Mit diesem Aufruf wenden wir uns an alle, die mit uns gegen Legida auf der Straße waren. Wir wollen dazu einladen, es nicht bei den #nolegida-Protesten zu belassen, sondern darüber hinaus einen linken Aufbruch in Sachsen und Europa anzuschieben.
Wenn es so, wie es ist, nicht bleiben soll…
Mittlerweile scheint die Wachstumsdynamik der Legida-Aufmärsche
gebrochen zu sein. Dass die Zahlreichen, die bisher nur das Material für
Studien über den Extremismus der Mitte lieferten, in Leipzig anders als
in Dresden nicht das Fußvolk einer rechten Massenbewegung gebildet
haben, geht auch auf die Zehntausenden zurück, die
in den letzten Wochen gegen Legida demonstriert haben. Die
Konsolidierung eines regelmäßigen Nazi- und Hooliganaufmarsches droht
zwar noch immer, doch die Gefahr einer breit-anschlussfähigen
rassistischen Bewegung scheint zumindest in Leipzig fürs Erste gebannt
zu sein. Auch wir haben unseren Teil zu der Mobilisierung beigetragen.
Doch das Ausmaß der Mobilisierung kann nicht das einzige
Erfolgskriterium sein. Zu allererst geht es natürlich um jeden Meter,
den Legida nicht laufen kann. Wenn wir diesen Aufmärschen nicht Einhalt
gebieten, werden die verbliebenen Teilnehmer*innen aus ihnen weiter
Stärke und Mut schöpfen. Die wachsende Anzahl rassistischer Übergriffe
in den letzten Wochen in Sachsen belegen, wie gefährlich die
Konsequenzen davon sein können. Dass Legida bisher mehr stand als lief,
ist dabei leider nicht das Verdienst der antifaschistischen
Mobilisierungen und eines gesellschaftlichen Widerstandes, sondern geht
zu einem großen Teil auf das Konto einer extremismustheoretisch
begründeten Ordnungspolitik: Verbote und Auflagen gegen Legida, brutale
Polizeieinsätze gegen den antifaschistischen Protest. Die Aufgabe einen
Rechtsruck abzuwehren bleibt also groß genug und mit allen, die sie
teilen wollen, sind wir solidarisch – unabhängig davon, welche Mittel
sie wählen. Dennoch muss es um mehr gehen, als den Status Quo zu
verteidigen. Wenn es so, wie es ist, nicht bleiben soll, müssen wir auch
eine Differenz zu jenen markieren, die beispielsweise auf dem Waldplatz
am 12.01 zu den Mengen gesprochen haben. Zu viele dieser
Würdenträger*innen waren in bisherigen Auseinandersetzungen unsere
Gegenspieler*innen:
Erster Prüfstein für die Frage, wie weit die gemeinsame Frontstellung gegen Legida trägt, ist die städtische Asylpolitik. Wer versucht, sich an die Spitze des Protestes für ein „weltoffenes und tolerantes Leipzig“ zu stellen, aber gleichzeitig den Ausbau einer inhumanen Massenunterkunft für Asylsuchende in der Torgauer Straße vorantreibt, scheidet als Bündnisparter*in für eine antirassistische Bewegung aus. Wenn wir auf den Demos „Refugees Welcome“ rufen, müssen wir das auch in Richtung derer tun, die tatsächlich meinen, Geflüchtete in einer Kaserne am Stadtrand willkommen zu heißen.
Doch nicht nur der Ausbau der Unterkunft in der Torgauer Straße ist Ausdruck der politischen Scheinheiligkeit. Der Protest für ein tolerantes Leipzig wird auch einberufen, um das Stadtimage nicht zu beschädigen, das als Standortfaktor Immobilienkapital und Zuzieher*innen in die Stadt locken soll. Die Folgen sind Aufwertung und Verdrängung. Besonders Arme werden aus ihren Kiezen und Wohnungen an Stadtränder gedrängt. Wenn wir als Bewegung ein Recht auf Stadt für alle einfordern, sollten wir nicht die Statist*innen dieser Imagekampagnen spielen.
Zuletzt wollen wir über die unerträgliche Extremismustheorie sprechen, deren Geist die Debatten um Legida verdreht. Ausdauernd wird das Märchen beschworen, eine demokratische Mitte müsse sich gegen ihre extremistischen Ränder zur Wehr setzen. Doch spätestens mit Pegida muss uns doch allen klar sein: Diese Mitte gab es nie, denn Pegida ist ein Gesicht eben dieser Mitte. Folglich verläuft die Grenze nicht zwischen Rändern und der Mitte, sondern zwischen allen, die für Rassismus marschieren und den Dialog suchen und denen, die sich ihm entgegenstellen. Wir haben unsere Seite längst gewählt.
Wenn wir nicht nur den Aufmarsch derjenigen verhindern wollen, die nach unten treten und das vermeintlich Andere hassen, sondern auch die Brutstätten dieser Aufmärsche, den stillen, den alltäglichen Rassismus, aus dieser Gesellschaft verbannen wollen, dann geht es um mehr als entschlossenes Platznehmen. Die Unzähligen, die für ein weltoffenes Leipzig demonstrieren, mögen darüber hinwegtäuschen, aber der Nährboden für Rassismus sitzt tief in dieser Gesellschaft.
Revolte der Untertanen
Spätestens mit der rot-grünen Agenda 2010 und Hartz IV wurde alles, was einst soziale Sicherheit versprach, ausgehöhlt – der Sozialstaat, gesicherte Arbeitsverhältnisse und kommunale Infrastruktur – um den deutschen Standort für die globale und europäische Konkurrenz zu rüsten. Ein Programm, das eine Gesellschaft der Vereinzelten und Verängstigten hinterließ und das zynische und unempathische Kriterium der Nützlichkeit durchsetzte, um die Verunsicherten zu sortieren. Auf die Verschärfung sozialer Unsicherheit folgte aber nicht Auflehnung gegen die neoliberale Sachzwangpolitik, sondern eine rassistische Ethnisierung der sozialen Frage sowohl durch die Herrschenden als auch die Verunsicherten: Sarrazins Verachtung für eine vermeintlich rückständige und leistungsscheue muslimische Kultur wurde zum rassistischen Bestseller in der NSU-Republik. Der antimuslimische Rassismus ist der wohl prominenteste Vertreter jener politischen Haltung in Deutschland geworden, nach den Schwachen und vermeintlich Anderen zu treten, anstatt sich in Solidarität zu verbünden.
Somit hatte der Chauvinismus, der sich nun in Form der AfD in den Parlamenten und der (P)egida-Bewegungen auf der Straße formiert, schon lange eine passive Massenbasis in Deutschland. Die Attraktivität Pegidas für ihre Mitläufer*innen liegt dabei auch in der konformistischen Revolte gegen die herrschende Politik. Eine Revolte gegen eine neoliberale Politik der Verarmung, die mit der sächsischen Schuldenbremse gegen alle politischen Alternativen befestigt wird. Viele fühlen sich von dieser Alternativlosigkeit nicht mehr repräsentiert. NS-Parolen wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ und die Forderung nach Volksentscheiden zeugen von der völkischen Auflösung dieser Repräsentationskrise. Letzten Endes wird doch der starke Staat angerufen, er möge sich um die verunsicherten Volksgenoss*innen kümmern, anstatt Geflüchtete zu unterstützen. Konformistisch ist die Revolte, weil sie nicht von Rebell*innen, sondern von Untertanen geführt wird. Denn sie zielt nur oberflächlich auf den Bruch mit dem Establishment, sondern eigentlich auf eine Verschärfung und Vertiefung des etablierten Rassismus. Pegida ist die kleinbürgerliche, dümmlich grölende Entsprechung zur deutsch-europäischen Abschottungspolitik, die den Massenmord im Mittelmeer einkalkuliert. Deswegen kann sich Pegida auch auf die Forderung nach Anwendung des bestehenden Ausländerrechts und nach Verstärkung der bundesdeutschen Repressionsorgane beschränken.
Aus dem Doppelcharakter aus Konformismus und Revolte resultiert auch die Ambivalenz, mit der die etablierte Politik auf die Pegida-Bewegung reagiert. Während auf der einen Seite die Bewegung verurteilt oder gar zu Gegenprotesten aufgerufen wird, kommt sie ihr auf der anderen Seite mit Vorschlägen nach einer Beschleunigung von Asylverfahren (Kretschmer, CDU) und einer Sondereinheit der Polizei für straffällige Asylbewerber*innen (Ulbig, CDU) entgegen. Weiterhin behauptet sie, ihre Forderungen entsprächen der eigenen Politik bereits (Spahn, CDU) oder verteidigt das Recht auf eine deutsch-nationale Gesinnung (Gabriel, SPD). In welche Richtung diese Ambivalenz aufgelöst wird, ist noch offen. Die Gesprächsrunde bei Günther Jauch am 18. Januar, das Verhalten der Landeszentrale für politische Bildung in Dresden und die inzwischen von verschiedenen Parteien signalisierte Gesprächsbereitschaft lassen aber Schlimmstes befürchten.
Für einen linken Aufbruch
Auch wenn die Einhegung Pegidas durch die CDU deren Wachstumsdynamik
brechen könnte: Der Pegida-Mob im Bündnis mit den Eliten – das ist
gerade der Rechtsruck, vor dem wir uns fürchten. Doch die Situation
birgt auch eine gewisse Chance für einen linken Aufbruch gegen die
Alternativlosigkeit und den Rassismus der Untertan*innen: Nie waren wir
hier so zahlreich gegen Rassismus auf der Straße. Lasst uns jetzt in
Bewegung bleiben und das Terrain der Auseinandersetzung ausdehnen!
Gründen wir Willkommens-Initiativen, die selbstbestimmtes Wohnen und
Arbeiten für alle Geflüchteten durchsetzen! Unterstützen wir den Kampf
um ein Recht auf Stadt für alle! Üben wir Solidarität mit den Streiks
bei Amazon und den Kitas! Praktizieren wir kollektive Solidarität statt
Ausgrenzung als Antwort auf die sozialen Verwerfungen! Ein linker
Aufbruch wäre eine wirkliche Quittung für den Rechtsruck, den die
Pegida-Bewegungen anzuschieben versucht.
Dieser deutsche Rechtsruck, den wir gerade von Sachsen ausgehend erleben, hat den Rest des krisengebeutelten Europas schon sehr viel früher erfasst. Die Troika versucht die kapitalistische Krise zu bändigen, indem Arbeitnehmer*innen entrechtet, der Sozialstaat geschleift und die öffentlichen Güter privatisiert werden. Kurz: Das Austeritätsregime der EU ist ein direkter Angriff auf die Lebensbedingungen der Vielen, um den Schuldendienst der südeuropäischen Staaten an ihren Gläubiger*innen abzusichern. Die Krise wurde die Zeit der Monster: Besonders in Griechenland haben wir mitangesehen, wie eine Gesellschaft zu einem Labor der Entrechtung von Migrant*innen und Geflüchteten wurde. Während die griechischen Parteien unter dem Kommando aus Berlin die Verarmungsprogramme der Troika exekutierten, konnten die Faschist*innen der Goldenen Morgenröte Handlungsfähigkeit in einer Situation breiter Ohnmacht vortäuschen, indem Sie Hetzjagd auf Migrant*innen veranstalteten, die sie zu den Sündenböcken für die verordnete Verelendung machten. In der ganzen EU – vor allem in ihrer Kernzone – organisierten Rechtspopulist*innen erfolgreich den nationalistischen Rollback gegen die Autorität der EU und fuhren damit beängstigende Wahlerfolge ein. In Deutschland war es die breit getragene rassistische Krisenerzählung von den „Pleitegriechen“ und die Angst, die humanitäre Katastrophe Südeuropas könnte sich ausdehnen, die es der AfD ermöglichten, diesem Trend zu folgen. Nicht zuletzt das Fehlen einer linken Alternative zur autoritären Sparpolitik und den Zumutungen des Krisenkapitalismus hat es der AfD ermöglicht, den nationalistischen Gegenschlag ins Rollen zu bringen, der jetzt in Sachsen aufmarschiert.
Ein Versuch, dagegen die grenzübergreifende Solidarität der Verschuldeten, Verängstigten und Verarschten Europas zu stellen, ist der Blockupy-Protest gegen die EZB in Frankfurt am 18. März. Blockupy richtet sich gegen die Europäische Zentralbank als Teil der Troika, als politische Akteurin der Verarmung und gegen die EZB als Machtsymbol eines Europas des Kapitals. Zur feierlichen Eröffnungsparty der neuen EZB wird sich dort jene Politik inszenieren, deren Spardiktate der Schoß waren, aus dem Europas erstarkte Rechte kroch. Es sind auch die Repräsentant*innen jener EU-Festung, deren Außengrenzen Tausende das Leben kosten, die sich dort feiern werden. Wir wollen uns dort am 18. März ebenfalls versammeln für eine wirkliche Revolte an der Seite der Protestbewegungen Südeuropas. Blockupy steht auch für die Möglichkeit, die fehlende linke Alternative in der transnationalen Solidarität der europäischen Protestbewegungen zu entwerfen. Wir hoffen, wir werden auch dort gemeinsam mit Euch auf der Straße sein. Damit Europa nicht zum Abendland wird! #18M
Sehr gut! Danke!
Das hört sich sehr gut an! Ich bin dabei, entweder von DD aus oder ich ziehe nach Leipzig, hier in Dresden geht sooooo wenig...