Eine Reihe von Protesten hat sich im letzten Jahr ereignet. In Spanien und Frankreich haben sich „die Empörten“ aufgestellt, in New York, Frankfurt und anderswo Anhänger der Occupy-Bewegung Finanzplätze besetzt. Occupy-Mitstreiter*innen betonen, dass Occupy eine für alle offene Bewegung sei, die sich auf kein bestimmtes Programm festlegen lasse, weshalb Einzelne aus ihr auch nicht für die Gesamtbewegung sprechen könnten. Deshalb meinen manche, dass man nicht über „die“ Occupy-Bewegung reden könne. Andererseits gibt es gemeinsame Manifeste oder Leute, die sich als Anhänger öffentlich äußern und Demoplakate mit konkreten Inhalten. In der vorgetragenen Kritik sind uns Gemeinsamkeiten aufgefallen, die wir thematisieren wollen.1
Dass es auch andere gibt, ist sicherlich der Fall und stört uns auch gar nicht weiter, schließlich wollen wir nur die Standpunkte kritisieren, an denen uns Mängel aufgefallen sind und die verbreitet sind, nicht einfach „alle“. Ferner gehen wir im Text auf verschiedene Krisenproteste ein – also auch auf andere als Occupy-Bewegte – weil uns bei den verschiedenen Protesten Ähnlichkeiten in der Kritik, die sie formulieren, aufgefallen sind.
Weiter unten wird im Text noch einmal auf die generelle Idee einer
offenen Bewegung, die für kein bestimmtes Interesse streiten will,
eingegangen werden.
Zum M31 haben antikapitalistische Gruppen mobilisiert. Teile dieser
Gruppen haben auch zum Blockupy-Wochenende in Frankfurt mobilisiert. Die
folgenden Kritiken sind nicht auf diese Gruppen bezogen. Andere
Gruppen, die ebenfalls beim Blockupy-Wochenende mitgemacht haben, trifft
die Kritik bestimmt.
Das Leben im krisengeschüttelten Kapitalismus bietet genügend Gründe für
Unzufriedenheit, weshalb es auch nötig und verständlich ist nach
Gründen dafür zu suchen. Die in den Krisenprotesten vorgeschlagene
Analyse, halten wir für fehlerhaft und bezweifeln, dass hier die
wirklichen Gründe für Armut, Job- und Wohnungsverlust entdeckt werden,
so dass der Unzufriedenheit ein Ende gemacht werden kann.
In den Augen der Protestierenden ist die Gesellschaft gespalten in die
große Mehrheit, die „hart arbeitet“ und ihren Beitrag zur Gemeinschaft
leistet, während einige Wenige auf Kosten von ihr leben. Ihnen wird
nachgesagt den „Profit über den Menschen zu stellen“ und dabei alle anderen zu schädigen. Die ganze Gesellschaft scheint einen falschen Weg eingeschlagen zu haben: „Ziel und Absicht des derzeitigen Systems sind die Anhäufung von Geld, ohne dabei auf den Wohlstand der Gesellschaft zu achten.“ (Manifest M15)
Dagegen wird sich stark gemacht: „Wir sind die 99%“! „Als ein Volk vereint“ prangern die Protestierenden verschiedene Zustände an2:
von der illegalen Zwangsräumung über rassistische oder sexistische
Diskriminierung am Arbeitsplatz bis zu durch Fahrlässigkeit verseuchte
Lebensmittel. Allein an dem, woran sich gestört wird, ist etwas
auffällig: Das illegal an der Zwangsräumung stört, der legale Rauswurf aus der Bleibe wegen Geldmangel geht also anscheinend in Ordnung! Unerlaubte
Diskriminierung – eben nach „Rasse“ oder Geschlecht – wird am
Arbeitsplatz nicht gut geheißen, der ständige Leistungsvergleich aber,
bei dem diejenigen, welche die von Unternehmen geforderte Leistung nicht
bringen können, ihre Existenzgrundlage verlieren, gilt nicht als
Diskriminierung – diese ist ja auch erlaubt! An vermeintlicher
Fahrlässigkeit bei der Lebensmittelproduktion wird sich gestört, also
schon einmal fraglos unterstellt, dass der Zweck der
Lebensmittelherstellung in Versorgungsleistungen bestünde, so dass
Ungenießbares nur leichtsinnigen Fehlern zuzuschreiben sein könne. In
der Anprangerung drückt sich also ein grundlegendes Einverständnis mit
dieser Gesellschaft und ihren Einrichtungen aus. Sofern ihre Praxen dem
Recht entsprechen, ist an ihnen nichts zu kritisieren. Die Abweichung
vom Recht oder dem was sich als eigentlich geboten vorgestellt wird, ist
so das eigentlich Beklagenswerte. Eine derartige Kritik fordert nichts
anderes als das alles „mit rechten Dingen“ zu gehen soll und kann sich
die Ursache von Schädigungen entweder nur als Rechtsbrüche denken oder
empfindet sie eben als gerechtfertigt.
Der Kapitalismus als eine Gemeinschaft
Wenn ein großes Wir ausgemacht wird, auf das „die Kosten“ der Krise
abgewälzt würde, wird sich die bestehende Gesellschaft als ein
Gemeinschaftswerk vorgestellt. Die Marktwirtschaft ist aber kein
Gemeinschaftswerk, sondern eine Gesellschaft von lauter Konkurrenten.
Schüler konkurrieren um bessere Noten und damit den Zugang zu
weiterführender Bildung. Als spätere Arbeitnehmer konkurrieren sie um
Jobs, also darum dass sich ihre Beschäftigung für Unternehmen lohnt. Die
Firmen konkurrieren dann gegenseitig mit dem Ertrag aus der Arbeit der
Lohnabhängigen um Absatz und Gewinn.
Alle müssen in dieser Gesellschaft ihre Interessen also gegeneinander
verfolgen, weil ihre Interessen grundlegend vom Verfügen über Geld
abhängig gemacht sind. Was heißt das?
Kein Wohn- oder Nahrungsbedürfnis wird befriedigt, wenn es nicht
zahlungsfähig ist. Es müssen schon die Interessen der Eigentümer an
diesen Dingen bedient werden. Diese verkaufen ihre Produkte nur, wenn
dadurch ihr Vermögen wächst. Dafür brauchen die Leute Geld, das sie sich
dann erstmal irgendwo verdienen müssen, weil sie keines haben. Der
Großteil der Leute sieht sich damit in der Lage, von dem ganzen
nützlichen Reichtum, der hergestellt wird ausgeschlossen zu sein, weil
der anderen als Eigentum gehört. Dafür, dass dieser Ausschluss auch
akzeptiert wird, sorgt der Staat mit seinem Recht, welches das Eigentum
schützt. Um den Ausschluss zu überwinden, kommt die eigentumslose
Mehrheit nicht herum, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen, der ihnen
nicht wegen ihrer Angewiesenheit auf den Lohn zu Verfügung gestellt
wird, sondern dann, wenn sich ihre „Beschäftigung“ für die Unternehmen
lohnt. Sofern ihre Arbeit das Eigentum der Unternehmen vermehrt, lohnt
sich die Anstellung. Dafür erhalten sie einen Lohn, der dafür sorgt,
dass sie für die Arbeit überleben, aber sich niemals ein gutes Leben
leisten können. Damit die Eigentumsvermehrung gut klappt, gibt es hier
ein Ausbildungswesen, wird der Mittelstand auch mal gefördert, sorgen
die Gerichte dafür, dass Verträge einzuhalten sind. Wie gut das mit der
kapitalistischen Reichtumsvermehrung insgesamt klappt, lässt sich dann
daran ablesen, ob in den Zeitungen steht, „die Wirtschaft“ wächst oder
kriselt. Bei dem „Wohlstand der Gesellschaft“ geht es dann nicht um den
Reichtum im Portmonee der Leute, sondern um den der Nation und ihrer
Wirtschaft insgesamt. Und um den zu steigern, ist eine Sparrunde bei
denen, die eh nur fremden Reichtum mehren, immer gut, weil sie so für
„ihre Unternehmen“ billiger werden.
Die Gemeinschaft der Anständigen
An die Unterscheidung von Eigentumslosen und Leuten, die Eigentümer von
Arbeitsplätzen, also den Mitteln sind, mit denen sich was Verkaufbares
produzieren lässt, ist nicht gedacht, wenn von einem „wir“ Rede ist.
Dieses „wir“ ergibt sich so auch nicht aus der Verfolgung gemeinsamer
Anliegen, sondern aus dem Bewusstsein, zu den Anständigen in dieser
Gesellschaft zu gehören. Dieses Bewusstsein drückt sich beispielsweise
im Manifest der „Empörten“ folgendermaßen aus:
„Wir sind normale Menschen. Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu bieten.
(Manifest M15)
Sie werben mit ihrem Beitrag zu der Konkurrenzgesellschaft, die sie sich
ideell ja als Gemeinschaft vorstellen. Für die soll jeder seinen
Beitrag – an seinem Platz in der Gesellschaft – leisten, und dafür auch
seinen gerechten Lohn erwarten können. Wenn jeder also beim
Geldverdienen bereit ist für das Ganze etwas zurückzustecken, soll die
Gemeinschaft etwas für alle sein. Die Protestierenden wuchern hier mit
ihrer Dienstbereitschaft und meinen ausgerechnet diese müsste sich doch
irgendwie für sie lohnen. Die gegenteilige Behandlung durch Staat und
Kapital empfinden sie deshalb als unverdient, weshalb sie sich auch
empören. (Die Empörung speist sich so aus dem Idealismus des lohnenden
Verzichts für das Gemeinwesen, in dem sie sich gerne zu Hause fühlen
wollen.) Sie halten es nicht für einen Widerspruch, dass sich
ausgerechnet Opfer für sie auszahlen sollen. Sie fühlen sich moralisch
im Recht gegenüber den „schäbigen“ und „korrupten“ Oberen. Denn
umgekehrt weiß man mit dem Standpunkt des eingesehenen Verzichts für das
Gemeinwesen, das sich so auch für einen selbst auszahlen soll, woran es
liegt wenn es nicht so für einen läuft: An einigen Wenigen, die dann
nur an sich denken. Diese stellen ihr privates Bereicherungsinteresse
über die Gemeinschaft und schädigen damit alle. Sie bekommen dann den
Vorwurf, „den Profit über den Menschen zu stellen“, weil sie von
„Profit-Gier“ getrieben seien.
People over Profit!
Profit ist so keine ökonomische Kategorie der Differenz von verdientem
Geld über das investierte, gibt also nicht mehr das Verhältnis des
Überschusses über einen Vorschuss an, sondern eine moralische
Entgleisung, eine falsche Stellung zum Profit und die ist dann das
Schlimme und nicht der Profit selbst. Profit steht nämlich einfach für
ein Übermaß an „Eigennutz statt Gerechtigkeit“ (Manifest Occupy Wallstreet).
Der Gier-Vorwurf entdeckt bei einigen wenigen, dem 1% oder zur Zeit
besonders häufig bei den Managern des Bankwesens, dieses Übermaß an
persönlichem Bereicherungswillen, der auf Kosten anderer geht, weil er
den ganzen Laden ins Kriseln bringt.
Dagegen ist zu fragen: Wo soll denn die „richtige Grenze“ zwischen maßvollem Geschäft und „übermäßigen“ Bereicherungsinteresse beim Profit liegen? Er hat doch gar keine. Bei wie viel Milliarden verdienter Euro ist es denn zu viel? Wo soll denn die allgemeinverträgliche Grenze des Gewinns liegen – bei 2 oder 20 % Rendite? Diese Fragen sind nie im Vorhinein objektiv zu beantworten. Im Krisenfall, wenn die Kredite sich nicht in sprudelnde Gewinne umgesetzt haben oder wenn die Staatsverschuldung zu keinem Wachstum geführt hat, will aber jeder auf einmal wissen, dass „zu viel“ gewollt wurde und zu „leichtsinnig“ spekuliert wurde. Das „zu viel“ merkt man aber immer nur hinterher: Wenn das Geschäft nicht aufgegangen ist, sich Schulden nicht als Kapital erwiesen haben. Insofern ist der Vorwurf der Gier eine sehr affirmative Kritik, die einer bestimmten Branche oder ihren Managern Erfolglosigkeit vorwirft. Für kritikabel wird hierbei also befunden, dass der Laden gerade nicht funktioniert!
Zweitens verlegt der Vorwurf der Gier das Ziel Geldvermehrung, also den
Zweck dieses Systems, den sowohl das Bankwesen als auch die
„Realwirtschaft“ in echt verfolgt, in die moralische Verkommenheit
bestimmter Personen („Bankster“) oder Konzerne. Der Vorwurf nimmt so
eine Deutung der Krise vor, indem Schuldige für sie ausgemacht werden.
Damit steht im vornherein fest, dass die Krise nur an Einzelnen liegen
kann, die sich an eigentlich gute Regeln nicht gehalten haben und durch
ihr Fehlverhalten die Krise verursacht haben. So erklärt man sich
kritisch einverstanden mit dem System: Einzelne verhindern vor lauter
„Eigennutz“ seine tollen Wirkungen. Affimative Kritk: Jeder soll seinen
Job richtig machen. Mit dem Herausfinden von Gründen hat das nichts zu
tun, dafür mit der Gewissheit, dass die Krise nicht notwendig sein
müsste, wenn alle nur ihrer Pflicht nachkommen würden. Diese moralische
Kritik verlangt dann folgerichtig auch nicht für Geschädigte ein
besseres Leben, sondern die Bestrafung der moralischen Abweichler: „Bankster!“ - „Hang them!“ (Demo-Plakat)
Die Protestierenden der Occupy-Aktionen klagen an, dass
die Krise auf dem Rücken der Prekären, Beschäftigten, Rentner – eben
der lohnabhängigen Bevölkerung – abgeladen wird. So nach dem Motto: die
Banken oder die Reichen übernehmen die Kosten, die sie verursacht haben
nicht. Stattdessen würde auch noch den Armen qua Steuergeld und
Sparprogramm Geld genommen, dass dann die Reichen kriegen würden.
Abgesehen davon, dass die Bankenrettung faktisch schon ganz anders
läuft, nämlich über Staatsverschuldung, liegt dem eine falsche
Vorstellung über das Wesen des Reichtums im Kapitalismus zugrunde. Hier
wird so getan als läge das Problem lediglich in einer falschen
Verteilung des Reichtums, wenn der Reichtum bei Banken (oder Konzernen)
statt bei den Leuten landet, die darauf existentiell mehr angewiesen
sind. So steht beispielsweise im Aufruf zu den Blockupy-Aktionen
folgendes: „Von den Milliardenbeträgen der 'Eurorettung' bekommen
die Menschen in den betroffenen Ländern keinen Cent, der Hauptteil
fließt direkt an die Banken zurück. “ (Blockupy-Aufruf)
Hierbei wird verpasst, worin der Zweck des hiesigen Reichtums allgemein
und desjenigen, der zur Abwendung des Finanz- und
Staatsverschuldungscrashs aufgenommen wird: Geld wird hier ausgegeben,
um vermehrt zu seinen Eigentümern zurückzukehren. Genau das ist auch das
Business vom Bankwesen, das über das Geld der Gesellschaft verfügt, es
Firmen nach seinem Ermessen zuteilt, die mit dem geliehenem Geld ihre
Geschäfte anstoßen und das sich eigene Wachstumsquellen durch sein
Wertpapiergeschäft verschafft. Weil das Bankwesen für das Funktionieren
des Systems der Geldvermehrung derart zentral ist, haben die Staaten es
gerettet, und zwar darüber dass sie sich massiv verschuldet haben. Weil
die Staaten ein Interesse am Funktionieren des Bankwesens haben, haben
sie ihren Nationalkredit belastet, und zwar nicht um neue
Wachstumsbedingungen auf ihrem Standort herzustellen, sondern um einen
„Crash“ ihres Kapitalismus abzuwenden.
Wenn Geld wirklich dazu da wäre, dass eine „gerechte Verteilung“ von
Reichtum am Ende herauskommen soll, wäre es doch zumindest fragwürdig,
warum man für das Entstehen dieses Reichtums erst derartig große
Unterschiede von arm und reich zulässt. Um am Ende dann die Reichen zu
schröpfen und alles umzuverteilen? Dann hätte man sich die Unterschiede
doch von Anfang sparen können! Dass Umverteilungswünsche in der Realität
nicht vorkommen, sollte man ihr nicht zur Last legen, sondern ihr
entnehmen, wofür diese Art von Reichtum da ist: Dafür, dass der von
Privateigentümern (ob das nun Banken oder Unternehmen sind) vermehrt
wird. Die Mittel ihn zu vermehren haben die normalen Leute nicht – sie
sind im Gegenteil das Mittel dafür. Deshalb sehen sie von dem durch sie
vermehrten Reichtum auch nicht viel und werden von ihm ausgeschlossen.
An den Sparmaßnahmen sieht man das auch: Wenn es heißt, dass der Euro
unbedingt gerettet werden muss, dann ist damit nie der Euro im
Portemonnaie der Leute gemeint, sondern die Geldeinheit, in der Geschäft
laufen und die sich als Geldanlage wieder lohnen soll. Wie soll das
passieren? Gerade indem an Rente, Lohn und Zuschlägen gespart, also das
Leben der Lohnabhängigen verbilligt wird. Ausgaben für bloße
Lebensbedürfnisse von Lohnabhängigen sind anscheinend genau das falsche
Signal an die Finanzmärkte. Dem ließe sich entnehmen, dass man es nicht
mit falscher Verteilung oder damit zu tun hat, dass „nur noch“ ums Geld
ginge, sondern das der Zweck des Geldes und die Lebensinteressen von
Leuten, die es mehren sollen, einander ausschließen.
Banken in die Schranken!
Alternativ kann die Forderung nach „Gerechtigkeit“ - also die
Verpflichtung aller auf den Dienst am Gemeinwesen – auch darin münden,
die „Eigennützigen“ beschränken zu wollen. Die Beschränkung fordern
Viele ausgerechnet von der Politik, die die Profitinteressen zuvor ins
Recht gesetzt hat und die gerade alles dafür tut, um ihnen weiterhin
gute Geschäftsbedingungen zu verschaffen.
„Banken in die Schranken!“3
fordern sie z.B. von der Politik und meinen in ihr auch den richtigen
Ansprechpartner gefunden zu haben, sie machen ihr z.B. praktische
Vorschläge, wie die Finanzübermacht, „die Spekulative“, zurückzudrängen
sein. So fällt es der Politik auch nicht schwer, den Protest für sich zu
vereinnahmen und ihr Handeln als eines im Auftrag der Protestierenden
darzustellen, wenn sie selbst höhere Eigenkapital-Anforderungen ans
Finanzgeschäft stellt, mit Transaktionssteuern droht und eine
freiwillige Beteiligung privater Anleger am griechischen Schuldenschnitt
aushandelt. Wenn die Politik allerdings Beschränkungen für das
Finanzgewerbe bestimmt, dann lizensiert sie es erstens in neuer Form,
weil sie es zweitens für ihren Wirtschaftsstandort schätzt und es so
drittens auf neuer „soliderer“ Grundlage zum Florieren bringen will und
nicht weil sie es tatsächlich einschränken will. Das Geschäft soll nur
krisenfrei ablaufen! Und auch im Wunsch nach einem krisenfreien
Kapitalismus ist sich ein Teil der Protestierenden mit der Politik
einig:
Statt in „hochspekulative Finanzprodukte“ zu investieren, sollte die
Bankenwelt doch ihrer „eigentlichen“ „dienenden“ Aufgabe nachkommen,
verantwortungsvoll Kredit zu günstigen Konditionen an Staaten,
Unternehmen und Häuslebauer zu vergeben. So wollen sie „Bankiers statt
Bankster!“
Kredit ist erstens nie ein Dienst, sondern ein Rechtsanspruch gegen den
Schuldner, die Zinsen zu bedienen, egal wie der das hinkriegt. Ein
Kredit wird nie vergeben, um jemanden zu „versorgen“, sondern um an
fremder Geschäftstätigkeit zu partizipieren. Zweitens ist es immer eine
risikobehaftete Angelegenheit, Kredite an Konkurrenten zu vergeben, die
sich ihren Erfolg gegenseitig bestreiten. Ein Kredit, der den
Kreditnehmer vom bisher verdienten Geld unabhängig machen soll, um
zukünftiges Geschäft gegen andere zu ermöglichen, ist immer spekulativ.
Das Schuldengeschäft wird also nicht erst bei Aktien und Derivaten
spekulativ, seine Natur besteht im Geschäft mit dem Risiko.4
Dabei sollen die Banken dann aber nur nicht „zu viel“ riskieren. Wo
aber soll bitteschön das Maß der „soliden Spekulation“ sein? Banken
sollen Risiko eingehen, aber nicht zu viel und ganz solide? Das „zu
viel“ wird wie zuvor dargestellt immer erst beim Eintreten einer Krise
entdeckt.
Dem Bankwesen vorzuwerfen, dass es seine Aufgabe verletze, die
Unternehmen mit Krediten „zu versorgen“, wenn es in „hochspekulative
Finanzprodukte“ investiere, erklärt ganz schlicht alle
Geschäftstätigkeit, die über das Verleihen von Krediten hinausgeht und
auf dieser Grundlage passiert, zu einer bloßen Entgleisung des
Geschäfts. Diese Erklärung will sich also gar nicht mit dem Bankgeschäft
für sich auseinandersetzen, sondern es moralisch anprangern.
Noch fataler bei dieser Diagnose ist allerdings die Unterscheidung von
schaffendem und raffendem Unternehmertum. Während in der Realwirtschaft
noch produziert würde und Arbeitsplätze geschaffen würden, würde im
Finanzwesen ja „nur noch Geld“ verdient, lautet der Vorwurf. Der
„Realwirtschaft“ wird einfach unterstellt, sie habe letztlich den Zweck,
nützliche Sachen für die Versorgung von Leuten herzustellen. Dagegen
muss man festhalten: Die Sachen – so brauchbar und nötig sie auch sein
mögen – werden nicht verteilt, sondern verkauft. Sie werden nicht einmal
produziert, wenn nicht die Aussicht besteht, sie gewinnbringend
absetzen zu können. Niemand wird eingestellt, weil er auf einen Lohn
angewiesen ist, sondern wenn die mit dem Lohn eingekaufte
Arbeitsleistung so viel mehr an Ertrag erwirtschaftet, dass bei der
Realwirtschaft Gewinne hängen bleiben. Auch die Realwirtschaft hat
denselben Zweck wie das Finanzgewerbe: Geldvermehren(lassen). Dort wird
das Geld zwar anders vermehrt, aber die Identität von beiden besteht in
der Geldvermehrung und von der ist hier alles abhängig gemacht. Damit
ist der Profit das gesellschaftlich gültige Interesse und nicht bloß ein
„nur“. Profit wird hier nicht zu wichtig genommen, sondern von ihm ist
alles abhängig gemacht, für nichts anderes wird hier gearbeitet, in
nichts anderem besteht der Zweck dieser Gesellschaft.
Umgekehrt drückt sich im Wunsch nach Beschränkung aus, wie gern die
Protestierenden einfach wieder „zurück zur Normalität“ wollen und wie
sturzzufrieden sie eigentlich mit den Verhältnissen sind: Krise soll
nicht mehr sein und die Finanzsphäre ihrem „eigentlichen“ Job
nachkommen, den Zweck der Wirtschaft nach „verantwortungsvollen
Wachstum“ ordentlich zu unterstützen. Wenn die Protestierenden die
Krise, aber sonst nichts am Kapitalismus stört, müssen sie vielleicht
einfach ein bisschen zelten und warten – bis sich genügend Kapital
entwertet hat, damit das „verantwortungsvolle“ Wirtschaften wieder von
vorne losgehen kann. Außerdem müssen sie der Politik nur die Daumen
dabei drücken, ihre Bevölkerungen genug zu verarmen, so dass die mit der
Staatstätigkeit herbeiregierten Standortbedingungen wieder als
produktiv, weil wachstumsförderlich, eingeschätzt werden.
Brecht die Macht der Banken!
Am negativen Urteil der Finanzwelt über bestimmte Staatsanleihen oder
die Kreditwürdigkeit von produktiven Unternehmen, wird die Macht der
Banken festgemacht. In der Kritik kommen hierbei die Staaten allerdings
fälschlicherweise als die Opfer und Getriebene des Bankenkalküls vor.
Diese Kritik unterschlägt, die staatliche Grundlage vom und das
staatliche Interesse am Finanzwesen. 2008 haben die Staaten das
Bankgeschäft mit verschiedenen Maßnahmen gerettet.5
Allein, dass sie das vermochten, verweist erstens auf ihr Interesse an
einem intakten Bankwesen, zweitens darauf, dass dieses Geschäft dann
auch auf der staatlichen Macht beruht. Er lizenziert deren Geschäft:
Alle Handelsartikel (vom kommerziellen Kredit bis zum Optionsgeschäft)
sind Rechtsansprüche, die er garantiert. Der Staat stellt den Banken
zweitens das Material ihrer Betätigung überhaupt erst zur Verfügung,
indem er ein nationales Geld stiftet.
Der Staat hat an dem Geschäft der Banken ein eigenes Interesse: Er setzt
es frei, so dass sie nach ihrem Kalkül von Sicherheit und Rendite über
die Zuteilung von Geld entscheiden, auf dass auf dem eigenen Standort
garantiert nur Geld verausgabt wird, dass kapitalistisch gerechtfertigt,
also rentabel ist – von diesem aber unbegrenzt viel. Weil der Staat
diesen „Dienst“ von ihnen will, rettet er die Banken und macht seine
Verschuldung von ihrer Bewertung abhängig.
Hierbei sollte man allerdings beachten, dass es Sache der Politik ist,
Staatsanleihen zu begeben, also das staatliche Verschuldungsinteresse
dem Finanzkapital als Geschäftsmittel anzubieten. Die Staaten wollen
sich damit eine höhere Freiheit in Sachen Ausgaben für ihre
Standortförderung leisten. Umgekehrt haben die investierenden Banken und
Versicherungen relativ sichere Papiere, die sich verzinsen, wissen sie
doch um die Zugriffsmacht des Staates auf den Reichtum unter seiner
Hoheit. Dass damit der staatliche Wille, mit den neu eingeworbenen
Geldmitteln einen erfolgreich wachsenden Standort zu herbeizuregieren,
nun auch zu einem Muss wird, wenn er sich weiterhin verschulden will,
mag schon so sein. Das zeugt jedoch weniger von einem äußeren Zwang als
von der Konsequenz die sein Interesse nach sich zieht – er setzt seinen
Standort und seine Ausgaben eben der Beurteilung durch seine Geldgeber
aus: Wie fähig ist er zukünftig gesteigerten Reichtum aus der von ihm
beherrschten Gesellschaft zu ziehen? So lange wie beide Interessen
zusammenwirken, so lange ist nebenbei niemand auf die Idee gekommen, die
Macht von Finanzkapitalisten zu kritisieren. Mit der Krise und dem
Misstrauen in den Kredit einiger Staaten ist diese Symbiose aufgebrochen
und dadurch, dass sich die Banken „einfach nur“ fragen, ob die
jeweiligen Staatsschulden noch für ihr erlaubtes Bereicherungsinteresse
taugen und mit der Abwertung ein negatives Urteil fällen, geraten die
Banken in Verruf. All das spricht aber nicht für eine Fremdherrschaft
der Banken.
Die Sphäre der Politik: Korrupt, Amtsmissbrauch – Mangel an Demokratie
Für ihre Bescheidenheit bzgl. der Ansprüche nach einem eigenen guten
Leben verlangen die Protestierenden von der Politik wenigstens
berücksichtigt zu werden: „Die Demokratie gehört den Menschen (demos
= Menschen, krátos = Regierung), wobei die Regierung aus jedem
Einzelnen von uns besteht. Dennoch hört uns […] der Großteil der
Politiker überhaupt nicht zu. Politiker sollten unsere Stimmen in die
Institutionen bringen“ (Manifest M15) Die Nation und ihre Politik
scheint nur für den Auftrag zu bestehen, den Interessen der Leute zur
Durchsetzung zu verhelfen, also gute Lebensverhältnisse für's Volk zu
schaffen.
Der Grund dafür, dass Krise herrscht und der „Profit über den Menschen“
gestellt werden konnte, so dass der Gier einiger weniger Recht gegeben
worden sein soll, liegt für die Protestierenden in einer völlig falschen
Politik. Dass die Mehrheit der 99% nicht viel von ihrem Leben hat –
obwohl es ihr vor lauter Dienstbereitschaft doch zustünde – liegt für
sie darin, dass ihr eigentlich Verdientes von der politischen Macht
vorenthalten wird. So werden sie kritisch gegen den Staat und klagen
darüber, dass er sich die Abwesenheit „echter Demokratie“ hätte zu Schulden kommen lassen.
Deren Fehlen soll dann der eigentliche Grund für die aufgezählten Leiden
sein. Auch wenn das logisch widersprüchlich ist, geht der Gedanke dabei
so: Weil die Herrschaft von der unternehmerischen Minderheit der 1%
korrumpiert sei, höre sie nur noch auf den Profit und diene nicht mehr
dem Volke. So verletze sie ihren eigentlichen volksfreundlichen Auftrag
und werde zu einer Herrschaft „der 1%, durch die 1%, für die 1%“.
Zum volksfreundlichen Auftrag der Demokratie:
Es ist schon fragwürdig, warum es ausgerechnet ein Gewaltmonopol mit
einer Heerschar von Polizisten und Richtern brauchen soll, um Leuten ein
auskömmliches Leben zu bieten. Es fragt sich auch, warum es für ein
gutes Leben von Menschen überhaupt eine Herrschaft brauchen soll – soll
sie die Menschen zu chilliger Arbeit und guter Versorgung etwa zwingen?
Jede Herrschaft – auch die demokratische – unterstellt einen Gegensatz
zu den von ihr Beherrschten. Es muss ferner eine seltsame Gemeinschaft
sein, wenn sie erzwungen werden muss. Dann beruht sie nämlich nicht auf
gemeinsamen Interessen und Absprachen, sondern auf lauter ins Recht
gesetzten Gegensätzen!
Was ist eigentlich Volksherrschaft? Dass das Volk nicht über sich selbst
herrscht, sondern regiert wird, ist bekannt. Wenn die Demokratie ihr
Volk selbst darüber abstimmen lässt, von wem es sich gern regieren
lassen will, wird sie darüber noch nicht menschenfreundlich. Sie
überlässt hierbei der Bevölkerung die Entscheidung, wer die vorher
feststehenden Ämter ausfüllen soll, also mit der bereits vorabstehenden
Staatsräson betraut werden soll. Zu der Ermächtigung bestimmter Parteien
und Politfiguren darf das Volk seine Zustimmung abgeben, in der Wahl
wird jedem so abverlangt sich die Frage vorzulegen, wer Deutschland wohl
am besten regieren könnte – ohne zu fragen, was er selbst davon
eigentlich hat. Die Abgabe der Stimme ist gleichbedeutend mit einer
Unterschrift, fortan andere über die eigenen Lebensverhältnisse
entscheiden zu lassen – demokratisch legitimiert. Ausgerechnet von so
etwas wollen die Protestierenden mehr?
Dass die Mehrheit in der Demokratie nicht gerade von ihr profitiert,
liegt nicht an ihrer Abwesenheit oder dass einfache Bürger zu wenig
mitreden dürfen, sondern an ihrem Herrschaftszweck. Noch für jeden
Politiker ist es das Wichtigste, dass „Deutschland gestärkt aus der
Krise“ hervorgeht, alle halten es für eine Notwendigkeit sich um die
Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und um Zuspruch von den
Finanzmärkten zu bemühen. (Die Politik verfolgt damit nicht den
Standpunkt „es allen recht machen zu wollen“, sondern will den Erfolg
der Nation.) Dass Natur, Menschen und Wissenschaft Ressourcen dafür
sind, mit denen sich Gewinn durch Unternehmen erzielen lassen, wird von
jeder Politik so gesehen. Beim Management der Bedingungen, dass diese
auch geldverdienmäßig ausgenutzt werden, gibt es dann parteipolitische
Alternativen – worin besteht der sichere Energiemix?, Vermögensster bei
42% oder 48%?, Mindestlohn bei 7,50 oder 10 Euro?
Dass das demokratische Procedere beim Staatmachen kein Selbstzweck für
sich ist, sondern eben ein Mittel um das Volk ideell auf die
Staatsvorhaben zu verpflichten und dessen Zustimmung abzuholen merkt man
an sowas wie Expertenregierungen oder der Drohung seitens der Troika
Kredite zu verweigern, das griechische Volk über die Annahme
Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen. Wenn ein Misstrauen in den
Volkswillen besteht, stört das demokratische Verfahren einfach nur!
Somit macht sich die Politik nicht vom Willen des Volkes abhängig und
wirft auch mal ihre Herrschaftsmethodik über Bord, wenn sie sie für
unzweckgemäß hält.
Zum Korruptionsvorwurf:
Politikern den Vorwurf zu machen, sie ließen sich bestechen und würden
damit ihrem eigentlich Auftrag nicht mehr nachkommen, tut so, als
müssten sie erst zu etwas gezwungen werden, was sie selbst gar nicht
vorgehabt hätten. Der Vorwurf der Korruption verpasst genau das
Eigeninteresse der Politik am Wachstum der nationalen Wirtschaft, weil
sie sich etwas für sich davon verspricht. Nur wegen ihrem Interesse hat
sie übrigens auch ein offenes Ohr für die Bedürfnisse von Unternehmen
und richtet ihnen eine Lobby ein. Nur wegen ihres Interesses an
kreditfinanzierter Staatstätigkeit erlaubt sie den Banken die Bewertung
von Staatsanleihen. Es wäre auch ein schlechter Witz, wenn die Politik
eigentlich gerne Leuten ein nettes Leben ermöglichen wollen würde, nur
ausgerechnet sie – die die Geschäftswelt zu ihrer Tätigkeit berechtigt
und ermächtigt hat – dauernd durch ihr eigenes Produkt dazu nicht in der
Lage wäre. Volksherrschaft heißt eben gar nicht, dass es allen gut
gehen soll oder es „allen recht zu machen“, sondern dass es eine Politik
gibt, die über dem Volk steht und es beherrscht. Eine Politik, die alle
einzelnen beschränkt und sie so zur Verfolgung ihrer gegensätzlichen
Interessen berechtigt, damit der Erfolg der Nation zum Zuge kommt –
dafür wird das Volk benutzt und gegen andere Nationen wird er erzielt
und behauptet (siehe Griechenland). Ein Sparprogramm zeigt das extra
deutlich: Für einen stabilen Euro und das Vertrauen der Finanzmärkte in
die Verschuldungsfähigkeit der Staaten werden Ausgaben für bloße
Lebensbedürfnisse der lohnabhängigen Bevölkerung zusammengestrichen und
gegen sie durchgesetzt. Selbst jetzt, wo die Bedürfnisfeindlichkeit des
Systems besonders offen zu Tage tritt, hoffen die Protestierenden auf
besseres Regiertwerden? Diese Beschränkung tut niemanden gut und lohnt
sich auch nicht, weil sie in der Verpflichtung aller besteht, direkt
oder indirekt einen Beitrag zum Konkurrenzerfolg in Sachen
Wirtschaftswachstum zu leisten. Genau in der Förderung von
Kapitalwachstum für die eigene Nation besteht die „Verantwortung“ der
demokratischen Politiker*innen. Frage an die Protestierenden: Ist es
sinnig an diese Politik Forderungen zu stellen? Ist es klug sich von
einer solchen Politik beherrschen lassen zu wollen?
Nein, werden einige sagen: Wir wollen ja eine echte Demokratie!
„Echte Demokratie jetzt!“
Es ist zwar gar keine Kritik an der bestehenden, ihr einfach das eigene
Bild einer idealen entgegen zu halten. Trotzdem sei noch ein Augenmerk
auf die Praxis der voll echten Direktdemokratie gelegt: „Als
eine Versammlung von Menschen ist die Asamblea die basisdemokratische
Zusammenkunft freier Individuen zum konstruktiven kommunikativen
Austausch. Dieser Austausch hat Konsensentscheidungen zum Ziel, die
Kommunikation sollte lösungsorientiert und kooperativ von Statten gehen.
Sinn und Zweck der Asamblea ist es ausdrücklich nicht, gegensätzliche
Positionen konfliktiv aufeinanderprallen zu lassen, sondern vielmehr aus
gegensätzlichen Positionen heraus gemeinsam neue Ansätze zu
entwickeln.“ (alex11.org) „Sonstige Abstimmungen sollten nur in
terminlich drängenden, organisatorischen Fragen, in denen die Zeit
fehlt um zu einer Konsensentscheidung zu gelangen, als Mittel gewählt
werden. Es ist allerdings niemand gezwungen sich an Ergebnisse von
Abstimmungen zu halten. Denn echte Demokratie schließt ein Verständnis
und ein Bewusstsein für eigenverantwortliches Handeln mit ein.“
(alex11.org) In der Asamblea soll jeder zu Wort kommen, jeder gehört
werden. Jedes Interesse wird für gleich wichtig befunden, auf den Inhalt
kommt es also nicht so sehr an. Jeder kann sich aber mit seiner ganz
persönlichen Betroffenheit als Betroffener vorstellig machen und so die
Demonstration seiner Empörung mit Kritik verwechseln. Es geht nicht
darum für bestimmte Interessen zu kämpfen – das würde andere ja
ausschließen – sondern darum, mit der Versammlung und dem öffentlichen
Campen zu zeigen, dass hier eine Mehrheit von Betroffenen versammelt
ist, die sich „engagiert“. Dieses Interesse ist für sich schon ein
seltsames, das nämlich nur zeigen will, dass man sich irgendwie
engagiert statt „zuguckt“. Widersprüchliche Interessen werden dann nicht
einfach ausgetragen, sondern jeder soll sich konstruktiv für die
ideelle Gemeinschaft einsetzen und dann eben nach anderen
„Lösungsvorschlägen“ suchen. Warum eigentlich? Es kann doch auch mal
sein, dass man falsch liegt, da ist es doch besser sich widerlegen zu
lassen statt gemeinsam irgendeinen neuen Ansatz zu suchen, der dann am
Ende trotzdem Murks ist. Für was eigentlich? Für einen „gezähmten“
Finanzmarkt? Für eine solidarische EU?
Es kommt doch schon etwas auf den Inhalt der verschiedenen Interessen
an. Relativ zu dem ergibt sich dann, ob man zwischen den
unterschiedlichen vermitteln kann oder nicht. Auf eine Zeltordnung in
Sachen Kloreinigung und Kochen, woran alle ein Interesse haben dürften,
lässt sich sicherlich gut einigen. Worauf sich allerdings abhängig
Beschäftigte und Mittelständler einigen sollen in Fragen der
Arbeitsplatzeinrichtung und Lohnhöhe ist nicht abzusehen. Zwischen dem
Interesse an einem guten Geschäft, das möglichst viel Leistung zu
möglichst geringen Lohnkosten verlangt und dem Interesse an möglichst
wenig Arbeit für möglichst viel Geld lässt sich einfach kein Konsens
finden. Es ist schlecht, sich nicht die Gründe für die Verfasstheit von
Ökonomie und politischer Macht anzuschauen, sondern immer nur die eigene
Enttäuschung über ihre Resultate zu demonstrieren, um am Ende dabei zu
landen, sich konstruktiv in sie hinein zu denken. Wenn derart
gegensätzliche Interessen vorliegen, müssen die Verhältnisse ziemlich
üble sein, dass Leute derart aneinander geraten. Dann muss man etwas an
der grundlegenden Verfasstheit dieser Gesellschaft verändern.
1Nebenbei liegt in der Forderung nichts Bestimmtes über diese Bewegung aussagen zu sollen ein Kritikverbot: Weil man nichts über alle sagen könnte, solle sich auch gleich die bestimmte Kritik erübrigen.
2Die nun folgenden Anklagen sind der „Deklaration der 'Generalversammlung' von New York City entnommen. Nach zu lesen u.a. hier: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/USA/occupy2.html (Gefunden am 30.11.2011)
3Ursprünglich eine Demo
4Und nebenbei: Auch jede Investition in ein ganz handfestes Geschäft mit Textilien oder Autos hat seine spekulative Seite – erst auf dem Markt stellt sich heraus, ob die produzierten Sachen denn auch mit Gewinn verkauft werden können.
5Ausführliches zum Thema „Staatsverschuldung und die Krise im Euroraum“ in unserer gleichnamigen Broschüre. Zu finden hier: http://junge-linke.org/staatsverschuldung-und-die-krise-im-euroraum-alle...
22.12.12 Antikapitalistische Demo in Mannheim
There is no alternative – Kapitalismus überwinden!
Seit über 4 Jahren befindet sich die Weltwirtschaft in der schwersten Krise seit langem. Einhergehend mit einer massenhaften Verelendung, Arbeitslosigkeit und allgemeinen Verschärfung der Lebensbedingungen, spitzt sich diese auch in Europa – vor allem in Griechenland, Spanien und Portugal – immer weiter zu. Immer neue, schärfere und größere Sparprogramme und Rettungspakete sollen den Kapitalismus vor dem Zusammenbruch bewahren.
Das Drohszenario der Kredit- und Schuldenkrise dient der aus Europäischer Kommission, IWF und EZB bestehenden Troika zur Legitimation eines angeblich alternativlosen Spardiktats. Diese verordnete Sparsamkeit führt dazu, dass die „Sparsünder“ geradezu kaputtgespart werden. Die Folge sind massivste Einschnitte in Gesundheits- und Sozialsysteme, die die Menschen in Ländern wie Portugal, Italien, Griechenland und Spanien oftmals an den Rand ihrer Existenz drängen. Während in diesen Ländern immer wieder Widerstand in Form von Streiks und Massenprotesten gegen das EU-Krisenregime aufkommt, sieht die derzeitige Lage im „Exportweltmeisterland“ Deutschland, das bisher als Gewinner aus der Krise hervorgeht, ganz anders aus:
Die gegenüber anderen EU-Ländern aggressive Krisenpolitik der Bundesregierung ruht auf einer soliden Basis aus Gewerkschaften, die dem Standort Deutschland sozialpartnerschaftlich verbunden bleiben, einer Opposition, die sich herzergreifend um den „deutschen Steuerzahler“ sorgt, sowie nationalistischen Ressentiments in weiten Kreisen der Bevölkerung. Chauvinistische Parolen und Pauschalisierungen, wie bspw. die “griechische Regierung müsste endlich mal ‘ihre Hausaufgaben machen’” (Westerwelle) oder das Bild des „faulen Griechen“ (Bild-Zeitung), stoßen in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit auf Zustimmung.
Zwar beteiligten sich hierzulande im vergangenen Jahr mehrere Tausend Menschen an antikapitalistischen Protesten wie dem europaweiten M31-Aktionstag oder auch Blockupy, doch von einem breiten Widerstand gegen das EU-Krisenregime in Deutschland kann bisher keine Rede sein. Während von der einen Seite nationalistische Stammtischparolen zu hören sind, beklagt man sich in linksliberalen Kreisen über die entfesselten Märkte und sehnt sich nach einem „gezähmten“ Kapitalismus. Mit Tobin-Steuer, Bankenverstaatlichung und einem soliden Sozialstaat soll der scheinbar vom rechten Wege abgekommene „Finanzmarktkapitalismus“ wieder in eine „produktive“, „schaffende“ soziale Marktwirtschaft überführt werden, von der angeblich alle profitieren würden.
Eine solche Kritik läuft Gefahr, letztlich mit moralischen Schuldzuweisungen Ressentiments zu bedienen. Verursacht wurde die aktuelle Krise jedoch nicht von spekulierenden Banken, Manager*innen oder den „Sozialschmarotzern“. Sie ist vielmehr ein immer wieder – mal mehr, mal weniger regelmäßig – auftretender fester Bestandteil des Kapitalismus.
Der Kapitalismus ist die einzige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der der Überfluss an Gütern ein Problem darstellt. Unverkäufliche Güter können zum Ruin ihrer Besitzer*innen führen und schlussendlich zu einer Überproduktionskrise. Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, denen es am Nötigsten fehlt und die nicht in der Lage sind, das einzige worüber sie verfügen – ihre Arbeitskraft – zu verkaufen.
Dies führt zu der absurden Situation, dass Lebensmittel, welche nicht verkauft werden können, auf der Müllhalde landen, während andernorts Menschen Hunger leiden. Oder dass zum Beispiel in Spanien neue Häuser gebaut wurden, die nun leer stehen, da sie sich niemand leisten kann; gleichzeitig steigt die Zahl obdachloser Menschen an.
Die Produktivkräfte (sprich, die Maschinen zur Produktion von Gütern) waren in der Menschheitsgeschichte noch nie so weit entwickelt wie heute. Es wäre durchaus möglich, in einer Welt, die weder Hunger und Krieg noch Leid oder andere existentielle Ängste kennt, zu leben. Dazu wäre es nur notwendig, die Produktion der Güter bedürfnisorientiert und vernünftig in die eigenen Hände zu nehmen. Der Kapitalismus ist aber weder das Eine noch das Andere, sondern Willkürherrschaft der Warenproduktion. Im Kapitalismus zählt nur die Verwertung des Wertes, sprich das Erwirtschaften von Profit, um diesen sogleich wieder zu reinvestieren, aber nie die Bedürfnisse aller Menschen.
Anstelle dieses kapitalistischen Überlebenskampfes und dem aus ihm erwachsenen Krisennationalismus setzen wir uns für eine antinationale Solidarität zwischen allen Menschen ein, die unter den Lasten des kapitalistischen Alltagswahnsinns leiden. Alternativlos für ein Ende des alltäglichen Elends sind für uns nicht Spardiktate oder Haushaltskonsolidierungen sondern einzig „Die Überwindung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx).
Wir setzen uns ein für eine Welt, in der die Menschen ihr Zusammenleben nicht mehr nach den Zwecken von Konkurrenz und Verwertung in nationalstaatlichen Grenzen ausrichten, sondern selbstbestimmt und solidarisch in freier Vereinbarung zusammenleben. Wir wollen darum keinen „besseren“, vermeintlich „sozialeren“ Kapitalismus, sondern gar keinen!
Wir sind uns bewusst, dass ein Umsturz der Verhältnisse in Europa und erst recht in Deutschland derzeit alles andere als greifbar scheint. Trotzdem, und gerade deswegen, wollen wir unsere Kritik am Bestehenden am 22. Dezember 2012 in Mannheim auf die Straße tragen und das EU-Krisenregime sowie den kapitalistischen Alltag zumindest punktuell delegitimieren.
Denn es gibt keine Alternative: Kapitalismus überwinden!
Für eine solidarische, herrschaftsfreie Gesellschaft!
Antikapitalistische Demo | 22. Dezember 2012 | 15 Uhr | Mannheim HBF
Unterstützer_innen:
AK Antifa Mannheim
Alarm e.V. Offenburg
Anarchistischer Funke
Anarchistische Föderation RheinRuhr in Gründung
Anarchistisches Netzwerk Tübingen
Autonome Antifa [f]
FAU Frankfurt
Forum deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA-IFA)
Linksradikales Bündnis Kontrollverlust (Freiburg)
Wenn ihr den Aufruf unterstützen wollt, schreibt einfach eine e-Mail an: demo(ät)a-netz.org
Infos: esistdassystem.blogsport.de und a-netz.org
halbe Sache
Für einen vollständigen Diskurs, hier eine Sichtweise auf http://alex11.org zu der Kritik: http://www.alex11.org/2012/12/neues-zur-geldsystemdebatte-diffamierungen-und-konstruierte-gegenargumente-aktualisierte-fassung/ …
Occupy Antifa
Es ist das alte Problem aller imperialistischen Niedergangsepochen - der Irrsinn von Rentabilität und Integration plündert mittlerweile selbst diejenigen aus die sich ihm bedingungslos anpassen und unterwerfen. Neu ist die strategische Allianz zwischen dezidierten Nonkonformist_innen und ausgeschiedenen Konformist_innen, die sich aus alltäglicher Einsicht in schlichte Notwendigkeit speist. Die Antifa hat immer davon geträumt die Deklassierungserscheinungen des Kapitalismus, welche dem Faschismus in seiner "Kampfzeit" so Zunder geben konnten, dem Einfluß der Faschist_innen und Kapitalist_innen zu entwinden, "Occupy" sollte als der praktische Versuch dessen unter den Bedingungen globalisierter kleptokratischer Stagnation und militaristischer Todeskrämpfe aufgefasst werden. Es ist kein Zufall dass diese Bewegung sogleich die allerverdorbensten Feindseligkeiten aus dem klerikalfaschistischen Sumpf auf sich gezogen hat - wer immer in Deutschland vor Heuchelei trieft hasst auch "Occupy" und die darin keimende Chance den Verlust des falschen Ganzen zum wahren Gewinn zu machen.