Am 27. Oktober 2014 wurde vor dem Stuttgarter Amtsgericht gegen einen linken Aktivisten wegen einem Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz verhandelt. Dem Genossen wurde vorgeworfen einen Polizisten in Zivil am Rande der Proteste gegen die rechten Anti-Bildungsplandemos fotografiert zu haben. Ein Bild von dem Beamten erschien im Nachgang der Proteste in einem Artikel auf Linksunten.Indymedia. Der betroffene Polizist sah durch diesen Vorgang seine Persönlichkeitsrechte verletzt und erstattete Anzeige gegen einen ihm bekannten linken Aktivisten. Einem daraufhin erlassenen Strafbefehl über 50 Tagessätze widersprach der Genosse, sodass die Hauptverhandlung anberaumt wurde.
Der Prozess
Wie bei allen politischen Prozessen in Stuttgart üblich, begann auch dieser Verhandlungstag mit den üblichen Schikanen im Amtsgericht. Alle ProzessbesucherInnen, inklusive Presse und Angeklagtem, wurden komplett durchsucht und mussten alle Gegenstände abgegeben. Zudem fertigten die Justizbeamten auf Weisung des Gerichts Ausweiskopien von allen BesucherInnen an.
Gegen kurz nach 13 Uhr eröffnete dann Richter Gutfleisch die Verhandlung gegen den Genossen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt Kraft, verlaß im Anschluss die Anklageschrift. Der Angeklagte machte weder zu seinen persönlichen Verhältnissen Angaben, noch äußerte er sich zu den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen.
Als erster und einziger Zeuge war Kriminalhauptkomissar Peter Sitzler, 41 Jahre alt und verheiratet, vom Dezernat (2.2) Staatsschutz der Stuttgarter Kripo geladen. Ein Teil der etwa 15 ProzessbeobachterInnen begrüßte den nunmehr im Internet bekannten Staatsschützer im Stile eines Popstars mit satirischen Jubelplakaten.
In der darauffolgenden Aussage schilderte Peter Sitzler seine Tätigkeit als "Aufklärer" im Einsatz gegen die antifaschistischen und antihomophoben Proteste im Juni 2014. Im Anschluss an einen Überwindungsversuch von Hamburger Gittern sei gegen Mittag eine "größere Gruppe des linksautonomen Spektrums" in Form einer Demonstration an ihm vorbeigezogen. Der Angeklagte habe die Gruppe seitlich begleitet, kurz innegehalten und ihn mit einer Spiegelreflexkamera zweimal porträtiert. Kurz darauf habe sich der Aktivist mit den Worten "Wunderbar, vielen Dank!" vom Ort des Geschehens entfernt. Die Situation sei derart schnell vonstatten gegangen, dass sich KHK Sitzler außer Standes sah zu reagieren. Zwei Tage später habe er dann auf dem linken Internetportal Linksunten.Indymedia sein Foto wiedergefunden. Mit den Worten "Und das fand' ich dann nicht so witzig!", unterstrich der Beamte seine Motivation gegen den Aktivisten Anzeige zu erstatten. Dieser sei zudem zu einer Vorladung bei der er sich mit dem Beschuldigten "darüber unterhalten wollte" nicht erschienen. Daraufhin sei der Strafbefehl entstanden.
Richter Gutfleisch und Staatsanwalt Kraft beschränkten sich in ihren Nachfragen auf den Charakter von Indymedia.Linksunten und die spätere Festnahme des Aktivisten, bei der polizeiliche Fotoaufnahmen entstanden,die den Angeklagten mit einer umgehängten Spiegelreflexkamera zeigen. Peter Sitzler erklärte, er habe den Beschuldigten "vom Sehen her" gekannt und über Videoauswertungen im Nachhinein einwandfrei als Fotograf erkannt.
Auch der Anwalt des Genossen thematisierte die Funktion von Linksunten.Indymedia und befragte KHK Sitzler nach möglichen Ermittlungen des Beamten in Richtung UrheberIn des Artikels mit dem Foto. Peter Sitzler charakterisierte Indymedia.Linksunten als "Internetprotal, das linke Themen behandelt" und sich "kritisch mit der aktuellen politischen Situation" und dem "Handeln von Polizeibehörden" auseinandersetze. Der Server stehe im Ausland, wo genau sei ihm entfallen. Das widerum gestalte die Ermittlungen "schwierig bis unmöglich". Auf Nachfrage der Verteidigung räumte der Kriminalhauptkomissar ein "man habe sich im Kollegenkreis über das Portal unterhalten, konkrete Ermittlungsschritte aber nicht eingeleitet". Ihm sei daher "nicht bekannt wie Dinge auf die Homepage gelangen". Er könne daher nicht sagen ob der Beschuldigte das Foto hochgeladen bzw. den Artikel verfasst habe.
Plädoyers
Im Anschluss an die Vernehmung des sichtlich aufgeregten, leise sprechenden und zitternden KHK Sitzler lies es sich Richter Gutfleisch nicht nehmen große Teile des Artikels "Rechte Allianz im Juni - Zwiespältige Bilanz" zu zitieren, bevor bereits bestehende Eintragungen des Genossen verlesen wurden. Das folgende Plädoyer von Staatsanwalt Kraft, zielte auf die Erhöhung der Tagessätze um zehn auf 60 Tagessätze und einer Verdoppelung der Tagessatzhöhe ab. Zur Begründung führte er an, dass die Aussagen von KHK Sitzler den Beschuldigten als Fotograf bestätigt hätten. Es sei zudem unwichtig ob der Angeklagte das Foto selbst online gestellt habe oder "einem seiner Kumpels" weitergegeben hätte. Der Angeklagte, und das gehe auch aus seinem Vorstrafenregister hervor, identifiziere sich mit der linken Internetplattform und habe zudem am Tattag als Demonstrant an den Protesten teilgenommen. Für ihn stelle sich nur die Frage ob der Angeklagte, den er als "Bewährungsversager" betitelte, mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe über zwei Monate zu belegen sei. Da die Tat jedoch in der unteren Kriminalitätsliga anzusiedeln sei, könne er sich mit einer Geldstrafe zufrieden geben. Diese müsse aber wesentlich höher liegen, da der Beschuldigte desöfteren im Zuge von Versammlungen "auffällig gewesen sei". Zudem sei der Widerspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl als nicht strafmildernd zu werten, da dieser die Strafe einfach hätte akzeptieren können.
Die Verteidigung des Genossen hingegen forderte einen Freispruch ihres Mandanten. Es sei schlichtweg nicht zu beweisen, dass der Angeklagte das geschossene Foto zur Veröffentlichung gebracht habe. Zudem seien keinerlei ernstzunehmenden polizeilichen Ermittlungen in Richtung UrheberInnensuche der Veröffentlichung angelaufen und das "reine Fotografieren" sei nicht per se strafbar. Nach dem Leitsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" sei sein Mandant deshalb freizusprechen. Die Ausführungen von Staatsanwalt Kraft zur Frage des Akzeptierens von Strafbefehlen wies der Anwalt zudem scharf zurück. Ein Strafbefehl sei "kein Gefallen für die betroffene Person". Die Annahme eines Strafbefehls sei mitnichten ein Schuldeingeständins sondern könne vielfältige, so beispielsweise taktische, Gründe haben.
Urteil
Richter Gutfleisch verurteilte den Genossen nach kurzer Beratungspause zu 60 Tagessätzen à 20 Euro, zudem müsse er die Verfahrenskosten tragen. In seiner Begründung folgte der Gutfleisch in weiten Teilen der staatsanwaltschaftlichen Argumentation. Auf Basis der Festellung das Anzeigensteller Sitzler und der Angeklagte sich "gegenseitig zu kennen scheinen", unterstellte der Richter dem Genossen aufgrund der "professionellen Fotoausrüstung" eine bewusste Tätigkeit, jedoch im niedrigschwelligen Bereich. Die Tat sei zudem nicht zur laufenden Bewährungsstrafe zu zuschlagen, da sie nach der letzten Verurteilung verübt worden sei.
Fazit
Das juristische Ergebnis der Verhandlung gegen den Aktivisten ist keineswegs eine besondere Überraschung. Wieder einmal mehr hat sich gezeigt, dass die Justiz nichts unversucht lässt gegen linke und antifaschistische AktivistInnen vorzugehen. Das machen neben diesem Prozess die weiteren unzähligen Verfahren gegen AktivistInnen, die sich den rechten Hetzern der "Anti-Bildungsplandemos" in den Weg stellten, deutlich.
Nichtsdestotrotz werden wir uns auch in Zukunft nicht von den willkürlichen Repressalien des Staates spalten oder gar einschüchtern lassen. Ganz im Gegenteil, dort wo rechte Hetze auftritt und versucht sich auszubreiten, werden wir weiterhin mit vielfältigen und entschlossenen Aktionen dagegen stehen!
Hintergründe:
Prozessaufruf: "Bitte lächeln!"
Bericht zu den Protesten gegen die erste homophobe Demo der rechten Allianzen am 01.02.2014 in Stuttgart
https://linksunten.indymedia.org/en/node/105147
Bericht zu den Protesten am 01.03.2014 gegen die homophoben “Bildungsplangegner” in Stuttgart
https://linksunten.indymedia.org/en/node/107291
Bericht zu den Protesten gegen die dritte Demonstration der Rechten am 05.04.2014
https://linksunten.indymedia.org/en/node/110161
Vielfältiger Protest gegen rechte und homophobe Aktivitäten am 03.05.2014 in Stuttgart
https://linksunten.indymedia.org/en/node/112692
Bericht zu den Protesten gegen die Rechte Allianz im Juni 2014 in Stuttgart
...
Ich hoffe den Antifaschisten trifft die finanzielle Strafe nicht zu hart.
Lustig finde ich: "Peter Sitzler charakterisierte Indymedia.Linksunten als "Internetprotal, das linke Themen behandelt" und sich "kritisch mit der aktuellen politischen Situation" und dem "Handeln von Polizeibehörden" auseinandersetze." ... das klingt eigentlich sehr positiv.... vielleicht ist Peter ein heimlicher Sympathisant ;-)
KunstUrhG
§ 22
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten.
[...]
§ 33
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.
Troll
Tja mein lieber Troll, dass KunstUrhG gilt hier zieht hier eigentlich nicht, und zwar gleich aus mehreren Gründen: 1. Ganz Banal: Es gab eigentlich keinen Beweis dafür das der Angeklagte das Foto veröffentlichte und 2. Es handelt sich um einen Polizisten auf einer Demonstration, also eine öffentliche Person auf einer öffentlichen Veranstaltung. (Warum wurde dieser Umstand eig. nicht im Prozess thematisiert? Hab eig. noch im Hinterkopf das es diesbezüglich doch auch schon mehrere Präzedensfälle gab...). D.H. eig. dürfte er sich nicht aufs KunstUrhG berufen. Das er dabei in Ziviler Kleidung unterwegs war, müsste angesichts dessen das er im Dienst war, keine Rolle spielen.
Der Angeklagte sollte zusammen mit seinen Anwälten dringend prüfen ob also nicht eine Berufung angebracht wäre.
Klugscheißer Troll
Strafbefehl zahlen und Geld sparen
Irgendwie falsch
was du da schreibst. Ein Polizist der an einer öffentlichen Versammlung (ob angemeldet oder nicht ist egal) teilnimmt, nimmt an einer Aktion von öffentlichem Interesse teil. Das öffentliche Interesse ergibt sich dabei schon aus der Absicht der Teilnehmer öffentlich, also politisch in Erscheinung zu treten.
Die Veröffentlichung des Bildes von Sitzler war offensichtlich im Zusammenhang mit dieser Versammlung.
darüber hinaus halte ich es zumindest für rechtlich möglich dass ein ziviler Polizeispitzel der zum ausspionieren einer Demonstration die sich gegen einen homophoben Aufmarsch wendet, ansich schon eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Dementsprechend dürften auch Bilder von dem Vorgang veröffentlicht werden.
Troll
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt....
demonstrationen
menschen auf einer demonstration haben nur ein sehr eingeschränktes recht am eigenen bild. fotoaufnahmen sind aufgrund der öffentlichwirksamkeit von demonstrationen grundsätzlich erlaubt. dies umfasst ebenso aufnahmen von polizisten und deren polizeimaßnahmen.
herrlich!
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Good work!
Stuttgarts Rechtsauffassung