Zu den Aufmärschen von Rassist*innen in Marzahn/Buch/Köpenick - ein weitere Diskussionsbeitrag

Antifaschistische Aktion

Es ist schön zu sehen, dass sich an vielen Orten eine Diskussion entwickelt, wie die rassistischen Aufmärsche in Marzahn, Buch und Köpenick zu bewerten und - was noch viel wichtiger ist - zu stoppen sind. Not tut dies sicherlich. Die aktuelle Lage ist erschreckend und besorgniserregend. Dieser Artikel ist eine Antwort und Ergänzung des Artikels "Strategiediskussion/ -Vorschläge: antifaschistischer Protest in Marzahn/Buch/Köpenick", der am Mittwoch auf Indymedia erschienen ist. Wiederholungen tun einer Debatte nicht gut. Daher beschränken wir uns auf die Punkte, die uns fehlen und wo wir Einspruch haben.

 

"Wer mit der NPD marschiert, ist ein Nazi!"

Die Bezugsgruppe erhofft sich in ihrem Artikel von Mittwoch einen "Keil zwischen Anwohner_innen und Nazis treiben" zu können. Grundlage der Einschätzung ist das Bild der "besorgen Anwohner*innen". Wir teilen die Einschätzung, dass nicht alle "die das Heim nicht haben wollen, es als Bedrohung empfinden oder Angst vor dem Fremden haben, Nazis und Rassist_innen sind". Wir glauben jedoch, dass diese Anwohner*innen auch nicht auf die Aufmärsche in Marzahn, Köpenick und Buch gehen.

Uns kann niemand mehr erklären, er oder sie wüsste nicht, wer die Aufmärsche organisiert und wie die Leute ticken, die daran teilnehmen. In sämtlichen Berliner und teilweise in überregionalen Nachrichten wurde klar aufgezeigt, dass organisierte Neonazis die Struktur der Aufmärsche stellen. Von Tagesthemen bis B.Z. war für jede*n was dabei. Die Gegenproteste haben die Teilnehmer*innen direkt bei den Aufmärschen mit ihrem Rassismus und den organisierten Nazis konfrontiert. Und spätestens die rassistischen Parolen auf den Aufmärschen und die Angriffe auf Fotograf*innen und Linke sollten auch dem letzten klarmachen, mit wem er da gemeinsam auf der Straße steht. Wer das bisher nicht gecheckt hat, will es schlicht nicht wahrhaben.

Trotzdem wäre es falsch in allen Teilnehmer*innen organisierte Nazis zu sehen. So groß ist die organiserte Nazi-Szene in Berlin zum Glück nicht. Zu dem Kern der Aufmärsche von vielleicht 100-200 organisierten Nazis gesellen sich etliche extrem Rechte unterschiedlichsten Spektrum. Das Potential der extrem Rechten in den betroffenen Regionen ist groß genug. Extrem rechte Parteien (NPD, pro Deutschland, AfD) kommen in den Ortsteilen regelmäßig auf rund 10% der Stimmen. Dass die Leute in den letzten Jahren nicht an Naziaufmärschen teilgenommen haben, liegt wohl weniger an ihren demokratischen Überzeugungen. Viel mehr war die Teilnahme wohl bisher dank den Gegenprotesten nicht attraktiv. Es gehört eben mehr als eine extrem Rechte Gesinnung dazu sich stundenlang in einer gekesselten Kundgebung die Beine in den Bauch zu stehen. Die Mobilisierungserfolge der letzten Wochen, das Hoffnung die Unterkünfte tatsächlich verhindern zu können und gegen "die Antifa" auf der Straße die Oberhand zu haben, machen eine Teilnahme eben auch für extrem Rechte deutlich attraktiver. An dieser Stelle müssen wir ansetzen.

Was tun?

Wir müssen die Teilnahme an den Aufmärsche wieder unattraktiver machen. Nur so werden wir es schaffen, den Kern organisierter Neonazis von den anderen extrem Rechten abzuspalten. Dies kann in unseren Augen nur gelingen, wenn wir die Kosten hochschrauben. Wir denken, dass dies langfristig nur durch Blockaden der Aufmärsche gelingen kann - so schwer dies auch an einem Montag in Marzahn ist. Ein einmaliger Erfolg wie am Samstag reicht leider nicht aus. Der Samstag hat jedoch zeigt, dass allein die Ankündigung großer Gegenproteste viele Rassist*innen von der Teilnahme am Aufmarsch abschreckt. Sowohl am Montag zuvor als auch danach waren deutlich mehr Rassist*innen auf der Straße als auf der überregionalen Demonstration am Samstag.

Wenn es uns nicht gelingt, die Aufmärsche zu stoppen, sieht es düster aus. Wir sollten unsere Hoffnungen nicht darauf setzen, dass sich die Aufmärsche sich von alleine tot laufen. Die Euphorie durch den großen Zuspruch und den meist ungestörte Ablauf gepaart mit dem tief sitzenden Rassismus der Akteure dürfte die Teilnahme auch über den kalten Winter für viele attraktiv bleiben lassen. Bereits jetzt gibt es verstärkt Angriffe gegen die Baustellen und andere Flüchtlingsheime. Bereits jetzt verrammeln Bewohner*innen der Flüchtlingsheime Türen und Fenster, wenn die Aufmärsche in ihrer Region sind. Aus vielen Lagern in Berlin und Brandenburg erreichen uns Berichte, dass Familien gemeinsam in einem Zimmer schlafen, um sich gegenseitig zu schützen. Wie sich die Situation entwickelt, wenn die rassistischen Mobilisierungen bis zur Eröffnung der neuen Heime nicht gestoppt sind, erfüllt uns mit großen Sorgen. Wir denken, dass die Notwendigkeit Pogrome zu verhindern, bevor sie geschehen, heute in Berlin akuter denn je ist.

Mehr als nur gegen Nazis

Wir finden den Hinweis der Bezugsgruppe im Text vom Mittwoch, die eigenen Inhalte dabei nicht zu vergessen, wichtig. Noch vor wenigen Monaten stand der Kampf gegen die menschenunwürdige Unterbringung in Lagern im Mittelpunkt der antirassistischen Kämpfe. Nun werden in Berlin Container-Dörfer und Freilufthallen gebaut und es sieht es so aus als würden ausgerechnet wir dafür kämpfen.

Der Kampf gegen die Aufmärsche ist bisher rein defensiv. Die fehlende emanzipatorische Perspektive trägt sicherlich nicht dazu bei, mehr Menschen für eine Teilnahme zu begeistern. Den Kampf gegen den rassistischen Mob mit den Kämpfen gegen den staatlichen Rassismus, der sich im Lagersystem ausdrückt zu verbinden, zu verbinden, kann uns helfen eigene Akzente zu setzen. Gegen Container-Dörfer am Stadtrand sollten wir die Forderung nach einer dezentralen Unterbringung in (städtischen) Wohnungen setzen.

Konkrete Schritte

Gespannt und angespannt blicken wir auf die heutigen Proteste in Köpenick. Grundsätzlich denken wir jedoch, dass es wohl eine kurze Pause zum Verschnaufen und Sammeln braucht. So widerlich es ist, die Nazis eine weitere Woche laufen zu lassen, so wenig realistisch halten wir eine große Mobilisierung diesen Montag (1. Dezember) nach Marzahn. Ereignisse wie die letzte Woche geben uns nicht die nötige Kraft, den Nazis effektiv etwas entgegen zu setzen. Wir sollten die kommende Woche stattdessen dafür nutzen uns auf den 8. und 15. Dezember vorzubereiten, um an diesen Tagen auch an einem Montag in Marzahn endlich wieder in die Offensive zu kommen.

Einige autonome Antifas

 

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Liebe GenossInnen,

ich gebe euch in weiten Teilen recht, vorallem muss der Preis in die Höhe getrieben werden für den Senat sowie für die RassistInnen.

Ein warten bis zum 08. oder 15. 12 halte ich für fatal. Es kann  jederzeit die Stimmung in Gealt von rechts umschlagen. Die Demos finden Abends statt und jede/r soll seinen Arsch nach Marzahn bewegen.

 

Ich bin 92 eine Woche nach Rostock gefahren obwohl ich mein Abitur gerade gemacht habe.

Ist es nicht möglich, kommende Gegenproteste schon ab oder nach Mittag anzusetzen?

Oder eben wieder (und wenn nur vereinzelt) auf einen Samstag oder Sonntag zu koordinieren??

Vielleicht kann diese Idee mal weiter kommuniziert werden, es wäre mir wirklich ein Anliegen, danke!

Hintergrund: https://linksunten.indymedia.org/en/node/128274

 

Gegenwärtig demonstrieren ca. 200 Antifas in Köpenick, werden teilweise von Nazis bepöbelt. Die Rassist_innen haben ihre Demonstrationsanmeldung aus Angst vor konfrontativen Auseinandersetzungen zurückgezogen. Ein kleiner Erfolg also bislang.

Mittlerweile mehr als 50 Nazis und Rassisten, die den Hitlergruß zeigen und die Demo bepöbeln. Bullen sind überfordert. Wer vergleichsweise schnell da sein kann, hin da.

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danke für den beitrag, der weitaus besser und reflektierter daherkommt als der erste text zur "strategiediskussion". ich denke es ist wichtig, zuerst einmal die eigene ratlosigkeit einzugestehen, oder zumindest nicht in markiges rumgeprolle zu verfallen und falsche hoffnungen zu nähren. nur von da aus kann man zu einer kritischen position und praxis kommen. das schließt ein, sich nicht an den von npd über cdu bis linkspartei geteilten reden von den "anwohnern" und deren "sorgen und nöte" zu beteiligen: das sind keine ängste, die der mob hat - im gegenteil, der mob selbst verbreitet angst, wie ihr ja oben geschrieben habt: angriffe auf linke, auf presse, angst in den lagern etc. und auch der begriff der "anwohner" selbst ist schon eine schimäre, siehe zB diese kritik von deniz yücel: http://www.taz.de/Kommentar-Proteste-gegen-Fluechtlinge/!149994/

was kann man tun? es scheint offenbar, wie heute in köpenick geschehen oder auch schon vor 1-2 wochen in buch, sinnvoll zu sein, in die offensive zu gehen und selbst (spontan-)demos zu machen, um den rassist_innen den raum zu nehmen. zudem sollte auch abseits der demos linksradikale öffentlichkeitsarbeit durch flugblätter etc. in den betroffenen stadtteilen gemacht werden. und nicht nur die mobilisierung auf der straße beachtet werden, sondern auch die virtuellen plattformen, wo sich der mob zusammenrottet, d.h. vor allem die verschiedenen facebookseiten der "bürgerinitiativen".

heikel wird es sicher auch, wenn die ersten refugees einziehen bzw. die containerlager bewohnt sind - es gilt hier auf den schutz der menschen zu dringen bzw. ihn notfalls selbst mit zu organisieren, wie 2013 in hellersdorf.

ein link zum weiterlesen:
"Diese Ängste sind Rassismus! Gegen die rassistischen Mobilisierungen in Berlin intervenieren!"
http://naturfreundejugend-berlin.de/node/696

... in bezug zur positionierung gegen das lagersystem:

https://grenzenwegberlin.wordpress.com/2014/11/28/stellungnahme-zur-erri...

Der Kampf gegen die Aufmärsche ist bisher rein defensiv. Die fehlende emanzipatorische Perspektive trägt sicherlich nicht dazu bei, mehr Menschen für eine Teilnahme zu begeistern. Den Kampf gegen den rassistischen Mob mit den Kämpfen gegen den staatlichen Rassismus, der sich im Lagersystem ausdrückt zu verbinden, zu verbinden, kann uns helfen eigene Akzente zu setzen. Gegen Container-Dörfer am Stadtrand sollten wir die Forderung nach einer dezentralen Unterbringung in (städtischen) Wohnungen setzen.

 

--> Dann bitte auch so umsetzen in der Öffentlichkeit und nicht nur wieder lange reden!

Wenn wieder nur die Nazi-Montagsdemo blockiert wird und Anwohner*innen wahllos beschimpft ohne emanzipatorische inhaltliche Ausrichtung, dann werde auch ich nicht mehr dabei sein und euch unterstützen (und da bin ich sicherlich nicht die/der einzige)..

 

p.s.: es gibt auch so etwas wie übermobilisierung von peer-groups. hatten wir schon mal vor ein paar jahrzenten, war uncool..

Ich halte kurz gesagt zwei Sachen erstmal für entscheidend:

1. Die rassistischen Demos so gut es geht zu blockieren (beachtet das verwinkelte Wegesystem auch zwischen den Häusern) und

2. davor/danach oder an anderen Tagen Flyer in die Briefkästen und Plakate auf die Straße.

In den Kontexten von immer krasserer Prekarisierung von Lohnarbeiter_innen, alltäglicher Repression Erwerbsloser durchs JobCenter, wachsendem Verdrängungsdruck auf Berliner Mieter_innen, machen die Nazis die nationale Kategorie auf und verraten ihre internationalen Genossinnen als ausländische Feinde. Das gleiche System, das sich global in Krieg und Armut übt und Leben zerstört, bekommen wir immer stärker auch in Berlin, auch in Marzahn zu spüren. Wir wollen den Kampf mit den Urhebern des Problems aufnehmen, mit gerüstetem Kapital und Staat und nicht wie Nazis mit traumatisierten und aufrichtigen Familien.

In einigen Kommentaren hörte es sich fast so an als wäre Prolet eine Beleidigung für Menschen in Marzahn?! Es wird Zeit Rassismus und Klassismus zu bekämpfen und den Hauptfeind im eigenen Land wieder klarer zu analysieren! Kampf dem Staat! Kampf dem Kapital!

Wie kommst Du nur darauf das sich die Menschen in Marzahn wenn Sie als Proleten betitelt werden, diese Betitelung als beleidung ansehen. 

 

Natürlich fühlen sich die Menschen hier in Marzahn dadurch beleidigt