VGH Mannheim stellt Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots der Stadt Karlsruhe beim Transport von hochradioaktivem Atommüll im Februar 2011 fest
In der Nacht vom 15. auf 16. Februar 2011 wurde ein Castor-Transport von hochradioaktivem Atommüll, darunter 16 Kilogramm Plutonium und über 500 Kilogramm Uran, aus der ehemaligen Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) über das S-Bahn-Netz der Linien S1 und S11 quer durch Karlsruher Wohngebiete und den Hauptbahnhof ins Zwischenlager nach Lubmin (Greifswald) durchgeführt.
Anlässlich des Atommülltransports hatte die Stadt Karlsruhe eine
sehr weitgehende Allgemeinverfügung erlassen, nach der die
Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden, in einem
großen Gebiet quer durch das Karlsruher Stadtgebiet, darunter u. a.
der Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art, unabhängig vom
Thema, außer Kraft gesetzt wurde. Aufgrund der Allgemeinverfügung
bestand für wesentliche Adern des Öffentlichen Nahverkehrs und
Fernverkehrs in der Großstadt Karlsruhe ein Versammlungsverbot für
48 Stunden. Auch alle anderen Versammlungen in Karlsruhe außerhalb
des in der Allgemeinverfügung beschriebenen Gebiets waren somit vom
Versammlungsverbot betroffen, da eine Teilnahme mit Öffentlichen
Verkehrsmitteln in einer Vielzahl von Fällen nicht ohne einen
Verstoß gegen das mit der Allgemeinverfügung ausgesprochen
Versammlungsverbot möglich war.
Zu diesem Zeitpunkt fand gerade die gesellschaftliche
Auseinandersetzung um Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und
die damit verbundene Zunahme von Atommülltransporten und auch die
illegale Einlagerung von mittelaktivem radioaktivem Müll im vom
Wassereinbruch bedrohten Salzbergwerk in Asse, der aus dem
ehemaligen Kernforschungszentrum in Karlsruhe stammen soll, sowie
Korruptionsvorwürfe gegen Mitarbeiter des Zentrums in Zusammenhang
mit Atommülleinlagerung statt. (Der Strafprozess wegen der
Korruptionsvorwürfe findet zur Zeit vor dem LG Karlsruhe statt).
Darüber hinaus existiert weltweit noch kein sicheres Endlager und
gerade der hochradioaktive Müll ist im dazu nicht geeigneten
Zwischenlager in Lubmin noch wesentlich unsicherer untergebracht,
als in der ehemaligen WAK Karlsruhe.
Aufgrund der Allgemeinverfügung war es nicht möglich, mit
Versammlungen entlang der Strecke die betroffenen BürgerInnen zu
informieren, noch eine Versammlung zur Durchführung einer
öffentlichen Messung der Radioaktiven Belastung während der
Durchfahrt des Castors durchzuführen. Bei früheren Transporten wurde
von Umweltorganisation bereits erhöhte Radioaktivität an den
Castor-Behältern gemessen, die nicht nur die Bevölkerung, sondern
auch die begleitenden Polizeieinsatzkräfte gefährden.
Gegen den Transport hatte ein breites gesellschaftliches Bündnis aus
Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen, große Umweltverbände, wie der
BUND Baden-Württemberg, die Greenpeace Gruppe Karlsruhe,
verschiedene Kreisverbände von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei
die Linke u. A.mit einer „Nachttanzblockade“ protestiert und zu
Aktionen des zivilen Ungehorsams aufgerufen.
Ein vom Versammlungsverbot betroffener Karlsruher Atomkraftgegner
erhob Widerspruch gegen das Versammlungsverbot und beantragte beim
Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) erfolglos vorläufigen
gerichtlichen Rechtsschutz. Das VG Karlsruhe wies die Klage auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots ab. Die
dagegen eingelegte Berufung hatte Erfolg.
Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) gab
in seinem Urteil vom 6.11.2013 - Az.: 1 S 1640/12 - der Klage statt
und stellte fest, dass das von der Stadt Karlsruhe verfügte
allgemeine Verbot von Versammlungen entlang der Strecke für einen
Castortransport rechtswidrig war.
Der Kläger habe auch nach Ablauf des Versammlungsverbots ein
berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit.
Denn er habe dargelegt, auch bei künftigen Atommülltransporten durch
Karlsruhe Versammlungen an der Transportstrecke veranstalten zu
wollen, und es sei zu erwarten, dass die Beklagte zur Sicherung
solcher Transporte vergleichbare Versammlungsverbote erlasse. Da das
Verbot auch für friedliche Versammlungen galt, hätte es nur bei
einem polizeilichen Notstand erlassen werden dürfen. Ein solcher
Notstand sei jedoch - auch im Nachhinein - nicht feststellbar
gewesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur
Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als kollektive
Meinungsfreiheit festgestellt, dass diese zu den unentbehrlichen und
grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens
zählt. Dem stände nicht entgegen, dass speziell bei Demonstrationen
das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der
Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. (BVerfGE 69, 315 – v.
14. Mai 1985-Brokdorf). Der Schutz sei nicht auf Veranstaltungen
beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern
umfasse vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht
verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden. (BVerfGE v.
7. 3. 2011 zu Sitzblockaden (1 BvR 388/05)
Eingriffe in die Versammlungsfreiheit als kollektive
Meinungsfreiheit sind uns nicht nur aus Deutschland, sondern aus
vielen Ländern bekannt. Die Verteidigung der Versammlungsfreiheit
und die entschiedene Zurückweisung aller Einschränkungen werden uns
insofern auch zukünftig immer beschäftigen. Rechtsfragen und
insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit sind somit auch
immer Machtfragen. Alle elementaren Menschenrechte wurden uns nicht
geschenkt, sondern wurden hart für uns erkämpft. An uns ist es, sie
täglich zu verteidigen und weiter auszubauen. Versammlungsfreiheit
lässt sich vielleicht einschränken, aber letztlich niemals verbieten
– nirgendwo auf der Welt.
Versammlungen für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen
weltweit werden auch zukünftig stattfinden müssen.
Trotz Fukushima werden weiter Atomkraftwerke geplant und gebaut. In
Indien und Brasilien sollen neue AKWs sogar mit Deutschen
Hermes-(Exportausfall)-Bürgschaften gegen den Widerstand der
Bevölkerung gebaut werden.
Weder in der Bundesrepublik noch weltweit gibt es eine Lösung, was
mit dem hochradioaktiven Atommüll geschehen soll. Weltweit gibt es
noch kein einziges sicheres Endlager für hochradioaktiven Müll.
Trotzdem wurde die gefährliche Fracht völlig überflüssiger Weise von
einem Zwischenlager ins nächste verbracht – quer durch Deutschland
und mitten durch Wohngebiete, mit all den damit verbundenen Risiken
und Gefahren für die Bevölkerung.
Im Sommer 2011 waren 2 Atomkraftwerke in der USA von Überflutung
bedroht und die Atomforschungsanlage Los Alamos, in der große Mengen
Plutonium gelagert sind, von Feuer umgeben, so dass schon mehr als
10000 Menschen evakuiert werden mussten.
Im April 2013 kam es beim Brand eines mit Atommüll beladenen
Frachters im Hamburger Hafen beinahe zu einer nuklearen Katastrophe,
zu einem Zeitpunkt wo in der Nähe des Brandes fast 100000 Menschen
beim Kirchentag versammelt waren.
Im Rahmen der „Mediation“ für die Erweiterung des Instituts für
Transurane (ITU) auf dem Gelände des KIT Nord der Karlsruher
Universität wurde bekannt, dass dort an der 4. Generation von
Atomkraftwerken geforscht wird, und regelmäßig, dort produzierte
kleine Plutoniumhaltige Brennstäbe, durch Karlsruher Wohngebiete in
die militärische Wiederaufarbeitungsanlage nach Marcoule gebracht
werden und wieder zurück. Das ITU hat eine Genehmigung für die
Verarbeitung von 80 kg reinem waffenfähigen Plutonium. Nach dieser
Genehmigung können somit jährlich sogar wesentliche höhere Mengen an
Plutonium im ITU verarbeitet werden.
Der Atomunfall in Fukushima mit seinen dramatischen Auswirkungen für
die Menschen in der gesamten Region hat leider unsere Befürchtungen
über die Auswirkungen eines nuklearen Unfalls - 25 Jahre nach
Tschernobyl - mehr als bestätigt. Die Menschen in der Region
Fukushima und Tschernobyl wären heute froh, wenn sich mehr Menschen
gegen diese Atomanlagen zur Wehr gesetzt hätten!
Keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit!
Kein Atommülltourismus - Sofortige Stilllegung aller
Atomanlagen weltweit!