Jahrestag der vergessenen Pogrome von Erfurt ‘75 & Rassismus in der DDR

Symbolbild aus Lichtenhagen

Die Geschichte der Pogrome und rassistischen Angriffe in der DDR ist eine größtenteils unbekannte. Wir wollen heute einen Blick zurück werfen, um auch die heutigen Mobilisierungen in Sachsen oder Thüringen besser zu verstehen.

 

Das erste rassistische Pogrom der deutschen Nachkriegszeit fand vor 41 Jahren in Erfurt statt. Algerische Vertragsarbeiter wurden 4 Tage von einem u.a. mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffneten Mob durch die Straßen gejagt. Nur unter Polizeischutz konnten die Angegriffenen in ihre Unterkünfte flüchten, die Attacken hatten den Charakter von Lynchjustiz. Zuvor waren Gerüchte verbreitet worden, die Algerier_innen wären “nicht sauber”, “nicht arbeitsam” und dem “Alkohol und lockeren Frauen zugetan”. Zudem wurde behauptet, dass zwei bis zehn Deutsche von Algeriern ermordet worden wäre. Unter dem Ruf “Schlagt die Algerier tot” attackierten am 10. August die ersten 20 Personen, während Schaulustige das Geschehen beobachteten.

 

In der Folge wurden 25 Algerier von 300 Deutschen durch die Stadt getrieben. Bei einem ähnlichen Vorgang 2 Tage später mussten sich 12 Algerier vor dem attackierenden Mob in die Hauptpost retten, da die Rassist_innen ihnen den Weg zu ihrem Wohnheim abschnitten. Vor der Post sammelten sich 150 bis 300 Personen und skandierten „Gebt die Algerier raus“, „totschlagen“, „hängen“ oder „schlagt die Bullen tot“. Die Gejagten konnten von Sicherheitskräften durch den Hintereingang abtransportiert werden. Als der Mob versuchte mit Gewalt die Post zu stürmen, ging die Volkspolizei mit Schlagstöcken und Hunden gegen die Rassist_innen vor. Insgesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen.

 

Einen Tag später löste die Volkspolizei einen mit Stöcken bewaffnete Gruppe von 20 Personen in der Nähe des Wohnheims der Vertragsarbeiter auf. Zudem sammelten sich wieder etwa 150 Personen, die allerdings mit “lautstarken und provozierenden Diskussionen” mit der Volkspolizei beschäftigt waren. Am Ende wurden 27 Ermittlungsverfahren und neun Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und insgesamt kam es zu 57 vorläufigen Festnahmen. Aus diesen wurden dann fünf Vorbestrafte als „Rädelsführer“ bestimmt.  

 

Pogromstimmung

 

Diesen Pogromen gingen in den Monaten Juni und Juli 1975 in Gaststätten und bei Tanzveranstaltungen, mehrere tätliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschen, Algeriern und Ungarn voraus. Die nationalistische und rassistische Hetze (z. B. „Ihr schwarzen Schweine, haut ab nach Hause“) richtete sich als erstes gegen Algerier, ging republikweit weiter und führte dann zum fast vollständigen Rückzug der algerischen Arbeiter aus der DDR durch die algerische Regierung. Der erste rassistische Angriff auf ein Wohnheim, ähnlich dem von 1991 in Hoyerswerda, fand in Dessau am 13. Februar 1977 statt. Ziel waren wieder algerische Arbeiter_innen, die mit Steinen beworfen und in den Straßen attackiert wurden. Insgesamt sind für die DDR über 30 rassistische Angriffe auf Wohnheime von ausländischen Arbeitern durch Archivmateria­lien belegt.

 

Rassistische Morde in Merseburg ‘79

 

Am 11.08.79 jagte ein Mob Deutscher kubanische Vertragsarbeiter nach einer Schlägerei aus der Merseburger Discothek “Strandkorb” bis in die Saale. Bereits im Wasser um ihr Leben schwimmend, wurden die Fliehenden noch mit Weinflaschen und Feldsteinen beworfen. Zwei der Kubaner starben in der Saale: Delfin Guerra und Raúl Andrés García Paret. Die Volkspolizei leitete zunächst sogar zwei Verfahren ein, wurde dann aber von der Stasi zum Schutze der internationalen Beziehungen zurückgepfiffen. Im MDR erschien letzte Woche ein Beitrag zu den Morden, der online angesehen werden kann.

 

Rassistische Angriffe gab es in der DDR häufig, wurden aber aufgrund der politischen Leitlinie der “Völkerfreundschaft” geheim gehalten. Die DDR als antifaschistischer Staat durfte seine postnazistischen Kontinuitäten nicht zeigen, sondern musste sie verleugnen. Zudem wurde der Faschismus eben nicht als rassistisches Gemeinschaftsprojekt, sondern als “politisch-ökonomisches Terrorsystem” betrachtet, das es somit nicht mehr geben konnte und durfte.

 

Insgesamt sind für die DDR über über 200 rassistische Pogrome und pogrom­ähnliche Auseinandersetzungen bekannt. Die Geschichte der Angriffe und Pogrome in der DDR zeigt auf eine noch ungebremstere, kaum unterbrochene postnazistische Traditionslinie bis nach #Kaltland. Die Angreifer_innen üben ihre Taten in der Großgruppe aus, sie erfahren direkt die Unterstützung ihrer Nachbar_innen und Mitbürger_innen. Sicherheit gibt nicht (zwingend) die Vermummung, sondern die gemeinsame Aktion: Die vertreibende bis mordende Tat wird gemeinschaftlich ausgeführt.

 

Ebenso wie die Angriffe, sind auch die Namen der Opfer der Rassist_innen vergessen. Die rassistischen Morde müssen als solche aufgeklärt werden, ihre Opfer benannt werden, die gemeinschaftliche Arbeit von Mob und Stasi zerstört werden.

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