Neonazi-Prozess fängt mit anderen Richtern von vorne an, nachdem der Bundesgerichtshof den Freispruch kassiert hatte.
RIEGEL/FREIBURG. Am Montag hat unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen am Landgericht in Freiburg die zweite Hauptverhandlung gegen einen 31-jährigen Versicherungskaufmann aus dem Ortenaukreis angefangen, der sich unter anderem wegen versuchten Totschlags in drei Fällen verantworten muss. Schauplatz der Tat: der Pendlerparkplatz bei Riegel.
Dem Mann wird vorgeworfen, am Abend des 1. Oktober 2011 auf dem Pendlerparkplatz sein Notwehrrecht überschritten und dabei in eine Gruppe maskierter junger Menschen hineingefahren zu sein. Dabei habe er, so die Anklage, billigend in Kauf genommen, dass drei Menschen aus dieser Gruppe tödlich verletzt werden könnten. Tatsächlich war ein junger Mann beim Aufprall auf das Auto schwer verletzt worden. Der Angeklagte, laut Staatsanwaltschaft Mitglied der rechtsextremen "Kameradschaft Südsturm Baden", hatte auf dem Parkplatz rechtsextreme Gesinnungsgenossen zu einem Neonazi-Treffen am Kaiserstuhl gelotst, als es zu dem Aufeinandertreffen mit den vermummten Antifa-Aktivisten kam.
Am 12. Juli 2012 hatte die Schwurgerichtsgerichtskammer des Landgerichts den Angeklagten von den Vorwürfen des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung und der Unfallflucht freigesprochen. Ein Urteil, das auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Anwälte der drei Nebenkläger vom Bundesgerichtshof am 25. April 2013 wegen Rechtsfehlern in der schriftlichen Urteilsbegründung aufgehoben worden ist. Der Bundesgerichtshof hat den Fall zur erneuten Verhandlung zu einer anderen Großen Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen mit der Auflage, noch genauer als bislang die so genannten subjektiven Beweggründe des Angeklagten für sein damaliges Handeln zu überprüfen. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, ob der Angeklagte damals ein Notwehrrecht hatte, und, wenn ja, ob es im Wesentlichen auch von einem Verteidigungswillen getragen war.
Im Fall des Angeklagten scheint dieser Verteidigungswille fraglich zu sein, denn er war damals in der rechtsradikalen Szene tätig und die Angreifer gehörten als Antifaschisten zur linksradikalen Szene. Drei Tage vor dem Geschehen bei Riegel hatte der Angeklagte unter einem Pseudonym auf Facebook gegenüber Gesinnungsgenossen auf eine Auseinandersetzung gehofft, bei der er in vermeintlicher Notwehr eine "Zecke" – so der rechtsextreme Jargon für linksextreme Antifaschisten – "die Klinge fressen lassen" könnte. Zitat: "Ich warte ja nur drauf, dass einer mal angreift."
Augenzeugin schildert ihre Beobachtungen
Was geschah genau am 1. Oktober 2011 um 19.15 Uhr? Der Angeklagte hüllt sich dazu, wie schon im ersten Prozess, in Schweigen. Also durfte am Montag bereits die erste Zeugin, eine Kinderkrankenschwester, ihre Aussage machen. Die Frau wollte sich auf dem Pendlerparkplatz an der Leopoldstraße mit einer Kollegin treffen und zum Nachtdienst fahren. Sie fuhr auf den Parkplatz, die Scheiben waren geöffnet. Dort bemerkte sie ein parkendes Auto, hinter dessen Steuer jemand saß. Sie parkte so, dass sie die Einfahrt, die Straße und einen kleinen Steg über die Elz schräg gegenüber im Blick hatte. Zu ihrem Schrecken bemerkte sie, wie sechs bis acht schwarz gekleidete Leute über den Steg in ihre Richtung gingen und sich dabei Masken über das Gesicht zogen. Einige der Vermummten begannen zu rennen, als sie die Straße erreicht hatten. Die Zeugin befürchtete einen Raubüberfall, schloss panikartig die Fenster und die Türen ihres Autos. Unmittelbar zuvor hatte sie die Rufe "da ist er, da ist er" vernommen.
Zeitgleich hörte die Zeugin hinter sich einen Motor starten, das Durchdrehen von Rädern auf dem Kiesbelag des Parkplatzes und sah dann ein Auto an sich vorbei auf die Straße abbiegen und auf die Gruppe zufahren. Sie sah, dass einige Maskierte zur Seite sprangen und einer in der Mitte der Straße, mit den Händen nach vorne auf die Motorhaube des Autos sprang. Er kollidierte mit der Windschutzscheibe und rollte seitlich auf den Asphalt. Das Auto entfernte sich, ein Teil der Vermummten rannte ihm hinterher, zwei blieben bei dem Verletzten, der heftig zu krampfen begann. Als Kinderkrankenschwester fühlte sich die Zeugin trotz ihrer Panik zur Hilfe verpflichtet. Sie stieg aus und bot erste Hilfe an. Ihr fiel auf, dass die bereits demaskierte Begleiterin des jungen Mannes darauf bestand, ihm den schwarzen Umhang auszuziehen.
Laut Anklage sollen die Vermummten damals versucht haben, den Angeklagten notfalls mit Gewalt daran zu hindern, rechten Gesinnungsgenossen den Weg zu einer Soliparty in Bahlingen für eine geplante Demonstration in Offenburg zu zeigen. Andererseits habe der Angeklagte sich zu einem aggressiven Vorgehen entschlossen, und sei auf die aus seiner Sicht politischen Gegner mit Vollgas zugefahren. Dabei habe er, ohne Mörder zu sein, billigend in Kauf genommen, dass Personen erfasst und getötet werden könnten.
Die Dritte Große Strafkammer hat zehn Verhandlungstage anberaumt. Am Donnerstag wird weiterverhandelt.