Hat V-Mann des LKA zu Straftaten aufgerufen?

Erstveröffentlicht: 
26.01.2014

 Es gibt Dinge, über die Sicherheitsbehörden nicht gerne sprechen: Zum Beispiel über geheime Operationen sogenannter V-Leute. Im Behördenjargon steht das Kürzel "V-Leute" für "Vertrauenspersonen". Sie sollen den Behörden Informationen verschaffen über Milieus, die im Verdacht stehen, schwere Straftaten zu begehen. Bei denjenigen, auf die solche Informationsbeschaffer angesetzt sind, steht das "V" für etwas anderes: "Verräter".

 

Denn bei V-Leuten handelt es sich nicht um professionelle Ermittler oder Beamte. V-Leute sind selber Teil des Milieus, über das sie den Behörden berichten - und meist bekommen sie dafür Geld. Einen solchen "Verräter" hat auch eine Gruppe radikaler Tierschützer aus Braunschweig in ihren Reihen ausgemacht. Und dieser hat möglicherweise die Grenzen des Erlaubten weit überschritten.

 

Das Ziel der Aktivisten: blockieren und stören

Bei den Braunschweigern handelt es sich um junge Leute im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, die sich den Kampf gegen industrielle Schlacht- und Mastanlagen der Fleischindustrie auf die Fahnen geschrieben haben. "Was an Gewalt in diesen Schlachtfabriken abläuft, das ist in meinen Augen ein Verbrechen. Und ich will, dass das aufhört", erklärt Aktivist Simon Engelmann. Und dabei ist die Gruppe in der Wahl der Methoden nicht gerade zimperlich: Neben Öffentlichkeitsarbeit und dem Verteilen von Flugblättern attackieren die Mitglieder ihre erklärten Gegner, die Großbetriebe, auch direkt; zum Beispiel durch gezielte Blockade-Aktionen vor den Werkstoren, wenn sich Aktivisten in einem Überraschungscoup an die Lkw ketten, um den Betriebsablauf zu stören.

"Gescheiterte" Aktion in Wietze

   

  Eine solche Aktion ist auch am 18. Juli 2013 bei einer Schlachtfabrik in Wietze geplant. Doch der Coup misslingt. Als die Aktivisten eintreffen, ist die Polizei längst mit einem Großaufgebot vor Ort. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Dabei sind die jungen Leute bei ihren Planungen hoch konspirativ: E-Mails sind verschlüsselt, Handys als Kommunikationsmittel im Vorfeld solcher Aktionen tabu. Der Verdacht fällt auf einen Mann, der sich seit gut einem Jahr in ihrem Umfeld engagiert: Ralf G. Der Mittvierziger ist bei vielen Aktionen dabei, nimmt an geheimen Treffen teil und macht sich vor allem durch eines zu einem wichtigen Faktor der Organisationsstruktur: Immer wieder stellt er sein Auto für gemeinsame Aktionen zur Verfügung. "Als Unterstützung war er für uns sehr wertvoll", sagen die Braunschweiger übereinstimmend in eidesstattlichen Versicherungen, die dem NDR vorliegen.

Ralf G. wird getestet - und besteht nicht

 

Am 12. Juli 2013 konnten die Aktivisten nach eigenen Angaben kurzfristig eine Schlachtfabrik in Holte blockieren, obwohl Ralf G. an den Vorbereitungen beteiligt war. Dennoch ist das Misstrauen der Gruppe schon seit längerer Zeit geweckt. G. hat die Angewohnheit, bei Gruppentreffen sehr viel mitzuschreiben, immer wieder fragt er nach Namen. An Theoriediskussion zeigt er dagegen nur wenig Interesse, immer wieder taucht er kurzfristig ab und ist tagelang nicht erreichbar.

 

Im November 2013 ergreifen die Tierrechtler die Initiative: Sie weihen ihn in eine angeblich geplante Blockade-Aktion ein und verpflichten ihn zu strikter Verschwiegenheit. Was Ralf G. nicht weiß: Der Blockadeplan ist frei erfunden und eine Falle, in die der Mann prompt hineintappt. Mitglieder der Gruppe bekommen mit, wie G. die Information weitergibt, und stellen ihn zur Rede. G. leugnet und zeigt den Tierschützern nach deren Angaben zum Beweis seiner Unschuld seinen E-Mail-Verkehr. Deutlich wird darin, dass er auf elektronischem Wege sehr wohl über Interna der Gruppe "geplaudert" hat.

 

Der "Verräter" fliegt auf

 Vor allem eine Botschaft bestätigt die Braunschweiger in ihrem Verdacht: Es ist eine Nachricht, in der Ralf G. um zusätzliche Finanzmittel bittet, damit das Auto, das "Zeckomobil", wie er es nennt, instand gesetzt werden kann - jenes Auto, das Ralf G. so oft und so gerne zur Verfügung gestellt hatte. Die Adressaten der Mails sind den Tierschützern nicht bekannt. G. versucht, die Gruppe davon zu überzeugen, dass ihr Verdacht unbegründet ist. Er fährt mit ihnen zu Adressen, an denen die angeblichen Empfänger der Mails aus seinem Computer leben. Als sie an der Tür klingeln, wird nicht geöffnet. Von Nachbarn der angeblichen Adresse erfahren sie am nächsten Tag:"Da lebt seit Jahren niemand mehr."

 

Dann bricht der Kontakt zur Ralf G. ab. Er ist für die Gruppe aus Braunschweig unerreichbar. Für sie ist klar: Er ist ein "Verräter". Eine schlimme Erfahrung, sagt die 24 Jahre alte Studentin Leonie Krügener, die Mitglied der Gruppe ist: "Das ist eine totale Enttäuschung."

Hat V-Mann Grenzen überschritten?

 

Nach gemeinsamen Recherchen des NDR Fernsehmagazins Hallo Niedersachsen und von NDR Info hatten die Tierrechtler tatsächlich mit einem V-Mann des Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen zu tun. G. war eingesetzt zur Aufklärung und Verhinderung von Verbrechen. Dabei geht es vor allem um Fälle schwerer Brandstiftung, denn mehrfach sind in Niedersachsen Betriebe der Fleischindustrie in Flammen aufgegangen, zum Beispiel in Sprötze in Buchholz in der Nordheide, wo am 30. Juli 2010 ein leer stehender Maststall bis auf die Grundmauern niederbrannte. Der Schaden: Rund 500.000 Euro.

Für den Einsatz eines V-Mannes gab es also offenbar gute Gründe. Die Frage aber ist, ob Ralf G. sich bei seinen Aktivitäten an die Grenzen gehalten hat, die für solch einen Einsatz gelten, oder ob er nicht möglichweise deutlich darüber hinausgegangen ist. Denn V-Leute dürfen keine Straftaten begehen, sie dürfen auch nicht dazu auffordern. G. jedoch beschränkte sich offenbar nicht auf das reine Beobachten: Unter einem Pseudonym hinterließ er in einem sozialen Netzwerk den Satz: "Advent, Advent ein Maststall brennt. Wer macht weiter?"

 

Aktivist: G. gab konkrete Tipps

Auch im direkten Kontakt mit seinen Beobachtungsobjekten war der Mann offenbar nicht nur passiv. So gab er einem Mitglied der Tierschützer-Gruppe den Tipp, wie man ganz einfach einen Lastwagen lahmlegen könne: "Er hat auf verschiedene Kabel gezeigt und hat gesagt: 'Wenn man die durchschneidet, dann stoppt der Lkw, und wenn man die anderen durchschneidet, dann ist der Lkw längerfristig erst einmal lahmgelegt'", berichtet der 25 Jahre alte André Mulzer von einer gemeinsamen Autofahrt mit G. am 28. Oktober 2013. Anderen Mitgliedern der Szene gab G. Hinweise, wie man Baustellen von Tiermastanlagen unter Wasser setzt, um den Baufortschritt zu behindern, oder er erklärte, wie man im Rohbaustadium Pfeiler versetzt, um Schäden zu verursachen.

 

Vorschläge gingen Aktivisten zu weit

Bei den jungen Leuten aus Braunschweig trafen solche Appelle nach eigenen Aussagen auf taube Ohren. Einige aus der Gruppe haben zwar durchaus schon mit den Strafverfolgungsbehörden Kontakt gehabt - wegen Blockaden, Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruchs. Nicht umsonst versteht man sich bewusst als "radikaler Tierbefreier", wie Karl-Caspar Linde formuliert: "Ich würde durchaus unterschreiben, dass wir versuchen, an die Wurzel des Problems zu gehen, also an die Wurzel von solchen Fabriken zu gehen." Bis zum Vorwurf der Brandstiftung ist es von solch einem Standpunkt aus gesehen jedoch noch ein weiter Weg.

LKA gibt keine Details bekannt: Laufende Ermittlungen

 

Das LKA wollte die Recherchen von Hallo Niedersachsen und NDR Info auf Nachfrage zunächst weder bestätigen noch dementieren. In der Stellungnahme der Ermittlungsbehörde hieß es: "Das Landeskriminalamt ermittelt zur Zeit gegen eine Mehrzahl von Straftätern, die im Verdacht stehen, mehrere schwere Brandstiftungen zum Nachteil von Großmastanlagen begangen zu haben. Ein Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig eingeleitet und wird im LKA Niedersachsen geführt. Um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, können keine weiteren Angaben gemacht werden." Ralf G. selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

 

Reaktion des LKA auf Berichterstattung des NDR

Nach der Berichterstattung des NDR reagierte das Landeskriminalamt Niedersachsen am Sonntagabend schließlich doch noch. Man werde es nicht billigen, dass V-Leute zu Straftaten auffordern, teilte der Sprecher des LKA, Frank Federau mit. Man werde deshalb die im in NDR geschilderten Vorgänge staatsanwaltschaftlich überprüfen lassen. Ausdrücklich weist das LKA darauf hin, dass sich die Ermittlungen der Behörde nicht gegen Tierschutzinitiativen richteten, sondern dass im konkreten Fall "schwere Brandstiftungen mit Schäden von mehreren hunderttausend Euro aufgeklärt und zukünftig verhindert werden sollen".

Wie funktioniert das V-Leute-System?

V-Leute sind für die Sicherheitsbehörden ein wichtiges Mittel, um an Informationen zu gelangen, die auf anderem Wege nicht zu erhalten sind. Sie werden sowohl vom Verfassungsschutz als auch von der Polizei eingesetzt. Der Verfassungsschutz nutzt V- Leute, um Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu bekommen; die Polizei darf sie einsetzen, wenn es darum geht, schwere Straftaten zu verhindern oder zu ermitteln.

Es handelt sich bei V-Leuten nicht um Beamte, sondern um Angehörige der jeweiligen Szene. Für ihre Tätigkeit erhalten sie in der Regel Geld. Ihr Einsatz ist grundsätzlich rechtlich abgesichert. Bei der Polizei sind die Einzelheiten des Einsatzes in einem Erlass geregelt, der allerdings nicht öffentlich zugänglich ist, sondern geheim gehalten wird. Das Kürzel "V" steht für "Vertrauensperson".

V-Leute der Polizei sollen Informationen liefern, dürfen aber weder selbst Straftaten begehen noch andere dazu auffordern. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung müssen sie bei Beginn ihrer Tätigkeit unterschreiben. Ob sie sich daran halten, wird regelmäßig überprüft. Das gilt auch für den Wahrheitsgehalt der von ihnen gelieferten Informationen.

Angeleitet und betreut werden V-Leute von sogenannten V- Führern. Das sind Beamte, die speziell für solche Anwendungsfälle ausgebildet sind. Die Arbeit mit V-Leuten unterliegt strikter Geheimhaltung, denn ein Bekanntwerden ihrer Tätigkeit bedeutet ein hohes Risiko für die Informanten. Über die Identität eines V-Manns ist deshalb auch bei der zuständigen Behörde nur ein sehr enger Kreis von Beamten informiert. Wenn die Polizei V-Leute einsetzt, wird regelmäßig auch die zuständige Staatsanwaltschaft von der Operation in Kenntnis gesetzt, den Namen des Informanten erfährt sie allerdings nicht.

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