Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AFD) versuchte in den vergangenen Monaten, sich in der Region Koblenz zu etablieren und wird hier zur Kommunalwahl antreten. Während die AFD bundesweit genau unter die Lupe genommen wird und für Diskussionen sorgt, ist dies in Koblenz bisher nicht so: Die regionale Rhein-Zeitung fällt bisher auf durch eine Berichterstattung ohne kritische Fragen. In ihrer Ausgabe vom 19. April wird der Koblenzer AFD-Funktionär Joachim Paul in der Koblenzer Seilbahn interviewt. Paul ist Kreisvorsitzender der AFD Koblenz und Schriftführer im Landesvorstand, er unterrichtet als Lehrer an der Ludwig-Erhard-Schule in Neuwied.
Was Joachim Paul weder im Interview mit der Rhein-Zeitung noch in seiner Selbstdarstellung auf der Website der AFD verrät:
Er ist gleichzeitig in einer Burschenschaft aktiv, die zum ultra-rechten Flügel der Burschenschaft-Landschaft gehört und immer wieder für Skandale mit offen rassistischen und/oder nationalsozialistischen Bezügen sorgt:
der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn. In einem burschenschaftlichen Rundbrief ist Paul gesprächiger: Dort gibt er an, während seines Studiums Mitglied der Burschenschaft Westmark gewesen zu sein, 2007 dann aber zu der Burschenschaft der Raczecks gewechselt zu haben. Grund für den Wechsel waren laut Paul vor allem unterschiedliche Ansichten über die Zukunft der Burschenschaften und seiner Liebe zur burschenschaftlichen Tradition.
Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn
Im ultra-rechten Flügel der Burschenschaften spielen die Raczeks schon lange mit.
- So sind sie Gründungsmitglied der Burschenschaftlichen Gemeinschaft, ein Zusammenschluss der ganz rechts-außen Liga innerhalb der Burschenschaften. Sogar der Verfassungsschutz, sonst auf dem rechten Auge blind, hat einige von ihnen im Visier.
- Einer der bekanntesten Burschenschafter mit Neonazi-Vergangenheit ist Mitglied der Raczeks: Norbert Weidner. In den 1990er Jahren war in einigen verbotenen neonazistischen Organisationen aktiv, heute ist er Vorstandsmitglied der Raczeks. Weidner wurde erst 2014 vom Oberlandesgericht Köln verurteilt, da er den Widerstandskämpfer und im Konzentrationslager ermordete Pastor Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ betitelte und dessen Ermordung als „juristisch korrekt“ verteidigte.
- Ein weiteres Mal Aufmerksamkeit erhielten die Raczeks durch die Affäre um den von ihnen geforderten „Ariernachweis“. Für die Raczeks sind „Personen mit mehrheitlich außereuropäischen Vorfahren unter Hinweis auf die Abstammungsgemeinschaft eines Volkes dementsprechend keine Angehörigen des deutschen Volkes.” Hier mischte auch Joachim Paul mit: Als der Antrag trotz großem Presseecho angenommen wurde, war er es, der im Hintergrund versuchte mit einem Strategieprogramm den Dachverband wieder zu stabilisieren und auf Raczek-Linie zu bekommen.
- Einem jüngeren Mitglied der Raczeks wird gerade in Koblenz der Prozess gemacht: als Angeklagtem im Prozess gegen die kriminelle Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“. Nachdem Medien überregional berichteten, distanzierten sich die Raczeks. Das Pikante: Der damalige Verbindungsbruder vom Lehrer Joachim Paul war zu diesem Zeitpunkt noch Schüler.
Neben diesen Verstrickungen der AFD zu rassistischen und nationalistischen Organisationen ist es ebenso wichtig, sie auf der inhaltlichen Ebene als rassistische und rechtspopulistische Partei zu begreifen. Dann sind auch Personen wie Joachim Paul keine Überraschung mehr. Weitere „Überraschungen“ aus der Region sind bekannt.
Joachim Paul ist kein Einzelfall:
weitere Mitglieder aus ultra-rechten Burschenschaften haben wichtige Funktionen in der AFD übernommen, Bericht der ZEIT:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-03/afd-burschenschaften-lucke/komplettansicht
Artikel zu den Raczeks und deren Verbindungen zum Aktionsbüro Mittelrhein:
Einschätzung der Mobilen Beratung Köln zu den Raczeks:
http://www.mbr-koeln.de/vor-ort/bonn/
Hintergrundartikel aus der antifaschistischen Zeitschrift LOTTA über die Burschenschaft der Raczeks zu Bonn:
Eine kleine Korrektur
Der Antrag erschien zwar in den Tagungsunterlagen zum Burschentag der DB 2013, wurde aber nicht angenommen, sondern während des Burschentags zurückgezogen, und damit auch nicht abgestimmt. Presse damals u.a.
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/burschentag-deutsche-burschenschaft-zieht-ariernachweis-antraege-zurueck-a-901742.html
Artikel aus der Rhein-Zeitung vom 03.05.2014
AfD-Kandidat ist in umstrittener Burschenschaft
Partei Gruppe forderte „Ariernachweis“ – Joachim Paul: Ich bin ein Patriot, aber kein Rassist
Von unserer Redakteurin Stephanie Mersmann
M Koblenz. Immer wieder wird der Alternative für Deutschland (AfD) vorgeworfen, rechtspopulistisch zu sein, immer wieder distanziert sich die Partei davon. Kürzlich nun hat „Zeit Online“ einen Bericht über „Die rechten Burschen bei der AfD“ veröffentlicht, der sich damit beschäftigt, wie die Partei mit ultrakonservativen Burschenschaften verquickt ist. Und darin fällt ein Name: Joachim Paul.
Paul, Lehrer in Neuwied, ist Landesschriftführer der Partei und stellvertretender Vorsitzender der AfD Koblenz. Auf dem Listenplatz vier tritt er bei der Stadtratswahl am 25. Mai an. Und: Paul ist Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn – eine umstrittene Vereinigung, die in Berichten vor allem von „Spiegel Online“ und von linken Gruppen wie der Antifa Koblenz dem rechten Flügel zugerechnet wird. „Zeit Online“ schreibt von einer „rechtskonservativen, nationalistischen Burschenschaft“. Ist man also automatisch ein Rechter, wenn man hier Mitglied ist?
„Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, ich bin lediglich Mitglied in einer legalen Organisation“, sagt Paul im Gespräch mit der RZ. Für ihn haben linksliberale Medien ein Interesse daran, Vorgänge rund um die Burschenschaftsszene einseitig darzustellen und diese in die rechte Ecke zu stellen. Tatsächlich seien die Raczeks gegen Rassismus. „Wir sind lediglich eine patriotische Vereinigung, und das ist unser gutes Recht“, so Paul.
Die Webseite der Burschenschaft gibt Einblicke in eine zutiefst traditionelle Welt, in der Fechtkämpfe ausgetragen werden, vom „Verlust unserer ostdeutschen Heimat“ die Rede ist und der Leitspruch „Gott, Ehre, Freiheit, Vaterland“ über allem steht. Gebietsansprüche an die früheren deutschen Provinzen im Osten würde man aber nicht stellen, betont Paul, „wir erinnern nur an die schlesische Heimat“, aus der die Burschenschaft stammt.
Mitglied bei den Raczeks werden kann „jeder männliche, deutsche Student, der sich zu unseren Grundsätzen bekennt“. Und die Anforderungen an die Abstammung der Burschenschafter ist Ursprung des wohl größten Skandals rund um die Raczeks. 2011 forderten diese beim Burschentag der Deutschen Burschenschaft einen „Ariernachweis“ – für Medien und Experten völkische, rassistische Auswüchse, für Joachim Paul ein Missverständnis.
Fakt ist: Die Raczeks hatten den Ausschluss einer anderen Verbindung beantragt, weil diese einen Studenten aufgenommen hatte, der zwar in Deutschland geboren ist, jedoch chinesische Eltern hat. In ihrer Begründung schrieben die Raczeks, es sei „besonders in Zeiten fortschreitender Überfremdung nicht hinnehmbar, dass Menschen, welche nicht vom deutschen Stamm sind, in die Deutsche Burschenschaft aufgenommen werden“.
Ein Sturm der Empörung brach über die Raczeks herein, die den Antrag schließlich zurückzogen. „Ich selbst habe erst aus den Medien von dem Antrag erfahren“, sagt Paul. Er und andere hätten sich davon distanziert, ausländische Mitglieder seien außerdem nicht per se ausgeschlossen, ihre Aufnahme würde bei einer Einzelfallprüfung entschieden. Die aktiven Burschenschafter hätten hinter dem Antrag gestanden, nicht die Alten Herren, die nicht mehr selbst studieren und zu denen auch Paul gehört.
Die Positionen innerhalb der Burschenschaft seien ohnehin sehr unterschiedlich. 140 Mitglieder haben die Raczeks, „und bei uns sind fast alle Parteien vertreten“, sagt Paul. Die Raczeks heute seien auch „enorm zerstritten“, und es sei immer schwieriger, einen gemeinsamen Nenner zu finden. „Problematisch für die Zukunft ist, dass die Jugendlichen, die heute zu uns kommen, oft unfertig sind und sich schneller produzieren wollen.“ Einzelne Mitglieder sorgten zudem immer wieder für Kopfschütteln: Ein Vorstandsmitglied etwa bezeichnete den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ und wurde 2013 verurteilt. Ein mittlerweile ausgeschlossenes Mitglied steht mit dem rechtsradikalen Aktionsbüro Mittelrhein in Koblenz vor Gericht.
Joachim Paul hält trotzdem an den Raczeks fest. Seine Parteikollegen von der AfD Koblenz hätten kein Problem damit, „und letztlich ist es meine Privatangelegenheit“.