[H] REAL FREEDOM. Zum Widerspruch von Freiheit und Nation

SCHSZ FRWLD

Am 29.​11.​2013 wird die Band Frei.​Wild wie­der ein­mal in Han­no­ver ein Kon­zert geben. Die­ses Mal wird es im Ca­pi­tol statt­fin­den. Die Deutschro­cker aus Süd­ti­rol, Ita­li­en, be­to­nen mit ihrem Namen ihren An­spruch, „frei“ und „wild“ zu sein. Laut Ei­gen­aus­sa­ge des Front­manns Phil­ipp Bur­gers fand die Grup­pe die „Ad­jek­ti­ve ‚Frei‘ und eben auch ‚Wild‘ geil […] und auch ty­pisch für ju­gend­li­che Ein­stel­lun­gen“(1).


Frei.​Wild ma­chen ein­tö­ni­gen Deutsch­rock in Tra­di­ti­on zu Bands wie den Böh­sen On­kelz. Sim­ple Liedstruk­tu­ren und ein­fa­che Texte be­geis­tern haupt­säch­lich männ­li­che Ju­gend­li­che, die sich im bier­ge­tränk­ten, schweiß­ge­ba­de­ten Sog des kol­lek­ti­ven Grup­pen­wahns und na­tio­na­len Zu­sam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl wohl füh­len.

 

Trotz (oder viel­leicht: wegen) des of­fen­sicht­li­chen völ­ki­schem Na­tio­na­lis­mus, der sich in Zei­len wie „Wir haben immer ge­sagt, dass wir das Land hier von Her­zen lie­ben.“(2) oder „Kurz ge­sagt, ich dulde keine Kri­tik an die­sem hei­li­gen Land, das unsre Hei­mat ist.“(3) äu­ßert und der sogar in Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus und An­ti­se­mi­tis­mus um­schlägt, wie in sol­chen Text­stel­len: „Sie rich­ten über Men­schen, ganze Völ­ker sol­len sich has­sen, nur um Ge­schich­te, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu las­sen.“(4), schafft es Frei.​Wild, sich eine große Fan­ba­sis zu er­spie­len und tritt in gro­ßen Hal­len im deutsch­spra­chi­gen Raum auf. Au­ßer­dem er­in­nern ihre Aus­sa­gen über die so­ge­nann­ten „Gut­men­schen“ und das Ge­re­de von einer gleich­ge­schal­te­ten Pres­se an rech­te Ver­schwö­rungs­theo­ri­en.


Auch der von Frei.​Wild ge­äu­ßer­te An­spruch, „un­po­li­tisch“ zu sein, ist eine hohle Farce. Denn der pro­pa­gier­te Na­tio­na­lis­mus ist selbst­ver­ständ­lich hoch­po­li­tisch, genau so wie ihre Aus­sa­gen zu Über­frem­dung oder Ähn­li­chem.


Doch die Band wehrt sich gegen alle ihnen ge­mach­te Vor­wür­fe, rechts zu sein und tut ihre Hei­mat­lie­be als selbst­ver­ständ­lich ab. Als Ver­weis auf ihr En­ga­ge­ment gegen rechts wird neben Mer­chan­di­se­ar­ti­keln mit dem Auf­druck „Frei.​Wild-Fans gegen jeden Ex­tre­mis­mus“ und „Nazis Raus!“-​Ru­fen wäh­rend der Kon­zer­te der „po­si­ti­ve Pa­trio­tis­mus“ rein­ge­wa­schen und in einen de­mo­kra­ti­schen Kon­text ge­ho­ben. Dabei lässt Frei.​Wild aber auch nicht aus, gegen Linke und „Links­ex­tre­mis­ten“ zu het­zen, die ähn­lich schlimm seien wie so­ge­nann­te „Rechts­ex­tre­mis­ten“, was blan­ker Hohn ist an­ge­sichts zum Bei­spiel der Na­zi­mord­se­rie des NSU.


Frei.​Wild und ihre Fans mer­ken bei ihrer Trun­ken­heit von Hei­mat und ihrem na­tio­na­len Tau­meln nicht, dass sie sich al­lein schon mit der po­si­ti­ven Be­zug­nah­me auf das Kon­strukt „Na­ti­on“ jeg­li­chem Frei­heits­an­spruch ent­zie­hen. Na­tio­na­lis­mus ist immer aus­schlie­ßend. Er braucht neben den Mit­glie­dern der Ge­mein­schaft auch Nicht­mit­glie­der, diese wer­den aus­ge­schlos­sen, denn Grup­pen kon­sti­tu­ie­ren sich am bes­ten durch ge­mein­sa­me Fein­de. So steht dem Weg zu einer be­frei­ten Ge­sell­schaft stets die Über­win­dung des Na­tio­na­lis­mus zuvor. Frei.​Wild mögen frei in ihrer Größe des Un­sinns sein, den sie ab­las­sen, aber wirk­li­che Frei­heit wird nicht pro­pa­giert. Das na­tio­na­le Kon­strukt und die Volks­ge­mein­schaft, in die sich sel­bi­ge ein­ord­nen möch­ten, ist ein Macht-​ und Herr­schafts­in­stru­ment, wel­ches im Ge­gen­satz zum Kon­zept der Frei­heit steht. Das na­tio­na­le Kol­lek­tiv un­ter­drückt das In­di­vi­du­um, schal­tet es mit sei­nen per­sön­li­chen Be­dürf­nis­sen und Ei­gen­schaf­ten gleich und re­du­ziert es auf seine völ­kisch de­fi­nier­te Zu­ge­hö­rig­keit zur Na­ti­on.


Er­schre­ckend ist es nicht nur, dass Frei.​Wild einen so hohen ge­sell­schaft­li­chen Rück­halt ge­nie­ßen und selbst in städ­ti­schen gro­ßen Hal­len spie­len kön­nen, son­dern, dass Frei.​Wild es jetzt auch ins Ca­pi­tol Han­no­ver ge­schafft haben. Das ist in­so­fern ein An­griff auf al­ter­na­ti­ves und lin­kes Leben, als dass das Ca­pi­tol mit sei­ner geo­gra­phi­schen Lage im Stadt­teil Lin­den, als auch mit den bis­he­ri­gen auf­ge­tre­te­nen Künst­lern immer noch, trotz sei­nes kom­mer­zi­el­len Cha­rak­ters, einen kul­tu­rel­len Schwer­punkt in Han­no­ver setzt. Es ist also auch ein An­griff auf das plu­ra­le und welt­of­fe­ne Lin­den und auf al­ter­na­ti­ve Quar­tie­re all­ge­mein.


Die Recht­fer­ti­gung, die Ca­pi­tol-​Ge­schäfts­füh­rer Loh­mann ge­gen­über der HAZ äu­ßer­te, er habe von Stadt, Po­li­zei und Ver­fas­sungs­schutz er­fah­ren „dass dort nichts Un­rech­tes zu be­fürch­ten sei. Wenn wir ein an­de­res Ge­fühl hät­ten, wür­den wir un­se­re Räum­lich­kei­ten nicht ver­mie­ten.“5 ist be­zeich­nend für das Her­un­ter­spie­len des Pro­blems. Die Aus­sa­ge, „dort ge­sche­he nichts Un­rech­tes“, ist im wört­li­chen Sinne rich­tig. Frei.​Wilds Na­tio­na­lis­mus, An­ti­se­mi­tis­mus und Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus sind na­tür­lich rechts. Aber wenn man die Aus­sa­ge auf ihren Kon­text her­un­ter­bricht, dem Maß­stab der bür­ger­li­chen Recht­spre­chung, mag das rich­tig sein, aber keine Aus­re­de dafür, Na­tio­na­lis­mus eine Bühne zu bie­ten. Auch wenn Frei.​Wild keine Straf­ta­ten be­ge­hen wer­den, ist die­ser Auf­tritt grund­sätz­lich ab­zu­leh­nen, ab­zu­sa­gen, zu ver­hin­dern.

 

Für wirk­li­che Frei­heit – pour la belle vie! Für etwas Bes­se­res als die Na­ti­on.
Das Frei.​Wild Kon­zert ab­sa­gen! Frei.​Wild das Ge­weih bre­chen.


as­so­cia­ti­on [belle vie] han­no­ver, No­vem­ber 2013.

 

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(1) http://​www.​punkrocknews.​de/​interviews/​9/​frei-wild/​, 29.​10.​2013
(2) Frei.​Wild – Das Land der Voll­idio­ten (Hart am Wind, 2009)
(3) Frei.​Wild – Süd­ti­rol (Hart am Wind, 2009)
(4) Frei.​Wild – Gu­te­men­schen und Mo­ralapos­tel (Fein­de dei­ner Fein­de, 2012)