Inmitten des Krieges überlegt die ukrainische politische Linke die nächsten Schritte

Denis Gorbach (Autonome Arbeitergewerkschaft)
Erstveröffentlicht: 
05.01.2015

 Soweit die Mainstream-Medien überhaupt über die Ukraine berichten, neigen sie dazu, Kiews Konflikt mit den vom Kreml unterstützten russischen Separatisten als Nullsummenspiel in einem Kräftemessen zwischen Wladimir Putin und den USA sowie ihren westlichen Verbündeten darzustellen. Doch unterhalb dieses gesamten schrägen geopolitischen Geschwätzes treibt die ukrainische unabhängige Linke - die von der Linken der alten kommunistischen Garde unterschieden werden muss - ihre eigene politische Agenda voran. Wie können solche Kräfte den rechten Nationalismus überwinden, vor allem inmitten des tödlichen militärischen Konflikts in den östlichen Regionen des Landes? Es ist eine große Herausforderung, da viele sich eher auf die Abwehr der separatistischen Aggression konzentrieren als sich um die drängenden sozialen Bedürfnisse zu kümmern.

 

Obwohl viele sicherlich eine dauerhafte Waffenruhe begrüßen würden, deuten die jüngsten Entwicklungen darauf hin, dass der Frieden noch immer weit weg ist.  Seit im September ein Rahmenfriedensabkommen bekannt gegeben wurde, wurde die Vereinbarung vor Ort nicht beachtet und nach dem neuesten Stand starben 4.700 Menschen in dem Konflikt. Während die Gespräche in Minsk stattfanden, schafften es die Ukraine und die separatistischen Rebellen nicht, sich auf einen Truppenabzug oder humanitäre Hilfe zu einigen. Hinzu kommt, dass das ukrainische Parlament vor kurzem beschloss, der NATO beizutreten, ein Schritt, der in Moskau nicht gut ankam.


Wie also geht die unabhängige Linke in der Ukraine mit der nationalistischen Stimmung um? Antworten hole ich bei Denis Gorbach ein, einem Aktivisten der bei der Mitbegründung der Autonomen Arbeitergewerkschaft half, einer anarchosyndikalistischen Gruppe, die sich die amerikanischen IWW, die Industrial Workers of the World ("Wobblies") zum Vorbild nimmt. Die Gruppe, die industrielle Arbeitskämpfe zu befördern hofft, besteht aus ehemaligen Studenten, IT-Spezialisten, Journalisten, Künstlern Designernund einigen Arbeitern.Gorbach schätzt, dass die autonome Arbeitergewerkschaft, die in Kiew und der östlichen Stadt Charkiw ansässig ist etwa 40 Mitglieder hat.


Mit Gewalt auf der Straße fertig werden


Gorbach räumt offen ein, dass das aktuelle politische Umfeld beängstigend sei, da die Zivilgesellschaft "schwach und atomisiert" ist und sich mit Patriotismus und Nationalismus einfach abgefunden hat. "Im Moment", äußert er, "läuft man Gefahr, als [russische] fünfte Kolonne wahrgenommen zu werden, wenn man gegen die Regierung protestiert." Im Zuge der Proteste auf dem Maidan-Platz, über welche im vergangenen Jahr die unpopuläre Regierung von Viktor Janukowitsch stürzte, hegte Gorbach die Hoffnung, dass die Demonstrationen weitergehen und die Öffentlichkeit die neoliberalen wirtschaftlichen Sparmaßnahmen ablehnen würden. Leider, merkt er an, habe „der Krieg mit Russland solche Bestrebungen zunichte gemacht“, wodurch wertvolle Aufmerksamkeit von sozialen Fragen abgelenkt wurde.


Gorbach ist besorgt, dass eine steigende Flut des Nationalismus unerwünschte Folgen für die Linke haben könnte. Er fügt hinzu, dass rechte Gewalt auf der Straße durchaus ein echtes Problem sei, trotzdem die Öffentlichkeit solchen Entwicklungen keine große Bedeutung beimesse. Gorbach fürchtet, das Klima könnte sich noch verschlimmern, wenn Kämpfer vom rechten Flügel im Osten militärisches Fachwissen erwerben und später voll ausgebildet und ausgerüstet nach Kiew zurückkehren. Eine freiwillige Gruppierung, das Bataillon Asow, trage sogar militärische Abzeichen zur Schau, die mit Nazi-Deutschland in Verbindung gebracht würden. "Sie verbergen dieses Zeug nicht", sagt Gorbach, "und die breite Öffentlichkeit denkt nur, 'gut, sie sind Patrioten und wir sehen kein Problem darin.‘"


Vadim Gud ist ein Veteran der Direkten Aktion, einer lokalen Studentengewerkschaft, und beteiligte sich an den Protesten am Maidan-Platz. Er sagt, Bataillone des rechten Flügels rotierten und kämen in regelmäßigen Abständen nach Hause zurück. Mit Gorbach teilt Gud die Besorgnis über rechte Gewalt. Einmal, äußert er, als er mit der Direct Action arbeitete, sei er von Straßenschlägern in einem Café angegriffen worden. Zwar war es kein schwerer Angriff --- Gud wurde von hinten gestoßen ---, aber einige Kollegen des Aktivisten wurden auf der Straße angegriffen und sogar ins Krankenhaus gebracht. Das Problem, sagt er, ist, dass die meisten vom rechten Flügels bei Linken keine Unterscheidung nach gut und schlecht vornehmen. Für sie ist jeder Kommunist, Bolschewist und anti-ukrainisch. Deshalb ‚musst du pro-russisch sein und wir kommen, um dich zu holen.'"


Was Aktivistinnen der Frauenbewegung sagen

Wie Gud, ist Natalia Neshevets über rechte Gewalt besorgt. Als linksgerichtete Aktivistin hat Neshevets ebenfalls wertvolle politische Erfahrung aus ihrer Arbeit mit Direct Action gewonnen. Während der Proteste am Maidan-Platz setzten sie und ihre Kollegen sich für fortschrittliche Reformen einschließlich kostenlosem Transport und Bildung ein. Es dauerte aber nicht lange, bis rechte Straßenschläger sie angegriffen, die anarchistischen Fahnen an sich rissen und vernichteten. Neshevets sagt dass die Angriffe jeden Tag weitergingen, aber die Medien es versäumten, die Vorfälle ernst zu nehmen. „Wenn wir darüber berichtet hätten", sagt sie, "hätten die Journalisten gesagt, 'Ach, das sind nur Eure Links-Rechts-Streitereien, uns interessiert das nicht.'"


Die Gewalt auf der Straße auszuhalten ist schwierig genug, aber die Linke ist weiteren möglichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Der Krieg mit den russischen Separatisten hat in erheblichem Maße erfahrene Veteranen und politische Aktivisten abgeschöpft. Neshevets erklärt, dass ein paar Anarchisten in den Dienst von Freiwilligenverbänden getreten sind und weggingen, um die Rebellen zu bekämpfen. "Ich bin wirklich gegen die Teilnahme an dem Konflikt", äußert Neshevets, "und es ist seltsam für mich, dass Linke patriotische Positionen einnehmen." Dennoch fügt sie hinzu, dass "einige Aktivisten in dem Krieg eine Schutzmaßnahme als Reaktion auf die russische Aggression sehen." Die meisten Aktivisten, die sich verpflichten, sind Männer, erklärt Neshevets, und sie neigen dazu, zu behaupten, dass "es wichtig ist, zum gemeinen Volk zu stehen und nicht nur elitär zu sein."


Förderung der grenzübergreifenden Linken


Wenn der Krieg zwischen Kiew und den Separatisten im Osten nicht ausgebrochen wäre, hätte es dazu kommen können, dass die ukrainische und die russische unabhängige Linke engere grenzüberschreitende Beziehungen hätten festigen können. Der eskalierende militärische Konflikt hat indessen Zweifel an solchen Bestrebungen geweckt und führte zu Besorgnis unter den lokalen Aktivisten. "Ich habe viele Freunde und Kontakte in Russland", sagt Neshevets. "Ich will keinen Krieg, denn seit drei Jahren bin ich zwischen Kiew und St. Petersburg ein- und ausgegangen. Ich habe eine starke Liebe zum russischen Volk, aber nicht zu den Politikern."


Denis Pilash ist ein weiterer Linksveteran des Maidan, der wie Neshevets, seine ersten Erfahrungen bei der Arbeit für die Studentengewerkschaft Direct Action sammelte. Er sagt, dass die politische Dynamik in Russland in vielerlei Hinsicht vertraute Muster innerhalb der Ukraine wiederspiegelt. "Im Moment“, merkt Pilash an, "befinden sich die Ukraine und Russland in einem offenen Wettbewerb, um herauszufinden, was das Schlimmste für die Linke ist. In Bezug auf die neoliberalen Reformen liegt Russland weit vor der Ukraine und ist bei der Zerstörung des Gesellschaftsvertrags seit dem Fall der Sowjetunion viel weiter gegangen. "


So wie herrschenden Eliten in Kiew den Krieg genutzt haben, um ihre innere Macht zu festigen, ist esWladimir Putin gelungen, durch Einmischung auf der Krim und in der Donbass-Region die Öffentlichkeit von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzulenken. Es ist sehr ironisch, sagt Pilash, dass Putin sich einem Höhenflug seiner Zustimmungswerte erfreut, trotzdem "die Menschen in ihrer Lebensqualität, unzureichenden sozialen Diensten und Armut enttäuscht sind.“


Geschwächter Zustand der unabhängigen russischen Linken


Obwohl Russland ein viel größeres Land als die Ukraine ist, sagt Pilash, zähle die unabhängige Linke dort nur etwa 1000 Menschen, die vor allem in Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Industriezentren lebten. Die neue linke Bewegung, bestehend aus Sozialisten und Anarchisten, versucht, sich zur Unterstützung von Arbeiterprotesten mit den lokalen Gewerkschaften vernetzen. Pilash sagt, dass die unabhängige Linke in Russland vor einer Reihe von Problemen steht. Vielleicht kann die Linke ihre politische Basis durch Einschluss einer breiteren Koalition von Menschen ausbauen, aber solche Vorstellungen können Kontroversen hervorrufen, da moderate Anti-Putin-Kräfte marktwirtschaftliche Positionen unterstützen.


Eine weitere Schwierigkeit hat mit schierer Angst und dem allgemeinen politischen Klima im Land zu tun. Die politische Organisation in linken Kreisen in Russland ist sogar noch gefährlicher als das Aktivistendasein in der Ukraine, das ebenfalls ein gewisses Risiko in sich bergen kann. Pilash malt ein düsteres Bild des politischen Lebens in Russland und merkt an, dass örtliche Faschisten und Neonazis Dutzende von Antifaschisten, darunter nicht nur Aktivisten, sondern auch Juristen wie Stanislaw Markelow, getötet haben.


Im Jahr 2009 wurde Markelow auf einer belebten Straße in Moskau dreist in den Kopf geschossen. Er und ein anderer Volontär, der ebenfalls bei dem Angriff getötet wurde, arbeiteten für eine lokale Zeitung, die Nowaja Gaseta. Bevor er erschossen wurde, verfolgte Markelow Neonazis und vertrat die Familie einer jungen tschetschenischen Frau, die von einem russischen Oberst ermordet und vergewaltigt worden war. Im Jahr 2011 wurde ein extremer Nationalist für das Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt.


Darüber hinaus ist die Neue Linke in Russland mit internen Spaltungen konfrontiert. Unglücklicherweise, bemerkt Pilash, sind einige Linke durch Beteiligung an der Rhetorik des Kreml über die faschistische Bedrohung in Kiew und die Notwendigkeit, russisches Territorium zurückzugewinnen, sehr anti-ukrainisch geworden. Pilash ist besonders enttäuscht davon, dass Boris Kagarlitsky, ein bekannter Intellektueller, sich entschieden hat, dem "nationalistischen Chor“ beizutreten." Kagarlitsky,  sagt Pilash, reist häufig ins Ausland und behauptet, dass der Maidan bürgerlich war, während die neuen Rebellenrepubliken im Osten eine mehr linke Politik verfechten. " Eine Menge Leute vertrauen Kagarlitzsk“, erklärt Pilash, "und sie wiederholen diese Lügen. Es ist schade, wenn man solche Menschen, die für ihr kritisches Denken bekannt waren, verliert."


Der Weg nach vorne


Was also muss geschehen, um mit einer neuen linken Agenda inmitten des Krieges voranzukommen? Das Wichtigste, sagt Pilash, ist die vollständige und totale Entfernung von Wladimir Putin und seinem rechtsstehenden autoritären Regime von der politischen Landschaft. Um das zu erreichen, wird sich aber die russische Linke die Unterstützung der Arbeiterklasse sichern müssen, "die sehr apathisch geworden ist. Sie haben fast alle Hoffnung auf Veränderung verloren, so dass sie sagen ‚gut, die Dinge waren wirklich schlecht in den 1990er Jahren, aber zumindest sitzen wir jetzt nicht im selben Boot.‘" Trotz all dieser Schwierigkeiten bewahrt sich Pilash eine optimistische und hoffnungsvolle Haltung. Die russische sozialistische Bewegung, sagt er, hat ein sehr gutes Programm und ukrainischen Aktivisten "teilen die gleichen Prinzipien und den gleichen Kampf."

Nikolas Kozloff ist ein in New York ansässiger politischer Schriftsteller, der kürzlich eine Forschungsreise in die Ukraine unternommen hat.

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"Im Moment“, merkt Pilash an, ´befinden sich die Ukraine und Russland in einem offenen Wettbewerb, um herauszufinden, was das Schlimmste für die Linke ist´".

 

Der beste Kommentar zum Thema Ukraine seit langem. Tapferkeit allen Linken in UA un der RuF und Belarus. Spielt bitte nicht den oder die Held_in. Wir bewundern Euch auch auch so, einfach, wenn ihr es schafft, ihr selbst zu bleiben. Anbei noch ein Video, in welchem die Fahnen von UA, RF und Antifaschistische Aktion noch nebeneinander wehen. Eine kostbare Erinnerung,.

 

https://www.youtube.com/watch?v=7N5tfvwd7IM

und es war nicht immer alles vergebens und verloren in UA

https://www.youtube.com/watch?v=GI99SCYbzso

Allerdings war von Seiten westlicher NGOs schon immer klar, dass Nazis bei einer Veränderung in der Ukraine gerne gesehen sind, wenn sie sich denn nützlich machen - wenn es drum geht "interne Machtkämpfe" zu vehindern, wen braucht man und Frau dann? Seit den Morden an Karl Liebknecht und Rosa Loxemburg darin erprobt, all jene zu finden, die dem Kämpfenden Vaterland den Dolch in den Rücken zu stoßen? Hören wir daz George Soros in der FAZ: (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/george-soros-he...)

 

"Eine weit verbreitete Bewegung Freiwilliger, von einem in anderen Ländern bis dahin unbekannten Ausmaß und Einfluss, wirkte daran mit, dass sich die Ukraine gegen die russische Aggressionspolitik  behaupten konnte. Ihre Mitglieder waren willens, für eine bessere Zukunft ihre Leben auf dem Maidan zu riskieren, und sie sind entschieden, nicht die Fehler der Vergangenheit wie beispielsweise die Unterwanderung der „Orangenen Revolution“ durch interne Machtkämpfe zu wiederholen."

 

Und wenn ich den Beitrag von Herrn Soros richtig verstanden habe, ist Krieg der Rahmen, den seine Vorstellungen brauchen, um ausser-regelgerecht ins Werk gesetz zu werden.

 

Das einzige, was ein solcher Veränderungsprozess nicht braucht sind Linke. Bleibt zuhause. Trainiert Judo - the gentle art. Nützlich genug, um auf Strassen, die von Herren wie Soros, Poroschenko und Putin und ihren Schlägertrups bestimmt werden irgendwie heil nach Hause zu kommen. Und gently enough - wie es das braucht, damit ihr ihr selbst bleibt.

 

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