Um gemeinsam für die Zukunft zu lernen, haben wir beschlossen unsere Überlegungen und Einschätzungen zu den Geschehnissen rund um den 30.08.13 zu veröffentlichen. Wir wollen das Erlebte aufarbeiten und Kritik üben.
Mobilisierung
Am 24.08. wurde der Termin der NPD-Kundgebung im Internet bekannt.
Kurz darauf veröffentlichte die Antifa Reutlingen Tübingen (ART) einen
Text mit dem Aufruf, das „Flaggschiff zu entern“. ART und Zelle begannen
nun mit der Mobilisierung, so wurden hunderte Flyer gedruckt und
Transparente in der Stadt aufgehangen.
Auch aus dem gewerkschaftlich-bürgerlichen Spektrum begann daraufhin die
Mobilisierung, was uns sehr gefreut hat. Allerdings finden wir es
schade, dass eine Zusammenarbeit mit linksradikalen Gruppen zumindest
seitens der Gewerkschaften und Parteien nicht wirklich statt gefunden
hat.
Obwohl die NPD ihren Termin kurzfristig vorverlegte, konnten 400-500 Menschen mobilisiert werden, was wir als Erfolg werten.
Anfahrt
Bereits bei der Anfahrt des NPD-Lasters über die Karlstraße um 9:15
Uhr versuchten einige Antifaschist*innen den NPD-Laster zu blockieren,
was jedoch unter Schlagstockeinsatz durch die BFE (Beweissicherungs- und
Festnahmeeinheit) der Polizei verhindert wurde.
Dem EA (Ermittlungsausschuss) wurde vereinzelt auch der Einsatz von
Pfefferspray/CS-Gas gemeldet. Diese Info konnte aber nicht überprüft
werden.
Gegenkundgebung
Die Gegenkundgebung wurde von der Partei „Die Linke“ angemeldet und
organisiert. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle nochmal bedanken.
Jedoch klangen die Reden der Parteien für uns oft mehr nach Wahlkampf als nach antifaschistischer Kritik.
Auch das Verhalten Barbara Boschs finden wir teilweise kritikwürdig.
Natürlich freut es uns, dass die Oberbürgermeisterin sich an der
Gegenkundgebung beteiligte und somit den Menschen vermittelt, dass es
durchaus legitim und wichtig ist, gegen Nazis auf die Straße zu gehen.
Was wir hingegen als heuchlerisch empfinden ist, dass Frau Bosch nur für
die Zeit ihrer Rede und Interviews anwesend war. Hier kommen bei uns
Zweifel auf, ob sie wirklich hinter all dem steht, oder ob es ihr nur
wichtig war, gute Presse zu bekommen.
Einige technische und logistische Probleme waren leider auch vorhanden.
So war die Anlage der Gegenkundgebung viel zu leise und obwohl die Worte
der NPD in Richtung der Gegendemonstrant*innen auf Grund des Lärms fast
gar nicht zu verstehen waren, waren sie in Richtung Karlstraße sehr
deutlich zu hören.
Abreise
Gegen 10:30 Uhr folgte die Abreiße der NPD. Da die Ausfahrt Richtung
Karlstraße von Antifaschist*innen blockiert war, wurde versucht sie
über die Bahnhofsstraße zu leiten.
Um dies zu ermöglichen, wurden die Polizist*innen gegenüber den
Blockierer*innen, welche sich an dieser Ausfahrt eingefunden hatten,
stellenweise sehr gewalttätig. So wurden mehrere Menschen mit der Faust
ins Gesicht geschlagen, getreten und zu Boden geworfen.
Als ob das noch nicht genug wäre, wurde die Polizei zu Beginn der
Abfahrt noch durch die Schläger der NPD unterstützt, welche mit
Regenschirmen auf Blockierer*innen einschlugen. Die Polizist*innen
schien das jedoch nicht weiter zu stören.
Trotzdem gelang es den überwiegend jungen Gegendemonstrant*innen, welche
mittlerweile durch die aus der Karlstraße unterstützt wurden, die
Abfahrt des LKW durch mehrere Sitzblockaden bis ca. 12:00 Uhr zu
verzögern und ihn mit Eiern einzudecken . Auch bei den Auflösungen der
Sitzblockaden ging die Polizei äußerst brutal vor: Sie kniete Menschen
auf den Kopf, drückte mit den Fingern in die Augen und wendete sonstige
Schmerzgriffe an. Obwohl wir dieses Verhalten schon gewohnt sind,
verurteilen wir es aufs schärfste.
An dieser Stelle vielen Dank an alle Antifaschist*innen, die versucht haben, die Nazis mit uns zu blockieren.
Presse
Die Presse berichtete durchweg erfreut über die Ereignisse.
Allerdings wirken die Berichte so, als hätten Gewerkschaften und
Parteien die komplette Organisation gestemmt und Zelle und
Antifa-Gruppen wären nur für die Blockaden zuständig gewesen. Hier wird
außer Acht gelassen, dass der Termin der NPD-Wahlkampfveranstaltung erst
durch linksradikale Strukturen an die Öffentlichkeit kam und diese die
komplette Vorarbeit leisteten.
Des weiteren wird beispielsweise im GEA berichtet, dass die Polizei eine
Eskalation verhinderte. Wir denken jedoch, dass sie durch ihr
gewalttätiges Auftreten eher dazu beigetragen hat.
NPD…
Auch die Berichte über die NPD als lächerlich kleiner Haufen, dem
keine*r zuhört, schätzen wir als kritisch ein. Es wird so getan, als
würde von ihr überhaupt keine Gefahr ausgehen und als gäbe es generell
fast keine Nazis.
Aber auch wenn die Mitgliederzahlen vielleicht nicht so hoch sind und
die Wahlergebnisse nicht besonders stark, so ist die NPD doch für jede*n
ein Begriff und somit eine Anlaufstelle für rechtsgerichtete Menschen,
wo sie organisierte Strukturen und finanzielle Hilfe für politische
Arbeit finden.
Des weiteren besteht die rechte Szene eben nicht nur aus der NPD,
sondern aus vielen weiteren Gruppierungen und Einzelpersonen und das
leider auch in Reutlingen und Umgebung.
…und gesellschaftlicher Rassismus
Wenn Barbara Bosch dann noch behauptet, dass die politischen Inhalte
der NPD nicht nach Reutlingen passen, dann klingt das natürlich toll
und Reutlingen wird als antifaschistische Stadt präsentiert. Allerdings
verschließt sie damit die Augen vor der Realität, denn die politischen
Inhalte der NPD passen leider sehr wohl nach Reutlingen.
So berichtete die ART bereits in ihrem Aufruf aus
Reutlingen-Sondelfingen, wo im Juli 2013 innerhalb kurzer Zeit an die
300 Unterschriften zusammen kamen, um die Umwidmung eines Gebäudes in
einen Gebetsraum zu verhindern. In der Petition war die Rede von
Anfeindungen durch Muslime in einem „traditionell deutsch geprägten
Wohngebiet“.
Dieses Beispiel zeigt, dass Rassismus eben nicht erst bei der NPD
anfängt, sondern tief in der Gesellschaft und auch in Reutlingen
verwurzelt ist.
Und auch anderswo in Deutschland finden sich rassistische und andere
menschenverachtende Tendenzen in der Gesellschaft wieder. So hat erst
kürzlich in Berlin-Hellersdorf ein rassistisch-deutscher Bürgermob gegen
Asylbewerber*innen demonstriert und in Duisburg bedrohen viele Menschen
die dort wohnenden Sinti und Roma durch starke rassistische und
antiziganistische Ressentiments.
Währenddessen werden aus Deutschland immer wieder Menschen abgeschoben,
die Polizei führt Personenkontrollen aufgrund rassistischer Vorurteile
durch und der Staat schaut zu, während der NSU über mehrere Jahre hinweg
Menschen ermordet.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass die Arbeit zwischen Antifa-Gruppen und Gewerkschaften besser funktioniert und die NPD am besten erst gar nicht erscheinen kann. Außerdem darf Kritik nicht bei der NPD stehen bleiben, sondern muss auch gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus benennen und kritisieren.
Mit antifaschistischen Grüßen
Frage
Warum wurde die Anreise der NPD nicht koordiniert behindert (zumal die Route vorhersehbar und übersichtlich war)? Da schien sich niemand Gedanken gemacht zu haben.
Positiv war die hohe Zahl an Teilnehmer_innen und die entschlossene Blockade der Abreise, leider ohne Auswirkung auf die nachfolgenden Auftritte in Cannstatt, Ludwigsburg.
Die OB war bis zum Ende der NPD-Hetze auf der Kundgebung.
auswirkungen der blockade
Durch die Blockade in Reutlingen kamen die Nazis mit über einer Stunde Verspätung in Bad-Cannstatt an. Um wieder im Zeitplan zu sein, mussten sie ihre Kundgebung verkürzen. Außerdem musste Alexander Scholl von der NPD Rems-Murr und ein älterer Herr eine Stunde hinter der Kirche auf ihre Kameraden warten und wurden sichtlich nervös als sie durch Antifaschist_Innen entdeckt wurden. Schließlich suchten die beiden Zuflucht hinter einer Polizeiabsperrung.
Von daher hat das schon gepasst mit der Blockade ;) Danke nach Reutlingen!
antwort
wie koordiniert was war gehört nicht in online kommentarspalten!
nächstes mal beteilige dich am besten selbst an den vorbereitungen, über unterstützung würden sich die lokalen gruppen bestimmt freuen...