Die massenhafte Datenauswertung durch die Sächsische Polizei im Zuge einer Anti-Nazi-Demonstration im Februar 2011 ist kein Einzelfall. Daten von Bürgern wurden schon vor zwei Jahren massenhaft gespeichert.
Nach Informationen der MDR Recherche-Redaktion werden seit 2009 tausende Kundendaten der Baumarktkette OBI sowie zehntausende Mobilfunkdaten aus dem Bereich der Dresdner Neustadt beim Sächsischen Landeskriminalamt gespeichert und ausgewertet. Hintergrund ist der Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge in der Dresdner Alberstadtkaserne am 12. April 2009.
Nach MDR-Recherchen wurde bei der Suche nach den vermutlich linksextremen Tätern das computergestützte Datenabgleichsystem EFAS eingesetzt. Dieses damals neuartige System ermöglicht den Abgleich von Kundendaten der gespeicherten Mobilfunknutzern mit denen von OBI-Baumarkt-Kunden. Dafür wurden insgesamt 162.000 Einkaufsjournale der Baumarktkette beschlagnahmt und in das Ermittlungssystem gespeist und abgeglichen. Diese Daten sind auch drei Jahre nach dem Brandanschlag und einem bisher ausbleibenden Ermittlungserfolg noch immer im System und wurden nicht gelöscht.
Belege sollten zu Käufern bestimmter Kisten führen
Die Rechnungsbelege der Baumarktkette OBI waren für die Ermittler interessant, weil ein Brandsatz im April 2009 nicht zündete. Dieser weitgehend unbeschädigte Brandsatz bestand aus mehreren Komponenten, darunter eine PET-Flaschen mit Brandbeschleuniger und eine Zündvorrichtung mit Zeitschaltuhr. Eingepackt waren diese Einzelteile in eine schwarze Ordnungskiste, die nur bei OBI erhältlich war. Deshalb konzentrierten sich die Ermittlungen auf das Sammeln und Auswerten von Kassenbelegen, auf denen eine oder mehrere solcher Kisten oder anderer Bestandteile des Brandsatzes aufgeführt waren. Die Ermittler erhofften sich davon Hinweise auf die Täter. Trotz des großen Aufwandes und intensiver Ermittlungen konnte die Ermittlungsgruppe Albertstadt, die in der Anfangszeit aus 30 Beamten bestand, den oder die Täter bislang nicht ermitteln. Das sächsische Innenministerium wollte zu den Vorgängen zunächst keine Stellung nehmen.
SPD kritisiert "systematische Überwachung"
Die innenpolitische Sprecherin der sächsischen SPD-Landtagsfraktion, Sabine Friedel, sagte, die Überwachung der Bürger durch die Polizei des Freistaates scheine systematisch stattzufinden. "Dass so etwas in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat möglich ist, hätte ich nicht geglaubt", erklärte Friedel. Die Überwachungstätigkeit der Polizei erreiche erschreckende Ausmaße. Beim Telefonieren, beim Einkaufen - überall schaue die Polizei zu. "Das ist doch nicht normal", sagte die SPD-Politikerin.
FDP-Politiker: Polizei sollte solche Mittel nicht haben
Auch bei der in Sachsen mitregierenden FDP wächst der Unmut. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Carsten Biesok, sagte, die Erkenntnisse zeigten, dass man der Polizei bestimmte Mittel "nicht in die Hände geben dürfe". Das gelte vor allem für die Vorratsdatenspeicherung und präventive Telefon-Überwachung. "Hier wurden offenbar ganze Daten-Massen unbeteiligter Menschen abgeschöpft und ausgewertet", so der FDP-Politiker. Biesok kündigte einen Fragekatalog an die Regierung an. Der Innenminister werde erklären müssen, welche Technik bei der Ausforschung der OBI-Kunden genutzt wurde, welche Daten bisher abgeglichen wurden und vielleicht noch werden.
Warten auf Daten-Fukushima
Keine Illusionen macht sich hingegen Dipl. Ing. Stefan Köpsell von der Fakultät Informatik und Systemarchitektur an der TU Dresden. Der Experte, der sich seit Jahren auch mit Datenschutz und Datensicherheit befasst, sieht ein Versagen der Politik. "Technisch ist doch seit Jahren alles möglich. Was wir brauchen sind starke Regeln. Aber offenbar müssen wir auf eine Art Daten-Fukushima warten, bevor die richtigen Schlüsse gezogen werden", sagte Köpsell.
Video,
Video mit ein paar krassen Szenen vom Naziaufmarsch (auch im Zusammenhang vom text oben.): http://www.mdr.de/sachsen/8746615.html