Vom 6. – 8. März fand im thüringischen Zeulenroda-Triebes das “Lesertreffen” des “Deutschen Nachrichtenmagazins Zuerst!” statt. Die schleswig-holsteinische Verlagsgruppe “Lesen & Schenken” des Neonazis Dietmar Munier konnte ca. 400 Gäste zu diesem, für die äusserste Rechte bedeutenden, Treffen mobilisieren. Doch neben aller vereinten deutschtümelnden Herrlichkeit von Neonazis, Faschist_innen, Rassist_innen, Militarist_innen und vermeintlich “Vertriebenen” aller Coleur, droht der traditionellen Veranstaltung des Martensrader Verlagshauses Ungemach aus verschiedenen Richtungen. Nicht bloß in Form gesellschaftlichen Gegenwinds; auch neonazistische Szenekonflikte scheinen den Nimbus des vermeintlich alle erzreaktionären Strömungen zusammenführenden Patriarchen Munier zu beschädigen. Wir möchten in diesem Artikel aufbauend auf einen vorangegangenen Text einige aktuelle Entwicklungen und Hintergründe beleuchten.
Veranstalter_innen
Die Veranstaltung in Zeulenroda-Triebes wurde als “Lesertreffen” der
rechten Zeitschrift “Zuerst!” beworben. “Zuerst!” wird von der “Lesen
& Schenken”-Verlagsgruppe von Dietmar Munier herausgegeben. Neben
diesem Magazin werden in dem in Martensrade (Kreis Plön) beheimateten
Verlagshaus verschiedene weitere Publikationen verlegt, beispielsweise
die sich vor allem an die “Vertriebenen”-Szene richtende Zeitung “Der
Schlesier” oder die “Deutsche Militärzeitschrift” für Militarist_innen.
Außerdem gehören in Muniers geschäftlichen Einflussbereich noch diverse
kleinere Verlage und Handel mit allerlei Devotionalien. Alle eint die
zum Teil neurechte, zum Teil neonazistische Ausrichtung.
Der 61-jährige Dietmar Munier selbst entstammt der völkischen
Neonaziszene. Auch wenn er nie Berührungsängste in Richtung NPD, JN,
Neuer Rechten oder zu konservativen Kreisen aufwies, ist die erkennbare
Konstante in Muniers politischem Wirken der klassische, durch “Blut und
Boden” legitimierte (Neo-)Nationalsozialismus. Ob der gemeinsame
Buchladen mit dem Auschwitz-Aufseher Thies Christophersen, die führende
Rolle in der völkischen Jugendarbeit um “Die Heimattreue Jugend”, “Bund
Heimattreuer Jugend” und “Heimattreue Deutsche Jugend”, der gute Kontakt
zu den SS-Veteranenverbänden oder die vielfältigen Initiativen zur
“Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” im heutigen Russland:
Muniers Neonazismus wird zwar modern präsentiert, orientiert sich aber
an den klassischen Leitlinien der NS-Zeit. Vor diesem Hintergrund wirkt
manche Neonazi-Postille aus dem Hause Munier geradezu harmlos. Dieser
nach aussen teilweise “weichgespülte” Kurs von “Zuerst!” dürfte vor
allem taktischer Natur sein. Munier hat erkannt, dass sich mit
explizitem NS-Habitus kein Geld verdienen lässt, kaum neue Gesichter in
die Szene kommen und die Herausgeber_innen oftmals wegen Volksverhetzung vor
Gericht landen. Stattdessen wählt Munier den Weg, zumeist nur rechte
Konsens-Themen wie Militärismus oder Rassismus zu bedienen. Eigene
differenzierte Positionierungen fehlen oft. “Zuerst!” versucht in diesen
Fällen der Gesellschaft lediglich den braunen Spiegel vorzuhalten,
indem z. B. Meldungen aus bekannten Presseorganen rassistisch und
chauvinistisch umgedeutet werden. Wenn sich allerdings einmal offen
positioniert wird, kommt es wie erwartet. Holocaust-Leugner_innen wie
David Irving dürfen ihre Theorien genauso unters Volk bringen wie Heinz
Magenheimer seine “Präventivkriegs”-Thesen oder die italienische “Casa
Pound” ihren Neonazismus.
Der aktuelle Chefredakteur und neben Munier der zweite
Hauptverantwortliche für das “Lesertreffen” ist der Berliner Manuel
Ochsenreiter. Ochsenreiter pflegt rege Kontakte in die Neue Rechte,
insbesondere zur “Identitären Bewegung” und zu burschenschaftlichen
Kreisen. Doch bei dem Thema offener Antisemitismus, der Streitfrage
zwischen eher “rechtspopulistisch” und neonazistisch geprägten Rechten,
erhält Ochsenreiter das klassische Feindbild der Neonazis. In seinem
Antisemitismus schmiedet er auf den ersten Blick skurrile Allianzen, sei
es mit Despoten und Islamist_innen im Nahen Osten oder mit der
Kreml-Presse. Gerade in Russland ist er für staatliche oder staatsnahe
Medien ein deutscher “Experte”, der regelmäßig über mangelnde
“Meinungsfreiheit” in Deutschland zu berichten weiß. Dass sein Verleger
Dietmar Munier wegen seinen neonazistischen Aktivitäten in Russland
schon lange mit einem Einreiseverbot belegt ist, tut der unheiligen
Zweckgemeinschaft keinen Abbruch. Ochsenreiter genießt die Möglichkeit,
seine Thesen von “kontrollierten Medien” und vermeintlich lenkenden
Hintergrundstrukturen vor einem großen Publikum zu präsentieren und der
Kreml bekommt die erhofften antieuropäischen Statements.
Das Martensrader Verlagsgeflecht ist jedoch nicht nur ein Verlags- und
Handelshaus. In Schleswig-Holstein ist es ein zentraler Ort für
rassistische und neonazistische Politik. Die Liste ist lang,
beispielsweise dient das Martensrader Anwesen während der Wahlkämpfe als
Materiallager für die NPD (deren ehemaliger Landesvorsitzender Jens
Lütke praktischerweise gleich dort Mitarbeiter ist), finden
Sonnenwendfeiern mit Neonazi-Prominenz statt,
werden die Osteuropa-Aktivitäten der deutschen Neonazis koordiniert und
nicht zuletzt verschiedenen Akteur_innen der rechten Szene die
Möglichkeit gegeben, mit ihrer Weltanschauung Geld zu verdienen. Die
organisatorische Schwäche der NPD- und Kameradschaftsstrukturen im
Norden lässt wichtige aktuelle Aufgaben zum Teil auf das Unternehmen
“Lesen & Schenken” übergehen. So wurde der Bus, mit dem Neonazis aus
Schleswig-Holstein und Hamburg am 19. Januar 2015 zu PEGIDA nach
Dresden fuhren, aus Martensrade organisiert. Auch wenn öffentlich
Zurückhaltung geübt wird, macht in der Neonaziszene die Runde, dass Jens
Lütke und Sebastian Pella, früher JU-Funktionär und jetzt Angestellter
von Munier, maßgeblich ihre Arbeitszeit im “Lesen & Schenken”-Verlag
nutzten, um die Busfahrt auszurichten.
Vorgeschichte “Lesertreffen”
Das “Lesertreffen” fand bisher in Kombination mit der
Jahreshauptversammlung des “Schulvereins zur Förderung der
Russlanddeutschen in Ostpreussen” statt, einem Zusammenschluss mit
gebietsrevisionistischen Bestrebungen im russischen Kaliningrad.
Gründungsvater des Vereins ist Dietmar Munier, langjähriger Vorsitzender Henning Pless, ein Munier-Vertrauter aus Zeiten der “Heimattreuen Jugend”.
Pless war hauptverantwortlich für die Planung der jährlichen
Zusammenkünfte. Über die Jahre kam ein illustrer Kreis an Referent_innen
und Besucher_innen zusammen. Verschiedene reaktionäre Strömungen wurden
u.a. vertreten von Götz Kubitschek (Vordenker der Neuen Rechten), Horst
Mahler (bekannter Holocaust-Leugner), Abdallah Melaouhi (Krankenpfleger
von Rudolf Heß, der die Mordthese der Neonazis stützen soll), Ulrich
Pätzold (NPD), Baldur Springmann (Wehrmachtsveteran und Vordenker der
esoterisch-ökologischen Rechten, inzwischen verstorben), Klaus Hornung
(CDU), Franz Wilhelm Seidler (Militarist) oder Barnabas Bödecs
(Jobbik-Partei aus Ungarn).
Diese einträchtigen (und auch einträglichen) Vernetzungen des rechten
Spektrums bekamen erst im letzten Jahr einem Dämpfer. Nachdem in den
Jahren zuvor das Treffen in Pommersfelden (Bayern) stattfand, mussten
die Neonazis 2013 erstmals nach Oberwiesenthal (Sachsen) ausweichen. In
der Folge sei, laut Mitteilung der Neonazis, der Druck auf den Betreiber
des Hotels in Oberwiesenthal zu groß geworden und der Veranstaltungsort
stünde nicht mehr zur Verfügung. Doch wie so oft ist das nur die halbe
Wahrheit. Mit Henning Pless geriet der Hauptorganisator in Kiel, wo
dieser eine Heilpraxis betreibt, unter gesellschaftlichen Druck
und stand in der Folge nicht mehr als Strippenzieher zur Verfügung.
Zwar konnte der “Schulverein” Anfang 2014 mit Genrih Grout (Berlin)
einen Nachfolger für den Vereinsvorsitz finden, allerdings war es da für
die Organisation eines erneuten “Lesertreffens” für das Jahr 2014 schon
zu spät.
“Lesertreffen” dieses Jahr
Grund genug für Dietmar Munier und Manuel Ochsenreiter dieses Jahr mit
einer gewissen Dramatik die Werbetrommel für das “Lesertreffen” zu
rühren. Auf der einen Seite priesen sie in höchsten Tönen die
Veranstaltung und das zugehörige Hotel “Bio-Seehotel Zeulenroda” an, auf
der anderen Seite beschwerte sich der Millionär Munier über die
ausbleibenden Gäste bei der letzten Veranstaltung und angebliche
wirtschaftliche Nachteile. Seinen potentiellen Gästen drohte er, “[w]enn
ihr nun nicht in massiver Zahl erscheint, dann sind diese Tagungen
mausetot. Also, nicht über die politischen Verhältnisse jammern, sondern
anmelden, mitmachen[…].” Inwieweit Muniers wirtschaftlicher Erfolg die
bestehenden Verhältnisse gefährdet, mögen sich zwar Beobachter_innen
fragen, aber die Stammklientel parierte und ca. 400 Gäste zahlten die
227- 279 Euro Gebühr.
Neben der Jahreshauptversammlung des “Schulvereins” und verschiedenen
folkloristischen Programmpunkten sollten sich wieder einmal diverse
rechte Referent_innen die Klinke in die Hand geben. Doch es kam erneut
anders. Akif Pirinçci (geplantes Vortragsthema: “Wenn Minderheiten die
Mehrheit dominieren: Von Homoehe bis Multikulti”), James Bacque (“Vor 70
Jahren: Der Massenmord in den Rheinwiesenlagern”) und Walter Post (“Der
erste unnötige Krieg: Die Ursachen des Ersten Weltkriegs”) erschienen
gar nicht erst, Alexander Dugin (“Rußland und der Ukraine-Konflikt: Den
Zwängen der Geopolitik kann sich niemand entziehen”) wurde mangels
Ausreisegenehmigung durch Russland per Videoschaltung präsentiert. Für
die ausgefallenen Vorträge sprangen Gerd Schultze-Rhonhof
(Geschichtsrevisionist und ehemaliger Generalmajor der Bundeswehr) und
Alfred Zips (ebenfalls Geschichtsrevisionist aus den Reihen der
Bundeswehr) ein. Außerdem referierten während des “Lesertreffens” noch
Menno Aden (“Feindliche Verwandtschaft: Deutsche Fürsten auf fremden
Thronen”), Klaus Ulrich Hammel (“Schicksalsjahr 1945: Der Untergang
Ostpreußens”), der “Zuerst!”-Autor Jan von Flocken (“Der eiserne
Kanzler: zum 200. Geburtstag von Otto von Bismarck”) und die
FPÖ-Funktionärin Barbara Rosenkranz (“Europa fördern, EU zähmen, Euro
stoppen”).
Insbesondere der geplante Vortrag von Alexander Dugin sorgte im Vorfeld für Aufsehen. Politiker_innen forderten ein Einreiseverbot für ihn
und Manuel Ochsenreiter versuchte diese Vorgänge propagandistisch zu
nutzen. Insgesamt zeigt die Personalie Dugin die Absurdität des
Nationalismus. Während Dugin sich für ein grossrussisches Reich
einsetzt, ist sein (verhinderter) Gastgeber und geistiger Verwandter
Munier in Russland genau deshalb mit einem Einreiseverbot belegt, da er
zugunsten von grossdeutschen Fantasien russische Gebiete als “deutsch”
beansprucht.
Eklat um Ursula Haverbeck-Wetzel
Ursula Haverbeck-Wetzel, die bekannte Holocaust-Leugnerin und Witwe des
Reichsleitung der NSDAP-Mitglieds Werner Georg Haverbeck aus Vlotho
(Nordrhein-Westfahlen), erschien mit einigen Teilnehmer_innen aus dem
Umfeld der Partei “Die Rechte” ebenfalls zum diesjährigen
“Lesertreffen”. Zum Eklat kam es, als Munier Haverbeck-Wetzel der
Veranstaltung verwies. Nach einigen Diskussionen verlies sie mit ihren
Anhänger_innen Zeulenroda-Triebes unverrichteter Dinge. Allerdings
schlug der Vorfall hohe Wellen in der Neonaziszene. Die emsige ehemalige
“Collegium Humanum”-Aktivistin geniesst auch in aktionistischen Gruppen
hohes Ansehen. Folglich waren die (virtuellen) Reaktionen der Neonazis
heftig. Von einer “Affenschande” und dem “Schwein” Munier war die Rede.
“Die Rechte” aus Verden äusserte gar, dass Dietmar Munier nichts mehr in
der “Bewegung” verloren habe.
Klar ist, dass der Rauswurf keine inhaltlichen Gründe hat. Munier hat
nie die Nähe zu Altnazis und Holocaustleugner_innen gescheut. Allerdings
dürfte das provokante Vorhaben von Haverbeck-Wetzel, auf der
Veranstaltung für die Unterstützung angeklagter KZ-Aufseher_innen zu
werben, die Veranstalter_innen in eine missliche Lage versetzt haben.
Ein derart offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus könnte sowohl die
Vertreter_innen der Neuen Rechten, als auch die Hotelleitung dazu
nötigen, der Veranstaltung ihre Unterstützung zu versagen. Damit wäre
allerdings eine Veranstaltung dieser Grössenordnung undenkbar. Muniers
Entscheidung, sich bei drohenden öffentlichen Skandalen gegen die
“Bewegung” zu entscheiden, interpretieren manche Neonazis als
“Geschäftemacherei”. Eine Einschätzung, die bei einer Bilanzsumme allein
für den “Lesen & Schenken”-Anteil seines Vermögens 2013 von 1,225
Millionen Euro nachvollziehbar erscheint – gerade in Anbetracht der
sonst eher schleppenden Aktivitäten der braunen Geschäftswelt.
Ausblick
Auch nächstes Jahr wird vermutlich wieder ein “Lesertreffen”
stattfinden. Hans Bauerfeind, Betreiber des “Bio-Seehotels Zeulenroda”,
soll sich angeblich schon positiv zu einer weiteren Zusammenarbeit
geäussert haben. Allerdings wird Munier aller Voraussicht nach auch
zukünftig auf Henning Pless verzichten müssen und sein Nachfolger Genrih
Grout macht sich noch rar. Also wird den Neonazis vermutlich auch im
nächsten Jahr der eine oder andere Fehler in der Planung unterlaufen.
Aktuell bleiben dürfte der Konflikt zwischen Muniers angestammtem
Umfeld, den völkischen Neonazis, und dem phasenweise neurechts
angehauchten Auftritt des Martensrader Verlagshauses. Insbesondere bei
Kernfragen wie dem Verhältnis zum Holocaust oder “Veteranen der
Bewegung” wird “Verrat” bei neonazistischen Akteur_innen nicht
akzeptiert.