Zum wiederholten Mal hat das Landgericht Karlsruhe am 18. April das Tragen dunkler Oberbekleidung auf Versammlungen für strafbar erklärt. Angeklagt war ein Antifaschist, dem vorgeworfen wurde durch das Tragen einer schwarzen Jacke bei einer spontanen Protestaktion gegen eine Kundgebung der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel zur Abschaffung des Volksverhetzungsparagraphen §130 vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Uniformierungsverbot auf Demonstrationen verstoßen zu haben.
In erster Instanz wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Ettlingen nach Jugendstrafrecht dazu verurteilt, einen Aufsatz über den Sinn des Uniformierungsverbots im Versammlungsgesetz zu schreiben. Die zusätzliche Anklage der versuchten Versammlungssprengung erwies sich bereits in diesem Verfahren als haltlos, weshalb in der Berufungsverhandlung ausschließlich der Verstoß gegen das Uniformierungsverbot verhandelt wurde.
Zu Beginn der Verhandlung führte der Anwalt des Angeklagetn aus, dass die Kundgebung der HolocaustleugnerInnen in Karlsruhe sehr kurzfristig bekannt geworden war und sein Mandat sich daher spontan entschlossen hatte, dagegen zu protestieren. Zudem stellte er fest, dass das Uniformierungsverbot ursprünglich als Konsequenz aus dem Nationalsozialismus eingeführt wurde um paramilitärische Aufmärsche, wie die der SA, zu verhindern. Richter Müller wollte den Sinn der Berufung gegen das Urteil des Amtsgericht nicht nachvollziehen, da der Angeklagte ja „nur“ zum Schreiben eines Aufsatzes verurteilt wurde. Der Anwalt stellte daraufhin klar, dass der Sinn der Berufung selbstverständlich ein Freispruch ist, da hier ein Straftatbestand auf Fälle ausgeweitet werden soll, die nach weit verbreiteter Rechtssprechung keine Straftat darstellen.
Hätte, Hätte, Fahrradkette
Als erster Zeuge war Karim Chergui von der BAO Einsatz geladen, der den Angeklagten festgenommen hatte. Er sagte aus, dass die ca. 30-köpfige Gruppe, die gegen die Nazi-Kundgebung demonstrieren wollte, bis auf vier Personen schwarz gekleidet gewesen sei. In seinen Augen handelte es sich um eine homogene, geschlossene Gruppe, die eindeutig die gleiche Absicht verfolgte.
Ungefähr 50 Meter von der angemeldeten Kundgebung entfernt sei die Personengruppe von einer Polizeikette gestoppt worden, wäre das nicht passiert hätte die Gruppe die Kundgebung sicherlich angegriffen. Nach einer kurzen Konfrontation an der Polizeikette sei die Gruppe in verschiedene Richtungen geflüchtet, der Angeklagte wurde nur festgenommen, weil Zeuge Chergui ihn als erstes festhalten konnte und nicht weil er in irgendeiner Weise aus der Gruppe hervorgestochen sei. Auf die Nachfrage der Verteidigung, woher der Zeuge denn wissen kann, welche Absicht die sich nähernde Gruppe hat, konnte Chergui keine befriedigende Antwort geben. Nach dem Abspielen eines Polizeivideos, dass die Situation vor dem Verfassungsgericht zeigt, wurde der Zeuge entlassen.
Als zweiter Zeuge trat Herr Johnhoff von der Bundespolizei auf, der an diesem Tag für den Schutz des Verfassungsgerichgts zuständig war. Er war unter den PoliziszInnen, die die sich nähernden AntifaschistInnen stoppten. Auch er beschrieb die Gruppe als „kompakten Block“ mit Transparent vor sich. Zudem mutmaßte er, dass es sich um eine „strukturierte, vorbereitete Aktion“ gehandelt haben muss. Auf Nachfrage der Verteidigung gab Zeuge Jonhoff an, dass „normale“ PassantInnen durchaus hätten passieren können, die Gruppe aber aufgehalten worden sei, da sie einen unfriedlichen Eindruck machte. Nach dem auch er nicht beantworten konnte, woher er die Absicht der DemonstrantInnen kannte, wurde der Zeuge entlassen.
Letzter Zeuge war Herr Netzband, ebenfalls von der Bundespolizei. Auch er sprach von einer „monoton geschlossenen Gruppe“, die zum Teil maskiert gewesen wäre. Ansonsten konnte er sich weder an den Angeklagten, noch an irgendetwas anderes erinnern.
Der Pullover bestimmt die Gesinnung
In seinem Plädoyer betonte der Anwalt des Angeklagten nocheinmal, dass sein Mandant lediglich gegen die menschenverachtende Hetze, die auf der Kundgebung verbreitet wurde, protestieren wollte. Zwei Parallelverfahren vor dem Amtsgericht Karlsruhe, die beide mit einem Freispruch endeten, haben ergeben, dass es sich bei der Gruppe keineswegs um eine geschlossene Gruppe handelte, sondern das Personen weggingen und hinzustießen. Zur Frage der Uniformierung betonte die Verteidigung noch einmal, dass der Sinn des Uniformierungsverbots darin besteht, paramilitärische Aufmärsche zu unterbinden.
Um sich der Uniformierung schuldig zu machen, müssen die TeilnehmerInnen einer Versammlung nicht nur gleichartige Kleidungsstücke tragen, sondern auch eine gemeinsame politische Gesinnung damit ausdrücken wollen. Wie auf dem Video und einigen Lichtbildern zu sehen ist, tragen zwar einige DemonstrantInnen schwarze oder dunkle Pullover und Jacken, dazu allerdings unterschiedliche Kopfbedeckungen, zum Teil kurze und zum Teil lange Hosen in unterschiedlichen Farben, unterschiedliche Schuhe in verschiedenen Farben und so weiter. Gerade der Angeklagte mit seiner kurzen Hose und seinen blauen Schuhen entspricht wohl kaum dem Bild einer uniformierten Person. Nur die Ähnlichkeit der Oberbekleidigung einiger Teilnehmer reiche für den Straftatbestand der Uniformierung nicht aus.
Zudem sei sein Mandant in seiner normalen Kleidung spontan von der Arbeit zur Kundgebung gekommen und hatte somit nicht die Möglichkeit, sich mit den anderen DemonstrantInnen auf eine bestimmte Kleidungsfarbe zu einigen, um damit eine gemeinsame politische Gesinnung auszudrücken. Außerdem konnte keiner der Zeugen erklären, woran die gemeinsame politische Gesinnung der Gruppe zu erkennen gewesen sein soll. Der Straftatbestand der Uniformierung ist somit nicht erfüllt und der Angeklagte freizusprechen.
Staatsanwalt Walter eröffnete sein Plädoyer mit der Feststellung, dass der Sachverhalt so erwiesen sei, wie er bereits vom Amtsgericht festgestellt wurde. Die Gruppe sei aggresiv und geschlossen aufgetreten und haben einen „schwarzen Block“ gebildet. Die Beteiligung an einem „schwarzen Block“ werde am Landgericht Karlsruhe als Uniformierung gesehen, weshalb er an der Verurteilung keinen Zweifel habe. Er forderte deshalb die Berufung des Angeklagten zu verwerfen.
In der anschließenden Replik stellte die Verteidigung fest, dass die Bezeichnung seines Mandanten als Mitglied eines wie auch immer gearteten „schwarzen Blocks“ lediglich Stimmung gegen ihn machen soll. Zudem steht im Freispruch eines Parallelverfahrens explizit, dass bei gewissen farblichen Ähnlichkeiten der Oberbekleidung keineswegs von einem schwarzen Block gesprochen werden kann.
Landgericht Karlsruhe dreht sich im Kreis
Nach kurzer Beratung verkündete das Gericht, dass der Angeklagte sich des Verstoß gegen das Versammlungsgesetz schuldig gemacht hat, da er uniformiert an einer Versammlung teilgenommen hat. Die Gruppe sei geschlossen aufgetreten und hätte einen bedrohlichen Eindruck gemacht. Fast alle Personen seien schwarz gekleidet gewesen, weshalb es sich um einen „schwarzen Block“ handelt. Zu einem wirklichen Urteil konnte sich der Richter nicht durchringen, weshalb der Angeklagte nach Jugendstrafrecht verwarnt wurde. Dies begründete Richter Müller damit, dass „schwarze Blöcke“ am Landgericht nun einmal als Uniformierung angesehen werden und er den Angeklagten deshalb auch nicht einfach so davonkommen lassen kann.
Nach Auslegung des Karlsruher Landgerichts kann ein Richter das Uniformierungsverbot nach Lust und Laune ausweiten. Nach dieser, unseres Wissens nach bundesweit einzigartigen, Rechtsauffassung müssten sämtliche Streikposten, die Überzieh-Westen ihrer Gewerkschaft tragen, JuristInnen, die in ihren Roben demonstrieren und viele andere Fälle, bei denen DemonstrantInnen ähnliche Kleidungsstücke tragen, wegen Uniformierung angeklagt werden. Nahezu jede linke Demonstration wäre unter dem Vorwand des Verstoßes gegen das Uniformierungsverbot zu kriminalisieren und zu zerschlagen. Daher braucht es dringend ein Urteil in höherer Instanz, um dem Rechtsverständnis und dem Verurteilungseifer des Landgerichts Karlsruhe einen Riegel vorzuschieben.
Weiterer Artikel zum Thema:
- Bericht zum Freispruch in einem anderen Verfahren im gleichen Fall: Freispruch für Antifaschistin (15.11.2011)
hmm
demokratie
Wilkommen in der ach so schönen freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Kraft und Grüße an den Angeklagten.
No Justice, no peace.