Nachdem die Stadt Dresden mit dem Aufkommen der PEGIDA-Demonstrationen weit über Sachsens Ländergrenzen hinaus bekannt geworden ist, sind die Zeitungen nicht nur hierzulande voll mit Stellungnahmen und Erklärungsversuchen aus Politik, Wissenschaft und Kultur. Auf einmal, so der Eindruck, fühlt sich jede Person bemüßigt, ihre Sicht auf die Dinge zu schildern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kommen in der vor allem medial geführten Auseinandersetzung allerdings fast ausschließlich weiße Deutsche zu Wort. Viel zu selten findet die migrantische Perspektive in der Betrachtung zu PEGIDA Gehör.
Aus diesem Grund hatten wir uns schon vor einigen Wochen mit einer in Dresden lebenden jungen Frau unterhalten, die sich, im Unterschied zu den wenigen in der Stadt lebenden geflüchteten Menschen, aus freien Stücken dafür entschieden hat, hier ihren neuen Lebensmittelpunkt zu suchen. Ihre Eindrücke und Erlebnisse sollen einen Eindruck davon geben, welche Rolle Rassismus und ausgrenzendes Verhalten im Alltag von Migrantinnen und Migranten spielen.
Hi Asha, wie hat es dich nach Dresden verschlagen?
Asha: Ich bin im August 2011 aus Indien hergezogen. Aber ich war davor auch schon zweimal hier, 2009 und 2010.
Wie war es für dich 2011 herzuziehen?
Asha: Ich bin wegen der Liebe hergezogen. Es war schön und meine Schwiegereltern haben mich sehr gut aufgenommen und haben mir bei allem geholfen. Freunde und Bekannte hatte ich hier schon, ich kannte schon die Freunde meines Mannes und einige Studenten, die ich in Indien kennengelernt hatte. So hatte ich hier auch schon vor dem Studium einen kleinen Freundeskreis. Während einem fünfmonatigen Intensivkurs Deutsch habe ich dann weitere Leute kennengelernt, das war sehr gut. Inzwischen studiere ich auf Lehramt und nach meinem Studium möchte ich hier unterrichten und leben.
Wie ist es, wenn du hier in der Stadt unterwegs bist? Wie fühlst du dich wahrgenommen?
Asha: Am Anfang habe ich mehr sehr gut gefühlt, da alles hier so grün war und schön und ich viel zu entdecken hatte. Ich war begeistert. Schwierig fand ich nur so Sachen wie das Einkaufen beim Bäcker und so etwas. Da hat mir anfangs ein bisschen das Selbstvertrauen gefehlt. Bei Telefonaten war das ähnlich. Ich habe mich auch immer sehr gefreut, wenn ich andere Leute aus Indien gesehen habe. Dann hatte ich sofort das Gefühl, ok, ich bin hier nicht alleine. Ich bin auch von Anfang an immer sehr offen auf die Leute zugegangen und habe “Hallo” gesagt, wie ich es aus der Stadt kannte, aus der ich komme. Das hat hier aber nicht immer funktioniert.
Aber jetzt, seit PEGIDA seit einigen Wochen läuft, fühle ich mich nicht mehr so wohl. Vorher habe ich mich gar nicht unbedingt als Ausländerin gesehen, sondern zuallererst als Mensch. Das hat sich verändert. Jetzt habe ich den Eindruck, dass die Gesellschaft hier zweigeteilt ist. Es sind auch in der Vergangenheit und neulich Sachen passiert, die mir gezeigt haben, dass ich hier von einigen nicht so gern aufgenommen werde.
Erlebst du dabei offene Anfeindungen?
Asha: Naja, nicht so oft, aber ich habe das schon erlebt. Manchmal ist es sehr sehr offen und manchmal auch nicht. Einmal in einer Straßenbahn am Abend war ich mit meinem Mann unterwegs. Die Bahn war ziemlich voll und ich wollte mich hinsetzen und dabei hat jemand den Sitz blockiert und gesagt: “Nur für Deutsche.” Sie waren vielleicht vier Leute und haben dann auch noch gelacht. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen sollte. Und niemand der Umstehenden hat darauf reagiert. Nur so: “Er meint das doch nicht so.” und das kam auch nur von ein oder zwei Leuten und auch nur ganz leise. Ich habe mich dann irgendwie darauf eingelassen und gesagt: “Ich weiß, dass ihr das nicht so meint, ist OK.” und habe versucht, weiter freundlich zu sein. Das war so ein bisschen meine Schutzreaktion. Mein Mann und ich waren geschockt, dass niemand sonst reagiert hat. Wir haben uns bedroht gefühlt, dann haben diese Leute noch Nazigrüße dazu gemacht und wir hatten das Gefühl, dass niemand uns helfen würde, selbst wenn es um unser Leben ginge. Solche Erlebnisse traumatisieren einen, und man fährt danach anders Straßenbahn.
Und dann neulich, vor zwei Wochen etwa, bin ich nach Hause über einen ruhigen Parkplatz gelaufen und auf einmal explodierte hinter mir ein Böller oder so etwas. Ich hatte mich furchtbar erschrocken und hatte auch einen Schock und versuchte, Leute anzusprechen, aber deren Autofenster waren zu und sie haben mich gar nicht gehört. Ich hatte starke Schmerzen im Ohr und es war auch niemand weiter dort und erst zu Hause konnte mich mein Mann beruhigen.
Ich kenne aber auch andere Leute, die so etwas erlebt haben. Zum Beispiel zwei junge Asiaten die ich gesehen habe, auf der Straße die hoch zur Uni führt. Die hatten einen großen Koffer dabei und plötzlich schreit die junge Frau auf und fängt an zu weinen und beginnt, sich mit ihrem Begleiter zu streiten. Eine Person kam zügig an mir vorbeigelaufen und ich bin zu den beiden gerannt, weil irgendetwas nicht richtig war. Und dann hat mir dieses Mädchen in gebrochenem Deutsch erzählt, dass der Mann der eben an mir vorbeigekommen war, ihren Arm ganz dolle verdreht hat und gesagt hat “Geh zurück nach Hause.” Sie hat stark geweint, weil sie wahrscheinlich noch Schmerzen hatte und hat vermutlich ihrem Begleiter Vorwürfe gemacht hat, weil er nichts getan hat.
Abgeschwächt passiert es mir manchmal zum Beispiel im Supermarkt, wenn ich merke, dass die Kassiererin zu den anderen Kunden freundlich ist und zur mir plötzlich nicht mehr. So kleine Sachen, dass sie mir den Gruß oder das Guten Morgen verweigert und wahrscheinlich denkt, sie müsse es nur minimal machen. Manchmal merke ich so etwas, aber das kann ja verschiedene Ursachen haben.
Und wie würdest du das Klima an der Universität einschätzen? Schließlich verbringst du ja auch sehr viel Zeit dort.
Asha: Das Klima an der Uni gefällt mir und ich nehme meine Teilnahme an Kursen als sehr bereichernd für mich war. Dort fühle ich mich wohl. Aber in einigen Seminaren fällt mir eine etwas einfache Sicht auf die Dinge bei einigen Kommilitonen auf. Zum Beispiel wenn es um verschiedene Kulturen geht. Oder auch um Religion, dann merke ich einfach, dass wir noch nicht so viel voneinander wissen und wir auch vom Wissen der anderen profitieren können. Die Uni ist im Großen und Ganzen ein Ort an dem ich mich wohlfühle.
Nach Vorfällen wie diesem Böllerwurf, bewegst du dich da jetzt anders auf der Straße?
Asha: Ja, also ich fühle jetzt, dass ich Ausländerin bin und dass man mir das gleich ansieht. Ich frage mich jetzt auch immer, was denn die Leute über mich denken. Vorher dachte ich, dass es in der Wahrnehmung keinen Unterschied gibt und Menschen als Menschen gesehen werden. Und jetzt mit den 15.000 Demonstrierenden [von PEGIDA], frage ich mich manchmal, ob einzelne Personen denen ich begegne, nicht auch deren Ansichten teilen. So bin ich zuerst einmal traurig. Aber auch vorsichtiger wenn ich an Gruppen von Leuten vorbeigehe die laut reden und so. Dann mache ich mir schon Gedanken, was diese Leute für Einstellungen haben könnten. Außerdem lastet auch ein gewisser Druck auf mir und ich fühle mich als Repräsentantin der hiesigen Ausländer und mache mir Gedanken darüber, wie der Eindruck den die Leute von mir haben, den Blick auf andere Ausländer beeinflussen könnte. Und dabei bin ich schon privilegiert, weil ich die Sprache spreche.
Ein anderes Thema, was ich oft von ausländischen Freunden hier höre ist, dass sie von der Polizei sehr häufig kontrolliert werden. Am Bahnhof vor allem. Ich kenne da ein Mädchen, die aus Indien hier war, die wurde nicht nur kontrolliert von der Polizei, sondern sie haben ihr auch viele Fragen gestellt. Wieso sie denn alleine reise und wo sie überall war und solche Sachen. Ein junge Frau hier würden sie niemals danach fragen. Die hat die Polizei hier total verdächtigt, vielleicht dass sie Prostituierte sei oder so etwas. Dabei ist sie nur in ihren Semesterferien herumgereist. Als ob eine Frau aus Indien nicht alleine reisen könnte. Das hat mich echt aufgeregt. Weißt du, sie nimmt sich diese Freiheit, was sehr mutig und toll ist, und wird dafür ewig lange von deutschen Polizisten befragt, und das, obwohl sie nur wenig Deutsch spricht. Fast alle von meinen Freunden berichten von solchen Ausweiskontrollen. Ich habe es auch selbst erlebt, ich war nur mit meinem Partner für kurze Zeit auf dem Bahnhof und er ist zum Ticketautomat gegangen, da kamen schon zwei Beamte auf mich zu gelaufen, weil ich alleine stand. Und als mein Mann dann wieder bei mir aufgetaucht ist, haben sie eine 180°-Drehung gemacht und sich in die entgegengesetzte Richtung entfernt.
Möchtest du sonst noch etwas loswerden?
Asha: Ich finde es toll, dass so viele Leute sich auch für ein weltoffenes Dresden einsetzen. Und ich komme eben aus einem Ort, wo viele Religionen, Sprachen und Denkweisen nebeneinander existieren. Ich habe das immer als bereichernd empfunden, man hat viel voneinander gelernt und miteinander gefeiert. So eine Offenheit würde ich mir auch für Dresden sehr wünschen, einfach dass Vielfalt als Bereicherung empfunden wird.
alle und überall
Und genau DAS ist es, was mich an diesem ganzen offen unverblümten Feindlichkeit aktuell persönlich am meisten trifft. Ich mache mir keine Sorgen, dass *GIDA-Rassisten auch nur ansatzweise salonfähig genug werden, um auch nur irgendwas in deren Interesse zu verändern. Allein diese unbestimmte allgegenwärtige Angst der Menschen offensichtlich ausländischer Herkunft vor noch so kleinen Anfeindungen löst in mir so unendliche Wut und Trauer aus, dass ich keine Gelegenheit ausgelassen sehen will, sich dagegen zu positionieren. Erstrecht im Alltag, das betrifft jeden und überall. In der Straßenbahn z.B. hat das offenbar nicht funktioniert, und das zeugt von einem immernoch immensen Mangel an Bewusstsein und Sensibilität, von Courage ganz zu schweigen.
Allein, dass dieser Wunsch noch ausgesprochen werden muss, wie der nach einem utopischen Geburtstagsgeschenk, macht deutlich, wieviel es noch zu tun gibt. Erst wenn jeder Mensch zuerst als Mensch und Vielfalt als Bereicherung wahrgenommen wird, ist die Gesellschaft in einer Verfassung, die ein funktionierendes Miteinander möglich macht... und ich ertappe mich jetzt während des Tippens selber dabei, den Hauch von Utopie in diesem Satz zu schmecken. Viiiel zu tun... weitermachen!
Asha, danke für das Interview, dir und denen es ähnlich geht, alles Gute!