Institutionen (Schule, Militär, Bürokratien...) anzuerkennen und zu verteidigen.

Staatliche Akteur_innen und Institutionen besitzen Macht nicht allein, weil sie mit physischer Gewalt drohen können (wie es Anfang S.14 richtig erwähnt wird). Die be-herrschenden Machtverhältnisse, die von staatlichen Apparaten und damit zusammenhängend auch von den Führungsetagen der Konzerne ausgehen, sind viel kreativer, allgegenwärtiger und durchziehen all unsere menschlichen Beziehungen, bzw. gehen von uns allen aus, werden von uns allen gelebt.

 

So viele Security Angestellte wie möglich zu erstechen, einzelne Bullen im Hinterhalt oder die Karre des Investors anzugreifen, könnten wir tun, aber nicht mit dem Ziel ihnen dadurch Gewalt zu entziehen. Das ist kein Nullsummenspiel. Das heißt, Gewalt die wir gegen einen Bullen anwenden, wird diesem nicht im gleichen Maße auch entzogen. Aber er verliert sein Sicherheitsgefühl und vielleicht sogar Macht. Wir jedenfalls sehen die Verhältnisse gerade nicht in einem Stadium, in dem Gewalt hin zu Mord, eine notwendige oder zielführende Taktik sein muss.

 

Das Gewaltmonopol kann nicht als Mittelpunkt unserer Zielscheibe fokussiert werden. Es ist eingebettet in Macht- und Herrschaftsstrukturen, die nicht allein mit physischer Gewalt bekämpft werden können. Beispielsweise können wir Kameras abschlagen, aber damit noch lange nicht die Logik von Überwachung, Disziplinierung und Verboten bekämpfen. Wir können Knäste sprengen, aber damit nicht die Vorstellung des Großteils der Gesellschaft, dass Menschen bestraft werden müssen, die gegen „die“ Gesetze verstoßen haben.

 

Damit wir nicht missverstanden werden ...

 

die Tage sind dafür da, dass wir uns umschauen, miteinander reden uns vernetzen. Die Nächte sind dafür da, unterwegs zu sein, anonym, ungesehen, und meistens gemeinsam. Jeder Glasbruch an (Bullen)Karren oder Neubauten, in Faschofenstern oder Wachhäuschen ist ein richtiges Signal. Uniformierte zu bedrohen und zu verletzen ist eine notwendige Konsequenz.

Aber auf einen letzten Punkt wollen wir hinaus, der zusammen fasst, worauf wir militanten Aktivismus ansetzen.

 

Wir glauben, dass dieses System so funktionieren kann, weil die Mehrheit der Menschen – v.a. im kapitalistischen Norden der Welt und in den Nationen, die Hauptsitz der Autoritäten sind, nach denen sich ökonomische Kriege und Gesetze richten – einem Fetisch aufsitzt, der sie glauben lässt, keinerlei Macht zu besitzen. Klar, sie denken sie haben Macht bei den Wahlen oder Freiheiten bei der Partner_innen- oder Jobwahl. Aber das liegt daran, dass viele Macht und Freiheit nicht in unserem Sinne verstehen und der Diskurs der Herrschenden, einen solchen Glauben immer wieder reproduziert.

Dieser Fetisch bezieht sich auf den Glauben an ein System von Hierarchien, Autoritäten und legitimer Herrschaft (durch Wahlen z.B) das so „ist“, ohne dass „normale“ Menschen daran etwas ändern könnten. Wir nennen es Fetisch deshalb, weil eine Funktionslogik als einzig mögliche hingenommen wird, welche eigentlich menschen gemacht und somit von allen veränderbar ist. Es liegt nicht (nur) an einem falschen Glauben oder Bewusstsein, sondern an einer verselbstständigten Logik der Strukuren und einem unhinterfragten Handeln der Menschen.

Mensch könnte davon träumen, dass alle Arbeiter_innen dieser Welt gleichzeitig streiken und damit große Teile der Machtverhältnisse verschieben könnten. Genauso wie sich die Autorität einer Lehrerin in Luft auflösen würde, wenn ihre Klasse hämisch lachend, die Mathe Arbeiten vor ihren Augen zerreißen würde. Oder Kontrolleties machtlos würden, wenn der gesamte Waggon sich weigern würde ein Ticket zu zeigen. Was wäre eine Regierung, wenn bei den Wahlen keine Einzige einen Stimmzettel abgeben würde?

 

Das Verweigern von Gehorsam kann in all diesen Beispielen mit physischer Gewalt beantwortet werden und in vielen Fällen reicht diese aus, um Autorität und den „normalen“ Ablauf der Dinge wieder herzustellen. Aber hier liegt unserer Meinung nach der Knackpunkt.

Wie genau legen wir Steine zwischen die Mühlen, bringen Risse in die Mauern oder Sand ins Getriebe des Systems?

Was bringt es, dem Investor Gehorsam zu verweigern, bzw. in bloß zu stellen? Oder Henkel? Oder die Rassistin bei der Ausländerbehörde? Den Widerling im Jobcenter?

Es muss eine Kombination sein. Aus dem Entzug von Macht, durch die bewusste Einsicht, dass diese Menschen und die verselbstständigten Strukturen nur machtvoll sind, weil andere Menschen ihnen (aber auch dem Kapital) diese Autorität zugestehen (müssen), sich nicht wehren oder damit zu wenige sind. Und dem Angriff materieller Verhältnisse, von Sicherheitszonen und -gefühlen, Infrastrukturen und Machtdemonstrationen.

Vielleicht können wir es auch mit den Säulen auf Seite 15 versuchen: Eigentum, Konsum, Arbeit und Angst in ihrer Logik anzugreifen.

 

Wir sind uns ja teilweise (abgesehen von Feldern, die ihr ausblendet) einig, was die Probleme in der Gesellschaft und vielleicht auch dessen Ursachen angeht. Nur teilen wir eure Schlussfolgerung nicht, darauf zu scheißen „Mehrheitsverhältnisse“ zu erkämpfen (14) und Gewalt nicht mehr begründen zu müssen. Wir kennen Menschen, die unsere Analysen teilen, das System bekämpfen wollen und Anschluss suchen. Diese müssen sich nicht nachts mit uns auf die Lauer legen.

Kämpfe für Bleiberecht, Texte gegen Sexismus, eine Demo, die nicht eskaliert, können genauso Wege sein, Machtverhältnisse zu verschieben.

 

Wir sind gewaltbereit und erhalten unsere (nächtlichen) Aktionsformen aufrecht, weil wir darauf hoffen mehr zu werden und weil wir glauben, dass es ohne (Gegen)Gewalt keine Veränderung geben wird. Wir brauchen mehr gewaltbereite aktive Menschen, im Alltag sowie in den Nächten, auf verschiedenste Weisen. Das stellt diese Aktionsformen, der physischen Gewalt, wie sie in der Broschüre aufgelistet sind, in den gegenwärtigen Verhältnissen, für uns nicht über andere Formen des Angriffs. Und wichtig dabei bleibt, ihre jeweilige Begründung, Einbettung und Vermittlung.

 

Wir würden uns sehr über weitere Einschätzungen zu diesen Themen und der Broschüre freuen.

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....wenn ich so ein Vepeilo bin, aber welche Broschüre?

 

fand euren Text beim Überfliegen spannend, könntet ihr och nen Link zur Broschüre dranhängen für die Großstadtferneren?

 

Dann machts auch Sinn den Text zu lesen. ;D

...und nicht gefunden. Ich fände einen Link zur zurgrundeliegenden Broschüre auch knorke. Habe im Netz nichts gefunden.

fusznoten fehlen auch :-(

 

Aber danka für's online stellen damit andre auch an der Disku teilhaben können ohne im papierbroschürenzirkel zu sein!

es fehlen keine fußnoten, das sich die zahlen auf die seitenzahlen im heft beziehen sollte doch klar sein.

außerdem hat die info wo die broschüre zu finden ist hier nichts verloren, noch weniger eine PDF version von ihr. wenn das redaktionskollektiv keine veröffentlicht werden sie sich schon etwas bei gedacht haben.

 

ps: fußnoten werden mit ß geschrieben, solch ein kindergarten.

ja die autor*innen haben sich dabei bestimmt so einiges gedacht....die broschüre lag schon an ziemlich vielen orten öffentlich rum, sie nicht hochzuladen hat einfach was mit einer eigenen nabelschau zu tun. eine neben vielen lächerlichkeiten dieser broschüre ist ja nunmal auch, dass sie zum einen behauptet "nicht für eine linke szene" geschrieben zu sein, dennoch aber bewusst an bestimmten orten verbreitet wird, an anderen nicht.

 

ginge es den autor*innen darum ihre gedankenwelt wirklich in eine breite öffentlichkeit zu tragen, dann wäre die broschüre auch online.

 

 

an dieser stelle eine entschuldigung an alle "nicht-großstadt-bezogenen", manche finden es anscheinend nicht cool oder wichtig genug, euch in debatten einzubinden.

 

ihr habt aber diesmal auch wirklich nichts verpasst.

ich unterstelle mal, dass die autor_innen nicht so doll viel gedacht haben. anders lässt sich das kindlich-euphorische abfeiern von "peng-bumm" und die adoleszent-angestrengte konstruktion von identität in form der strikten abgrenzung von, naja, eigentlich allen anderen, nicht erklären ;-)

die ist bisher vorallem in berlin leipzig hamburg und frankfurt m in infoläden, az oder buchläden zuerhalten, für umsonst.

 

vorrangiges thema ist wie aus dem text zuerahnen gewalt/militanz mit diversen beiträgen zum wkr in wien, von der fai aus greece, zu medienkampagne etc.

außerdem findet sich in der broschüre eine chronik von militanten aktionen des letzten jahres mit schwerpunkt berlin.

"Die Tage sind dafür da, dass wir uns umschauen, miteinander reden uns vernetzen. Die Nächte sind dafür da, unterwegs zu sein, anonym, ungesehen, und meistens gemeinsam." 

Nicht nur sehr gut analysiert, sondern auch noch sehr schön geschrieben, habt Dank!

Sehr schön geschrieben und ausdifferenziert

 

Vielen Dank