"Mein Vater war ein Nationalsozialist"

Erstveröffentlicht: 
16.10.2013

August Oetker

 

Jahrzehnte haben die Oetkers geschwiegen. Jetzt hat sich August Oetker im Interview mit der ZEIT erstmals zur Nazi-Vergangenheit des Konzerns geäußert. von Rüdiger Jungbluth und Anne Kunze

 

Zum ersten Mal hat ein Mitglied der Familie Oetker über die braune Vergangenheit des Unternehmens Dr. Oetker gesprochen. August Oetker schildert im Gespräch mit der ZEIT ausführlich die NS-Verwicklungen des Unternehmens und die NS-Karriere seines Vaters Rudolf-August Oetker, der im Unternehmen seit 1941 tätig war und ihm seit 1944 vorstand. "Mein Vater war ein Nationalsozialist", sagte August Oetker. Der 69-jährige Sohn und Nachfolger von Rudolf-August Oetker ist heute Beiratsvorsitzender der Unternehmensgruppe.

Dass sich das Unternehmen bislang nicht mit seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus beschäftigt hatte, fand er schon lange schwer erträglich, konnte sich aber gegen den Vater nicht durchsetzen, räumt er offen ein. "Er wollte über diese Zeit nicht sprechen", sagt August Oetker. "Er hat gesagt: Kinder lasst mich damit in Ruhe." Auch nach 1945 sei sein Vater noch anfällig für rechtes Gedankengut gewesen, sagte August Oetker im Gespräch: "Das sind die Menschen bis heute. Und er war es auch." Der Vater starb 2007.

In den sechziger Jahre stiftete Rudolf-August Oetker seiner Heimatstadt Bielefeld eine Kunsthalle, mit der er das Andenken an seinen Stiefvater Kaselowsky bewahren wollte, der Dr. Oetker während der NS-Zeit führte und ein strammer Nationalsozialist war. Ein Großteil der Bielefelder Jugend protestierte, aber der Name Richard-Kaselowsky-Haus blieb 30 Jahre lang bestehen. Erst 1998 tilgte ihn eine rot-grüne Stadtratsmehrheit. Daraufhin ließ Rudolf-August Oetker sämtliche als Leihgaben ausgestellten Bilder mit dem Lkw abholen.

 

"Er hat gesagt: Mit dieser Stadt machen wir nichts mehr. Er sah in dem Beschluss Unzuverlässigkeit und Illoyalität. In dieser Frage hat er sich bis zu seinem Tod nicht beruhigt", erinnert sich August Oetker an diese Zeit. Er selbst habe die Rücknahme der Bilder "als Trotz empfunden", sagte Oetker. "Ich hätte es nicht gemacht." Die Bilder zurückgeben möchte er aber trotzdem nicht: "Wir können uns nicht einfach über das hinwegsetzen, was uns der Vater aufgetragen hat. Das muss wohl die nächste Generation entscheiden."

Öffentlich hatte Rudolf-August Oetker nie zugegeben, wie tief er und sein Unternehmen mit dem Nationalsozialmus verstrickt waren. "Vielleicht wollte er nicht der gewesen sein, der er war. Vielleicht wollte er einen Teil seines Lebens redigieren. Das kann ich nachvollziehen. Aber dadurch wird es nicht besser", sagte Oetker.

Er ließ daher die Vergangenheit des Unternehmens während der NS-Zeit wissenschaftlich untersuchen. "Ich hatte das Gefühl: Jetzt geht es an die Fakten, jetzt wird der Nebel gelichtet", sagte August Oetker. 

In der Familie habe es über die Aufarbeitung Differenzen gegeben: "Die jüngeren Geschwister sind meinem Vater noch nicht so entwachsen. Die haben sich gefragt: Tun wir unserem Vater da etwas Böses an? Sorgen wir dafür, dass sein sonst so guter Ruf befleckt wird?"

Sechs Jahre nach dem Tod des Vaters erscheint kommende Woche im Beck-Verlag das Buch Dr. Oetker und der Nationalsozialismus, das der Münchner Historiker Andreas Wirsching gemeinsam mit den Nachwuchswissenschaftlern Sven Keller und Jürgen Finger geschrieben hat. Bezahlt wurde die Studie von der Firma Oetker.  

 

Durch ihre öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Geschichte macht nun eine Familie von sich reden, deren Marke in Deutschland nahezu jeder kennt, deren Erfolg und Reichtum dennoch unterschätzt werden: Oetker ist schon lange nicht mehr nur Backpulver, Pudding und Pizza. Zur der Unternehmensgruppe zählen rund 400 Firmen mit einem Umsatz von insgesamt elf Milliarden Euro und einem Gewinn, der beträchtlich, aber in seinem exakten Betrag ein Geheimnis ist.

 


 

Im Besitz der Familie Oetker

 

Der Clan besitzt mit der Hamburg Süd die zweitgrößte deutsche Reederei, mit der Radeberger Gruppe den größten Brauereikonzern (unter anderem Schöfferhoffer, Jever, Clausthaler, Berliner Kindl, Schultheiss, Henkell-Sekt, Selters-Wasser und Bionade), die Oetkers haben ihre eigene Bank (Lampe), eine chemische Fabrik, eine Spedition, einen Verlag und Luxushotels wie das Brenners Park in Baden-Baden.

 

Das Vermögen

 

Das Managermagazin taxiert das Familienvermögen auf 7,5 Milliarden Euro, damit liegt die Familie auf Platz 8 auf dieser Rangliste der Superreichen.