Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag, der bei der Antifaschistischen Demonstration gegen Nationalismus und Antisemitismus am 8. Mai 2015 vor der Aachener Synagoge gehalten wurde.
Gegen das Vergessen! Den 8. Mai als Tag der Befreiung festigen!
Wir demonstrieren heute gemeinsam, um anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom deutschen Faschismus an das Ende eines vom Vernichtungswahn besessenen Systems zu erinnern. Dieser Tag ist für uns ein Grund zum Feiern.
Nach 18 Jahren der Herrschaft stellt der 8. Mai 1945 das Ende des deutschen Weltmachtanspruchs dar! Unsere Dankbarkeit gilt den Alliierten Kräften, die unter enormen Verlusten das Hitler-Regime zurückzudrängen vermochten und damit das Ende des industrialisierten Massenmordes an den Jüdinnen und Juden besiegelten. Das Ende des NS-Regimes ist ein Grund zum Feiern – keine Frage.
Doch war den unterdrückten und verfolgten Menschen in Europa am 8. Mai 1945 zu feiern zumute? Wohl kaum. Zwar war der Faschismus besiegt, doch zu groß war der Verlust, den es zu beklagen gab. Mindestens 6 Millionen Menschen ermordeten die Nazis, angetrieben von ihrer antisemitischen Ideologie.
Die Zahl der insgesamt durch direkte Kriegseinwirkung getöteten Menschen wird von Kriegsbeginn im September 1939 bis zur Kapitulation des Hitler-Verbündeten Japan im September 1945 weltweit auf etwa 60 Millionen geschätzt.
Die Gesamtzahl der Todesopfer – inklusive derer, die durch indirekte Kriegseinwirkungen starben – wird heutzutage auf bis zu 80 Millionen geschätzt. Der Angriffskrieg des Nazi-Regimes verursachte somit den größten und schrecklichsten militärischen Konflikt der Menschheitsgeschichte.
Einen Grund zum Feiern sah der Großteil der verbliebenen Bevölkerung Deutschlands nicht, als Wilhelm Keitel die Kapitulation der Werhmacht in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai unterzeichnet hatte. Viele der Nazis konnten ihre Posten in Politik und Institutionen behalten und weiterhin Rassismus und Antikommunistische Ideologien verbreiten.
Warum also Feiern?
Der 8. Mai 1945 stellt ohne Zweifel eine elementare Zäsur in der Weltgeschichte dar. Die systematische Vernichtung der Jüdinnen und Juden Europas, Homosexueller, der Sinti und Roma, die fast vollständige Vernichtung politischer Opposition, sowie die Ermordung unzähliger weiterer Menschen, die der NS-Ideologie ein Dorn im Auge war, durch den sog. „Nationalsozialismus“ ist einzigartig in seiner Grausamkeit und Durchführung und deshalb mit nichts gleichzusetzen.
Auch wenn am 8. Mai 1945 Europa in Schutt und Asche lag und Millionen von Menschen verschleppt, gefoltert und ermordet worden waren, so muss der 8. Mai im historischen Kontext als Tag der Befreiung vom Faschismus und somit als Feiertag gefestigt werden.
Seit kurzem gilt in Brandenburg der 8. Mai als Gedenktag, in Mecklemburg-Vorpommern bereits seit 2002 und auch in Hamburg wird nun über die Einführung des offiziellen Gedenktages am Tag der Befreiung diskutiert.
In Zeiten, in denen Rassist*innen wieder zu tausenden auf die Straße gehen können, sind wir in der Pflicht, daran zu erinnern, was passieren kann, wenn viele schweigend zustimmen oder nicht widersprechen. Wenn Rassismus das Ventil einer Bewegung ist, müssen wir dagegenhalten und dieser Bewegung mit allen Mitteln den Kampf ansagen.
Den 8. Mai als Tag der Befreiung zu festigen muss ein Ziel antifaschistischer Strömungen sein, der historische Wert dieses Datums darf niemals in Vergessenheit geraten!
Antisemitische Vorfälle in Aachen
Auch in Aachen begann – wie in unzähligen weiteren Städten – in der Nacht vom 9. auf den 10. September 1938 die Jagd auf Jüdische Mitmenschen. Genau hier, am ehemaligen Promenadenplatz und heutigen Synagogenplatz wurde in dieser Nacht die im Jahre 1864 errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Aachen vollständig niedergebrannt. Das Attentat auf einen deutschen Botschaftsangestellten in Paris nutzte die Regime-Führung in Berlin als Vorwand, die Landesweiten Pogrome gegen jüdische Einrichtungen und Geschäfte anzuzetteln.
Der in zivil gekleidete Mob von SA, SS und GeStaPo-Leuten plünderte und zerstörte Zahllose Einrichtungen in Aachen und steckte mit Hilfe der Feuerwehr gegen 4 Uhr Nachts die Synagoge in Brand. Die Feuerwehr verhinderte daraufhin ein Übergreifen der Flammen auf nebenstehende Gebäude und sah dabei zu, wie zuerst die beiden Türme der Synagoge und nach und nach das gesamte Gebäude in sich und den Flammen zusammenbrach. Noch am Nachmittag des darauffolgenden 10. November brannte das Gebäude unter den Augen vieler Zuschauer*innen sowie der Feuerwehr. Die Synagoge wurde erst in den 90er Jahren wieder aufgebaut und im Jahr 1995 wiedereröffnet.
Es steht uns kaum zu, die Shoah mit dem heutigen Antisemitismus gleichzusetzen oder Parallelen zu ziehen. Die Shoah ist und bleibt einzigartig in ihrer Grausamkeit. Doch wir müssen den wieder aufkeimenden Antisemitismus im Keim ersticken und dürfen niemals unterschätzen was dieser Ideologische Wahn in der Lage ist loszutreten.
20 Jahre nach der Wiedereröffnung steht die Synagoge in Aachen nun seit 2010 mit zwischenzeitlicher kurzer Unterbrechung wieder unter 24-stündiger Polizeibewachung. Nachdem 2010 der jüdische Friedhof in Aachen und 2011 die Synagoge – trotz permanenter Videoüberwachung - mit Volksverhetzenden Symbolen und Sprüchen geschändet wurden, sind zudem seit vergangenem Sommer spezielle Sicherheitspoller rund um die Synagoge eingesetzt worden, um als Rammschutz die Anschlagsgefährdung mit Kraftfahrzeugen zu reduzieren.
Diese Installation löste einen Shitstorm bei der Aachener Zeitung aus, indem viele Kommentator*innen forderten, die jüdische Gemeinde solle die Kosten doch selbst tragen, wenn sie noch mehr Schutz wolle. Dass dieser Schutz berechtigt ist, zeigen europaweit Zahllose Antisemitische Anschläge und Übergriffe in den letzten Monaten, die Zahl Antisemitischer Übergriffe steigt auch in Berlin an, in Frankreich hat sie sich im vergangenen Jahr sogar verdoppelt.
Auch der jüdische Friedhof im Aachener Stadtteil Haaren wurde im vergangenen Sommer geschändet.
Die Kneipe Fiasko
Hier am Synagogenplatz befindet sich seit 1999 zudem die Kneipe „Fiasko“, die seit einiger Zeit als Treffpunkt für rechte Hooligans und gewaltorientierte Personen aus dem Fan-Umfeld von Alemannia Aachen dient. Als sich im November 2013 eine Demonstration von linksjugend solid’ mit den Geflüchteten in Lampedusa solidarisierte, wurde der Demozug gleich zweimal von Neonazis attackiert.
Als die Demonstration den Synagogenplatz erreichte, stürmte eine Gruppe rechter Hools und Neonazis unter übelster antisemitischer Beschimpfung auf die Demo zu und attackierte diese mit Flaschen und anderen Gegenständen.
Nach einem Spiel des Deutschen Männer-Fussballnationalteams im Juli 2014 versammelten sich hier vor der Synagoge etwa 70 Hooligans und Neonazis um ein Solidaritäts-Foto für einen damals im Krankenhaus befindlichen „Kameraden“ und Neonazi zu machen. Ein Antifaschist der den Platz passierte, wurde von dem Mob unvermittelt angegriffen und durch die Promenadenstraße gejagt. Der Betroffene flüchtete in die Kneipe „Promenadeneck“ welche daraufhin von ca. 40 Rechten aufgesucht angegriffen wurde. Es kam zu mehreren Verletzungen, eine Scheibe ging zu Bruch.
Eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 76. Jahrestages der Reichspogromnacht im November 2014 wurde zudem hier vor der Synagoge von Besucher*innen des „Fiasko“ mit „Deutschland“-Rufen und anderen Provokationen gestört. Wir sind überzeugt, dass das Gedenken bewusst gestört werden sollte.
Wir sind ebenfalls überzeugt davon, dass die Kneipe „Fiasko“ eindeutig fehl am Synagogenplatz ist und fordern die Schließung dieses rechtsaffinen Treffpunktes! Es ist unhaltbar, dass sich rechte Hooligans, Rassist*innen, Neonazis und Antisemiten zu Rechtsrock-Liedern ungestört an dem Ort versammeln können, der für die jüdische Gemeinde in Aachen von enormer Bedeutung ist.
Das Fiasko muss weg! Fiasko schließen!
Für eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus!
Wir feiern die Befreiung, Ihr habt den Krieg verloren!