50 Jahre und kein bisschen leise

Kämpfe für die Amnestie 1977

Die ETA begeht das Jubiläum mit einer tödlichen Offensive und ist der lebende Ausdruck davon, dass die auch schärfste Repression scheitert, wenn eine Organisation verankert ist und die Ursache eines Konflikts nicht beseitigt werden. Ein kurzer Überblick über die Geschichte. Näheres in Tondar nachlesen.


Seit 50 Jahren gibt es Euskadi Ta Askatasuna (ETA) - Baskenland und Freiheit. Und seit 50 Jahren predigt Spanien das baldige Ende der Untergrundorganisation. Doch viele Verhaftungen haben die ETA bestenfalls geschwächt. Ihre operative Kraft hat sie nun erneut tödlich gezeigt. Wenige Stunden nach einem Anschlag in Burgos, brachte sie am Donnerstag, 1000 Kilometer südlich, in Mallorca zwei Beamten der Guardia Civil um.

 

In Calvià, wo auch der König seinen Urlaub verbringt, klebte sie zwei Haftbomben unter Autos der Zivilgardisten. Eine, durch Zeitzünder scharf gemachte Bombe explodierte, als Carlos Sáenz de Tejada und Diego Salvá Lezaun den Wagen bestiegen und mit der Bewegung die Bombe aktivierten. Mit 28 und 27 Jahren waren die nicht einmal geboren, als zum Ende der Diktatur 1975 eine Chance verpasst wurde, eine Lösung für Spaniens Konflikte mit den Basken zu finden. Mit Lezaun hat die Bombe auch hier im Baskenland  eingeschlagen. Denn der wurde in Pamplona geboren. Iruña heißt die größte Stadt Navarras, die für viele die Hauptstadt von Euskal Herria (Baskenland) ist.

 

Für ein freies, vereintes und sozialistisches Baskenland kämpft die ETA, das sogar in drei Teile über zwei Staaten verteilt ist. Die Guardia Civil ist für sie der Ausdruck der Repression. So war eine ihrer Kaserne schon am Mittwoch Ziel einer Autobombe, wo die Militärs mit Polizeiaufgaben mit ihren Familien abgeschottet wohnen. 1844 als Eliteeinheit gegründet, waren sie 1936 am Putsch gegen die Republik beteiligt und danach eine Stütze der Diktatur. Sie wurde nach 1975 nicht gesäubert und sie waren in den 1980er Jahren tief in den schmutzigen Krieg gegen die baskische Linke verwickelt. Mitglieder, wie General Enrique Rodríguez Galindo, wurden wegen Mord, Folter und Entführung verurteilt.

 

Da sie längst begnadigt wurden und sie weiter jährlich in den Folterberichten von Menschenrechtlern auftauchen, fühlt sich die ETA legitimiert, den Intimfeind weiter anzugreifen. Ihr erster tödlicher Anschlag galt 1968 dem Folterchef der Politisch-Sozialen Brigade Melitón Manzanas (siehe unten). Lange hatten die Studenten, welche die ETA am 31. Juli 1959 gründeten, mit solchen Aktionen gehadert. Die ETA ging aus der Jugendorganisation "Ekin" (Machen) hervor, die sich 1953 von der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) abspaltete, weil die nicht entschiedenen gegen die Diktatur kämpfte. Der ETA-Gründer Luis Alvarez Enparantza (Txillardegi) erinnert sich an eine "traurigen Zeit", weshalb die ETA nach 20 Jahren Diktatur den Basken die Hoffnung zurückgeben wollte, was ihr gelang.

 

Zunächst hängte sie nur verbotene baskische Fahnen (Ikurrina) auf, organisierte Kurse in der verbotenen Sprache und bemalte Hauswände. Zwar geistern immer wieder angebliche Bombenanschläge der ETA im Jahr 1959 durch verschiedene Publikationen, doch zunächst liebäugelt die ETA nur theoretisch mit bewaffneten Aktionen. Die erste militärische Aktion der ETA findet erst 1961, fast genau zwei Jahre nach der Gründung statt. Mit einer Bombe versucht sie, einen Sonderzug faschistischer Bürgerkriegsveteranen zum Entgleisen zu bringen. Die befinden sich auf dem Weg nach Donostia-San Sebastián, um dort am 18. Juli den 25. Jahrestag des Militärputsches des Diktators Franco zu feiern. Im Sommer 1961 brachte sie schließlich einen Zug mit faschistischen Bürgerkriegsveteranen zum Entgleisen. Sie radikalisierte sich mit dem tödlichen Anschlag 1968.

 

Die Befreiungskämpfe in Kuba, Algerien und Vietnam hinterlassen, trotz Abschottung und Zensur durch die Diktatur, ihre Spuren auch in der baskischen Jugend. Das Buch des ETA-Mitglieds Federico Krutwigs „Vasconia“ wird zum Bezugspunkt der ETA. Krutwig schrieb: "Der wesentliche Punkt in meinem Denken ist, dass der Kampf zwischen Euskadi und dem spanischen Staat wie ein Kampf eines kolonisierten Landes gegen einen imperialistischen Staat ist“. Den Basken bleibe nichts anderes übrig als den "revolutionären Krieg“ zu beginnen. Die Thesen von Krutwig werden in einer Schrift von ETA, Aufstand in Euskadi, 1964 offiziell aufgenommen.

 

Zwar entwickelt sich der militante Antifaschismus der ETA zunächst parallel zur erstarkenden Arbeiterbewegung, doch wird er stark von ihr beeinflusst. Denn es ist die baskische Arbeiterbewegung, die in der Diktatur für den gesamten spanischen Staat als Schrittmacher fungiert, damit sich die Arbeiterbewegung wieder zu einem Machtfaktor entwickelt. Es sind die Streiks im Baskenland, die nach dem Generalstreik 1951 in Katalonien erstmals wieder aktiv geführt werden. Deshalb besetzt die Polizei 1961 die Eisenbahnwerkstätten CAF in Beasain. Das provoziert Massenproteste in der Kleinstadt, gegen die Demonstranten geht die Polizei zum Teil mit scharfer Munition vor.


Der Streik richtet sich nicht nur gegen die Betriebsleitung und die Diktatur, sondern auch gegen die zentralistischen Gewerkschaften. Deshalb wählen die Arbeiter ihre eigene Vertreter, um mit der Firmenleitung zu verhandeln. Mit der darauf folgenden Streikbewegung von April bis Juni 1962, die auf ihrem Höhepunkt 250.000 Arbeiter erfasst, beginnt die moderne Arbeiterbewegung im spanischen Staat.


Auch in diesen Streiks bleibt das Verhältnis der Arbeiter zu den spanischen Gewerkschaften oft gespalten. Meist geben unabhängige Arbeiterführer und immer stärker auch ETA-Mitglieder den Ton an. Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und ihre Gewerkschaft, die Arbeiterkommissionen (CCOO), können deshalb die baskische Arbeiterbewegung nicht bestimmen. Denn auch in Teilen der Arbeiterschaft entwickelt sich stärker eine eigene baskische Identität heraus, die durch die zusätzliche Unterdrückung der Kultur und Sprache geprägt ist.

 

Deutlich wird dies zum Beispiel, als im Sommer 1967 die CCOO zu einer spanisch-„nationalen“ Versammlung aufrief. Die Provisorischen Kommissionen (COPG) im Baskenland erklären dazu: „Der Gebrauch des Begriffs „national“ für die Definition des Charakters eines internationalen Organismus - woran wir sehr interessiert sind - ist nicht nur grammatikalisch falsch, sondern steht auch im flagranten Gegensatz zum multinationalen Charakter der iberischen Gesellschaft“.


Die Revolutionen im Trikont (drei Kontinente: Asien, Afrika und Lateinamerika), eine aufstrebende Neue Linke in Europa und den USA und die sich politisierenden Kämpfe der Arbeiter, das alles sind Faktoren, die einen ideologischen Schwenk in der ETA begünstigen, die sich im Laufe der 60er Jahre zu einer linksradikalen Organisation verwandelte.  Noch 1962 hieß es in einer Schrift: „Euzkadi Ta Askatasuna (ETA) ist eine revolutionär baskische Bewegung zur nationalen Befreiung (...) Unser Verhältnis zum Kommunismus (gemeint waren die realsozialistischen Staaten) ist klar. Selbst wenn die Freiheit kommt, kann sich das baskisch sein nicht mit dem kommunistisch sein vereinen. Zumindest nicht in dieser Zeit. ETA verurteilt jedes totalitäre System sei es faschistisch oder kommunistisch.“ Trotzdem wandte sich die ETA schon jetzt gegen den Kapitalismus und bezieht sich statt dessen auf solidarische, demokratische Basisgemeinschaften wie es im Baskenland auf vielen Dörfern üblich war.


Wobei schon hier angemerkt werden muss, dass sich der Nationalismus der ETA sich nicht als rassistisch ausgrenzend gebärdet. Schon in den frühesten Jahren wurde zum Programm, was auch heute noch in der Frage der Einwanderung fortschrittlich ist. In Zutik 11 stellt sich die ETA dem Problem der Migration und erklärt. "Dem Rassismus stehen wir als Antipode entgegen.“ Jeder Mensch habe das Recht überall auf der Welt aufrichtig zu leben. "Für uns haben alle Menschen das gleiche unstreitige Recht, sich auch auf unserem Land nieder zu lassen und von sozialen Gesichtspunkt werden sie gleich, mit allen Rechten und Möglichkeiten behandelt.“


Natürlich könnten sich Einwanderer auch in Feinde verwandeln. Die ETA weist deshalb gleichzeitig auf die Gefahr hin, welche die massive Einwanderung für den Befreiungskampf hat. Denn die Einwanderer (hauptsächlich aus Südspanien) würden sich irgendwann ihrer demographischen Stärke bewusst und damit rechne Spanien. Diese Kraft werde gegen die Basken gewendet, wenn die Bestrebungen nach Unabhängigkeit kaum noch aufzuhalten seien. Ein Phänomen das heute gut betrachtet werden kann. „Diese armen Leute können nicht nur unter dem Gesichtspunkt behandelt werden, das sie ein Recht haben sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sind Opfer Spaniens, der inhumansten sozialen Ungerechtigkeit, weil sie auf der Suche nach Brot auswandern. Doch der Effekt wendet sich gegen das eroberte Volk.“ Deshalb müssen die Einwanderer die Rechte der Basken genauso respektieren und sollten sich am Kampf um Befreiung des Baskenlandes beteiligen. Wer sich allerdings als Invasor verhält, werde entsprechend auch als Feind betrachtet.


Im Frühjahr 1964, zum III. Kongress, als die ETA die Thesen von Krutwig übernimmt, definiert sie sich als antiimperialistisch und antikapitalistisch und verurteilt die PNV als bürgerliche Partei. Sie beharrt auf der Bedeutung der Arbeiterschaft in der Strategie zur Befreiung. Diese Haltung spiegelt sich auch in der Frage der Einwanderer deutlich wieder. In einem offenen Brief an die baskischen Intellektuellen heißt es im September 1964: "Für ETA ist klar, dass die eingewanderten Arbeiter wenigstens genauso ausgebeutet sind wie die Einheimischen. Deswegen bitten wir um die Teilnahme aller Arbeiter am revolutionären Kampf, die heute hier leben, ohne Unterscheidung der Herkunft.“


Dieser Wandel gipfelt mit dem V. Kongress 1966 darin, dass ein Begriff des "revolutionären Nationalismus“ geprägt wird, in dem die "arbeitende baskische Bevölkerung“ die Avantgarde des Kampfes sei. Darin sind, wie bereits erwähnt, die Einwanderer begrifflich eingeschlossen. Die ETA erklärt sich nun unter dem starken Einfluss von Txabi Etxebarrieta als "revolutionär-sozialistische baskische Bewegung.“ Die "völlige Befreiung“ wird nur in einer "sozialistischen Demokratie“ möglich sein. "Eine trockene Unabhängigkeit interessiert uns nicht.“

Strategie Aktion - Repression - Aktion im Schlüsseljahr 1968


Im Juni 1968 werden in einer Kontrolle der Guardia Civil der 23jährige, sehr populäre, Txabi Etxebarrieta erschossen. Sein Begleiter wird verletzt und einen Tag später verhaftet. Der Tod ist ein harter Schlag für die ETA, gerade er war es, der neben seiner Beliebtheit, damit beauftragt die Kontakte in die Arbeiterbewegung zu vertiefen. Doch beim dessen Tod zeigt sich erstmals, wie stark die ETA schon jetzt im Baskenland verankert ist. Weil auch in Kirchen Gedenkgottesdienste für Etxebarrieta abhalten, lässt Franco selbst die Trauermessen verbieten. Das Verbot wird aber kaum beachtet und führt nur zu einer weiteren Politisierung. Als Txabis Begleiter im Juni als erster Etarra zum Tode verurteilt wird, gibt es erstmals seit dem Krieg an vielen Orten gleichzeitig Demonstrationen. Wegen des starken Drucks wird das Urteil schließlich in lebenslänglich umgewandelt und facht die Aufbruchsstimmung in der baskischen Gesellschaft weiter an.

 

Die ETA nutzt die Stimmung aus und zielt mit ihrer ersten tödlichen Aktion direkt auf den Unterdrückungsapparat und macht die Situation der Gefangenen in den Folterkellern die "Besatzungskräfte“ zum Thema. Am 2. August `68 wird Polizeichef Melitón Manzanas in seinem Haus in Irun erschossen. Der Leiter der Politisch-Sozialen Brigade ist der Prototyp des Polizisten der Diktatur. Er war der berüchtigste Folterer im Baskenland und galt als wandelndes Archiv über subversive Personen und Verbindungen. Er hatte im Bürgerkrieg bei den Falangisten gekämpft, mit der Gestapo kollaboriert und war an der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung beteiligt.


Eine Verhaftungswelle überzieht nun das Land und selbst der Ausnahmezustand wird verhängt, ein Gesetz über Banden und Terrorismus wird wieder in Kraft gesetzt, was den sogenannten Sicherheitskräften erneut unbegrenzte Macht einräumt. Die Folter macht nun selbst vor Anwälten nicht mehr halt, die sich um die Verhafteten kümmern. Denn tatsächlich ist der Diktatur die Angst in die Knochen gefahren. Das drückt die franquistische Tageszeitung mit dem Namen „Libertad“ (Freiheit) bestens aus: „Lieber ein kommunistischer Minenarbeiter aus Asturien, als ein separatistischer Pfarrer aus dem Baskenland“. Anmerkt sei hier, dass sich au derlei „Analysen“ noch heute spanische Schriftsteller wie Alvarao Baeza beziehen, die wie er behaupten, die ETA entstamme einem Konvent.


Gemäß ihrer Strategie setzte die ETA im März 1969 nach und ließ 14 Bomben explodieren. Die folgende Verhaftungswelle führte fast zu ihrer völligen Zerschlagung. Die Leitung der Gruppe war entweder tot, im Gefängnis oder im Exil. Fast 2000 Menschen wurden 1969 verhaftet, davon 890 misshandelt und 510 gefoltert. Drei Menschen wurden erschossen und über 300 mussten sich verstecken oder ins Exil gehen. Doch die Popularität der ETA führte dazu, dass sich ihr Jugendliche und radikale Studenten anschlossen. Selbst die PNV-Jugend begann sich - in Teilen - auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten. Das beweist der Tod zweier ihrer Militanten, die sich 1969 beim Bau einer Bombe in die Luft jagten.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass ein Anschlag zum Jubiläum in Burgos stattfand. Denn die Stadt steht für das Scheitern der Diktatur. Allein im Jahr 1969 fanden in der "Capitania General“ von Burgos zehn Kriegsprozesse gegen 30 Basken statt. Seit einem stürmisch verlaufenden Prozess gegen Brandstifter von Lazkano wich die Diktatur nach Kastilien aus. Ein Jahr später folgte der große "Prozess von Burgos“. In einem geschlossenen Prozess gegen die ETA, sollte die vor der Welt als kriminelle Organisation dargestellt werden. Damit wollte die Diktatur ihren Sieg über die angeblichen Mörder von Manzanas zelebrieren. Allein die Tatsache, dass die Militärjustiz schon zuvor nach Kastilien ausweichen musste, zeigt die Defensive an, in welche die Diktatur immer stärker geriet. Diese Schwäche sollte damit wett gemacht werden, dass die Anklage nicht nur gegen die ETA-Führung gerichtet war, sondern quasi dem gesamten Nationalismus sollte der Prozess gemacht werden.

 
Ein Blick auf die 14 Angeklagten ETA-Mitglieder (zwei der 16 Angeklagten waren ETA-Sympathisanten) zeigt, wie die sich zu diesem Zeitpunkt zusammensetzte. Bis auf zwei Beschuldigte waren alle jünger als 30 Jahre. Die Mehrheit war der ETA beigetreten, als diese schon Breitenwirkung hatte. Es waren in der Mehrzahl Arbeiter und Bauern. Unter den 14 befinden sich drei Frauen und ein Einwanderer aus Andalusien.


Jetzt zeigt sich die große Bedeutung der Gefangenen im Kampf um Befreiung. Auf deren offensiven Auftritt im Prozess ist die Diktatur nicht gefasst. Die 16 Angeklagten nutzen den Prozess, um ihre Politik zu verteidigen. Sie klagen die Diktatur an, die Folter, die Isolationshaft und die Militärjustiz. Ein ETA-Führer stellt hier ein Prinzip auf, dass bis heute weiter in der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung als Definition gilt. "Basken sind“, erklärt Xabier Larena, "all jene, die im Baskenland ihre Arbeitskraft verkaufen müssen“. Die Unterdrückung der Basken, die Ausbeutung der Arbeiter, die Unterdrückung der Frau, der Situation der Tagelöhner, die Kritik an der katholischen Kirche und das Verbot der baskischen Sprache wird im Prozess angeprangert. Während erstmals seit dem Ende des Bürgerkriegs der baskische Konflikt wieder breit in der internationalen Öffentlichkeit thematisiert wird, mobilisiert der Kampf der Gefangenen erstmals auch den gesamten spanischen Staat. Am 3. November 1970 kommt es zu einem Kampftag für die Amnestie. Er ist der Grundstein für alle Aktionen, die danach kommen sollten. Die Diktatur dreht nun durch, wahllose Verhaftungen provozieren Straßenschlachten in Madrid und Barcelona. ETA - Ja, Franco - Nein heißt jetzt die Parole.

 
Zwar wird der Prozess am 9. November beendet, doch die Öffentlichkeit muss bis Ende Dezember warten, bis ein Urteil verkündet wird. Inzwischen radikalisieren sich die Proteste, die Hoffnung auf Beruhigung in den Weihnachtstagen geht nicht auf. Selbst im Herzen Kastiliens und in Granada, wo öffentliche Proteste noch fast unbekannt sind, müssen Fakultäten der Unis geschlossen werden. Dass am 14. Dezember der Ausnahmezustand - diesmal über ganz Spanien - verhängt wird, zeigt, dass die Diktatur den Prozess noch vor der Urteilsverkündung verloren gibt.


Erneut ist auch jetzt der Widerstand im Baskenland am stärksten: Generalstreik ab dem 3. Dezember, Straßenschlachten mit der Polizei, wobei den Sicherheitskräften immer öfter die Gebietshoheit streitig gemacht wird. Josef Lang sieht als wichtigste Eroberung, "dass die baskische Arbeiterschaft für die Nationalisten und deren Ziele geschlossen in den Kampf ging“. Er hebt zudem hervor, "dass sich auch die Eingewanderten beteiligten“. Selbst die Falangisten stellten in einem Geheimbericht 1971 fest: "Viele von denen, die wegen ihrer Herkunft nicht Separatisten sein können, wurden deren Weggefährten“.

Auf die Todesurteile gegen 6 der 16 Angeklagten folgt prompter Widerstand. Streiks und Demonstrationen finden trotz harter Repression des Regimes überall statt. Das Zusammenwirken aus massivem Druck von der Strasse und internationalem Druck zwingt Franco dann zwei Tage später dazu, die Strafen in lebenslänglich zu verwandeln. Er definierte dies in seiner Sylvesterrede als Zeichen der Stärke. Die Gefangenen waren anderer Meinung: "Das baskische Volk und die Solidarität der übrigen Völker haben unser Leben gerettet. (...) Aber wir und andere baskische Patrioten schmachten weiter in den Gefängnissen, der Kampf des baskischen Volkes geht weiter (...). Iraultza edo hil (Revolution oder Tod).“ Der Prozess von Burgos ist ein totaler Erfolg für die ETA. In der Folge treten fast 200 Jugendliche aus der PNV-Jugend zu ihr über. Ihre Aktivitäten, die der Arbeiter und der Gefangenen nahmen von nun an weiter zu.


Mit der „Operation Menschenfresser“ leitete die ETA 1973 das Ende der Diktatur ein. Das Ziel ist es zunächst, Carrero Blanco, den Nachfolger von Franco, während eines Gottesdienstes zu entführen, um die Befreiung der politischen Gefangenen zu erreichen und den Staat zu erneuter Repression und zur weiteren Isolierung zu zwingen. Der Mythos der Unverletzlichkeit soll endgültig zerstört und eine adäquate Antwort auf den Tod etlicher ETA-Mitglieder gefunden werden. Blanco, die rechte Hand Francos, hatte die Strategie "auf der Flucht erschossen“ wieder ausgegraben, mit der er schon früher die Anarchisten bekämpft hatte. Die Entführung scheitert, weil Franco seinem Vizepräsidenten während der Planung die Regierungsführung übergibt, womit eine Verstärkung dessen Sicherheit einherging.


Der Plan wurde geändert und Blancos Ermordung beschlossen. Um nicht als Bremser für Massenmobilisierungen gegen einen Prozess von Gewerkschaftlern in Madrid zu wirken, verschiebt die ETA die Exekution. Da der Prozessbeginn am 12. Dezember 1973 keine großen Mobilisierungen zeitigt, schlägt das Kommando am 20. Dezember zu. Eine Sprengladung wird in einem Tunnel gezündet, den das Kommando unter einer Strasse Madrids gegraben hatte. Auch das gepanzerte Auto kann den Tod von Carrero Blanco, seines Fahrers und des Leibwächters nicht verhindern.


Während sich das Regime wegen der großen Popularität des Anschlags nicht traute, eine Repressionswelle loszutreten, bezeichnet die PCE die Aktion als „Hindernis“ für den Kampf der Arbeiter, die auch von der Rechten stammen könnte. Im Baskenland wurde der Tod von Carrero Blanco mit viel der Sekt gefeiert. Entgegen der PCE lag die ETA wieder in ihrer Analyse richtig, dass mit Blanco "der Eckstein des Franquismus und seine Kontinuität und Stabilität“ gebrochen wird und sich die "Widersprüche zwischen den Blöcken gefährlich zuspitzen, die das Regime am Leben erhalten, Franco, Opus Dei, Falange, etc“. Von nun an, mit einem sterbenden Franco an der Spitze und ohne Nachfolger, befindet sich die Diktatur endgültig in einem gewalttätigen Rückzugsgefecht.


Trotz Streikverbot wird der spanische Staat eines der streikfreudigsten Länder Europas, 1974 waren es 3131 Streiks (fast 50 % davon im Baskenland). Die Arbeitskämpfe drehen sich um schlechte Lebensbedingungen, fordern die Amnestie der Gefangenen und protestieren gegen die Zunahme der Repression. Im November spitzen dann die Gefangenen mit ihrem vierten Hungerstreik in diesem Jahr die Lage weiter zu und fordern ihre Freilassung, die Rückkehr der Exilanten und die Freiheit der unterdrückten Nationalitäten im spanischen Staat. Erneut lösten sie eine breite Kampagne für die Amnestie aus. Nach einem erfolgreichen Streik am 2. und 3. Dezember wird der Generalstreik im Baskenland beschlossen, obwohl sich die PCE dagegen ausspricht. 200.000 Arbeiter folgen am 11. Dezember dem Aufruf, selbst Teile des Kleinbürgertums machen mit.


Der Damm ist gebrochen und bis zum Februar 1975 folgt ein Streik dem anderen. Etliche Menschen werden von der Polizei erschossen, darunter auch eine deutsche Touristin. Die Zahl der Festgenommenen ist zum Teil so groß, dass 400 Menschen in eine Stierkampfarena gesperrt werden. Zum Terror auf der Strasse und zu den Misshandlungen auf den Polizeistationen und in den Gefängnissen kommen Anschläge rechtsextremer Gruppen. Trotzdem, ein halbes Jahr danach findet der nächste Generalstreik trotz oder genau wegen des erklärten Ausnahmezustands statt.
Zwei Monate vor dem Tod Francos werden am 27. September zwei ETA-Mitglieder und drei Mitglieder der FRAP hingerichtet, die am 20. September vor Kriegsgerichten zum Tod verurteilt worden waren. Obwohl es nach der Urteilsverkündungen zu den üblichen Streiks und Demonstrationen kam, wurden nur sechs der elf Urteile in lebenslänglich verwandelt. Die Erschießung der fünf Militanten, während Spanien auf den Tod Francos wartet, entfesselt im Baskenland den dritten Generalstreik in nur einem Monat. Ganz Europa wird von einer militanten Welle erfasst, an der auch der heutige deutsche Außenminister Joschka Fischer beteiligt war, wovon er heute nichts mehr wissen will. Botschaften und Konsulate wurden, wie in Frankfurt, mit Molotow-Cocktails angegriffen.


Doch mit dem Tod Francos am 19. November 1975 ist die Diktatur nicht beendet, sondern wird nun ohne den Diktator fortgesetzt. Am 22. November, so wie es Francos Gesetz vorsah, wird die Monarchie, der die Republik einst ein Ende bereitet hatte, wieder eingesetzt und Juan Carlos zum König gekrönt. Mit der Einsetzung von Carlos Arias Navarro zum Regierungschef zeigt der Monarch sofort, wohin die Reise geht. Navarro hatte schon unter Franco als Nachfolger von Carrero Blanco die Regierungsgeschäfte geführt.


Unter dem massiven Druck von zahlreichen bewaffneten Aktionen, Streiks und Besetzungen muss Juan Carlos erneut nachgeben und dekretiert 1976 eine "Generalamnestie“. Die hat nur einen Schönheitsfehler: ausgenommen werden die Gefangenen, die wegen "direkter oder indirekter Beteiligung an einer Bluttat“ sitzen. Von den 350 verbliebenen baskischen politischen Gefangenen kommen gerade einmal 40 durch diese "Amnestie“ frei. Weit entfernt davon, über die Bluttaten der sogenannten Sicherheitskräfte auch nur zu sprechen, setzen die ihre Unterdrückung fort. Sie oder mit ihnen verbandelte rechte Gruppen erschissen weiter Demonstranten. Das politische Klima ist gespannter denn je. Die baskische Arbeiterschaft geht im September in ihren achten Generalstreik und neunten im November. Die Forderungen waren erneut: Amnestie, nationale Selbstbestimmung und ein Ende der Repression.

 

Der erste Urnengang im Dezember 1976 zeigt erneut, dass letztlich nur im Baskenland die Zeit für reale demokratische Veränderungen reif ist und eine echte Gefahr für den Übergang der franquistischen Strukturen in die Monarchodemokratur darstellt. Obwohl die gesamte antifranquistische Opposition, Linksparteien genauso wie konservative baskische Nationalisten, noch verboten sind und die Abstimmung boykottieren, gelingt es, über 77 Prozent der Bevölkerung im spanischen Staat an die Urnen zu bringen. Noch stärker wiegt, dass davon 97,4 % dem "Reformprojekt“ ihr Plazet geben. Im Baskenland verweigern fast 50 Prozent der Bevölkerung ganz die Abstimmung. Hier gehen derweil die Mobilisierungen für die Gefangenen weiter.


Es ist klar, dass die neue Regierung ihre Entscheidung teuer bezahlen wird, die übrigen Basken, darunter die aus dem Burgos-Prozess und die Angeklagten für den Mord an Carrero Blanco, im Knast zu lassen. Nachdem die Gefangenen auch im April 1977, am "Aberri Eguna“ (Tag der Basken) noch nicht frei sind, droht auch die sich 1974 von der ETA abgespaltene ETA-pm mit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. Die Kommando Bereziak (Spezialkommandos der ETA-pm) und die der Rest der ETA, die nun als ETA-m (militar) firmiert, hatten den Kampf schon längst wieder begonnen, nachdem im März zwei Militante von der Polizei erschossen worden und nicht alle Gefangene bei den "Amnestien“ frei gekommen waren.


Am 20. Mai entführten die Bereziak den baskischen Großunternehmer, Bankier und Verleger Javier Ibarra. Sie haben sich inzwischen von der ETA-pm abgespalten und wollen mit der Entführung einen eigenen Apparat aufbauen. Sie fordern eine Milliarde Peseten Lösegeld. Obwohl die Familie anfänglich bereit war mehrere hundert Millionen zu bezahlen, bietet sie am Ende lediglich 25 Millionen an. Nach der Verhaftung mehrerer Militanter in Iparralde (französisches Baskenland), die mit der Entführung in Zusammenhang gestanden haben sollen, wird Ibarra am 18. Juni erschossen. Kurze darauf fusionieren die Bereziak mit der ETA-m.


Die Bereziak hatten große Differenzen zur ETA-pm über die Bedeutung des bewaffneten Kampfes in der Ära nach Franco. Aber auch deren Beteiligung an den Wahlen durch die Partei "Euskadiko Ezkerra“ (Baskische Linke/EE), ist heftig umstritten, weil viele anderen Parteien noch nicht legalisiert sind. Die Bereziak bauen ein großes Misstrauen auf, weil sie von der PM-Führung nicht ausreichend über die Verhandlungen informiert werden, die in dieser Zeit mit der spanischen Regierung in Genf geführt werden. Unter der einmaligen Teilnahme von ETA-m wird eine Generalamnestie und die Legalisierung aller Parteien gefordert.


Am 12. März 1977 gibt es erneut ein Kampftag für die Amnestie, der von den Repressionskräften der Monarchie auch für baskische Verhältnisse äußerst brutal bekämpft wird. Die Regierung bleibt leichzeitig hart gegenüber einer Verhandlungsdelegation baskischer Politiker. Der Mord an einem 78jährigen Demonstranten, der in Orereta (Renteria) von einem Guardia Civil erschossen wird, bringt das Pulverfass zum explodieren. Erneut wird ein Generalstreik ausgerufen. Das Baskenland ist mit Barrikaden übersät, an denen weitere vier Menschen durch die Kugeln der Repressionskräfte ihr Leben verlieren. Ganze Städte und Dörfer werden zum Teil vollständig von der Radikalität hunderttausender streikender und demonstrierender Menschen beherrscht. Zahlreiche Parteien, auch die ETA-pm nahe EE, drohen, ihre Kandidaturen für die spanischen Parlamentswahlen zurückzuziehen.


Die Unruhe breitet sich über den spanischen Staat aus. In Madrid streiken 30.000 Arbeiter aus Solidarität mit den Basken. Um schlimmeres zu verhindern, lässt die Übergangsregierung erstmals den Chef der PCE im Fernsehen auftreten. Der, statt die Gunst der Stunde zu nutzen, spricht sich vehement gegen den Generalstreik aus, "weil es im Interesse der Arbeiterklasse liegt, dass die Wahlen möglichst frei und in Frieden abgehalten werden können“. Zum Glück wurde sein Aufruf nicht befolgt. Selbst die kommunistische Gewerkschaft CCOO mobilisiert für den Generalstreik am 16. Mai. Am 20. Mai werden die letzten baskischen Gefangenen nach Belgien, Norwegen und Österreich abgeschoben. Die Ausweisung ist der Versuch, nicht als totaler Verlierer dazustehen und die ersten Wahlen 1977 zu retten.

Begnadigung statt Amnestie - Vom Widerstandskämpfer zum Terroristen


Doch von einer Amnestie kann erneut keine Rede sein, auch wenn dies gern behauptet wird, denn die Gefangenen werden nur begnadigt. Sie werden nicht aus dem Strafregister gestrichen und bei Kontrollen und späteren Prozessen wie Vorbestrafte behandelt. Die „Besatzungstruppen“ werden nicht abgezogen, sondern deren Zahl sogar erhöht. Und um die Scharte wieder auszuwetzen, vergeht nur eine kurze Zeit bis Nationalpolizei und Guardia Civil wieder zeigen wollen, wer der Herr im Baskenland sein soll. Die "faktischen Mächte“, wie ETA sie nennt, werden nach wie vor von den alten Generälen Francos kommandiert und bleiben unberührt. Etwa 10.000 Mitglieder der Falange von Franco werden in den Staatsdienst übernommen, keine einzige Einheit der Guardia Civil wird aufgelöst, kein Folterer bestraft.


Die Hilfsorganisation für die politischen baskische Gefangenen, Gestoras pro Amnistía (Beauftragte für die Amnestie und nun verboten) macht darauf aufmerksam, dass es noch andere politische Gefangene aus spanischen Gefängnissen zu holen gibt. Denn die „Amnestie“ war nicht einmal vollständig. Mitglieder der Grapo und der PCE/r, die für Aktionen für die Totalamnestie eingekerkert worden sind, waren im Knast geblieben. Sie werden bisweilen als die „Vergessenen der Amnestie“ bezeichnet.  Auch die Festnahmen bei Protesten beginnen erneut und viele Menschen kehren aus dem Exil erst gar nicht zurück, da sie weiter um ihr Leben fürchten. Etliche, die in den vergangenen Kämpfen aus den Gefängnissen freigekämpft worden sind, brachten sich über die Grenze nach Iparralde in Sicherheit. 

Die "Vergessenen der Amnestie“ bekommen bald in Spanien wieder Gesellschaft von inhaftierten Anarchisten aus Katalonien und im Januar 1978 kommen auch wieder Basken hinzu. "Seit Februar 1978 schien es, als hätte es nie eine Amnestie, nie Wahlen gegeben und die Demonstrationen für die Gefangenen wurden wieder stärker, wie in den Jahren `75, `76 und `77. Mit der Verhaftung von Vincente Aldalur und seiner folgenden Verlegung aus baskischen Gefängnissen nach Burgos, spitzen sich die Hungerstreiks, Txapeos (Selbsteinschließungen) und Demonstrationen wieder zu“.


Ein Jahr nach der Begnadigung gibt es schon wieder 87 politische Gefangene. Die hatten vor allem in Spanien damit zu kämpfen, dass sie es seit den Wahlen von 1977 mit einer "demokratisch“ legitimierten Regierung begegneten. "Es gab den Versuch, den Zusammenhang zwischen der Bevölkerung und den politischen Gefangenen zu tilgen. Als stärkstes Argument wurde angeführt, dass der revolutionäre Kämpfer der Franco-Zeit nichts mit denen zu tun hat, die sich heute mit Regime konfrontieren“. Die post-franquistischen Kämpfer wären als "nachtragend“ bezeichnet worden, weil sie die "nationale Aussöhnung“ behinderten. Die Gefangenen, die noch kurz zuvor selbst vor Gerichten als Anarchisten, Kommunisten oder Nationalisten bezeichnet wurden, hätten sich zu "Terroristen und Antidemokraten“ gewandelt. Nicht nur die Identität werde ihnen abgesprochen, sondern sie würden von nun an mit sozialen Gefangenen gemischt, "womit die Errungenschaften aus Jahrzehnten des Kampfes im Inneren der Knäste vernichtet wurden.“ 

Tatsächlich muss sogar von einer realen Verschlechterung für die neuen (und alten) politischen Gefangenen ausgegangen werden, nachdem die Kollektive über die "Amnestie“ in den Gefängnissen aufgelöst worden waren und sich die Mehrheit in Spanien Hoffnungen auf demokratische Veränderungen machte. So sind die neuen Gefangenen die Opfer eines nicht erklärten Ausnahmezustandes in den Gefängnissen. Denn während sich an der Straflosigkeit für die Peiniger nichts ändert, werden zusätzlich von der jetzt "demokratischen“ Regierung der UCD (Demokratische Zentrumsunion), die schon unter Franco gewachsen war, Anti-Terror-Methoden aus der sozialdemokratischen BRD importiert. Neben der üblichen Folter und Misshandlungen wird so auch die „weiße Folter“ à la Stammheim eingeführt. Aus der Gefängnisreform „sticht vor allem die dauerhafte Isolation in kleinsten Räumen hervor. „Schubladen aus Zement“ nannte sie der Generaldirektor für Gefängnisse der UCD.


Hinzu kommt die völlige Kontrolle durch moderne Überwachungstechnik und die dauernde Anwesenheit der Sicherheitskräfte zur Bewachung oder Unterdrückung jeder Regung der Gefangenen in den neu geschaffenen Hochsicherheitsgefängnissen. Dass sich an der sonst grausamen Behandlung nichts geändert hat, zeigte sich spätestens 1978, als der Anarchist Agustín Rueda im Knast von Carabanchel (Madrid) zu Tode gefoltert wird.


Ein Bericht, den Amnesty International (AI) 1980 veröffentlicht, bringt die Systematik der Folter im „demokratischen“ Spanien ans Licht. Er hebt vor allem die demokratisch beschlossenen Antiterrorgesetze heraus, welche die Folter begünstigen. Bei deren Einführung hatte sich gezeigt, dass große Teile der spanischen Linken mehr an einer Teilnahme an einer Demokratur gelegen war, als an einer wirklichen Demokratisierung der Gesellschaft. Von der Säuberung der Polizeien, Abschaffung der paramilitärischen Guardia Civil, der Geheimdienste und Sondergesetze ist keine Rede mehr. Es ist beschämend, dass die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und sogar die PCE den Anti-Terrorgesetzen 1978 ihr Plazet geben. Und hier ist ein wesentlicher Grund zu finden, warum es für die Basken extrem schwierig ist, der traditionellen Linken in Spanien zu vertrauen.

 

Sogar die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) enthielt sich bei der Abstimmung und nur der baskische Linke Francisco Letamendia stimmte als einziger gegen die Terrorgesetze. Noch ein Jahr zuvor hatte die PSOE erklärt, sie werde "das Selbstbestimmungsrecht Euskadis und aller Völker des spanischen Staates zu fordern und zu verteidigen". Dazu versicherten die Sozialisten, "unsere Partei wird überhaupt kein Antiterrorismusgesetz akzeptieren", um nur ein Jahr danach die modellhafte Parlamentskontrolle über die Ausführung dieser Antiterrorgesetze zu loben. AI kommt in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, dass es mit dieser Kontrolle nicht weit her ist. Denn die Antiterrorgesetze erlauben es bis heute eine Person für bis zu 10 Tage zu inhaftieren, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt oder frei gelassen wird. In der Zeit ist sie völlig abgeschirmt, erhält keinen Kontakt zur Familie, Anwälten oder einem Arzt des Vertraues.  "Nach der Erfahrung von AI aus verschiedenen Ländern trägt eine so lange Festnahme (...) gewöhnlich zur Misshandlung von Gefangenen bei.“ Dies wird durch die Kontaktsperre noch verschärft  AI die Tatsache, dass seit Einführung der Gesetze nie ein Polizist vor Gericht gestellt worden sei.


Allen Folterberichten und Straflosigkeit der Peiniger zum Trotz lassen sich die PSOE und die PCE nicht davon abhalten, die Antiterrorgesetze 1980 sogar zum organischen Gesetz (einem Grundgesetz ähnlich) zu erheben. Die parlamentarische spanische Linke äußert angesichts der Folterberichte lediglich die Hoffnung, dass sich das, was sie einzelnes Fehlverhalten nennen, bald ändern werde. Aus diesem Verhalten der Ex-Bündnispartner speiste sich bei vielen Basken schon früh ein Gefühl von Misstrauen gegenüber den spanischen Kommunisten und der PSOE. Das Misstrauen gegenüber der PSOE sollte sich mit deren Machtantritt bald in offene Feindschaft verwandeln.

Wie wir nun wissen wurden hier die Grundlagen für die Repression gelegt, die bis heute und in den letzten Jahren immer stärker fortgeführt wird.
Mit Verboten und Verhaftungen kriminalisieren seit 2004 die Sozialisten erneut die gesamte linke baskische Unabhängigkeitsbewegung. Ja sogar aktiver und passiver Wahlbetrug wird durchgezogen Die Zahl der Gefangenen ist auf fast 800 angeschwollen und war in der Diktatur deutlich niedriger. Es wird versucht, ihr jeden Raum zu nehmen. Doch sogar der höchste spanische Gerichte sehen darin bisweilen schwere Eingriffe in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit und kürzlich wurde sogar ein Verbot einer Tageszeitung, die angeblich auch ETA sein sollte, nach sage und schreibe 10 Jahren gekippt und das Verbot einer Partei aufgehoben. Sogar die Bilder von den Gefangenen sollen nun nicht mehr gezeigt werden dürfen. Sie werden von der Polizei gewaltsam in Kneipen und Straßen des Baskenlands beseitigt. Wer das Bild seines Angehörigen aufhängt, läuft nun Gefahr, wegen Unterstützung der ETA in den Knast zu wandern.

Nach Angaben der baskischen Linken nutzt die PSOE auch erneut die "schmutzige Kriegsführung". Wie in den 1980er Jahren versuche sie mit Folter und Verschwindenlassen die baskische Linke zu zwingen, das Projekt eines vereinten, unabhängigen und sozialistischen Baskenlands aufzugeben. Der schwerkranker Ex-Gefangene Jon Anza, der im Exil im französischen Baskenland lebte, verschwand dort im April spurlos. So ließen einst auch die von der Guardia Civil und der Polizei gespeisten Todesschwadrone etliche Menschen verschwinden. Sicherheitskräfte hätten seit Dezember 2008 vier weitere Ex-Gefangene entführt, zuletzt am 17. Juli Alain Berastegi. Er sei in einen Wald gebracht und gefoltert worden, erklärte er nachdem sie ihn laufen ließen. Es sollte zur Kollaboration gezwungen werden und für die Spitzeldienste sei ihm auch Geld angeboten worden.

 

Zentral in der Repressionspolitik war das Verbot der Partei Batasuna (Einheit) 2003. In der Batasuna-Führung, sitzt, nun im Gefängnis, auch der Sohn Txillardegis, Joseba Alvarez. Die Partei hat stets versucht, eine Dialoglösung für den Konflikt zu finden. Zwei Friedensprozesse wurden seit 1998 gestartet und die ETA zu zwei unbefristeten Waffenruhen gebracht. Da Madrid keine Konzessionen machte, den Druck mit neuen Verboten erhöhte, riss der ETA schnell der Geduldsfaden. Sie warf zum Abbruch der Waffenruhe den Sozialisten (PSOE) vor, auf die Friedendbemühungen mit "Verhaftungen und Folter" reagiert zu haben, die Angriffe die Basken und die Verbote von Parteien und Organisatione "haben zugenommen und sind stärker geworden". Als Beispiel nannte sie auch die "antidemokratischen" Wahlen Ende Mai, bei denen die Sozialisten einen neuen Verbotsrekord aufgestellt haben und sogar die meisten Listen einer antifaschistischen Traditionspartei verboten haben. Schon zuvor hatte die ETA die Waffenruhe als Warnung unterbrochen.

 

Sie weiß, dass sie militärisch nicht gewinnen kann, doch die Repression füllt die Reihen immer wieder auf. Die ETA ist der Beweis dafür, dass schärfte Repression scheitert, wenn die Ursachen für den Konflikt fortbestehen. Und die können nur im Dialog beseitigt werden und schließlich muss die Bevölkerung über die Ergebnisse dieses Dialogs in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts entscheiden können. Die baskische Linke und die ETA haben sich verpflichtet, das Erbebnis einer freien und demokratischen Abstimmung zu akzeptieren. Geht die Repression weiter, so wird die ETA noch lange bestehen und sich, wie derzeit zu beobachten ist, weiter radikalisieren. Daran änder auch nichts, wenn sie auch von Gründervätern wie Txillardegi kritisiert wird. So sagte Julen Madariaga gerade: "Jede bewaffnete Aktion, egal gegen wen, ist nicht akzeptabel und ist heute kontraproduktiv für unser Unabhängigkeitsbestreben". Beide sind in der Partei Aralar organisiert, die sich 2001 von Batasuna abspaltete, weil die deren Anschläge nicht verurteilt. Zwar halten viele in Batasuna diese für falsch, anders als Aralar wollen sie die baskische Linke aber nicht spalten und schwächen.

 

Ralf Streck, den 31.07.2009

 

Vergleich: "Tondar - Geschichte und Widerstand politischer Gefangener", Hrsg. Ralf Streck, Pahl-Rugenstein Verlag Bonn. ISBN 3-89144-348-X

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Der Konflikt zwischen der spanischen Regierung und der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung scheint kein Ende zu nehmen. Nach den gescheiterten Friedenverhandlungen macht die baskische
Untergrundorganisation E.T.A. - Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit) zu ihrem 50jährigen Bestehen mit einer (auch) tödlichen Bombenoffensive darauf aufmerksam, dass mitten in Europa ein ungelöster bewaffneter Konflikt schwelt und wie in Nordirland auf eine demokratische Lösung wartet.
Die ETA hat sich die deutsche und britische "Bierkolonie" Mallorca besonders ausgesucht, um die Medien in Europa zu einer ausgiebigen Berichterstattung zu zwingen. Die Berichte sind einseitig auf die Anschläge fokusiert. Dass Zeitungen illegal verboten werden, inzwischen hunderte Wählervereinigungen und Parteien verboten wurden, politische Aktivisten entführt werden und einer spurlos verschwunden ist, dass
Spanien von namhaften Menschenrechtsorganisationen jährlich Folter und Misshandlungen vorgeworfen wird, Wahlbetrug eingesetzt wird, alle Demonstrationen verboten sind, welche die Polizei mit Gummigeschossen auflöst, ja die Angehörigen von nun 800 politischen Gefangenen nicht einmal mehr die Bilder ihrer Kinder zeigen dürfen, derlei scheint die Vertreter der "freien" Presse aber nicht zu interessieren. Doch erfährt man über die Wurzeln und den Hintergrund des Konflikts und die sozialen Probleme leider nur wenig. Deshalb soll es genau darum auf der Veranstaltung gehen, zu der wir den Journalisten Ralf Streck eingeladen haben:

Köln, Donnerstag, 24. September, Qlosterstüffje (Venloerstr. 221,
Köln-Ehrenfeld, U-Bahn Piusstr.)
Bochum, Bahnhof Langendreer, Fr. 25.9.2009 19.30 Uhr; Raum 6