Die Kampagne NoExcuses hat gestern, am 06.02.2015, anlässlich des bevorstehenden 13. Februars auf dem Heidefriedhof eine Plastik mit dem Namen “Schmuddelkind” aufgestellt. Das “Schmuddelkind” wurde am Nachmittag bei einer feierlichen Vernissage gegenüber der Plastik “trauerndes Mädchen am Tränenmeer” enthüllt und soll ein erinnerungspolitischer Kontrapunkt zu jener sein.
Vor der Enthüllung wurde eine Rede verlesen in welcher die verquere hiesige und offizielle Erinnergunskultur der Stadt Dresden kritisiert. Die Rede ist unten dokumentiert und beschreibt die Intention der Figur genauer. Circa 30 – 40 Personen nahmen an der Vernissage teil und feierten mit Sekt die lang ersehnte Richtigstellung Dresdens Vergangeheit auf dem Heidefriedhof.
Herzlich willkommen Liebe Antifaschist*innen, Pressevertreter*innen und Freund*innen des Kunstgenusses,
wir sind heute hier zusammengekommen, um bei einem der wohl geschichtsträchtigsten Momente des Dresdner Heidefriedhofes dabei sein zu dürfen. Einem Moment mit großer Tragweite und mit einem hoffentlich ähnlich einschlagenden Erfolg wie genau jene Nacht, auf welche dieser sich bezieht.
Gerade zum 70. Jubiläum lassen es sich die Aufarbeitungsexpert*innen der Stadt Dresden entgehen, ihr einzig wahrhaftiges Gedenken zu zelebrieren. Was einst würdevoll und strotzend vor Pietät, Seite an Seite mit Alt- und (Neo-)Nazis begangen wurde, wird nun einfach so mir nichts dir nichts gestrichen. So manchem Menschen könnte der Gedanke kurz in den Sinn gekommen sein, die Verantwortlichen der Stadt Dresden wären zur Besinnung gekommen und hätten ihr öffentliches Gedenken einfach abgeschafft.
Bei näherer Betrachtung könnte sich dieser Anfangsverdacht sogar noch erhärten, so wird sich auf der Internetseite Dresdens mit einem Verweis auf den Täterspurenmahngang geschmückt, der sich nun nahtlos in andere tolle städtische Aktionen wie den antiextremistischen Schutzwall – der Menschenkette – mit einreiht.
Das ist ein wenig seltsam, denn eigentlich wird und wurde dieser doch von Menschen initiiert, die ansonsten für ihre Arbeit diskreditiert und zu guter letzt noch mit einem Haufen an Repressionen überzogen werden. Jedenfalls ist derzeit nicht von einem Umdenken auszugehen, die Diskussionen um weitere Denkmäler, wie z.B. die Bussmannkapelle, halten an.
Wie dem auch sei, warum die Stadtoberen sich diese tolle Gelegenheit entgehen lassen, wissen wir nicht. Auf alle Fälle sind wir jetzt hier um genau das zu tun, worauf viele von uns schon lange gewartet haben; dem Heidefriedhof ein Stück davon zu geben, was er verdient hat und auch dringend braucht. Einen Kontrapunkt zu einer 70-jährigen Tradition von geschichtlicher Verklärung und Revisionismus.
Dabei fiel unser Interesse besonders auf eine im Jahr 2010 neu hinzugekommene Attraktion beim Dresdner Opferzirkus, die Plastik der hiesigen Bildhauerin Malgorzata Chodakowska. Das “trauernde Mädchen am Tränenmeer” scheint auf den ersten Blick zwar auch nur ein weiteres Denkmal für den Dresdner Opferkult zu sein, bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass dies in seiner Qualität schon ein deftiges Statement bezüglich der angeblichen Dresdner “Unschuld” darstellt.
Doch wer plant und finanziert eigentlich so fulminante Beiträge zur Aufbereitung der Stadtgeschichte? Ganz einfach: Die, die es sich leisten können. So wurde der Nachlass einer scheinbar gut situierten Ärztin der Stadt nur unter der Bedingung der Schaffung eines neuen Denkmals für die Opfer des 13.02. übergeben. Das passte wie die Faust aufs Auge, um den langjährigen Forderungen von Alt- und (Neo-)Nazis, sowie Bürger*innen, nach noch einem weiteren Denkmal, endlich nachzukommen.
Also gesagt, getan und schwubbel die wups waren 60.000 Euro zu Bronze geformt und auf einen acht Tonnen schweren Basaltklotz gehieft. Die Moral von der Geschichte ist aber wie immer dieselbe, nichts gelernt, nichts verstanden und nichts hat sich geändert im Selbstverständnis dieser Stadt. Denn die in dieser Figur plastisch festgewordene Symbolisierung der Opferrolle Dresdens reiht sich einfach nur in eine lange Tradition geschichtsrevisionistischer Denk- mäler, wie der Trümmerfrau oder der namenlosen Bronzeplastik Wieland Försters, mit der Innschrift „Dresden mahnt“, ein.
Kritische Aufarbeitung sieht jedenfalls anders aus.
Besonders perfide ist hier, dass die Unschuld von Kindern auf eine Stadt übertragen wird, die keinesfalls eine Ausnahme in der immer noch unbegreiflich menschenverachtenden Politik Deutschlands darstellte.
Die Dresdner*innen werden symbolisch mit einem Kind, insbesondere einem Mädchen, gleichgestellt, das naiv ist und nicht weiß was es tut, was sich seiner eigenen Verantwortung ja auf gar keinen Fall bewusst sein kann, und so soll die betrachtende Person verstehen, dass von vornherein auszuschließen ist, dass es hier Schuldige gibt, die zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Im Gegenzug werden dadurch natürlich die alliierten Luftstreitkräfte dämonisiert, denn wie barbarisch, brutal und herzlos muss mensch sein, ein Kind anzugreifen, ja soweit zu gehen, ihm und seinen Angehörigen nach dem Leben zu trachten. So werden diejenigen, welche die Welt vom Nationalsozialismus befreiten, wenn nicht als noch unmenschlicher betrachtet, dann zumindest mit den deutschen Täter*innen gleichgesetzt. Die wahren Hintergründe des Angriffs auf Dresden werden hier, hinter flach aufgebauten Emotionen versteckt und eine kritische Haltung soll schon gleich im Keim erstickt werden. Denn wer würde das Töten von Kindern nicht verurteilen?
Die Haltung der Figur erinnert auch nicht zufällig an ein Kreuz. Der christliche Kontext wird hier einerseits benutzt, um noch mal den Mythos einer nahezu jesuesken Unschuld zu befeuern und andererseits soweit zu gehen, die Passion Christi, als sozusagen den Höhepunkt des Leidens in der christlichen Geschichte, mit den Angriffen auf Dresden gleichzusetzen.
Des Pathos noch nicht genug, steht das Kreuz ja auch für Vergebung und Absolution, mit der sich eine Stadt und ein ganzes Land natürlich gern und nicht zu knapp bei der zur Schau gestellten Aufarbeitung des Nationalsozialismus, selbst übergießen. Das diese Vergebung eigentlich nur von den Opfern der deutschen Barbarei ausgehen kann, spielte in der Vergangenheit eher selten eine Rolle. Damit ist diese Figur ein weiteres Sinnbild für die Verklärung der Geschichte, um das Narrativ der unschuldigen Stadt am Leben zu erhalten.
Um dies nicht dauerhaft unkommentiert zu lassen, haben wir uns heute hier eingefunden, um gemeinsam und feierlich ein neues Denkmal auf dem Heidefriedhof einzuweihen.
Hier seht Ihr die neue Plastik “Schmuddelkind”. Ein Mädchen, welches sich traut, dem weinenden Opfer am Tränenmeer mit Verachtung entgegenzutreten und zu sagen: “Du warst es! Du stehst hier Symbol für eine ganze Sadtbevölkerung, welche die Augen davor verschließt, dass sie im Nazideutschland politisch nicht unbedeutend war. Eine Gau- und Rüstungsstadt, die zum Ende des Krieges zur Festung erklärt wurde. Eine Stadt, die schon 1933 Hitler zum Ehrenbürger erhob und den Theaterplatz entsprechend umbenannte. Eine Stadt mit dem höchsten prozentualen Anteil an NSDAP-Mitgliedern in der Bevölkerung, eine Stadt, in der die Ausstellung zur, wie die Nazis es nannten, “Entarteten Kunst” noch unter anderem Namen eher stattfand, als in allen anderen deutschen Städten. Eine nationalsozialistische Stadt im nationalsozialistischen Deutschland.” Das Mädchen am Tränenmeer steht Symbol für das Vergessen all dessen und das Schmuddelkind zeigt mit dem nackten Finger auf es und sagt, du warst es. Du und Deine Stadt, ihr wart Nazis, Teil eines großen funktionierenden menschenvernichtenden Systems. Und als solche wurde Dresden bombardiert. Als eine von vielen nationalsozialistischen Städten. Und wenn ihr euch nicht mehr erinnern wollt, wir stehen hinter diesem Schmuddelkind, dem Nestbeschmutzer, das zeigt, was niemand sehen will, wir werden euch weiter daran erinnern: Dresden und seine Bevölkerung war mehrheitlich nicht unschuldig, sondern Unterstützer bei der Umsetzung einer verbrecherischen Idee!
Diese Plastik hat die wohl unlösbare Aufgabe, ein Gegengewicht zu der in diesem Kontext geschichtsrevisionistischen Aussagekraft dieses Friedhofs mit seinem Stelenkreis und dem ganzen anderen Firlefanz zu bilden.
Sie ist eine Antwort, aber keine Lösung, eine inhaltliche Analyse ist längst passiert, Bücher wurden geschrieben, es wurde diskutiert und interveniert, doch das Problem bleibt bestehen.
Trotzdem darf Opferkult und Geschichtsrevisionismus nicht unwidersprochen bleiben.
Mit dieser Aktion soll jedoch keinesfalls versucht werden, das kollektive Gedenken in andere Bahnen zu lenken. Diese Figur soll, genau wie wir es wollen, die deutschen Täter*innen offensiv benennen. Wir wollen keine Ausreden und sehen Schuldabweisungen nicht ein. Dresden soll erkennen was es schon immer war und auch immer noch ist, ein erzkonservatives Drecksnest voller Scheinheiliger und nicht die Ausnahme von der Regel. Eine Stadt, die bekommen hat, was sie verdiente.
Von uns gibt es kein Vergeben und Vergessen für die deutschen Täter*innen .
Wir bleiben Nestbeschmutzer*innen und Schmuddelkinder, denn wir scheißen auf euren nationalen Konsens!
No Excuses!
Fuck Dresden!
Sehr Schön
Das war bestimmt auch viel Arbeit. Schade, dass das Ding da nicht lange stehen wird.
Ob das ankommt?
Ich bin mir unschlüssig, ob die "beiden Kinder" von mir und vor allem von der Öffentlichkeit verständlich in einem sinnvollen Kontext betrachtet werden können. Ob irgendjemand beim Betrachten des Schmuddelkinds die davon beabsichtigte Kritik versteht, wage ich zu bezweifeln. Dem Mädchen am Tränenmeer ist sicher automatisch und berechtigt die Unschuld zugewiesen, weil es ein Kind ist, dass den Täterbezug überhaupt garnicht ansprechen soll. Natürlich fehlt deshalb leider dieser Bezug, was zurecht zu kritisieren ist, die "Gegenstatue" stellt diesen deswegen aber sinngemäß auch nicht her. Das Gesamtbild erweckt bei den meisten Betrachtern vermutlich nur den Eindruck eines Kinds, das einem anderen unschuldigen Kind die Trauer über das Kriegsleid untersagt, und dieser Eindruck würde keine Früchte tragen, aus denen eine angemessene Reflexion der Stadt über ihre Täterrolle, die Rolle der nicht-Kinder, erwächst.
Versteht mich nicht falsch, ich finde den Sinn der Aktion gut, aber meiner Meinung nach ist die Umsetzung, die Inzsenierung als solche nicht unbedingt optimal und selbstredend. Andererseits, wenn die Kernussage wirklich nur "Fuck Dresden" lauten sollte, kommt sie vermutlich an, aber ich denke mal, ihr wünscht euch auch, dass man erkennt, was eigentlich dahinter steckt.
Schon wieder weg ?
"Wie die Gruppe mitteilte, habe man die Skulptur auf dem Friedhof stehen lassen, wo sie aber offenbar bereits kurz nach dem Ende der kleinen veranstaltung von der Friedhofsverwaltung entfernt wurde. Am Abend stand die rund 40 Kilo schwere Statue nicht mehr, teilte die Polizei auf Anfrage von DNN-Online mit"
http://www.dnn-online.de/dresden/web/dresden-nachrichten/detail/-/specif...
Stellungnahme zur Aktion “Schmuddelkind”
Wir, die Kampagne „No Excuses!“, haben am 06. Februar 2015 die Plastik „Schmuddelkind“ als Kontrapunkt zu der seltsam unkritischen Skulptur Trauerndes Mädchen am Tränenmeer auf dem Dresdner Heidefriedhof aufgestellt. Von den Dresdner Neusten Nachrichten aufgegriffen fühlte sich die für das Tränenmeer verantwortliche Małgorzata Chodakowska angegriffen und wir fragen uns verwundert: „Nix begriffen?“
http://noexcuses.noblogs.org/stellungnahme-zur-aktion-schmuddelkind/