Eine Einführung in das Reich der Reichsbürger

Reichsburger

Die so genannte Reichsbürgerbewegung ist eine Ansammlung von Einzelpersonen und Gruppen, die in letzter Zeit verstärkt im Umfeld der Montagsmahnwachen auf sich aufmerksam machen. Hinter ihren Parolen von der „BRD GmbH“ und der fehlenden Souveränität Deutschlands steht die Grundannahme, dass fast alles, was seit dem zweiten Weltkrieg auf dem Boden des ehemaligen Deutschen Reichs passiert ist, unrechtmäßig abgelaufen wäre. Die deutsche Geschichte soll nach dem Willen dieser Staatsleugner komplett neu geschrieben werden und dabei wollen sie die zentrale Rolle einnehmen - als heilsbringende Lichtgestalten, als Reichskommissare oder gleich als neue Deutsche Könige. Man könnte es für einen Scherz halten, doch sie meinen es tatsächlich ernst. Ihre Ideologie ist anschlussfähig für Neonazis, braune Esoteriker und andere Anhänger der extremen Rechten. Immer wieder fallen aber auch andere Menschen auf die manipulative Argumentation der reichsdeutschen Geisterfahrer rein.


Ein Schnellcheck der 7 Hauptthesen

1. Die Bundesrepublik ist eine GmbH?


Die Reichsideologen bezeichnen die Bundesrepublik oft als „BRD GmbH“. Das ist kein ironischer Seitenhieb auf die zunehmende Ökonomisierung in unserer Gesellschaft, sie meinen damit tatsächlich eine reale GmbH die mit einem Gesellschaftsvertrag vom 29.08.1990 in das Handelsregister in Frankfurt eingetragen wurde. Aber genau lesen hilft: es handelt sich dabei um eine "Finanzagentur", deren Eigentümer das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland ist.


2. Das Deutsche Reich existiert fort?


Diese These stellt den Kern der reichsdeutschen Ideologie dar, weil sie tatsächlich etwas Wahres enthält. Dazu zitieren die Reichis immer gerne folgendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 (das sie ja eigentlich nicht anerkennen): “Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht “Rechtsnachfolger” des Deutschen Reiches” Tatsächlich unterschlagen sie dabei jedoch einen wesentlichen Teil: (…), sondern als Staat identisch mit dem Staat “Deutsches Reich”, – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings “teilidentisch”, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.” Um es mit einfachen Wort zu sagen: der Staat ist der Selbe, nur der Name und der Grenzverlauf ist heute ein anderer. Das Deutsche Reich existiert fort, in Form der Bundesrepublik Deutschland. Raider heißt jetzt Twix.


3. Deutschland ist nicht souverän?


Der Begriff der Souveränität wird von den Reichsbürgern immer besonders gerne ins Feld geführt, weil er so schön staatsmännisch klingt und kaum auf Widerspruch trifft. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar wie schwammig ihre Vorstellung eines "von Fremdbeherrschung unabhängigen" Deutschlands ist. Für sie bedeutet Souveränität, dass Staaten quasi keine zwischenstaatlichen Bündnisse und Verträge mehr eingehen können. Die berechtigte Kritik an EU, NATO und Freihandelsabkommen mündet bei ihnen im extremen Nationalismus und Abschottungspolitik. Doch was nützt staatliche Souveränität, wenn sie einem freien und selbstbestimmten Leben der Menschen innerhalb und außerhalb der Staaten entgegensteht?


4. Deutschland hat keine Verfassung?


Um die Nicht-Existenz des Grundgesetzes zu beweisen argumentieren die Reichsjuristen gerne mit dem Artikel 146 genau dieses Grundgesetzes: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der deutschen Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Diese versprochene Verfassung ist man nach der Wende von 1990 schuldig geblieben und hat stattdessen das Grundgesetz auf die ehemalige DDR übertragen. Das kann man gut oder schlecht finden, aber das Gesetzeswerk begründet heute einen Staat, der durch die allgemeine Anerkennung und die realen Machtverhältnisse jeden Tag aufs neue aufrechterhalten wird. Ob das Grundgesetz nun „Grundgesetz“ oder „Verfassung“ genannt wird, interessiert im Zweifel niemanden.


5. Deutschland hat keinen Friedensvertrag?


Die Reichspazifisten behaupten auch immer wieder, dass die BRD keinen Friedensvertrag habe. Faktisch ist aber mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 der Frieden besiegelt. Er enthält alle notwendigen Regelungen. Ihr Einsatz gegen den angeblichen Kriegszustand soll die Reichsbürger selbst im Licht von Friedensstiftern erscheinen lassen, ihre Forderung nach einem "echten Friedensvertrag" bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Grenzen Deutschlands mit den Nachbarländern neu "verhandelt" werden müssten. Wie Frankreich und Polen darauf wohl reagieren würden?


6. Deutschland ist ein besetztes Land?


Dass in Deutschland ausländische Militärs u.a. der USA, Großbritanniens und Frankreichs ihre Stützpunkte haben, verleitet den Reichsbefreier zu der Annahme, dass es sich hierbei also um ein besetztes Land handeln müsse. Die Besatzung wurde aber offiziell durch die West-Alliierten mit dem "Bonner Vertrag" von 1955 aufgehoben. Die Stützpunkte sind seit damals Teil des NATO-Bündnisses. In den Komplex aus Spionage, militärischer und wirtschaftlicher Macht wurde die Bundeswehr und die deutschen Geheimdienste nahtlos integriert. Die Schuld für Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung lässt sich deswegen leider nicht einfach den ausländischen "Besatzern" in die Schuhe schieben.


7. Wer den Reichis nicht widerspricht, stimmt zu?


Gerade am Anfang, wenn die Reichspropagandisten neue Mitstreiter überzeugen wollen, verweisen sie auf die "Erfolge", die sie bei deutschen Behörden in der Vergangenheit hatten. Wenn sie auf Bußgeldbescheide mit Fragenkatalogen nach der Legitimität der BRD reagieren, haben Behördenmitarbeiter schon einige Male entnervt Fälle zu den Akten gelegt. Briefe, die mit 4-Cent-Briefmarken verschickt werden, kommen nicht deswegen an, weil das alte deutsche Reichspostgesetz noch gültig ist, sondern schlicht und einfach deswegen, weil den Post-Mitarbeitern das Erheben des Nachportos zu mühsam ist. Der oft ausbleibende Widerspruch ist kein Ausdruck der Zustimmung, sondern der fehlenden Zeit und Lust sich in die krude Gedankenwelt der Reichsbürger zu begeben.


Fazit – aus Wahn wird Wirklichkeit


In der Welt der Reichsbürger ist das eigene Land von fremden Mächten besetzt, es herrscht ein unausgesprochener Kriegszustand und überhaupt sind weder die Verfassung, noch die Regierung legitim. Nur dank der mutigen Reichserleuchter erfahren wir von diesen ungehäuerlichen „Wahrheiten“. Wer sich auf diese Geisterfahrt einlässt, wird auch sehr schnell weitere Überzeugungen über Bord werfen: Leitungswasser ist giftig, die Sonne ist kalt, Angela Merkel eine Echse und Adolf Hitler fliegt in einer Reichsflugscheibe durchs Weltall.


Weil das Ende der BRD und die Grenzen des Deutschen Reiches in weiter Ferne liegen, helfen sich Reichsbürger damit provisorische Reichsregierungen zu gründen oder neue Staaten wie "Neudeutschland", "Germanitien" oder das "Königreich Deutschland" auzurufen. Sie haben es dabei schon geschafft mehrere 100 Anhänger für sich zu gewinnen, die sich aus verschiedenen Gründen von der Gesellschaft abwenden. Zum Teil entstehen dabei erstaunliche ökonomische-politische Gebilde mit eigenen Kleinbetrieben, Banken und sogar staatseigenen Kranken- und Rentenkassen. Keine Steuern und Bußgelder an die "BRD GmbH" mehr zu zahlen, mit selbst gebastelten Ausweisen und Führerscheinen unterwegs zu sein, kann in der Anfangszeit Vorteile bringen, am Ende steht jedoch meist der finanzielle Ruin und Gefängnis.


Die Reichsbürger weisen im Kern alle Merkmale einer Sekte auf. Menschen, die sich offen zu diesem Glaubenssystem positionieren, befinden sich schnell in einem seelisch-moralischen Abhängigkeitsverhältnis. Wenn dann z.B. noch die eigenen Ersparnisse in die Bewegung „investiert“ werden, kann es sehr schnell existenzbedrohend werden. Die Anführer nutzen gezielt die Hoffnungen und Ängste ihrer Anhänger aus, nicht selten um auch persönlich davon zu profitieren.  Die Friedensliebe endet, wenn sie gegen Kritiker von außen oder Abweichler in den eigenen Reihen vorgehen. Selbst vor der Zusammenarbeit mit militanten Neo-Nazis schrecken sie dabei nicht zurück.


Reale Probleme, wie Krieg, soziale Entfremdung und undurchschaubare politischen Entscheidungsprozesse, nutzen die Reichsbürger nur als Aufhänger für ihre absurde Märchenwelt.


Jeder, der die Welt zu einem besseren Ort machen möchte, sollte um diese „Mitstreiter“ einen großen Bogen machen!


Kein Platz für Reichsbürger und ihre Argumente in der Friedensbewegung!


Quellen zum Weiterlesen:


www.krr-faq.net
www.sonnenstaatland.com/buch
www.reichsdeppenrundschau.wordpress.com

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Vielen Dank für einen guten und präzisen Artikel!

 

Besonders das verlinkte Buch ist in meiner Meinung nach eine gute (, wenn auch populärwissenschaftliche) Quelle

Artikel:

http://www.antifa-berlin.info/recherche/536-vlkische-friedensbewegung-go...

http://nrwrex.wordpress.com/2012/10/04/aus-dem-heft-die-botschaft-der-ge...

https://www.antifainfoblatt.de/artikel/mit-rohkost-zum-reich

 

Weitere Blogs, welche sich auch mit der Szene befassen:

http://derwilki.wordpress.com/

http://reichling.wordpress.com/

Übersichtlicher und präziser Artikel, dafür erstmal ein herzliches "Dankeschön".

 

Was ihr leider nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass die Reichsbürgerszene durchaus gefährlich ist. Wiederholt wurden Waffen und/oder Sprengstoffe bei Reichsbürgern gefunden; Vernichtungsfantasien gegen die "BRD GmbH", ihre Vollzugsorgane, Jüdinnen und Juden, Migrant_innen und Linke gehören in der Szene zum guten Ton. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, vermute ich, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis irgendein selbsternannter Feldmarschall des Deutschen Reiches diese Ideen in die Tat umsetzt.

und gleichzeitig in der Sache klarer Text. Schön, mal wieder etwas zu lesen, das man auch ohne Soziologie-Studium versteht :)

für den Text.

Zwar ein wenig kurz, aber das ist wahrscheinlich auch der Vorteil. Die wichtigsten "Argumente" der Reichsbürger entlarvt.

Ein kleiner Vorschlag meinerseits wäre evtl auf den Umgang der Reichsdeutschen mit dem Personalausweis hinzuweisen.

Diese werden ja meist "zurückgegeben" (wie die Leute es selber nennen). Ein beliebtes Argument dabei ist, dass man/frau ja nicht zum "Personal" der "BRD GmbH" gehöre.

 

Lieben Gruß.