[HN] NSU, V-Leute und Schreibtischtäter...

NSU,V-Leute und Schreibtischtäter

Text zur Kampagne „Naziterror und Rassismus bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!“
Am 4. November 2011 flog durch den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Stadtteil Stregda des thüringischen Eisenach eine bewaffnete faschistische Gruppe auf, die sich 13 Jahre lang offenbar unbemerkt durch die BRD bewegen konnte. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) ermordete zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, beging 15 Raubüberfälle und verübte mindestens zwei Sprengstoffanschläge.

 

Vorrangiges Ziel der bereits im Januar 1998 nach der Entdeckung ihrer Jenaer Bombenwerkstatt abgetauchten NSU- Nazis war es offensichtlich, durch gezielte aber nicht öffentlich vermittelte Angriffe Angst und Verzweiflung unter Migrantinnen und Migranten zu verbreiten. Zurückgreifen konnten die faschistischen Mörder dabei auf Konzepte und Aufrufe zum bewaffneten Kampf, die in den 1990er Jahren offen und unter den Augen der Sicherheitsbehörden in der Naziszene verbreitet und diskutiert wurden.

 

Dass trotzdem der rassistische Hintergrund der Taten nicht ansatzweise erkannt wurde und statt dessen die Opfer und deren Familien jahrelang unter Generalverdacht gestellt wurden, während migrantische Communities mit Demonstrationen ein Ende der Mordserie forderten, erscheint aus heutiger Sicht unfassbar.


Ebenso schwer zu begreifen ist die Rolle des bundesdeutschen Polizei- und Geheimdienstapparates im „Komplex NSU“. Denn während 2011 noch das Bild einer isolierten „Zwickauer Terror- Zelle“ die Runde machte, ist mittlerweile bekannt, dass in der BRD ein ausgedehntes Netzwerk militanter und bewaffneter Faschisten existierte bzw. existiert, das gespickt ist mit Kontaktleuten und V- Männern der Behörden. Die Fäden dieses Netzwerks ziehen sich von Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Bayern und Hessen fast durch das ganze Land bis nach Baden- Württemberg.

Hier unterhielten die bisher bekannten NSU- Nazis nicht nur zahlreiche Kontakte zu „Kameradinnen“ und „Kameraden“. Sie spähten auch Anschlagsziele aus, fotografierten im Juni 2003 in Stuttgart türkische und italienische Geschäfte, Hauseingänge und Restaurants. Und sie waren mutmaßlich am 25.April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn und schossen dort auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen Martin Arnold.

NSU und Geheimdienste

Der Mord an der jungen Polizeibeamtin Kiesewetter weicht nicht nur vom rassistischen Tatschema des angeblichen „Trios“ ab, sondern nährt seit zwei Jahren auch aufgrund zahlreicher ungeklärter Zusammenhänge den Verdacht, dass es sich dabei um mehr gehandelt haben könnte, als einen willkürlichen „Anschlag auf Repräsentanten des Staates“.
Die 22- jährige Frau aus dem thüringischen Oberweißbach wurde am helllichten Tag auf einem belebten Festplatz hingerichtet und war am Tag ihrer Ermordung außerplanmäßig in Heilbronn eingesetzt. Gleichzeitig stand sie unter der Führung eines Polizisten, der Mitglied eines Ablegers des rassistischen „Ku Klux Klan“ gewesen ist. Dieser wiederum war von einem V- Mann des baden- württembergischen Verfassungsschutzes aufgebaut worden.
Hinzu kommen Zeugenangaben, die von 4 bis 6 Tätern handeln und anhand derer insgesamt 14 Phantombilder erstellt wurden. Die Veröffentlichung dieser Phantombilder, die keinerlei Ähnlichkeiten zu Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos aufweisen, wurde von der Staatsanwaltschaft bis zuletzt verhindert.
Auch die Anwesenheit von V- Leuten der Polizei und des „Landesamtes für Verfassungsschutz“ (LfV) am Tattag in Heilbronn wirft Fragen auf. Zumal Verfassungsschützer in der bürgerlichen Presse verlauten ließen, es habe sich dabei um einen Versuch gehandelt „hochrangige Rechtsextremisten“ anzuwerben.


Insgesamt bleibt die Rolle der Geheimdienste und der Polizei im Heilbronner Mordfall allerdings unklar. Die Aufgabe antifaschistischer und linker Kräfte kann es nicht sein, wilde Theorien und Spekulationen über die Geschehnisse auf der Theresienwiese zu entwickeln. Es muss vielmehr darum gehen, die kritischen und unabhängigen Recherchen darüber weiter zu verfolgen und zu unterstützen. Und es gilt, nicht den Blick darauf zu verlieren, was diesem Staat objektiv zuzutrauen ist.
Denn so mysteriös der Kontext des „Polizistenmordes“ auch ist, so klar ist doch, was bereits an vielen Stellen geschrieben wurde: dass die Ermittlungsbehörden und allen voran der „Verfassungssschutz“ mehr als nah an dem dran waren, was als „NSU“ bezeichnet wird.
Carsten Szczepanski, Anfang der 1990er Jahre um den Aufbau eines deutschen „Ku-Klux-Klan“ bemüht und wegen Mordversuchs an dem nigerianischen Lehrer Steve Erenhi verurteilt, war seit 1994 der V- Mann „Piatto“ des Brandenburger Verfassungsschutzes. Er gehörte zum Unterstützerumfeld des „NSU- Trios“ in Chemnitz und bekam im August 1998 auf sein vom Innenministerium des Landes Brandenburg zur Verfügung gestelltes Handy vom „Blood and Honour“- Aktivisten Jan Werner eine SMS mit dem Inhalt „Hallo, was ist mit den Bums“.
Auch Thomas Starke, der kurzzeitig gar mit Beate Zschäpe liiert war, arbeitete als V-Mann, und zwar für das Berliner LKA. Starke besorgte dem „Trio“ nicht nur rund 1 kg hochexplosives TNT, sondern organisierte ihm auch den ersten Unterschlupf nach dessen „Untertauchen“. Und Thomas Richter alias „Corelli“, der auf der Telefonliste von Uwe Mundlos stand, spitzelte ab 1993 fast 20 Jahre lang für den Verfassungsschutz. Er wurde bekannt durch die Mitarbeit am Nazi- Heft „Weisser Wolf“, das sich 2002 für eine Geldspende des „Trios“ bedankte und schrieb: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen;-) Der Kampf geht weiter...“
Mit Andreas Temme war außerdem ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes unmittelbar bei einem Mord des „NSU“ anwesend. Am 6.April 2006 wurde der 21-jährige Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé erschossen, wovon der V- Mann- Führer Temme nichts mit bekommen haben will.


Bundesdeutsche Geheimdienste und Teile des Polizeiapparates hatten über mehrere Spitzel allerdings nicht nur direkten Bezug zu den rassistischen Mördern. Durch das abstruse „V- Leute- System“ wurden zum Teil sogar erst die Strukturen aufgebaut, in denen sich Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt, ihre KameradInnen und weitere Teile der Naziszene politisierten und militarisierten. Der bayerische Nazi Kai Dalek, ein weiterer Kontaktmann von Uwe Mundlos` Telefonliste, war als Topquelle verschiedener Verfassungsschutzämter beispielsweise in den 1980er und 1990er immens am Aufbau militanter faschistischer Strukturen beteiligt – von der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) über die „Anti- Antifa“ bis hin zum bundesweiten Nazi- Computernetzwerk „Thule Netz“. Auch die Rolle des V- Mannes Tino Brandt bei der Entwicklung der „Anti- Antifa Ostthüringen“ und später des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), in dem auch das „Trio“ mitarbeitete, ist bekannt.

NSU im Ländle

Brandt, der ab 1994 als „Otto/ Oskar“ für den Thüringer „Verfassungsschutz“ spitzelte, soll für seine Tätigkeit bis zum Jahr 2000 vom Staat ca. 200 000 D-Mark erhalten und diese in die Professionalisierung des „Thüringer Heimatschutzes“ investiert haben. Auch er ist auf der „Garagenliste“ von Mundlos als Kontaktperson vermerkt.
Gleichzeitig führt über Brandt eine Spur des „NSU- Umfeldes“ nach Baden- Württemberg. Denn zwischen 2004 und 2008 besaß er eine Doppelhaushälfte in Hardthausen am Kocher im Landkreis Heilbronn. Wer diese Immobilie in diesem Zeitraum, in dem auch der Mord an Michèle Kiesewetter geschah, nutzte, ist nicht klar. Interessant ist das Haus in Hardthausen schon deshalb, weil es dort seit Jahren eine aktive Naziszene gibt.
Im Jahr 2005 sorgte die führende Mitarbeit mehrerer NPD- Kader im örtlichen „Jugendhaus“ im Stadtteil Gochsen für einen kleinen Eklat. Beteiligt waren dabei Steffen Egolf, ein ehemaliger Landesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) und sein Vorgänger Mike Manfred Layer, der zeitweise außerdem V- Mann des „Verfassungsschutzes“ gewesen ist.
Auch der Heilbronner NPD- Kreisvorsitzende Matthias Brodbeck, eine zentrale Figur der Naziszene in der Region Heilbronn, war jahrelang in Hardthausen gemeldet.
„Krokus“, eine ehemalige V- Frau des „Landesamtes für Verfassungsschutzes Baden- Württemberg“ beharrt trotz massiver öffentlicher Diffamierungen durch ihre ehemaligen staatlichen Arbeitgeber darauf, dass es persönliche Treffen zwischen Matthias Brodbeck, seiner damaligen Freundin und Beate Zschäpe gegeben habe. „Krokus“ behauptet zudem, wenige Tage nach dem Mord in Heilbronn 2007 von der NPD- Aktivistin Nelly Rühle erfahren zu haben, dass Nazis sich über den Zustand des schwer verletzten Polizisten Arnold erkundigt hätten.
Und sie deutet an, dass am Mord an Michèle Kiesewetter Nazis aus Baden- Württemberg beteiligt gewesen sein sollen.
Generell sollten solche Aussagen, die vermeintlich alle Widersprüche spektakulär auflösen, kritisch betrachtet werden – erst recht wenn sie von Personen stammen, die jahrelang als bezahlte Spitzel für diesen Staat und seine Verfolgungsbehörden arbeiteten.


Unzweifelhaft sind jedoch die zahlreichen noch völlig ungeklärten Verbindungen des „NSU“ nach Baden- Württemberg, deren Aufklärung durch Landesbehörden und insbesondere die VerfassungsschützerInnen in Stuttgart sabotiert wird.
Der als „Selbstmord“ deklarierte Tod des 21- jährigen Florian Heilig am 16.September 2013 in seinem Auto am Rande des Bad Cannstatter Volksfestgeländes in Stuttgart ist dabei ein weiteres Puzzlestück.
Heilig gehörte der Heilbronner Nazi- Szene an und hatte bereits im Januar 2012 beim Stuttgarter LKA über eine weitere bewaffnete faschistische Struktur mit dem Namen „Neoschutzstaffel“ (NSS) berichtet, die ebenso radikal wie der „NSU“ sei und deren Aktive sich in Öhringen nahe Heilbronn mit „NSU“- Mitgliedern getroffen hätten. Aus Öhringen stammt übrigens auch die Nazi- Anwältin Nicole Schneiders, die aktuell den inhaftierten Ralf Wohlleben im „NSU“- Prozess in München vertritt. Am Tag seines Todes hätte Florian Heilig einen weiteren Termin beim LKA gehabt und sollte sein Wissen „über rechtsextremistische Strukturen“ Preis geben, wie es in einer Presseerklärung der Behörden heisst.


Dass es langjährige und intensive Kontakte zwischen dem „NSU“ und baden- württembergischen Nazis gegeben hat, ist allerdings auch ohne weitere Insider- Informationen ersichtlich. Neben den 4 namentlich auf Uwe Mundlos` Telefonliste vermerkten Personen aus Baden- Württemberg spricht selbst das LKA von über 31 Kontakten aus dem direkten „NSU“- Umfeld ins Land. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos haben sich ab 1993 und auch während ihrer Zeit im „Untergrund“ mehrfach im nördlichen Baden- Württemberg aufgehalten, u.a. in Stuttgart, Heilbronn und Ludwigsburg. Auch der Sprengstofflieferant Thomas Starke war mehrmals auf Konzerten und Parties in diesen drei Städten. Der Kontakt kam zumindest anfangs vor allem über den Nazi Markus Friedel zustande, der Mitte der 1990er Jahre von Chemnitz nach Heilbronn gezogen war und eine Berufsschule in Stuttgart besuchte.
In einem Brief zeigte sich Uwe Mundlos 1996 nach Besuchen begeistert und „erstaunt“ über die „Spätzles“ und ihre Ausrüstung: „Fast schon ein kleiner Waffenladen“. Und tatsächlich wurde einer der Nazis, bei dem das „Trio“ in Ludwigsburg mehrfach zu Gast war, im Jahr 2009 vom Amtsgericht Vaihingen wegen Waffenbesitz verurteilt.


Auffällig ist die Nähe dieser „Ost- Süd- Linie“ zum verbotenen Nazi- Netzwerk „Blood and Honour“ (B&H). Andreas Graupner war in Chemnitz als Mitglied der „88er Skinheads“ und von „B&H Sachsen“ im Dunstkreis der 3 Untergetauchten unterwegs. 2012 wurde seine Wohnung durchsucht, weil er als möglicher Teil des „NSU“- Unterstützernetzwerks gilt.
Graupner lebt bereits seit 2001 im Raum Ludwigsburg und war Musiker in der bundesweit bedeutenden Naziband „Noie Werte“, mit deren Musik die Bekenner- DVD des „NSU“ unterlegt ist. 
Auch Jan Werner, der dem „Trio“ Ende der 1990er Jahre eine Waffe besorgt haben soll und als Sektionsleiter von „BH Sachsen“ fungierte, lebt mittlerweile in der Nähe von Ludwigsburg. In Kirchheim am Neckar wohnen sogar zwei hochrangige Vertreter von „Blood and Honour“. Zum einen Stephan Lange alias „Pinocchio“ aus Berlin, der ehemalige Divisionsleiter von „BH Deutschland“, und zum anderen der deutsch- kroatische Faschist und Waffennarr Markus Frntic.
Frntic gründete 1999 die „BH“- Nachfolgestruktur „Furchtlos und Treu“ (F+T), die sich als elitäre „Skinheadkameradschaft“ versteht und deren Vertreter hauptsächlich aus der Gegend um Heilbronn und Ludwigsburg stammen. Im Januar 2004 gab es Hausdurchsuchungen gegen Markus Frntic und weitere Nazis aus Brandenburg und Sachsen, die auf Fotos gemeinsam mit Waffen posiert hatten. Während bei Frntic lediglich ein Plastikgewehr und ein durchbohrter Gewehrlauf gefunden wurde, förderten die Durchsuchungen bei seinen „Kameraden“ u.a. Sprengstoff, Sprengschnur, Übungshandgranaten und große Mengen Schussmunition zu Tage.
Es existiert also bis heute ein Netzwerk militanter Faschisten in den Regionen Ludwigsburg und Heilbronn mit zahlreichen Verbindungen zum „NSU“ und dessen direktem Umfeld. Dass auch das Konzept „bewaffneter Kampf“ dabei weiterhin eine Rolle spielt, bewies z.B. das Bekanntwerden der „Standarte Württemberg“ im Juli 2011. Bei mehreren Nazis dieser Gruppe, die „gewaltsam Ausländer vertreiben“ wollte, wurden bei Razzien des LKA Schusswaffen, Munition und Messer gefunden – unter anderem in Wohnungen im Landkreis Heilbronn.

Deutsche Geheimdienste und die Nazis

Obwohl die faschistische Bewegung in der BRD seit den 1990er Jahren immer wieder militante und bewaffnete „Zellen“ und Organisationsansätze hervorbrachte und sich dabei konkret an Konzepten des „leaderless resistance“ von Louis Beam oder an der britischen Terrorgruppe „Combat 18“ orientierte, sahen die deutschen Geheimdienste anscheinend keinen Handlungsbedarf. In einem internen Dossier des „Bundesamtes für Verfassungsschutz“ wurden im Jahr 2004 mehrere Strukturen und TäterInnen aufgelistet, vom Polizistenmörder Kay Diesner über Martin Wiese und seine Münchner „Schutzgruppe“ bis hin zu dem „untergetauchten“ Trio aus Jena. Auch die Waffenfunde bei Frntic und „Furchtlos und Treu“ oder durchgeführte rechtsterroristische Anschläge wie auf die „Wehrmachtsausstellung“ in Saarbrücken 1999 werden erwähnt.
Trotzdem kam das Amt zu der Einschätzung, dass insgesamt kein ernstzunehmender Terror von rechts, sondern lediglich ein „Feierabendterrorismus“ zu befürchten sei. Für einen „planvollen Kampf aus der Illegalität heraus“ fehle es an einer „Unterstützerszene“.


Im Fall des „NSU“ war diese Unterstützerszene allerdings nicht nur über 10 Jahre lang aktiv, sondern auch ein Tummelplatz von V- Leuten diverser Ämter. Trotzdem kam es nicht zu einem Auffliegen und während das erwähnte „BfV Spezial Rechtsextremismus Nr.21“ erschien, verletzten die „NSU“- Nazis im Juni 2004 mit einer Nagelbombe in der Kölner Keupstraße 22 Menschen zum Teil schwer.
Die Aufklärung darüber, ob der „Verfassungsschutz“ oder zumindest Teile davon das Entstehen militanter Nazi- Zusammenschlüsse nicht nur verharmlosten, sondern über V- Leute auch mit verfolgten oder mitgestalteten, wird weiterhin schwierig bleiben. Denn seit dem November 2011 wurden gezielt hunderte von Akten vernichtet.


Letztlich sollte bei der Frage, ob es sich um Unfähigkeit bei den Behörden handelte oder ob es eine ordnende oder schützende Hand in staatlichen Institutionen gegeben hat, auch ein Blick auf die Geschichte und den Charakter des „Verfassungsschutzes“ dabei helfen, die richtige Perspektive einzunehmen.
Denn die ab den 1950er Jahren aufgebauten Geheimdienststrukturen sind mitnichten demokratische Schutzinstrumente, sondern seit ihrer Gründung Projekte der Herrschaftsabsicherung „gegen links“.
An ihrer Entstehung waren in großem Maßstab ehemalige Mitarbeiter von NS- Organisationen beteiligt, die aufgrund ihrer antikommunistischen Verlässlichkeit auch von den westlichen Alliierten geschätzt wurden.
Der „Bundesnachrichtendienst“ (BND) etwa ging direkt aus der „Organisation Gehlen“ des Wehrmachtsgenerals Reinhard Gehlen hervor, der vor allem ehemalige Mitarbeiter von SS, SD und Gestapo um sich versammelte. Auch beim „Bundesamt für Verfassungsschutz“ und bei den „Landesämtern für Verfassungsschutz“ arbeiteten bis in die 1970er Jahre hinein zahlreiche ehemalige NS- Größen. Dass die personelle Kontinuität des deutschen Faschismus auch dafür sorgte, dass es bis in die Gegenwart hinein ideologische Traditionslinien gibt, liegt auf der Hand.


Jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen arbeitet der „Verfassungsschutz“ deshalb seit Jahrzehnten an der Diffamierung, Überwachung und Kriminalisierung linker Politik. Seit einiger Zeit geschieht dies im Kontext der sogenannten „Extremismustheorie“, also der pseudowissenschaftlichen These, dass die „demokratische Mitte“ von radikalen Strömungen linker und rechter Ausprägung bedroht sei.
Konkret wird damit die Verfolgung antifaschistischer Strukturen, Akteure und Aufklärungsinitiativen, die jahrelange Überwachung linker Bundestagsabgeordneter und die Repression gegen fortschrittliche Organisationen gerechtfertigt, während die Faschisten mit Hilfe des „V- Leute- Systems“ ihre Bewegung finanzieren und ausbauen können.
Deshalb sind die aktuellen Bestrebungen, den „Verfassungsschutz“ mit mehr Befugnissen auszustatten, zu zentralisieren und mit den Polizeibehörden noch weiter zu vernetzen, deutlich zurückzuweisen und mit der Forderung nach einer ersatzlosen Abschaffung des „Verfassungsschutzes“ zu beantworten.

KKK- Rassisten mit Kapuze und Uniform

Wie der sogenannte „Verfassungsschutz“ am Aufbau rechter Strukturen beteiligt ist, lässt sich anhand des rassistischen und antisemitischen Geheimbundes „Ku-Klux-Klan“ (KKK) nachvollziehen. Versuche, in der BRD Ableger des 1865 in den Südstaaten der USA entstandenen „KKK“ zu gründen, gab es seit den 1960er Jahren mehrfach, u.a. von hier stationierten US- Soldaten. Anfang der 1990er Jahre nahm sich vor allem die wiedervereinigte militante Nazi-“Skinhead“- Szene dieser Aufgabe an, nachdem der „KKK“- Anführer Dennis W. Mahon aus den USA durch die BRD gereist war. Der bereits erwähnte spätere V- Mann Carsten Szczepanski aus Königs Wusterhausen gründete die „KKK“- Gruppe „White Storm Berlin“ und in mehreren anderen Städten tauchte der Name des Klans auf. Die faschistische Kult- Band „Landser“ widmete dem „KKK“ einen Song. Zudem waren auch Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1995 an einer Klan-Zeremonie in Oßmaritz bei Jena beteiligt.


Wirklich Fahrt bekam die Entstehung eines deutschen „KKK“ durch das Engagement von Achim Schmid, dem aus Mosbach stammenden ehemaligen Sänger der Nazi- Bands „Höllenhunde“ und „Celtic Moon“.
Schmid ließ sich im Herbst 2000 im US- Bundesstaat Mississippi zum „Grand Dragon“ des „Ku- Klux- Klan“ ernennen und baute dann als „Reverend Ryan Davis“ in Schwäbisch Hall die „European White Knights of the Ku-Klux-Klan- Realm of Germany“ (EWK KKK) auf. Neue Mitglieder mussten auf einer Burgruine mit einem Blutstropfen dem Klan die Treue schwören und wurden dann mit einem Schwert zum „Ritter“ geschlagen. In einem Propagandapapier erklärte der „EWK KKK“ die „Erhaltung der weißen Rasse“ zum Hauptziel und lehnte eine vermeintliche „Rassenvermischung“ strikt ab. Bewerber mit „nicht weißer Hautfarbe“ oder „jüdischen Vorfahren“ seien außerdem abzulehnen.
Zwei Vollmitglieder der von Schwäbisch Hall aus bundesweit beworbenen Gruppe erklärten später, sie hätten vom rassistischen Charakter des „EWK KKK“ nichts geahnt. Es handelt sich dabei um Polizeibeamte einer Böblinger „Beweis- und Festnahmeeinheit“ (BFE), die 2002 wieder aus der Organisation ausschieden und 2005 aufgrund ihres Engagements für die „weiße Rasse“ von ihren Vorgesetzten lediglich „zurechtgewiesen“ wurden.
Brisant ist weiterhin, dass beide KKK- Polizisten aus der Einheit der vom „NSU“ ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter stammen, einer von ihnen war ihr Gruppenführer und am Todestag seiner Kollegin in Heilbronn im Einsatz. Zudem hatten drei weitere Polizisten aus Baden- Württemberg Kontakt zum „EWK KKK“, ohne Mitglieder gewesen zu sein.


Die Zügel hatten bei der Klan- Gruppe allerdings andere staatliche Mitarbeiter in der Hand. Denn der Nazi- Aktivist Thomas Richter, der wie bereits erwähnt der V- Mann „Corelli“ des „Bundesamtes für Verfassungsschutz“ war, war gleichzeitig auch Mitglied des „EWK KKK“ und informierte den Dienst regelmäßig über die Gruppenaktivitäten.
Und Achim Schmid, der ab April 2012 in Heilbronn gemeldete ehemalige Anführer des Klans, agierte selbst seit 1996 als V- Mann des baden- württembergischen Verfassungsschutzes.
Verschiedene JournalistInnen und BeobachterInnen äußern deshalb den Verdacht, der „EWK KKK“ sei ein „honey pot“ gewesen, also ein Projekt der Sicherheitsbehörden zur Kontaktaufnahme mit interessierten Teilen der rechten Szene.


Der Kreis zum „NSU“ schließt sich dadurch, dass „Corelli“ Kontaktperson von Uwe Mundlos war und Schmid als einziger Baden- Württemberger auf einer Liste des sächsischen Verfassungsschutzes von mutmaßlichen Unterstützern des „Trios“ auftaucht.
Trotzdem verneinen Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium einen Zusammenhang zwischen dem Tod von Michèle Kiesewetter und dem „Ku-Klux-Klan“ und versuchen, einen Untersuchungsausschuss zu den Verwicklungen in Baden- Württemberg zu verhindern. Von der neuen „KKK“- Gruppe der „United Northern and Southern Knights of the Ku Klux Klan“ (U.N.S.K.), die im Kreis Schwäbisch Hall von Dietmar Braunfels alias „Didi White“ aus Gailenkirchen angeführt wird, wollen die Behörden angeblich nichts wissen.
Der SPD- Landesinnenminister Reinhold Gall nimmt außerdem die Polizei demonstrativ gegen alle kritischen Bemerkungen in Schutz und behauptet, die rechten Umtriebe der BFE- Beamten, die bis heute im Dienst sind, wären erschreckende Ausnahmefälle.

Rassismus in der Mitte

Tatsächlich offenbart die Rolle der Ermittlungsbehörden im „Komplex NSU“ aber, dass rassistische Ideologien in großen Teilen der Gesellschaft und verstärkt auch innerhalb der Polizei sehr verbreitet sind. Ab dem ersten Mord des „NSU“ an dem Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg am 9. September 2000 wurden in allen Mordfällen die polizeilichen Ermittlungen in eine einzige Richtung geführt: gegen das Umfeld und die Familien der Opfer, gegen anhand rassistischer Konstrukte ins Visier genommene „Verdächtige“, gegen ganze Teile der Bevölkerung.
Während Medien über die „Döner- Morde“ berichteten, durchforsteten Horden von Polizisten migrantische Familien und Zusammenhänge nach Bezügen zur „Organisierten Kriminalität“, zur „Drogenmafia“, zur kurdischen „PKK“ oder zur „türkischen Hizbullah“. Angehörige der Opfer wurden bedrängt, beschuldigt und abgehört. Der Familie des ermordeten Enver Simsek logen Polizeibeamte „aus taktischen Gründen“ vor, der Ehemann und Vater habe ein „Doppelleben“ mit anderen Frauen geführt.


Eine „Operative Fallanalyse“ (OFA) des LKA Baden- Württemberg aus dem Jahr 2007, die übrigens Hinweise von Profilern entkräften sollte, welche hinter der Mordserie „Türkenhasser“ vermuteten, hielt die rassistischen und ethnisierenden Einstellungen schwarz auf weiss fest: Die Schreiber beim LKA machten die Täter aufgrund des „rigiden Ehrenkodex“ im „ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund)“ aus.
Ein Hamburger LKA- Mann sagte vor dem „NSU“- Untersuchungsausschuss über den 2001 von den „NSU“- Faschisten ermordeten Süleyman Tasköprü unverblümt: „Süleyman Tasköprü war das, was wir im Landeskriminalamt ,einen ganz normalen türkischen Mann´genannt haben: leidenschaftlich, sehr energisch und dominant vom Wesen. Er war nennenswert auch polizeilich in Erscheinung getreten.“
Dieser „deutsche“ Blick auf die Opfer und die Morde war es, der verhinderte, den rassistischen Hintergrund der Taten zu erkennen.
Im Fall der getöteten Polizistin Kiesewetter bestimmten vor allem antiziganistische Ressentiments  das Vorgehen der ermittelnden BeamtInnen. Größtenteils jugoslawische Roma, die sich zufällig in Tatortnähe aufhielten, wurden verdächtigt, kontrolliert und verhört. Die „SoKo Parkplatz“ der Polizeidirektion Heilbronn und später des LKA erwirkte bei der Heilbronner Staatsanwaltschaft Beschlüsse gegen Roma zur „Beobachtung anlässlich von polizeilichen Kontrollen“. In der Begründung wurde auf die „Mobilität der Täter“, „vertrauliche Hinweise, wonach die Täter aus dem Bereich der Sinti/Roma stammen“ und die in unterschiedlichen Städten aufgetretene DNA verwiesen, die sich dann als DNA einer Wattestäbchenverpackerin herausstellte.

Die Spuren hießen „Reisende Familien“ und „Landfahrer“ und in Protokollen wurde wiederholt von „Zigeunern“ gesprochen. Auch nachdem sich diese Ansätze als falsch herausgestellt hatten, wurde weiter gegen Sinti und Roma ermittelt.
Hinzu kamen Berichterstattungen in regionalen und überregionalen Medien über die „heiße Spur ins Zigeunermilieu“.
Diese Beispiele von „racial profiling“, rassistischer Identifikation, Stigmatisierung und Kontrolle sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck struktureller Probleme in den Behörden und der Mitte der Gesellschaft.

Der Ausschluss von Menschen aufgrund nationaler oder rassistischer Identitätsbildung geschieht alltäglich. Auch die Ziele rassistischer  und faschistischer Angriffe werden im Alltag durch das Vorenthalten von Teilhabe produziert, wenn bspw. geflüchtete Menschen in Lager und Heime am Rande der Städte gesteckt, ihre Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden oder gleich die Abschiebung droht.

Gerade in Krisenzeiten benutzen die Herrschenden rassistische Muster auch, um sich zuspitzenden sozialen Gegensätzen und Klassenunterschieden eine andere Dynamik zu geben. In diesem Zusammenhang sind auch die hetzerischen Äußerungen des Innenministers Hans Peter Friedrich zu sehen, der vor „Flüchtlingsströmen“ warnt, während vor den europäischen Küsten hunderte Menschen, die aufgrund der Auswirkungen des globalen Kapitalismus ihre Länder verlassen haben, im Meer ertrinken.
Rechtspopulistische und faschistische Gruppen wie die NPD, „Pro Deutschland“ und von Nazis mit initiierte „Bürgerinitiativen“ versuchen daran anzuknüpfen und sich als konsequente und „radikale“ Alternativen zu etablieren. Und bewaffnete Kleingruppen und Zirkel militanter Faschisten sind bereit, Menschenleben zu vernichten – unabhängig davon, wie viel Staat letztendlich im sogenannten „NSU“ steckte.

Antifaschismus in die eigenen Hände nehmen!

Jede Schlussfolgerung aus dem „Komplex NSU“ muss darum zum einen diesen gesellschaftlichen und institutionalisierten Rassismus mit analysieren und attackieren. Die Verbindung antirassistischer und antifaschistischer Praxis, wie sie vielerorts begonnen wurde, muss weiter vorangetrieben werden.  Dies erfordert unter Umständen auch eine kritische Selbstreflexion linker Standards und Gewohnheiten.


Zum anderen unterstreichen die in den letzten zwei Jahren bekannt gewordenen Fakten über den „NSU“, den Verfassungsschutz, sonstige bundesdeutsche Geheimdienste und die Arbeit der Polizei die Notwendigkeit einer konsequenten, selbstorganisierten antifaschistischen Politik.
Weder bei der Beobachtung  der faschistischen Bewegung und ihrer verschiedenen Strukturen, noch bei deren Bekämpfung können und dürfen wir uns auf diesen Staat verlassen oder den Schulterschluss mit staatlichen Institutionen suchen wie es manche zivilgesellschaftlichen Akteure anstreben. Genau diese Behörden und Ämter haben die Mörder des „NSU“ und ihre UnterstützerInnen gewähren lassen, die Naziszene jahrelang verharmlost, sie über V- Leute mitfinanziert und sind für die Verunglimpfung und Kriminalisierung antifaschistischer AktivistInnen verantwortlich.
Die konkrete Recherchearbeit gegen Nazis hat genauso wenig an Aktualität verloren wie der antifaschistische Widerstand im Alltag und auf der Straße mit den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln.
Dabei gibt es eine große Vielzahl von Spektren und Gruppen, die trotz unterschiedlicher Herangehensweisen, Selbstverständnisse und Erfahrungen konstruktiv zusammenarbeiten und sich ergänzen können. Beispielsweise in breiten, lokal fest verankerten Bündnissen gegen Rassismus oder gegen Naziaufmärsche, in denen auf gleicher Augenhöhe gearbeitet wird und ein effektives Vorgehen gegen die Faschisten im Vordergrund steht.
Die dabei gemachten Erfahrungen, die geschaffenen Netzwerke und eröffneten Debatten erweitern auch insgesamt den Spielraum für eine offensive linke Politik. Diese wird langfristig notwendig sein, um die Grundlagen für Rassismus und reaktionäre Gesellschaftsmodelle zu beseitigen.

Organisierte Linke Heilbronn (OL), Oktober 2013

 

 


 

Wer wir sind

 

Die „Organisierte Linke Heilbronn“ (OL) ist das Ergebnis eines seit Ende 2012 andauernden Diskussionsprozesses von Aktivistinnen und Aktivisten in Heilbronn.

Beteiligt ist daran die 2009 gegründete Gruppe „Revolutionäre Linke Heilbronn“ (RLHN) und mehrere Menschen, die bisher in antifaschistischen und internationalistisch/antimilitaristischen Teilbereichsgruppen engagiert waren bzw. sind.

Wir wollen gemeinsam am Aufbauprozess einer starken außerparlamentarischen Linken arbeiten, die fortschrittliche Bewegungen gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus mit gestaltet und für eine Perspektive jenseits der bestehenden Gesellschaft steht.

Neben aktivistischen Zusammenhängen und offenen Strukturen braucht eine solche Linke auch eine feste und verbindliche Organisierung, die Kontinuität sicherstellt, an der Weiterentwicklung linker Theorie arbeitet und Strategien und Konzepte entwickeln kann.

Um Sektiererei, Fehleinschätzungen und Alleinvertretungsansprüche zu vermeiden, ist es wichtig, sich beständig mit anderen Akteuren in Bewegungen und Kämpfen auszutauschen. Wir legen deshalb Wert auf die Verankerung unserer Mitglieder in der Praxis und die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen in Bündnissen und Zusammenschlüssen.

 


Informationen zur Kampagne "Naziterror und Rassismus bekämpfen! Vefassungsschutz auflösen": www.nsu-demo.tk