Jedes Jahr die gleiche Scheiße - Jedes Jahr der gleiche Spaß! Die fundamentalistischen Christ*innen, die jedes Jahr in verschiedenen Städten aufmarschieren um vor allem gegen Schwangerschaftsabbrüche zu beten kommen dieses Jahr am 21.03. nach Münster. Wie jedes Jahr werden wir das angemessen zu begleiten wissen und rufen euch dazu auf euch uns anzuschließen. Wie die letzten beiden Jahre wird es vorher eine eigenständige Demo geben. Dafür folgt hier der Aufruf:
Raise your voice! Your body Your choice – Feministische Inhalte auf die Straße tragen!
All-Gender-Demo mit Frauen* Lesben* Trans* Inter*-Block
Demo am 21. März in Münster. 11 Uhr Windthorststraße (gegenüber Hauptbahnhof)
1000-Kreuze – Nicht schon wieder!
Auch im März 2015 werden wieder fundamentalistische Christ*innen1 mit weißen Holzkreuzen bewaffnet durch Münster ziehen, um betend, singend und schweigend ihre Verachtung gegenüber allem auszudrücken, was nicht ihren Normen entspricht. Der von „EuroProLife“ organisierte ‚Gebetszug‘ richtet sich in erster Linie gegen Schwangerschaftsabbrüche und damit gegen das Selbstbestimmungsrecht von schwangeren Personen. In der Kritik stehen aber unter anderem auch Verhütung, Sex vor der Ehe, Homosexualität und queere Geschlechtsidentitäten. Der Kampf um reproduktive Rechte dient als Kristallisationspunkt für eine umfassende konservative Kulturkritik an der Gesellschaft. Durch das Aufgreifen von Themen der Familienpolitik und Sexualmoral und das Schüren von Angst vor dem Aussterben des weißen2 ‚deutschen Volkes‘ werden außerdem konservative bis extrem rechte völkische Gesellschaftsbilder produziert und bedient.
Früher wie heute – neuer Anstrich, gleiche Scheiße!
Christlich-fundamentalistische Gebetszüge wie der „1000-Kreuze-Marsch“ in Münster oder der „Marsch für das Leben“ in Berlin dienen damit auch als Schnittstellen für verschiedene antiemanzipatorische Teilbereichsbewegungen, die sich in der letzten Zeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern entwickelt haben und massiven Zuwachs erhalten. Seien es rassistisch-völkische Äußerungen von sogenannten „Bürgerrechtsbewegungen“ wie auf (PE)GIDA-Demos, offene rassistische Gewalt auf HOGESA-Aufmärschen, Hetze gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt bei Kundgebungen der „Besorgten Eltern“ oder antifeministische und sexistische Argumentationen bei den „Maskulinisten“ – bei all diesen reaktionären Strömungen werden unter Berufung auf sogenannte ‚alte Werte‘ menschenverachtende Inhalte vertreten. Auch wenn die verschiedenen Strömungen nicht über einen Kamm geschoren werden können, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass an ihnen allen organisierte rechte Strukturen (z.B. PI News, AfD, NPD) beteiligt sind.
Die Mechanismen, mit denen die verschiedenen Strömungen arbeiten, sind erstaunlich ähnlich: Die (rechts)konservativen Aktivist*innen verstehen sich als Opfer der von emanzipatorischen Bewegungen erstrittenen gesellschaftlichen Veränderungen. Sie sehen sich beispielsweise durch die „Homo-Ehe“, die teilweise Anerkennung von Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit oder Frauenquoten bedroht. Weiter sehen sie sich bedroht durch geflüchtete Menschen, die angebliche ‚Einwanderung in das deutsche Sozialsystem‘ oder Angehörige nicht-christlicher Religionen.
Hinter dieser selbstgemachten Opferidentität steht nichts anderes als die Angst, der eigenen weißen, deutschen, hetero Privilegien beraubt zu werden. Dabei werden nicht nur gesellschaftliche Realitäten und Machtverhältnisse komplett ausgeblendet, sondern auch emanzipatorische Gesellschaftskritik umgedeutet und ins Bedrohliche verzerrt. So wird zum Beispiel aus der Forderung nach einer differenzierten Sexualaufklärung die Befürchtung abgeleitet, dass Kinder zu Homosexuellen erzogen werden sollen und hinter dem Wunsch nach einer geschlechtergerechten Erziehung wird – als Ergebnis der gezielten Förderung von Mädchen* – die vermeintliche Unterdrückung und Diskriminierung von Jungen* erkannt.
Die Grundlagen, auf denen die Bedrohungsszenarien der verschiedenen reaktionären und (rechts)konservativen Strömungen aufbauen, sind nicht neu. Gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse wie Patriarchat, Rassismus, Homo- und Trans*feindlichkeit gab es schon vor und auch ohne „EuroProLife“, „Besorgte Eltern“, (PE)GIDA und Co. Neu ist aber, dass sich die sogenannten „Bürgerrechtsbewegungen“ explizit als Widerstands- oder Gegenbewegungen verstehen. Es geht dabei um mehr als die ‚Verteidigung des christlichen Abendlandes‘. Sie richten sich auch aktiv gegen eben diejenigen, die für die Überwindung von Patriarchat, Sexismus, Rassismus und anderen Diskriminierungsstrukturen kämpfen. Unter dem Motto ‚es muss jetzt endlich mal gesagt werden, dass…‘ werden Inhalte verbreitet und salonfähig gemacht, die bisher vor allem ausgewiesenen rechten und fundamentalistischen Gruppen zugeschrieben wurden. Nicht zuletzt auf Grund dieser Rhetorik des Tabubruches und der Selbstinszenierung als Stellvertreter*innen der schweigenden Mehrheit gelingt es den reaktionären Strömungen tausende Menschen auf die Straße zu bringen. Rassismus, Sexismus, Homo-, Trans*- und Inter*feindlichkeit, antimuslimischer Rassismus und andere antiemanzipatorische Positionen werden so zunehmend normalisiert. Die nicht nur von den bürgerlichen Parteien ausgesprochene Mahnung, dass die Ängste der Bevölkerung ernst genommen werden müssten, trägt zu dieser Normalisierung bei.
Auch wenn sich Strömungen wie (PE)GIDA, „Besorgte Eltern“ und „Lebensschützer“ bei ihren Aktivitäten auf verschiedene Politikfelder konzentrieren, eint sie, dass sie sich oder diejenigen, die sie vertreten wollen, als wehrlose Opfer sehen. Zum Beispiel glauben die „Lebensschützer“ für das sogenannte ‚ungeborene Leben‘ – gemeint sind befruchtete menschliche Eizellen und Föten in den ersten Schwangerschaftswochen – sprechen zu können und dessen vermeintliche Rechte verteidigen zu müssen. Das in der Realität ohnehin schwer umsetzbare und gesellschaftlich umkämpfte Recht eines jeden Menschen auf (reproduktive) Selbstbestimmung wird gegen das vermeintliche ‚Lebensrecht‘ der Föten ausgespielt. Menschen, die eine Schwangerschaft nicht austragen (wollen), werden als Mörder*innen bezeichnet und all diejenigen, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einsetzen, werden als Wegbereiter*innen einer „Kultur des Todes“ (EuroProLife) beschimpft. Dahinter steht die Auffassung, dass Sexualität nur natürlich sei, wenn sie der Reproduktion diene, also ‚gottgewollt‘ stattfinde, und dass der Lebenszweck von Frauen darin bestehe, Mutter zu werden. Andere Konzepte von Sexualität und Geschlecht werden abgewertet und verleugnet.
Die Aktivitäten von „EuroProLife“ und Co. sind nicht nur auf einer abstrakten politischen Ebene antiemanzipatorisch, sondern haben auch ganz konkrete Auswirkungen. So betreiben die selbsternannten „Lebensschützer“ eigene ‚Beratungsstellen‘ und Internetauftritte, deren einziges Ziel es ist ungewollt Schwangere moralisch unter Druck zu setzen, vor vermeintlich traumatischen Folgen eines Abbruchs zu ‚warnen‘ und damit zu der Fortführung der Schwangerschaft zu drängen. Mit ähnlichen Mitteln werden in einigen Städten schwangere Personen vor Kliniken und Praxen, in denen auch Abbrüche durchgeführt werden, durch sogenannte „Gehsteigberatungen“ eingeschüchtert, bedrängt und bedroht.
… bis die Scheiße aufhört!
Die Positionen der Kreuzeträger*innen sind längst Teil des Mainstreams. Sie einfach zu ignorieren würde die politische Gefahr ausblenden, die von diesen Meinungen und deren Umsetzung ausgeht. Die Inhalte, die hinter „1000 Kreuze für das Leben“ stehen, sind also keine Randpositionen. „Lebenschützer“, (PE)GIDA, HOGESA, „Besorgte Eltern“, „Antifeministen“… sie alle gehen für antiemanzipatorische, reaktionäre und (rechts-)konservative Inhalte auf die Straße. Sie machen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und anti-islamische Propaganda noch gesellschaftsfähiger, als sie ohnehin schon sind. Sie kämpfen für die Aufrechterhaltung all der Normen, Herrschaftsverhältnisse, Diskriminierungs- und Unterdrückungsstrukturen, mit denen mensch sowieso schon jeden Tag konfrontiert wird. Wie stark und in welcher Art und Weise sich Menschen mit diesen Strukturen rumschlagen müssen, hängt maßgeblich von ihrer Lebensrealität und gesellschaftlichen Stellung ab. Zum Beispiel sind People of Color, Menschen mit sogenannter Behinderung, Arme oder als krank diagnostizierte Menschen in besonders starker Weise mit Normierung, Diskriminierung und Ausgrenzung konfrontiert.
Das alles sind verdammt gute Gründe, feministische Inhalte auf die Straße zu tragen und für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu kämpfen, in der alle Menschen selbstbestimmt und solidarisch zusammen leben können!
Wir fordern das Recht auf geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung. Wir fordern die freie Entscheidung für oder gegen Kinder – und zwar nicht nur für diejenigen, die in dieser Gesellschaft privilegiert sind (z.B. weiß/ ‚gesund‘/ ‚deutsch‘/ reich/ cis/ hetero) – sondern für Alle!
Wir fordern die uneingeschränkte Entscheidungs- und Handlungsfreiheit schwangerer Personen und einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen!
Der Kampf für eine herrschaftsfreie Gesellschaft braucht vielfältige Aktionen und Aktivitäten, Solidarität und einen langen Atem. Wir kämpfen weiter – gemeinsam gegen Ausbeutung, Unterdrückung und religiösen Fundamentalismus!
Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!
Frauen* Lesben* Trans* Inter* -Block
Das Absprechen der reproduktiven Selbstbestimmung durch die Kreuzzügler*innen richtet sich vor allem gegen Cis3-Frauen, da meist sie diejenigen sind über deren Körper entschieden werden soll, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Inter* und Trans*-Personen wird sowohl im Weltbild christlicher Fundamentalist*innen als auch im gesellschaftlichen Mainstream das Recht auf eine eigene Identität und auf reproduktive Selbstbestimmung weitgehend abgesprochen.
Wir möchten keine Demonstration in der Cis-Männer für Frauen* Lesben* Trans* Inter* sprechen und demonstrieren, sondern eine, in der Cis-Männer solidarisch mit Frauen* Lesben* Trans* und Inter* auf die Straße gehen. Daher wird der erste Teil der Demo ein geschlossener Block für Frauen* Lesben* Trans* und Inter* sein.
Fußnoten:
1 Wir gehen davon aus, dass Geschlecht sozial konstruiert ist. Daher benutzen wir das * um deutlich zu machen, dass es Menschen gibt, die nicht in die engen Kategorien Mann und Frau passen (wollen).
2 Wir schreiben weiß klein und kursiv, um es als gesellschaftliche Konstruktion sichtbar zu machen. In diesem Konstrukt gilt weiß-sein als Norm. Daraus folgt, dass weiße gesellschaftliche Privilegien haben, die People of Color verwehrt werden.
3 Mit Cis- meinen wir, dass Menschen mit dem Geschlecht leben, das ihnen bei der Geburt zugewiesenen wurde (männlich oder weiblich) und sich damit auch identifizieren (können).