Am 20.10.2012 fand in Stuttgart eine antimilitaristische Demonstration unter dem Motto "Schulfrei für die Bundeswehr" statt. Landesweit mobilisiert hatte sowohl ein breites Bündnis von bürgerlichen und/oder linken Parteien, Gewerkschaften, säkularen und christlichen Friedensinitiativen als auch ein Bündnis revolutionärer Gruppen. Den Aufrufen beider Bündnisse folgten schliesslich zwischen 150 und 250 (je nach Quelle) Menschen, die sich am Nachmittag zur Auftaktkundgebung in der Lautenschlagerstr. versammelten.
Im Folgenden ein Interview zum Ablauf und verschiedenen Aktionen während der Demo - subjektive Eindrücke eines Demonstranten, der sich selbst als undogmatischen Linken bezeichnen würde.
Frage: Wie war Dein Eindruck vom Demo-Konzept, Planung und Organisation?
Ich schätze, erstmal war es für die Orga vor Ort erstmal eine Herausforderung, die verschiedenen teilnehmenden Gruppierungen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Spektren unter einen Hut bzw. in einen geschlossenen Demonstrationszug zu bekommen. Das hat nach meiner Beobachtung aber gut geklappt, auch die Kommunikation zwischen Orga und den einzelnen Gruppierungen vor und während der Demo.
Frage: Wie beurteilst Du die Mobilisierung zur Demo?
Das ist ein eher deprimierendes Kapitel - ich meine, die Thematik betrifft ja potentiell zig-tausende Schüler, Eltern und Lehrer, die damit konfrontiert sind, dass die Bundeswehr aufgrund der Kooperationsvereinbarung mit dem Kultusministerium an den Schulen im Land ideologisch einseitige und kriegsverharmlosende Werbeveranstaltungen durchführen kann.
Die Thematik betrifft auch zig-tausende Studierende, an deren Universitäten weiterhin militärische Forschung betrieben wird - obwohl an etlichen Unis im Rahmen der Studierenden-Streiks vor ein paar Jahren Zivilforschungsklauseln erstritten wurden.
Wenn vor diesem Hintergrund landesweit lediglich vielleicht 200 Menschen mobilisiert werden konnten, dann ist das auf jeden Fall zu wenig. Vor allem wenn man bedenkt, wie viele unterschiedliche Gruppierungen aus den unterschiedlichsten Facetten des friedensbewegten und antimilitaristischen Spektrums in ihren jeweiligen Zusammenhängen zu der Demo mobilisiert haben.
Frage: Was denkst Du hätte im Vorfeld getan werden können, um mehr Menschen für die Demo zu mobilisieren?
Letztlich muss, wird und soll ja jede der zur Demo aufrufenden Gruppierungen natürlich selbst entscheiden, in welchem Rahmen und mit welchen Inhalten sie in ihrem Umfeld mobilisiert. Aber man muss denke ich auch realistischerweise sehen, dass Themen wie Friedensarbeit und Antimilitarismus heute weit weniger ein breites Thema in der Gesellschaft insgesamt sind als vor 30 Jahren, als damit noch hunderttausende Menschen mobilisiert werden konnten. In großen Teilen der Bevölkerung gibt es mittlerweile genau Null Motivation, sich aus eigenem Antrieb kritisch mit diesen Themen auseinanderzusetzen.
Da mögen die Massenmedien einen Anteil daran haben, in denen diese Themen mittlerweile auf oft extrem flachem Niveau von den immer gleichen Protagonisten totgequatscht werden, da spielen sicher auch Verdrängungsmechanismen in den bürgerlicheren Sphären eine Rolle: mit dem Gefühl von persönlicher Mitschuld, das sich aus der Tatsache ergibt, selbst mitverantwortlich zu sein wenn die von einem selbst gewählten Volksvertreter z.B. Auslandseinsätze der Bundeswehr mit allen Konsequenzen beschliessen und durchführen lassen, lässt sich natürlich am einfachsten umgehen, wenn man die Thematik gar nicht erst an sich heranlässt.
Wie soll man also vor diesem Hintergrund mobilisieren? Man müsste eigentlich einen Großteil der Leute ein Stück weit von da abholen, wo sie in dieser selbstgewählten Ignoranz gerade stehen - und da stellt sich mir die Frage nach der Wahl von Form und Mitteln.
Klar ist es wichtig und richtig, die übergreifenden Zusammenhänge zwischen Bundeswehr, Kapitalismus, Neoimperialismus und dem ganzen anderen Mist zu benennen und zu kritisieren. Aber für die Mobilisierung über das engere Umfeld der eigenen (Klein-)Gruppe hinaus kann es denke ich sinnvoll sein, sich inhaltlich erstmal auf den konkreten Anlass (hier: "Bundeswehr raus aus den Schulen") zu beschränken und die jeweils eigenen übergeordneten politischen und ideologischen Zusammenhänge ein Stück weit zurückhaltender zu kommunizieren.
Frage: Das klingt nach einer Aufweichung der eigenen Ansprüche und Forderungen, nur um möglichst viele Menschen anzuziehen?
Natürlich nicht. Aber einiges was da von verschiedenen Gruppen im Vorfeld und während der Demo an Infomaterial verteilt wurde war inhaltlich sehr weit gefasst, und hatte teilweise wenig mit dem konkreten Anliegen der Demo zu tun.
Man muss sich denke ich schon im Klaren darüber sein, dass die Mehrheit der Menschen - mit nicht-revolutionärem Hintergrund - intellektuell erstmal "dicht macht", wenn sie mit seitenlangen Formulierungen konfrontiert ist, die sie von klein auf als vermeintlich "linke Kampfrhetorik" abzulehnen gelernt hat. Mit der Kooperation von Bundeswehr und Schule - und dem ganzen Rattenschwanz an Konsequenzen, der daraus resultiert - als konkret benanntem Kritikpunkt können dagegen vermutlich auch Leute außerhalb radikaler und/oder revolutionärer Zusammenhänge konkret etwas anfangen. Wenn danach bei einigen ein dieser Leute ein Denkprozess einsetzt, der zur Erkenntnis der dahinterliegenden Zusammenhänge führt, umso besser. Aber ich denke, das darf man nicht grundsätzlich voraussetzen.
Frage: Ok, zurück zur Demo - wie beurteilst Du den Ablauf und die einzelnen Aktionsformen? Wie die Aussenwirkung der Demonstration?
Konzeptionell - und abgesehen von der geringen Teilnehmerzahl - war das Ganze ja eher eine Standardveranstaltung, mit verschiedenen Blöcken der einzelnen Bündnissgruppen, auf einer festgelegten Demoroute mit etlichen Zwischenkundgebungen. Soweit ich das mitbekommen habe, gewaltfrei seitens aller Beteiligten.
Was die Aussenwirkung betrifft ergibt sich für mich persönlich ein sehr zwiespältiges Bild. Erstmal: der Lauti war eindeutig unterdimensioniert, da hätte man mit ein bisschen mehr Power eine deutlich größere Aussenwirkung erzielen können.
Den sambatrommelnden "Pink and Silver"-Block an der Spitze des Zuges zu platzieren war dagegen eine gute Methode, um unbeteiligte Aussenstehende lautstark und positiv auf die Demo aufmerksam zu machen. Diese initial positive Aufmerksamkeit wurde aber an etlichen Stellen leider sofort wieder verschenkt.
Symptomatisch dafür war für mich der Stopp auf der vollbesetzten Königstrasse, an einem Samstag zur besten Shopping-Zeit eigentlich ein idealer Platz, um die Message der Demo nach aussen zu tragen. Und was geht ab, wie reagieren die Leute auf die Demo? Ungefähr so:
Zuerst fahren die Bullen voraus - die Leute sind irritiert, bleiben stehen, kucken. Dann kommt das Front-Transpi, direkt dahinter die Rhythms of Resistance-TrommlerInnen - die Leute sind überrascht, der Rhythmus steckt aber etliche Passanten an, mehr Menschen bleiben stehen, wippen mit. Etliche Menschen beginnen sich auch für die Demo und deren Anlass zu interessieren. Der Lauti quetscht sich mit auf die Strasse...
... und dann passiert etwas zumindest für mich ganz und gar sonderbare Anmutendes: nach einigem Hin und Her formieren sich die DemonstrantInnen zu einem geschlossenen, im Inneren leeren Kreis, der die Königsstrasse fast in ganzer Breite blockiert. Mit den Gesichtern zum Kreisinneren, vor sich die ganzen Transpis ebenfalls nach innen ins Menschenleere haltend, kehren sie der Aussenwelt rundum den Rücken zu. Es folgen diverse Redebeiträge vom - wie erwähnt zu leisen - Lauti.
Aussenwirkung zu diesem Zeitpunkt: Null bis negativ, weil für Aussenstehende bzw. -vorbeieilenwollende überhaupt nicht mehr ersichtlich ist, warum ihr samstägliches Shoppingerlebnis da so urplötzlich ausgebremst wird.
Als die ersten - und zwar, sorry, die üblichen - Parolen aus dem revolutionären Block laut werden, schägt die initial positive Grundstimmung der Aussenstehenden spürbar in Ablehnung um. Das eigentliche Anliegen der Demo ("Schulfrei für die Bundeswehr") wird von den Aussenstehenden offensichtlich nicht wahrgenommen, noch wird dies zu diesem Zeitpunkt aus der Demo heraus nach aussen kommuniziert.
Oder, um es mit den Worten der Bretzelverkäuferin auszudrücken, deren Stand immerhin direkt hinter dem Lauti war und die die ganze Zwischenkundgebung von dort aus verfolgen konnte: als sie von einer Kundin gefragt wird, was denn da los sei? - "Keine Ahnung, das sind wieder irgendwelche Linken".
Ja, genau - Bingo. Man hätte noch hinzufügen können: "...die gerade irgendwie in ihren Selbstbezügen stecken geblieben sind."
Frage: Was hätte denn anders laufen können/sollen?
Hätte, hätte...mit ein paar Tausend TeilnehmerInnen hätte man das vielleicht alles so durchziehen können; dann ist es ja unter Umständen die schiere Menge an Menschen, die Aufmerksamkeit für ein Thema erregt - Tausende waren aber nunmal faktisch nicht da, auch wenn die Veranstalter (und, dem Aufgebot nach, auch die Bullen) vielleicht vorab damit gerechnet haben.
Ich denke, als zu Beginn der Demo die relativ geringe Zahl der TeilnehmerInnen absehbar war hätten wir spontan das Konzept der Demo ändern müssen - weg von einem Marsch in geschlossenen Blöcken hin zu einer offeneneren Struktur, aus der heraus versucht wird, möglichst viel Information zum Anliegen der Demo in der Breite nach aussen zu tragen. Aber klar, das sagt sich natürlich leicht, im Nachklapp...
So selbst-abschottende Konstellationen wie oben beschrieben auf der Königstrasse gehen für mich persönlich jedenfalls gar nicht, egal mit wievielen Leuten. Und persönlich denke ich auch, manche Leute sollten sich mal überlegen unter welchen Umständen ein super-geschlossenes Auftreten in gerade noch legaler Vermummung und mit Seitentranspis sinnvoll ist und ab wann das in reinen Selbstzweck und ritualisierte Selbstinszenierung umschlägt.
Frage: Linker Spießer oder was?
Nein, aber zum Beispiel diese automatisierte, inflationäre Verwendung des Hochdieinternationalesolidarität zu jedem x-beliebigen Anlass kotzt mich mittlerweile sowas von an. Als würde den Leuten nichts Neues und/oder Anlassbezogenes mehr einfallen können: "Irgendwelche Linke" halt. Beliebig.
Ansonsten: hoffentlich nein, eher Realist. Es geht mir auch nicht darum, einen künstlichen Gegensatz zwischen militanten, kreativen oder sonstwelchen Aktionsformen zu konstruieren - das alles hat, vielleicht zu unterschiedlichen Zeiten und Anlässen, seine Berechtigung und kann sich im Idealfall wunderbar ergänzen.
Und klar freue ich mich, wenn ich auf einer Demo auf andere Menschen treffe, mit denen ich zumindest partiell auf einer Wellenlänge liege. Aber gemeinsam zu demonstrieren(!) heisst ja gerade, darüber hinaus eine konkrete gemeinsame Message auch nach aussen sicht- und hörbar zu kommunizieren.
Wenn diese Message "da draussen" irgendwann auch einmal von den bis dato Unbeteiligen und Gleichgültigen wahrgenommen werden soll - dass sie das nicht immer und automatisch tut, dafür war diese Demo in Stuttgart ein deutliches Beispiel - dann muss auch eine kritische Reflexion der entsprechenden Kommunikationsmethoden erlaubt und möglich sein. Meinetwegen auch erst im Nachhinein, und für zukünftige Aktionen.
Frage: Dazu ja auch dieses Interview - herzlichen Dank.
Da nicht für. Hier hast Du meine 2 Cent.
Kritik an der Kritik
Ich finde es prinzipiell positiv, wenn nach einer Demo subjektive Einschätzungen und Berichte von Einzelpersonen erscheinen.
Jedoch ist der Stil des Interviews hier mehr als ungebracht, vorallem, wenn dieser noch mit einem Bild eines Aufrufes geschmückt ist. Dies kreirt den Eindruck von einer "offiziellen" Stellungnahme von den Aufrufendengruppen. Noch bescheuerter ist dies wenn es von Jemand kommt, der sich offensichtlich kein bischen in den Vorbereitungen zur Demo eingebracht hat und so mit fragwürdigem Halbwissen um sich wirft.
Der "undogmatische Linke" Schreiberling, sollte sich vorallem mal an der eigenen Nase packen bevor er in altklugem Ton (sich wahrscheinlich selbst gestellte) Fragen wie: "Was denkst Du hätte im Vorfeld getan werden können, um mehr Menschen für die Demo zu mobilisieren?" und "...wie beurteilst Du den Ablauf und die einzelnen Aktionsformen? Wie die Aussenwirkung der Demonstration?" beantwortet.
Wer ernsthafft Kritik üben und eigene Aktionsideen umsetzen möchte, bekommt sein Hintern hoch und geht zu einem Nachbereitungstreffen, beteiligt sich im vorhinein an der Mobilisierung, unterstützt Gruppen wie z.B. das "Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung" oder baut eigene Initiativen auf.
Es stimmt, dass es schade ist, dass zu diesem Thema nicht mehr Menschen auf die Straße gehen, dies wird aber leider nicht durch so ein pseudo Interview geändert, vielmehr benötigt es Menschen die bereit sind aktiv zu dem Thema Antimilitarimus zuarbeiten und dies nicht nur punktuell an einem Demosamstag oder zu einer Kampagagne sondern beständig und längerfristig!!!
Hier findet sich ein Bericht vom Arbeitskreis Internationalismus Stuttgart: https://linksunten.indymedia.org/de/node/69571
Und hier ein Bericht zur Aktionswoche für militärfreie Bildung und Forschung: https://linksunten.indymedia.org/de/node/69000
Kritik an der Kritik der Kritik
Ich habe mit dem Interview zwar nichts zu tun, aber selbstverständlich steht es jedem frei auch über Ereignisse zu berichten und sie zu bewerten, die man nicht selbst organisiert hat. Pressemitteilungen von OrganisatorInnen einer Veranstaltung sind oft sehr aus einer Perspektive geprägt, da ist eine Erweiterung durch "einfache TeilnehmerInnen" doch bereichernd. Außerdem ist das Interview sehr solidarisch gehalten, ich verstehe gar nicht warum du dich gleich so angepisst fühlst? Ein etwas andere Meinung sollte man schon vertragen können...