Bis zu 1.500 Menschen solidarisierten sich heute in Rostock mit den bundesweiten Flüchtlingsprotesten. Auch viele Flüchtlinge aus dem Bundesland nahmen an der Demo gegen Rassismus und die deutsche Asylpolitik teil. Ob dies eine verstärkte antirassistische Praxis in Mecklenburg-Vorpommern nach sich zieht, bleibt jedoch abzuwarten.
Antirassismus groß schreiben
Langsam bewegt sich der Zug durch die Rostocker Innenstadt. Lässt Autos, Straßenbahnen, Passanten innehalten. Doch Widerworte oder Kopfschütteln angesichts dieser linken Demonstration sind heute selten. Es geht gegen die deutsche und europäische Asylpolitik und für die Unterstützung der bundesweiten Flüchtlingsproteste, ein Thema, gegen das zu Schimpfen momentan zu sehr die herrschende Herzlosigkeit offenbaren würde. Also schweigen viele, als die Menge vorüberzieht. Was dauert: 1.500 Menschen werden mehrere Beobachter später zählen, die Polizei spricht von 1.000. Jedenfalls mehr als die 500, die vorher aus Fehleinschätzung, propagandistischem Understatement oder vielleicht auch zur Verwirrung der Ordnungsbehörden angekündigt wurden.
Viel zu ordnen haben die nicht. Die wenigen PolizistInnen halten sich sichtlich zurück, lassen entspannt die zahlreichen Menschen und ihre Transparente an sich vorbeiziehen: "Solidarität mit Flüchtlingen" heißt es auf dem einen, "Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt" auf dem anderen. Die nächsten tragen ein Zitat Brechts oder Konterfeis anderer Ikonen linker Bewegungsgeschichte, etwa Rosa Luxemburg. Ganz vorne werden sie und die diversen üblichen Fähnchen und Parolen jedoch deutlich überragt von den Logos der Veranstalter. "DEFIANT STOP IT AFA HRO" ist da zu lesen. Auf dass sie niemand mit DKP, MLPD oder SAV verwechselt.
Forderungen, die über Leben und Tod entscheiden können
Von hier, der Spitze der Demonstration, hallt es auch an diesem Sonnabend altbekannte Appelle wie "No border, no nation, stop deportation". Doch was für die einen mit jenen vertrauten dunklen Mützen und Sonnenbrillen routinierte Rhetorik ist, kann für die anderen Entscheidung über Leben und Tod sein. Viele Flüchtlinge finden sich schon hier in den ersten Reihen wieder, viele haben sich weiter hinten eingeordnet oder begleiten die Demonstration am Rand. Manche sind aus Hamburg gekommen, wo sie seit Monaten gegen die repressive deutsche Asylpolitik ankämpfen. Für einige andere aus einem der vielen Heime in Mecklenburg-Vorpommern ist es die erste Erfahrung politischen Engagements in Deutschland. Sie sind zusammen mit linken AktivistInnen aus dem Bundesland angereist, können sich kennenlernen, austauschen, vernetzen.
Für die Flüchtlinge und die vielen Anwesenden aus der Zivilgesellschaft mag die Demo Erfahrung und damit mehr als ein Eintrag im Bewegungskalender der linken Szene sein: Da spielen Kinder am Rande mit einem Megaphon, andere beobachten ihre den Reden lauschenden Eltern, junge Männer fotografieren sich vor der Kulisse der Transparente und Arm in Arm mit linken AktivistInnen. Die dürften zufrieden sein mit ihrer Veranstaltung: Die Moderatoren sind im Angesicht der vielen TeilnehmerInnen offensichtlich euphorisiert, die Reden engagiert, man darf TV-Interviews geben und das Bedürfnis nach autonomen Ritualen - hier ein Spruch gegen die Polizei, dort eine Aufforderung an vermeintliche Gegner, sich der Menge zu stellen - wird befriedigt. Im Taumel des Erlebens und des Zusammentreffens allerdings, bei diesem geselligen Nachmittagsspaziergang und seinen vielen kleinen Unterhaltungen über Politik, das letzte Konzert oder den neuesten Szene-Klatsch, geht der Anlass bisweilen unter. Auf Auseinandersetzungen mit der Rolle Rostocks und seines Hafens und seiner Bundespolizei in der Abschiebemaschinerie der Republik etwa wartet man vergebens, das Passieren von Polizeirevier und Ausländerbehörde ist nur Anlass für Floskeln. Von den Reden, kommentiert jemand trocken, sind doch hier sowieso nicht mehr als ein paar bekannte Textbausteine zu erwarten.
Perspektive antirassistischer Politik in MV?
Es macht den Eindruck, als ob die linken AktivistInnen und die Flüchtlinge hier in Rostock bei ihrer immerhin gemeinsamen Aktion nicht so recht zusammenfinden. Toll, dass ihr da seid, um mit uns zu demonstrieren, heißt es etwa seitens der deutschen Moderation in Richtung der MigrantInnen. Die Zahl der Reden von Flüchtlingen bleibt überschaubar; und nachdem ein Mitglied der Refugee-Proteste über Kolonialismus, Asylpolitik und Widerstand spricht, zieht es die Moderation vor, sich danach in Tiraden über die Polizei zu ergehen. Die Lebenswelten der Teilnehmenden unterscheiden sich deutlich, Empathie und Erfahrung gemeinsamer antirassistischer Politik scheinen in Mecklenburg-Vorpommern in Teilen der Linken nicht ausgeprägt. Für die einen gehts im Anschluss an die Demonstration zum Flüchtlingsvernetzungstreffen, für die anderen zur "alternativen Erstsemesterparty".
Ob es gelingt, die Eindrücke und Einsichten dieser seit langem größten Demonstration zum Thema in eine anhaltende antirassistische Politik im Bundesland zu überführen? Die Veranstalter wollten ihre Aktion im Vorfeld nur als "Signal" verstanden wissen. Über aktionistische Symbolpolitik eines Sonnabendnachmittags hinaus gibt es in den Flüchtlingsheimen Mecklenburg-Vorpommerns allerdings viele Zustände und Schicksale zu skandalisieren, in der Routine der Landespolitik und ihrer Behörden so einiges an Unmenschlichkeit zu entdecken und in Bevölkerung und Medien Abgründe von Rassimus zu konfrontieren. Die fortdauernde Auseinandersetzung damit weiß die regionale linke Szene hoffentlich genauso groß zu schreiben wie ihre Gruppennamen.
Mehr Infos, Berichte und Bilder
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Fotos von...
der Refugees Welcome Demo hier:
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