Aus Solidarität mit Mumia Abu-Jamal, der in den USA nach wie vor in der Todeszelle sitzt, findet eine Demonstration unter dem Motto „Gegen politische Repression und staatlichen Rassismus! Freiheit für alle politischen Gefangenen! Kampf der Klassenjustiz!“ statt.
Beginn: 14 Uhr | Treffpunkt: Bauhaus Heidelberg (Kurfürstenanlage) | Zugfahrt aus Stuttgart: 30.01.2010 um 11:45 Uhr, Stuttgart Hbf, Gleis 10 | Infoveranstaltung in Kirchheim/Teck: 25.01.10 19 Uhr
Neue Chance für Mumia Abu-Jamal? | Der Kampf um das Leben Mumia Abu-Jamals geht weiter | Hoffnung für Mumia Abu-Jamal? | Entscheidung auf Leben und Tod: Beschluss im Falle Mumia Abu-Jamal für Dienstag erwartet
Aufruf der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD)
zur Demonstration „Gegen
politische Repression und staatlichen Rassismus! Freiheit für alle
politischen Gefangenen! Kampf der Klassenjustiz!“
In Zeiten verschärfter sozialer Konflikte wächst das Ausmaß staatlicher Repression gegen all jene Strukturen und AktivistInnen, deren Kritik an den herrschenden Verhältnissen nicht bei kosmetischen Reformwünschen stehen bleibt, sondern die das gesamte System in Frage stellen und ihre revolutionäre Haltung in die Praxis umsetzen. Gerade im Umgang mit Mitgliedern militanter Gruppen lässt der Staat seine rechtsstaatliche Fassade fallen und greift offen zu Folter und Mord.
Der linksradikale afroamerikanische
Aktivist Mumia Abu-Jamal ist seit Jahrzehnten zum Symbol einer rassistischen
Repressionsmaschinerie geworden, die an ihm ein Exempel statuieren will.
Mumia Abu-Jamal
Seit seiner frühesten
Jugend kämpft Mumia Abu-Jamal gegen Kapitalismus, staatlichen Rassismus
und Polizeigewalt - zunächst als Pressesprecher der militanten Black
Panther Party in Philadelphia, später als Radiojournalist, dessen
Arbeit in den gesamten USA wahrgenommen wurde. Für seine scharfe Kritik
an der brutalen Zerschlagung linker afroamerikanischer Strukturen und an
der Ermordung von bekannten AktivistInnen durch das staatliche Aufstandsbekämpfungsprogramm
COINTELPRO wurde er schnell zum Hassobjekt der Repressionsorgane und Institutionen.
Insbesondere in seinem Wohnort
Philadelphia, der für seine exzessive Polizeigewalt gegen AfroamerikanerInnen
in den gesamten Vereinigten Staaten berüchtigt war, war er ständig
offenen Drohungen ausgesetzt. So erwiderte der extrem rechte Bürgermeister
Frank Rizzo auf Mumia Abu-Jamals bohrende Fragen bei einer Pressekonferenz,
die nach einem brutalen Polizeiüberfall auf ein Zentrum der radikalökologischen
schwarzen Organisation MOVE im August 1978 stattfand: „Die Leute glauben,
was Sie schreiben und was Sie sagen, und damit muss Schluss sein. Und eines
Tages - und ich hoffe, das wird noch im Lauf meiner Karriere sein - wird
man Sie für Ihr Treiben verantwortlich machen und zur Rechenschaft
ziehen.“
Am 9. Dezember 1981 wurde
der Radiojournalist am Rand einer rassistischen Fahrzeugkontrolle, zu der
er hinzukam, von einem Polizisten niedergeschossen und lebensgefährlich
verletzt. Noch vor Ort wurde er verhaftet; der Vorwurf lautete auf Polizistenmord,
weil sein Angreifer bei dem Schusswechsel erschossen worden war. Im folgenden
Verfahren wurden Beweise ignoriert oder manipuliert, ZeugInnen nachweislich
bestochen oder nicht vernommen, die Geschworenen handverlesen und fehlinformiert.
Gegen den rassistischen Richter, der für die hohe Anzahl der von ihm
verhängten Todesurteile bekannt war, hatte Mumia Abu-Jamal, der sich
keinen guten Anwalt leisten konnte, keine Chance.
Seit fast 28 Jahren sitzt
der linke Aktivist nunmehr im Todestrakt; sämtliche Versuche, das
Verfahren wieder aufzunehmen, wurden von den Justizbehörden abgeblockt.
Derzeit steht die Entscheidung des Supreme Court aus, die die umgehende
Festsetzung eines Hinrichtungstermins bedeuten kann. Dann können nur
noch weltweite Proteste den geplanten Justizmord verhindern, wie es bereits
1995 und 1999 gelungen ist.
Trotz dieser Umstände
lässt sich Mumia Abu-Jamal nicht mundtot machen, sondern kämpft
weiter gegen Rassismus, Ausbeutung und Repression. Obwohl seine Aktions-
und Informationsmöglichkeiten von der Knastverwaltung massiv eingeschränkt
werden, schreibt er regelmäßig scharfsinnige Analysen für
linke Zeitungen auf der ganzen Welt und veröffentlicht Bücher.
Seine regelmäßigen Radiobeiträge aus der Todeszelle, die
er bei den wenigen ihm erlaubten Telefonaten übermittelt, werden von
hundert Stationen gesendet. Als politischer Aktivist sieht er seinen eigenen
Fall auch nicht als zufälliges Fehlurteil eines funktionierenden Rechtsstaats,
wie dies selbst viele seiner UnterstützerInnen tun, sondern als Teil
eines repressiven Gesamtsystems, das sich seiner politischen GegnerInnen
auf jede erdenkliche Weise entledigt.
Staatlichen Rassismus
bekämpfen!
Das Beispiel von Mumia Abu-Jamal
lenkt den Blick auf extreme Formen von staatlichem Rassismus, den er selbst
immer wieder thematisierte. In allen westlichen Staaten werden Nicht-Weiße
und Menschen mit Migrationshintergrund massiv benachteiligt und erfahren
im Umgang mit staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen sowie im
täglichen Leben offene Diskriminierung. Der Zugang zu Bildungsangeboten,
gut bezahlter Arbeit und besseren Wohnungen wird ihnen erschwert, während
gleichzeitig von der Norm abweichendes Verhalten schneller kriminalisiert
wird. In besonderem Maße sind davon Flüchtlinge und Menschen
mit unsicherem Aufenthaltsstatus betroffen, die in prekäre Ausbeutungsverhältnisse
gedrängt werden, gegen deren Bedingungen sie sich aufgrund ihrer gefährdeten
Aufenthaltssituation nicht wehren können. Während viele Wirtschaftszweige
von diesen unsichtbaren und rechtlosen ArbeiterInnen profitieren und ohne
sie gar nicht mehr existieren könnten, tragen die MigrantInnen das
volle Risiko im Falle einer staatlichen Intervention in Form einer drohenden
Abschiebung. In der BRD wird das Prinzip von Ausbeutung und Kriminalisierung
von Flüchtlingen sogar noch auf die Spitze getrieben, indem das staatlicherseits
verhängte Arbeitsverbot gegen AsylbewerberInnen mit einer Unterstützung
weit unterhalb des (nur für deutsche StaatsbürgerInnen geltenden)
Existenzminimums einhergeht, was zur Sicherung des Lebensunterhalts nur
illegalisierte Verdienstmöglichkeiten zulässt.
In den USA hat die kapitalistische
Ausbeutung innerhalb eines rassistischen Zwangssystems eine besonders lange
Tradition, da sie bis zum Beginn der Besiedlung durch EuropäerInnen
zurückreicht. Der transkontinentale Sklavenhandel, durch den Millionen
AfrikanerInnen verschleppt, durch brutale Misshandlungen und Zwangsarbeit
ermordet und ihre Nachkommen über Jahrhunderte versklavt wurden, stellte
für die daran beteiligten Kolonialstaaten in Europa und die amerikanischen
Kolonien die Grundlage ihres heutigen Reichtums dar. Indem die rechtlosen
schwarzen PlantagenarbeiterInnen landwirtschaftliche Rohstoffe zu Spottpreisen
erzeugten, wurden die Industrialisierung und die Versorgung des entstehenden
städtischen Proletariats erst möglich. Als die Plantagenwirtschaft
an Bedeutung gegenüber der Industrie verlor und die Sklaverei abgeschafft
wurde, stellten die befreiten SklavInnen ein Heer an schlecht bezahlten
ArbeiterInnen in den Fabriken.
Um diese Situation aufrechtzuerhalten,
richtete sich der Repressionsapparat weiterhin gezielt gegen die AfroamerikanerInnen
und kriminalisierte schon geringfügigste Normabweichungen. Dadurch
entstand ein neuer sklavereiähnlicher Verwertungskomplex, indem die
Kriminalisierten zu Zwangsarbeit verurteilt und vom Staat als rechtlose
„Chain Gangs“ an ihre früheren BesitzerInnen und an Unternehmen vermietet
wurden.
Den gefängnisindustriellen Komplex zerschlagen!
Die heutige Form dieser kapitalistischen Ausbeutung der Gefangenen ist als gefängnisindustrieller Komplex bekannt, der inzwischen einen nicht unbeträchtlichen Teil der US-amerikanischen Wirtschaft stellt. Auch zahlreiche international aktive Konzerne haben Fabriken auf dem Gelände von Knästen und profitieren von ihren fast unbezahlten Arbeitskräften hinter Gittern.
Das Ausmaß dieses
Wirtschaftszweigs lässt sich daran ablesen, dass sich in den USA die
Zahl der Inhaftierten in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdreifacht
hat - trotz eines Rückgangs der Kriminalitätsstatistik. Fast
2,5 Millionen Menschen sitzen oft vieljährige Strafen ab in Gefängnissen,
die inzwischen zu etwa einem Viertel privatisiert sind - was selbstverständlich
einer rücksichtslosen Ausbeutung der InsassInnen eher zuträglich
ist. Ganze Regionen leben von den Steuern, die der gefängnisindustrielle
Komplex einbringt, was sowohl die Akzeptanz der Anstalten in der Bevölkerung
erhöht als auch die durchschnittliche Länge der verhängten
Haftstrafen wachsen lässt. Und es ist kein Zufall, dass ein Großteil
der Gefangenen Nicht-Weiße sind (hauptsächlich Afro-AmerikanerInnen
und Latino/as).
Diese rassistische Repressionspolitik
spiegelt sich auch in den Todesurteilen wider: 2008 waren 42 Prozent der
Menschen in den US-amerikanischen Todestrakten Schwarze - während
ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nicht einmal 13 Prozent ausmacht.
Die meisten von ihnen sind - wie Mumia Abu-Jamal - arm und konnten sich
keine guten Anwältinnen/Anwälte leisten.
Die soziale Zusammensetzung
der Gefängnisse verdeutlicht genau die rassistischen Verhältnisse,
gegen die Mumia Abu-Jamal seit seiner frühsten Jugend kämpft.
Als politischer Aktivist in linksradikalen afroamerikanischen Strukturen
war er gleich in doppelter Weise Zielscheibe der staatlichen Repression.
Denn der Staat wird seiner Aufgabe, die herrschende Ordnung und damit optimale Rahmenbedingungen für den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Verwertungsprozesses aufrechtzuerhalten, nur gerecht, indem er grundlegende Kritik und aktive Umsetzung revolutionärer Ideen brutal bekämpft und die dahinter stehenden Organisationsansätze von Grund auf zerschlägt. Indem er mit den Mitteln der klassischen Aufstandsbekämpfung an einzelnen ein blutiges Exempel statuiert, versucht er SympathisantInnen einzuschüchtern und abzuschrecken. Gerade in der Auseinandersetzung mit radikalen Massenbewegungen lässt der starke Staat die sonst propagierte Maske „demokratischer Errungenschaften“ fallen und schöpft im Rahmen der präventiven Konterrevolution alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen aus.
Gegen politische Repression!
Die westlichen Staaten tauschen sich bei der Bekämpfung der politischen GegnerInnen aus und lernen voneinander. Ein Beispiel dafür bietet die als „weiße Folter“ bekannte Isolationshaft, deren Vorteil gegenüber herkömmlichen Folterungen darin besteht, dass sie keine auf den ersten Blick erkennbaren körperlichen Folgen nach sich zieht: auf der Grundlage von Experimenten mit dem Ziel des „brain washing“, die in den 1940er Jahren in den USA durchgeführt wurden, führte zu Beginn der 1970er Jahre ein Hamburger Wissenschaftsteam der Deutschen Forschungsgemeinschaft Menschenversuche in schallisolierten Räumen durch. Ab dieser Zeit wurde Isolationsfolter regelmäßig gegen Gefangene aus der RAF eingesetzt mit dem Ziel, diese zu brechen. Inzwischen wurde die Isohaft zum Exportschlager, indem beispielsweise die Türkei die Isolationstrakte der F-Typ-Gefängnisse nutzt, um die politischen Strukturen der Häftlinge zu zerschlagen und organisierten Widerstand unmöglich zu machen.
Ein ähnlicher Austausch
findet bei der Kriminalisierung ganzer Strukturen statt, die immer weiter
ausgedehnt und verfeinert wird. Deren Vorteil besteht darin, dass ein individueller
„Schuldnachweis“ unnötig wird, da bereits die Mitgliedschaft bestraft
wird. Damit wurden zunächst klassische Parteienverbote betrieben,
beispielsweise der Kommunistischen Parteien verschiedener Staaten während
des Kalten Krieges, was zu zahllosen Haftstrafen und Berufsverboten führte.
Der von der BRD dafür genutzte Paragraf 129, der missliebige linke
Gruppen zu „kriminellen Vereinigungen“ erklärt, wurde im staatlichen
Kampf gegen die Stadtguerilla 1976 um den Zusatz 129a erweitert, um die
KämpferInnen aus der RAF als „terroristische Vereinigung“ noch besser
verfolgen zu können. Schnell weitete allerdings der Staat das Einsatzgebiet
von §129 und 129a auf linksradikale außerparlamentarische Strukturen
verschiedener sozialer Bewegungen aus. Diese umfangreichen und meist langjährigen
Ermittlungsverfahren führen nur selten zu erwähnenswerten Haftstrafen,
sondern dienen fast ausschließlich der umfassenden Durchleuchtung
linksradikaler Organisationszusammenhänge und der Einschüchterung
des solidarischen Szeneumfelds.
Mit der Angleichung der
europäischen Strafsysteme und der verstärkten internationalen
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Repression wurden die Vereinigungsdelikte
zur Verfolgung von als „TerroristInnen“ gebrandmarkten Organisationen in
allen westlichen Staaten ausgebaut, die Repressionsapparate aneinander
angeglichen und grenzüberschreitende Gesetze wie z. B. §129b
(mit denen die BRD auch die Mitgliedschaft in ausschließlich in anderen
Staaten aktive Organisationen unter Strafe stellen kann) eingeführt.
Die Todesstrafe abschaffen!
Als extremste Form staatlicher Repression muss die Todesstrafe betrachtet werden, die in den meisten westlichen Staaten heute nicht mehr offiziell angewandt wird, auch wenn viele politische Oppositionelle bei ihrer Festnahme oder während ihrer Haftstrafen auf ungeklärte Weise gewaltsam ums Leben kommen. Als einer der wenigen nationalen Wettbewerbsstaaten wenden die USA bis heute noch immer die Todesstrafe auch offiziell gegen politische GegnerInnen an, indem diese verschiedener Kapitalverbrechen beschuldigt werden. Die US-amerikanische Geschichte ist reich an Fällen von Justizmorden an linksradikalen AktivistInnen, die immer wieder international zu breiten, strömungsübergreifenden Solidaritätsbewegungen führten. Die bekanntesten Fälle sind wohl die beiden Anarchisten Sacco und Vanzetti sowie das kommunistische Ehepaar Rosenberg; Mumia Abu-Jamal soll nach dem Willen der Behörden der nächste in dieser Reihe sein.
Das werden wir nicht zulassen! Unser Kampf gegen die herrschenden „Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx), bedeutet zugleich den Kampf gegen Repression und die Solidarität mit all jenen GenossInnen, an denen der Staat ein Exempel statuieren will.
Freiheit für alle
politischen Gefangenen!
Gegen staatlichen Rassismus
und politische Repression!
Kampf der Klassenjustiz!
AIHD, Dezember 2009
Quelle: http://www.autonomes-zentrum.org/ai/texte/2010_01_30_aufruf_aihd.html