Auch die zweite Woche seit dem Senatsultimatum gegen Flüchtlinge aus Lampedusa war geprägt von nicht nachlassenden Protesten. Am Montag wurden in Eimsbüttel von 200 Menschen Straßen blockiert, am Dienstag von 400 Aktivist_innen eine Propagandaveranstaltung von Olaf Scholz besucht und Mittwoch vor und im Rathaus während einer Sitzung demonstriert. Zudem fand eine wöchentlich anwachsende Demonstration der Refugees mit diesmal 1200 Menschen statt
Protest gab es diesmal auch bei Olaf Scholz zuhause: "Aktivist_innen riefen Parolen und blockierten die Straße. Zeitgleich fuhren zwei Limousinen des Senats an den Aktivist_innen vorbei und in einer wurde Olaf Scholz erkannt. Durch die Anwesenheit der Menschen sahen sich die Fahrzeuge gezwungen, einen Umweg zu fahren. Nach kurzer Zeit wurde die Gruppe von den inzwischen eingetroffenen Bereitschaftspolizisten abgedrängt. Somit konnte Olaf Scholz nur mit Verzögerung sein Haus erreichen."
»Wir sehen hier in Hamburg, dass Dublin-II gerade zusammenfällt«
Die politische Auseinandersetzung dreht sich dabei nicht mehr ausschließlich um die Gruppe Lampedusa in Hamburg, sondern darüber hinaus um die Frage, wie in Europa mit Geflüchteten umgegangen wird bzw. werden soll, welche Konsequenzen aus den Tausenden von Toten an den EU-Außengrenzen gezogen werden soll und wie sich ein staatlicher und auch gesellschaftlicher Rassismus in der BRD manifestiert. Ein Sprecher der Gruppe hat dies optimistisch zusammengefasst mit den Worten: "Wir sehen hier in Hamburg, dass Dublin-II gerade zusammenfällt".
Dies zeigte sich auch in den zahlreichen Soliaktionen in anderen Städten, die sich auch in den letzten Tagen fortsetzten. So gab es Solidaritätsdemonstationen und Aktionen in Wuppertal, Leipzig, Bielefeld, Dortmund und Frankfurt a. M. In Berlin kam es nach polizeilichen Angriffen auf eine Demonstration für und mit dortigen Refugees zu einer spontanen Demo mit 1000 Menschen, in deren Verlauf auch einige Barrikaden errichtet wurden und Scheiben zu Bruch gingen. In Kiel ist für Freitag den 25.10.2013 eine Demonstration ab 17.00 Uhr Bahnhofsvorplatz angekündigt. Im Anschluss besteht die Möglichkeit in Hamburg an einer gemeinsamen Demonstration von St. Pauli Fans, Stadtteilinitiativen und Refugees teilzunehmen.
Die kolllektive Stärke von Lampedusa in Hamburg
Die Stärke der Gruppe Lampedusa in Hamburg hat ihren Ursprung darin, dass sich die Geflüchteten kollektiv als Gruppe organisiert haben und offensiv Forderungen an den Hamburger Senat gestellt haben und stellen.
Dies hat einerseits den etablierten Politikbetrieb erschreckt, so wurde im Hamburger Abendblatt kolportiert, dass der Senat von den Protesten kalt erwischt worden sei und mit solchen nicht gerechnet habe. Andererseits machte diese Organisierung als Gruppe eine politische Frage und Bezugnahme jenseits von individuellen Einzelfallprüfungen und -schicksalen möglich.
Die bisher verfolgte Gruppenlösung des Senates einer Abschiebung und basta ist zwar Dank der vielfältigen und teilweise auch militanten Proteste vom Tisch, eine Gruppenlösung mit Bleiberecht aber in ebenso weiter Ferne wie bisher. Stattdessen soll die Flüchtlingsgruppe nun über Einzelfallprüfungen und eine separate Unterbringung aufgespalten werden. Als angebliche Kompromissbereitschaft der Innenbehörde wird zugesichert, dass während des Asylverfahrens eine Duldung ausgesprochen wird – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auch wenn dies in der Vergangenheit in Hamburg durchaus nicht immer umgesetzt wurde.
Senats-Populismus und rassistische Kontrollen
Die kurzfristige Aussetzung der rassistischen Kontrollen ist auch eine Reaktion auf den politischen Druck auf der Straße und könnte auf den ersten Blick als Erfolg der Protestbewegung gewertet werden. Immerhin bezeichnet mittlerweile sogar der Menschenrechtsbeauftragte der UN die Kontrollen in Hamburg als rassistisch. Eine internationale Öffentlichkeit, die - wie im Fall des Polizeiskandales nach Berichten von Amnesty International in den Neunzigern - dem Senat nicht egal sein kann.
Tatsächlich fanden schon in den Tagen vor der Aussetzung aufgrund von Kapazitätsengpässen nur noch sporadisch Kontrollen statt. Die Aussetzung ist eine Zurkenntnisnahme der bestehenden Situation, vom Senat aber auch als Druckmittel gedacht und gleichzeitig ein Atemholen für die Repressionsbehörden, um die eigenen Kräfte zu bündeln und später möglicherweise umso konzentrierter wieder zuzuschlagen. Im weiteren stellt diese Aussetzung auch den Versuch dar, die bisherige Linie des Senates weiterzuverfolgen und Verhandlungsmasse vorzutäuschen, wo keine ist: Imagepflege für eine stur verfolgte technokratische Abschiebepolitik.
Paradoxerweise und in unfassbarer Verlogenheit stellt sich der Senat dabei als gradliniger Streiter für soziale Gerechtigkeit dar. Die Flüchtlinge aus Lampedusa dürften nicht anders behandelt werden als andere, und überhaupt, alle hätten sich gleichermaßen an Recht und Gesetz zu halten. So werden populistische Stimmungen in der Bevölkerung bedient, welche sich andernorts längst in pogromartiger Stimmung und Brandanschlägen auf Flüchtlingswohnheime austoben, so wird sich aber auch der Anschein von politischer Abwägung nach moralischen Prinzipien verpasst, während es längst nur noch um Machtpolitik, persönliche Karriereambitionen und Staatsräson geht.
Landeskirche erhöht Druck auf Kirche und Refugees in St. Pauli
Dabei hat die SPD mittlerweile Rückendeckung erhalten; neben CDU und FDP haben sich die Landeskirchen wenig überraschend für einen staatstragenden Kurs entschieden und sich an die Seite von Olaf Scholz gestellt. Vor allem die Nordelbische Landeskirche übt nun offenen Druck auf die lokale Kirche in St. Pauli als politischer und sozialer Bezugspunkt der Refugees aus.
Die Refugees müssen nun unter einer Drucksituation und für sie ungünstigen Bedingungen diskutieren, wie sie ihren Kampf fortführen wollen und können. Unabhängig davon, in welcher Form diese nun ihren Kampf um Bleiberecht und ihre kollektive Organisierung fortsetzen, sind alle aufgerufen, mit diesen Kämpfen solidarisch zu sein und der Propaganda-Show des Senates zu widersprechen.
Langfristige Perspektiven statt Duldung zur Abschiebung
Scholz ist es vorläufig gelungen, durch eine minimale Drehung ein Ultimatum zu formulieren, das von Medien und der Öffentlichkeit noch nicht mal als solches verstanden wird. So droht der bisherige Erfolg der Protestbewegung und Refugees - die temporäre Aussetzung der rassistischen Kontrollen und die Verhinderung einer Gruppenlösung Abschiebung - in einer bürokratisch angelegten Duldungs- und Abschiebelösung aufzugehen, die den Betroffenen keine langfristigen Perspektiven bietet.
Umso wichtiger ist, dass sich alle Protestspektren in den nächsten Tagen umso deutlicher und entschlossener zu Wort melden. Der dauerhafte Stopp der rassistischen Kontrollen ist keine Verhandlungsmasse in der Auseinandersetzung um das Bleiberecht der Lampedusa Flüchtlinge, sondern eine politische Notwendigkeit. Bleiberecht ist keine Frage des Herkunftslandes oder einer Einzelfallprüfung als Abschiebung auf Raten. Geht weiter auf die Straße und haltet die Proteste am Laufen. Abschiebungen stoppen - Dublin II versenken!
Aktivist_innen gegen Rassismus und Abschiebung
Nächste Demotermine:
Fr.: 25.10.
Stadtteildemo von St. Pauli-Fans, Initiativen und Refugees
20:30 Uhr Harald-Stender-Platz vor der Südkurve
Sa.: 26.10.
Demo gegen rassistische Kontrollen und Gefahrengebiete
13 Uhr Rote Flora
Sa.: 2.11.
Bundesweite Demo Lampedusa in Hamburg
14 Uhr HBF
Sa. 21.12.
Bundesweite Demo "Refugee-Bleiberecht, Esso-Häuser und Rote Flora durchsetzen"