Demo gegen Zwangspsychiatrie am 12.3.2015 in Wiesbaden

Die Demonstration am Beginn - im Hintergrund das Landtagsgebäude, wo die Anhörung stattfand.

Gestern (12.3.2015) fand in Wiesbaden die Anhörung zum neuen Maßregelvollzugsgesetz in Hessen statt - also der Gesetzesgrundlage fürs Einsperren, Zwangsbehandlung und Disziplinarmaßnahmen von Menschen in psychiatrischen Gefängnissen. Klare Erkenntnis: Die Profiteure des Einsperrens und Quälens dominierten die Anhörung, Betroffene wurden weitgehend ignoriert. Draußen vor der streng bewachten Bannmeilengrenze fand derweil eine Demo gegen die Zwangspsychiatrie statt.

 

Unerträgliche Ignoranz

 

„Das war noch schlimmer, als ich erwartet hatte“, zog eine Demonstrantin ein Fazit, nachdem nur die Landtagsfraktion der Linken einer Einladung gefolgt war, sich vor der gestrigen Anhörung zum neuen Maßregelvollzugsgesetz mit Betroffenen zu treffen, deren Forderungen anzuhören und diese dann mit in den Landtag zu nehmen. „Wenn von fünf Parteien nur eine zu uns kommt – und gleichzeitig die aktuell Betroffenen nicht in den Landtag gelassen werden, dann ist das ganze System faul.“


Tatsächlich war es schon vor der Anhörung am 12.3.2015 zur Ausladung einer Person aus der forensischen Psychiatrie in Riedstadt gekommen. Gestern nun warteten Betroffene und Unterstützer_innen in Sichtweite zum Ort der Anhörung darauf, Kontakt zu den Entscheider_innen hessische Politik aufnehmen zu können. Umfangreiche Polizeieinheiten sicherten die Bannmeile ab, damit zwischen Politik und Betroffenen kein Kontakt zustande kam. Nur die linke Landtagsabgeordnete Marjana Schott und Mitarbeiterinnen ihrer Fraktion suchten das Gespräch. Abgeschottet von Betroffenen prägten im Landtag die Nutznießer_innen die Debatte. Star-Psychiater Nedopil forderte eine schnelle Umsetzung, während die hessischen Vertreter_innen der Kliniken die Wiedereinführung brutaler Zwangsbehandlungsmethoden lobten. „Hier macht die Regierung Politik für Konzerne und Kliniken – also für die, die durch den Maßregelvollzug reich werden“, kritisierte der Anmelder der Demonstration, Jörg Bergstedt, die Ziele des neuen Gesetzes. Gemeinsam mit den anderen Anwesenden forderte er die Abschaffung von Zwang und Einsperren psychiatrischer Patient_innen. Die Liste mit den elf Forderungen wurde den Landtagsfraktionen zugeschickt. Hoffnung auf Einsicht hatten die Demonstrant_innen aber nicht: „Die machen Politik ohne die Menschen und gegen die Betroffenen.“ Und einer fügte an: „Unsere einzige Chance ist, einen Wandel auf der Straße zu erkämpfen. Dafür brauchen wir aber mehr Unterstützung. Die meisten Menschen haben sich nie Gedanken gemacht, was hinter den Mauern und Zäunen deutscher Zwangspsychiatrien alles so passiert.“

 

Weitergehende Informationen


Die elf Forderungen

 

Das Maß ist voll! Forderungen für das neue Maßregelvollzugsgesetz


Unter Aufrechterhaltung

  • unserer grundlegenden Forderung nach Abschaffung aller psychiatrischen Zwangsstrukturen und damit einem Ende allen Maßregelns,
  • unserer Ablehnung der Verfügung von Menschen über Menschen, der zwangsweisen Verabreichung verhaltenssteuernder Stoffe von Menschen durch Menschen und der Erniedrigung oder formalen Begutachtung von Menschen durch Menschen

fordern wir zur sofortigen Umsetzung im neuen Maßregelvollzugsrecht und in allen Psychiatrien Hessens:

  1. Volle Anerkennung der Patient_innenverfügungen und Vorsorgevollmachten ohne Wenn und Aber in Kliniken, vor Gutachter_innen und vor Gericht.
  2. Internetzugang, Wahrung des Postgeheimnisses, uneingeschränktes Telefon- und Besuchsrecht in allen freien Phasen des Tages (mindestens zwei Stunden pro Tag).
  3. Vorführung vor Richter_innen oder Gutachter_innen nur ohne vorherige, erzwungene Einnahme oder Zuführung von Psychopharmaka sowie Dokumentation (auch bei gewünschter Einnahme), welche Psychopharmaka in den sechs Monaten davor eingeflößt oder abgesetzt wurden.
  4. Keine Sanktionierung für kritische, auch polemische mündliche oder schriftliche Äußerungen. Keine Einschränkung oder Repression für Pressekontakte oder Teilnahme an Protestaktionen.
  5. Keine Fixierungen, Zwangsmedikamentierungen und Isolierungen in oder durch die psychiatrischen Anstalten!
  6. Uneingeschränktes und jederzeitiges Einsichtsrecht in die Patient_innenakten und Einhaltung der Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes.
  7. Besuchskommissionen mit vollen Rechten und unter Beteiligung von Angehörigenvertreter_innen, Betroffenen und zivilgesellschaftlichen, u.a. psychiatriekritischen Vertreter_innen aus dem In- und Ausland.
  8. Ständige, mindestens einmal jährlich öffentlich zu machende Dokumentation aller Grundrechtseinschränkungen (Freiheitsberaubungen, Verschärfung der Freiheitsbeschränkungen, körperliche Unversehrtheit, Wahrung des Post- und Telefongeheimnisses), von Todesfällen und schweren Gesundheitsschäden durch die Behandlung.
  9. Standardisierung der Rechtsbelehrungen für Betroffene und Überreichung einer standardisierten Rechtshilfe mit Benennung aller Rechte und Pflichten der Inhaftierten.
  10. Schriftliche Dokumentation und Begründung aller sogenannten „Besonderen Sicherungsmaßnahmen“ einschließlich der vollen Akteneinsichtsmöglichkeiten und sofortiger Beschwerdemöglichkeiten für die Betroffenen.
  11. Ausgang jeden Tag und mögliche frühzeitige Integration in Maßnahmen außerhalb geschlossener Einrichtungen, d.h. psychiatrischer Vollzug in Anlehnung an den offenen Strafvollzug als Standard des Maßregelvollzugs. Dokumentation und besonderer richterlicher Beschluss bei Einschränkungen.

Der Mensch ist das Maß der Dinge!

 

Auszüge aus dem offenen Brief des ausgeladenen Forensikinsassen Peter H.:

Aus der schriftlichen "Ausladung" geht hervor, dass man im Landtag auf derartige Situationen nicht eingestellt ist – hier werden im Wesentlichen Sicherheitsaspekte genannt die notwendig wären, um einer evtl. Flucht, oder gar dem verüben von Straftaten meinerseits entgegen stehen würden - bis hin zur Vorführung in Fesselung. ...
Tatsache ist, dass ich seit mehreren Jahren meine Ausführung zu der jährlichen Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer gänzlich ohne jedwede Fesselung absolviere. Bei keinen dieser Ausführungen kam es zu irgendwelchen "bedenklichen" Situationen. ...
Nun sehe ich mich in Hinblick auf die Ausführung zu der Anhörung mit einer gänzlich anderen Darstellung konfrontiert. Dabei ist es mehr als nur bedauerlich, dass ein gewünschtes Klima der Offenheit und Transparenz - durch stereotype, vorurteilsbelastete und letztlich stigmatisierende Aussagen über meine Person - ohne Chance auf eine Richtigstellung – ersatzlos einem Klima der Angst und Befangenheit gewichen ist. Es zeigt sich hier in aller Deutlichkeit das Versagen einer echten demokratischen Willensbildung - ich stehe hier letztlich als eine Art "Stellvertreter" für einen nicht gerade kleinen Personenkreis dem nicht nur die Freiheit entzogen wird - und das über Jahre hinweg, sondern auch dem Personenkreis, über den permanent etwas (per Gesetz) entschieden wird – ohne nennenswerte Einbindung der Person selbst.


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  • Echo online am Tag vorher über Missstände in der Psychiatrie
  • FR am 12.3.2015: Was soll im Gesetz geändert werden?
  • CDU Hessen findet das Gesetz toll und lobt die Psychiatrie-Gefängnisse
  • Grüne (mit der CDU an der Regierung) finden Gesetz auch toll und werten Beifall von Kliniken als "breite Zustimmung"

Seit Ihr nicht in der Lage einen Text zu formulieren, der auf Geschlechterdifferenzierung verzichtet?

Jede sich bietende Gelegenheit wird genutzt um wieder mal eine Ausdifferenzierung der Geschlechterrolle zu propagieren. Garniert in einer Schreibweise, die dem Gedanken des "deutschen Ordnungsanspruches" in vollem Umfang Rechnung trägt.

 

Ihr habts's sooo drauf...

 

Das Thema fand ich übrigens gut und wichtig, auch dass erwähnt wurde welche politische Partei sich dem Pöbel nicht entzieht.

Dennoch sehe ich die Zukunft in dem Thema eher skeptisch. Es gibt gesamtgesellschaftlich eine Tendenz zur Selbstaufwertung durch Abwertung Anderer. Da macht auch die Psychiatrie und der Knast keine Ausnahme. Wer sich von den "gesellschaftlichen Normen" entfernt, muss mit umso stärkerer Ausgrenzung rechnen. Traurig aber wahr.

Da hilft es nur der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.

 

PS: ich würde die Psychiatrien grundsätzlich nicht ganz abschaffen wollen, Merkel, Schäuble, Juncker und co brauchen schließlich einen angemessenen Alterssitz