Ruf nach NSU-Ausschuss wird lauter

Erstveröffentlicht: 
22.08.2014

Thüringer Grüne: Stuttgarter Landtag muss Polizistenmord von Heilbronn untersuchen


Stuttgart sz – Die Thüringer Grünen drängen auf einen NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg zur Aufklärung der Motive des Heilbronner Polizistenmordes. Der „Komplex Heilbronn“ sei durch die Untersuchungen des Thüringer Landesparlaments allein nicht erhellbar, schreibt der Grünen-Abgeordnete Dirk Adams zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses. Etwas verklausuliert erklärt er: „Unserer Ansicht nach sind hierzu im Landtag von Baden-Württemberg entsprechende parlamentarische Untersuchungen im Rahmen eines Untersuchungsausschusses einer Behandlung durch die bereits eingesetzte Enquete-Kommission vorzuziehen und in die Wege zu leiten.“


Enquete statt Ausschuss

Der Landtag in Stuttgart hat sich bisher mehrheitlich gegen einen solchen Untersuchungsausschuss ausgesprochen und folgt damit der Argumentation von Innenminister Reinhold Gall (SPD). Demnach hat die vom Minister eingesetzte „EG Umfeld“ alle zugänglichen Spuren akribisch überprüft – bei anderen Fragen müsse man die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft abwarten. Stattdessen setzte der Landtag eine mit weniger Rechten ausgestattete Enquete-Kommission unter Vorsitz von Willi Halder (Grüne) ein. Die soll Lehren aus dem NSU-Terror formulieren – und sich bei der nächsten Situng am 22. September auch mit dem Fall Kiesewetter beschäftigen.

Am 25. April 2007 war die Polizisten Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen, ein Kollege schwerst verletzt worden. Die Tat wird dem rechtsextremistischen Terrortrio „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugerechnet und ist Thema des Münchner Gerichtsverfahrens gegen die mutmaßlich einzige NSU-Überlebende Beate Zschäpe. Doch bei dem Mord sind viele Fragen weiter offen: Warum wichen die Täter bei ihrem wohl letzten Mord vom bisherigen NSU-Muster ab? Warum Heilbronn? Und warum Kiesewetter, die, wie ihre mutmaßlichen Mörder, aus Thüringen stammt? Zschäpe schweigt, und so kommt die Aufklärung nicht voran.

Auch die Abgeordneten in Erfurt haben nach zweieinhalb Jahren Ausschussarbeit noch viele Fragen. Erste Stimmen fordern einen weiteren Untersuchungsausschuss, der auch den Tod der Thüringerin näher beleuchten soll: Dieses Mal sei es „aufgrund zeitlicher Rahmenbedingungen“ und auch wegen teils fehlender Akten nicht möglich gewesen, „die Verstrickungen von Neonazis, welche dem Thüringer Heimatschutz angehörten oder Teil des NSU-Unterstützernetzwerkes waren und mittlerweile in Baden-Württemberg leben, zu erörtern“, beklagt das Gremium im am Donnerstag vorgelegten Abschlussbericht. Erwiesen ist, dass das Terrortrio enge Verbindungen in den Großraum Ludwigsburg-Heilbronn hatte.

Auch bleiben angebliche zivile oder verdeckte Einsätze Michèle Kiesewetters in Baden-Württemberg im Dunklen. Ihr Onkel – ebenfalls Polizist – hatte von Ermittlungen seiner Nichte „in Bars und Diskotheken sowie verdeckte Tätigkeiten bei Aufmärschen der rechten Szene“ berichtet. Einmal soll sie dafür sogar in ein Löwenkostüm geschlüpft sein.

Zu den größten Merkwürdigkeiten gehört aber wohl, dass ein Polizeikollege des Onkels keine zehn Tage nach dem Mord bei einer Tasse Kaffee die richtige Vermutung aufstellte, es könne eine Verbindung zwischen den bundesweiten „Türkenmorden“ und dem Fall Kiesewetter geben. Der Polizist sagte das Anfang Mai 2007 – viereinhalb Jahre, bevor der NSU aufflog.

Viele Ungereimtheiten

Angesichts dieser und weiterer Ungereimtheiten sowie der schonungslosen Analyse des Thüringer Behördenversagens durch den dortigen Ausschuss steigt der Druck auf Baden-Württemberg: „Thüringen war das der Bundesrepublik Deutschland schuldig“, sagte die NSU-Ombudsfrau der Bundesregierung, Barbara John. „Aber andere Bundesländer sind es Deutschland auch noch schuldig“, sagt sie und meint damit ausdrücklich den Kiesewetter-Mord.

Viele Grüne fordern nun Aufarbeitung: Bundesparteichef Cem Özdemir erklärte per Twitter: „Wir brauchen neuen U'ausschuss auch im Bundestag!“. Der baden-württembergische Abgeordnete Ulrich Sckerl stellte in der Rhein-Neckar-Zeitung klar: „Es ist bekannt, dass wir Grüne immer einen NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart wollten.“

Lediglich Willi Halder, am Freitag Zuhörer bei der NSU-Aussprache im Erfurter Landtag, lobte als Chef der Stuttgarter Enquete erwartbar deren „konstruktiven Start“: „Wir arbeiten sehr intensiv mit dem Verfassungsschutz zusammen“, sagte er.

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Auch wenn sich die Stimmen mehren, die einen U-Ausschuss zu den NSU-Aktivitäten im Südwesten fordern: Die SPD-Fraktion pocht auf eine Aufarbeitung in Berlin. Eine Fortführung der Arbeit im Bundestag "unter Bündelung aller Unterlagen halte ich für viel sinnvoller, als einen Ausschuss in Baden-Württemberg", sagte deren rechtspolitischer Sprecher Sascha Binder der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Wochenendausgabe). "Abgeordnete sind keine Ermittler", sagte er. Man solle keine falschen Hoffnungen in einen Untersuchungsausschuss setzen. Binder bekräftigte die Parteilinie, nach der die Aufarbeitung in der Enquete-Kommission nach bisherigem Kenntnisstand der bessere Weg sei.

 

dpa | 22.08.2014

 

http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/Suedwest-SPD-NSU-Morde...