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Geflüchtete auf dem Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule Ende Juni

Neun Tage lang belagerte die Polizei mit hunderten Einsatzkräften die von Geflüchteten besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg. Diese wurde im Zuge der bundesweiten, von Asylsuchenden selbstorganisierten Proteste gegen die deutsche Asylpolitik, die ab 2012 eine bemerkenswerte Dynamik entwickelten, besetzt und diente bis Juli diesen Jahres ca. 400 Illegalisierten als Wohnort.

45 Menschen sind es am Ende, die einen Kompromiss [1] ausgehandelt haben und seit dem unter den Augen von Sicherheitsdienst und Polizei dort wohnen können. Nun sollen auch die Übriggebliebenen den Plänen der Diakonie und des Bezirks für die Nutzung des Gebäudes weichen. Die Geflüchteten hätten ihren Teil der Vereinbarung, nämlich konstruktive Vorschläge zu bringen, nicht eingehalten [2]. Seit dem 31.10.2014 sollten sie das Gebäude verlassen, denn die Diakonie würde keine Bewohner während der Sanierungsarbeiten dulden.

 

Die Argumentation des Bezirks, dass es kein Geld mehr gäbe um die 45 Hausbesetzer dort wohnen zu lassen, ist absurd. Die Diakonie kann im Winter aus bautechnischen Gründen gar nicht sanieren. Das bedeutet, dass sie damit bis zum Frühjahr warten muss. Die Heizungen liefen schon vor der Besetzung auf Hochtouren und werden auch diesen Winter - ebenso aus Instandhaltungsgründen - nicht abgestellt. Der Security-Dienst wird seinen Posten ebenso wenig verlassen wie die Polizei ihre erhöhte Präsenz aufrecht erhalten wird, um eine erneute Besetzung zu verhindern. Die Kosten bleiben also bis auf die Peanuts, die für den Betrieb von Strom und Wasser zu zahlen sind, so oder so. Für diese überschaubare übriggebliebene Summe ließen sich mit Sicherheit externe Sponsoren finden. Doch um den Bezirkshaushalt geht es den politischen Akteuren ebenso wenig, wie um die Gestaltung eines " International Refugee Centers"... Es ist als wären einzig die Betroffenen selbst in der Lage die Hintergründe für diese, aus der kalten Logik des Kapitals getroffene Entscheidung zynisch zu formulieren:

 

Wir sind wie Ratten“, sagt Mohammed, ebenfalls aus Niger und ebenfalls einst auf dem Oranienplatz und dem Dach der Gürtelstraße dabei: „Wer will schon Ratten im Haus haben? Man vertreibt sie oder tötet sie einfach.“ (TAZ, 26.10.2014)


Diese Aussage kann so interpretiert werden, dass der Wert eines Menschen in unserer Gesellschaft nicht durch das einfache Menschsein definiert wird, sondern durch seine ökonomische Verwertbarkeit. Und im Zweifel durch den Pass oder das Deutschsein.

Neben diesen widerlichen Gründen kann auf einer anderen Ebene angenommen werden, dass gerade Politiker wie Panhoff, Ströbele und nicht zuletzt Bezirksbürgermeisterin Hermann diese Repression gegen politisch organisierte Geflüchtete brauchen. Und zwar damit Ihnen nicht vor der gesamten Öffentlichkeit die Charaktermaske entrissen wird und sie als bloße Funktionsträger da stehen.

 

Die Widersprüchlichkeit aus flüchtlingsfreundlicher Inszenierung und der Unfähigkeit auf Forderungen der Schulbesetzer eingehen zu können/wollen, ist für diese Menschen etwas, dass schleunigst beseitigt, am liebsten abgeschoben gehört. Denn erst dann kann im Rahmen des verstümmelten Rests der Asylrechtsgrundlage ein neues Lager aufgebaut werden, dass den Anschein wahrt etwas Neues zu sein.

 

Das wirklich „Neue“ haben die Besetzer jedoch selbst geschaffen. Das verstehen Hermann, Ströbele und Co. aber nicht. Ohne die Zustände in der besetzten Schule beschönigen zu wollen, haben sie es geschafft sich selbst eine Stimme zu verleihen, wenn auch eine sehr leise. Sie haben die Selbstorganisation, der psychischen Belastung (die Angst jeden Tag abgeschoben werden zu können) vorgezogen. Sie haben sich vom Status-“Illegal“ bis zur Position eines Verhandlungspartners hochgekämpft. Diese Position wird ihnen durch den erneuten Vertragsbruch in diesen Tagen aberkannt. Es wird gesagt die Asylanträge sollen außerhalb Berlins, sogar in Italien bearbeitet werden. Das sogenannte „International Refugee Center“ der Diakonie hingegen soll gefüllt werden mit Asylantragsstellern, die wahrscheinlich keine politischen Akteure, sondern mit der Angst Berlin am nächsten Tag verlassen zu müssen zu Spielbällen der Abschiebejustiz werden. Die zukünftigen Bewohner werden also gemeinsam mit dem Vorzeigelager im ach so alternativen Kreuzberg zu Objekten politischer Selbstdarstellung degradiert. Durch den geplanten Rausschmiss der jetzigen Bewohner wird durch die Blume gesagt: „Eure Ideen sind nicht schlecht, nur ihr könnt leider nicht Teil des Projekts sein.“

 

Senat und Bezirk machen mit ihren Ersatzplänen klar, dass Geflüchtete in Berlin willkommen sind, aber eben nur jene, welche in das widerliche Raster der Ausländerbehörde passen. Soweit nichts Neues, denn dieser Status-Quo bestand schon vor der Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule und dem bundesweiten Refugeeprotest. Neu hingegen ist, dass die Asylsuchenden gefälligst ihre „Schnauze halten“ und sich nicht als Verhandlungspartner auf Augenhöhe aufspielen sollen.

 

Gerade deswegen und gerade jetzt kommt „Schnauze halten“ nicht in Frage, denn am 4.11.2014 wurde bei den Berufsschlägern der Berliner Polizei Amtsersuchen für die erneute Räumung gestellt.

 

Für uns, die wir hier unten auf den Straßen Berlins unterwegs sind, heißt das praktische Solidarität gegenüber den Menschen auf dem Dach zu zeigen, die sich dort oben für ihre legitimen Forderungen den kalten Novembertemperaturen aussetzen. Diese Solidarität hat viele Gesichter. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Sagt Freunden Bescheid, kommt an die Ohlauerstr./Reichenbergerstr., meldet euch am Infopunkt und fragt was gebraucht wird, und vor allem: Bleibt auf dem Laufenden, damit ihr euch in den Weg stellen könnt, falls es zur Räumung kommt.

 

http://asylstrikeberlin.wordpress.com/

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Twitter: @OhlauerInfo, #ohlauer

Infopunkt: 015758376788

BewohnerInnen: Shareef: 01521 4570 017, Leon: 01521 4707 056

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[1] Übersetzung des kommentierten „Einigungspapiers“ vom 3.7.2014 (Kommentare in kursiv; vom 3.11.2014)

Vereinbarung zwischen den Flüchtlingen in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg vetreten durch XY

und dem Bezirkamt Friedrichshain-Kreuzberg vertreten durch den Stadtrat Franz Panhoff, Stadträtin Jana Borkamp

  • Beide Seiten einigen sich grundsätzlich auf die 10 Punkte des Vorschlages der Flüchtlinge vom 1. Juli 2014 für die Nutzung der G.H.-Schule durch die Flüchtlinge. Einzelheiten werden später geregelt.[...]

    Zehn Punkte

  1. Wir werden mit unserem Protest auf dem Dach und im dritten Stock des Schulgebäudes fortfahren . Wir werden Ihnen (später) eine Liste mit Namen geben. Diesen Personen wird es erlaubt sein auch während der Bauarbeiten freien Zugang zur Schule zu erhalten.

    -Die gegenwärtige Forderung sofort die Schule zu verlassen, widerspricht diesem Punkt

  1. Dies beinhaltet, dass die Menschen, die hier (in der Schule) leben eine Legalisierung der Besetzung, inklusive einer „polizeilichen Anmeldung“ erhalten.

    -Die in der Schule lebenden Menschen wurden nicht offiziell/amtlich registriert.

  1. Gemeinsam mit dem Bezirk werden wir aussuchen, welche Projekte Zugang zu der Schule bekommen werden

    - Die Bewohner der Schule haben ein Konzept für ein „International Refugee Center“ entwickelt und Projekte, die Teil dessen sein sollen vorgeschlagen. Der Bezirk ignoriert dieses Konzept und will seine eigenen Pläne zur Errichtung eines neuen Lagers machen.

  1. Wir werden das Dach der Schule solange besetzen, bis alle Refugees eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.

    -Die Forderung die Schule zu verlassen, widerspricht ebenso diesem Punkt.

  1. Wir benötigen eine schriftliche Garantie dafür, dass wir nicht aus diesem Haus geräumt werden, solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind.

    - Obwohl wir keine weitere schriftliche Garantie bekommen haben, hat der Bezirk diesem Punkt zugestimmt. Die Forderung des Bezirks, wir sollten die Schule verlassen, widerspricht diesem Punkt.

  1. Der Bezirk darf den Umbau fortsetzen unter der Voraussetzung, dass die Polizei dies nicht als Grund für eine Räumung zu benutzt.

    - Der Bezirk benutzt genau dieses Argument für die Räumung und verstößt damit deutlich gegen diesen Punkt.

-Unterschriften der BewohnerInnen, Panhoff und Borkamp-

  1. Alle Asylanträge der Schulbewohner werden nach Berlin verlegt. Der Bezirk wird diesbezüglich Unterstützung anbieten.

    - Keiner der Asylanträge wurde nach Berlin verlegt, denn die Berliner Behörden weigerten sich, diese anzunehmen, obwohl die meisten (wenn auch nicht alle) zuständigen Behörden der anderen Bundesländer einer Verlegung zugestimmt hätten.

    - Der Bezirk hat diesbezüglich keine Hilfe angeboten.

  1. Wir werden mit unseren Verhandlungen mit Senat und Bezirk fortfahren. Der Bezirk wird uns Unterstützung anbieten um mit dem Senat die Verhandlungen aufzunehmen.

    - Sowohl Senat, als auch Bezirk haben sich der Verhandlung mit den Refugees in der Schule widersetzt. Denn: Forderungen stellen, ist nicht verhandeln.

  1. Die Menschen, die in der Schule geblieben sind, bekommen die gleichen Leistungen, wie jene, die die Schule verlassen haben.

    - Da ist was dran, denn diejenigen, die der Räumung der Schule und den Vorschlägen des Bezirks nachgekommen sind, wurden nach und nach auf die Straße geworfen.

Der Bezirk wird die Unterhaltskosten des Hauses übernehmen (Strom, Müllentsorgung usw.), sowie Geld für die Einrichtung, Nahrung und alles andere zur Verfügung stellen. Die Bewohner werden Leistungen nach den Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, einschließlich einer Krankenversicherung empfangen. […]

-Das Geld wurde einmalig im ersten Monat bezahlt. Danach haben die Bewohner weder Sozialleistungen, noch Krankenversicherungen erhalten

-Unterschriften-

 

  1. Die Bewohner dürfen im ersten, zweiten und dritten Stock des Südflügels wohnen bleiben. Sie werden ebenso die Aula nutzen. Projekträume werden nicht im Südflügel entstehen. Der Gesamte Pavillion vor der Schule wird für Projekträume genutzt werden.

-Die Gegenwärtige Forderung widerspricht diesem Punkt.

 

b) Installation von Toiletten und Duschen im 1. und 2. Stock (Bis zum nächsten Wochenende)

-Dieser Punkt wurde tatsächlich eingehalten.

-Unterschriften-



[2] Veröffentlicht am 1.11.2014 von den BewohnerInnen der „Ohlauer“

Statement to all:

by the people from the school (Ohlauer)

We are in motion and want to build a real Refugee Center by Refugees for Refugees in the school. That‘s why we started to organize 5 projects:

1. Social Center:

We want the Pavilion-Building as an open center. Part of this center will be an open café. In the Social Center there will be a cooking group, that will cook and provide food regularly. Another group wants to set up a bicycle repair. For the organization of the center and other projects a joint office needs to be set up in the Pavilion-Building.

2. Theatre Project:

We will develop, together with artists from all over Berlin, plays and perform on stages. The developed pieces deal with our situation and our experiences.

3. Music-Meeting-Point:

Many musicians live at the school. Together with musicians from outside we want to build a music project. The goal is to come together through music and share our experiences.

4. Serigraphy Workshop:

We already have a lot of experience creating serigraphy. When the school was still open, many young people regularly came from the neighborhood to print together with us and to create their own graphics. We want to continue and expand this work together.

5. International Women Space:

The international women space is a free place where refugee women can meet to exchange knowledge and experiences, where they can get to discuss their rights, organise themselves and fight together against the isolation of the Lagers.

For the implementation of these projects, we will form several groups, made up by all residents of the school according to their interests. We want people from outside the school to support us and join the projects and groups. The projects we create are an open space for the people from the neighborhood. We will not ask for permission. Too many promises have not been kept by politicians and authorities. Since the attempted eviction of the school almost nothing has been done by them. That we prevent construction workers in their work is a Lie.

We will implement our project ourselves. Therefore w e expect that we will not be stopped in our work. As it happened on the 15 th of September 2014 , when we wanted to open the Social Center and the police was called. Now we are told that a “Lager” (camps) will be build in the school. More people shall live in the school. Why were they then kicked out v iolently before? We have come to Oranienplatz and have lived in tents, because we could not stand it anymore in the “Lagers” (camps). In the school, we want to build a Refugee Center by Refugees for Refugees. With the security the school begins already to be like a “Lager”. But we will not accept a new “Lager” here.

About the school it is often reported that it is a place of criminals and drug dealers. That‘s not true. We want to show everyone what the school really is and who we are. Don’t stop us!

The people from the school.

Do not fool the people from the school!



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Bilder Solidaritätsdemonstration in Kreuzberg vom 7. November:

 

https://www.flickr.com/photos/neukoellnbild/sets/72157648771199030/