Bürger und NPD zusammen gegen Flüchtlinge

Neonazis und Bürger ziehen gemeinsam mit Fackeln durch Schneeberg
Erstveröffentlicht: 
21.10.2013

Am Samstag protestierten – initiiert von der NPD – ca. 800 Menschen gegen das Asylbewerberheim im erzgebirgischen Schneeberg. In der Menge befanden sich Dutzende bekannte Neonazis aus der Region. „Schneeberger Lichtellauf“ – unter dieser harmlos klingenden Bezeichnung hatte die NPD eine Demonstration angemeldet. Bewusst entschied man sich dafür, die Versammlung als „überparteilich“ darzustellen, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, es könne sich um eine neonazistische Demonstration handeln. Eine Bürgerinitiative unter dem Titel „Schneeberg wehrt sich“ wurde ins Leben gerufen, auf Facebook zählte sie innerhalb weniger Tage bereits über 2.000 Mitglieder.

 

Am Vorabend fanden ein Friedensgebet und eine Kundgebung mit Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) statt. Ein Transparent mit der Aufschrift „Kein Platz für Nazis“ wurde gezeigt. Grund genug für Anmelder Stefan Hartung (NPD), auf die Facebook-Seite der Bürgerinitiative zu schreiben: „Wer gegen Asylbetrug ist, ist aus Stimpels Sicht Nazi.“ Eine Welle der Empörung folgte in der Kommentarspalte. So gelang es den federführenden NPD-Kadern auch, die von der Chemnitzer Freien Presse falsch geschätzte Zahl von 900 Teilnehmern bei der demokratischen Kundgebung als Presselüge zu verkaufen.

In der Folge zogen die Neonazis zusammen mit einem Teil der Schneeberger Bevölkerung durch die Wohngebiete und skandierten: „Lügenpresse, halt die Fresse!“ Einige Teilnehmer nutzten die aggressive Stimmung und versuchten mehrmals, Journalisten und vereinzelte Gegendemonstranten am Rande mit ihren Fackeln zu bedrängen. Ein Eingreifen der Ordner erfolgte nicht – diese bestanden ausnahmslos aus organisierten Neonazis. Die Polizei hatte sich offensichtlich von der bürgerlich anmutenden Mobilisierung täuschen lassen und die Gefahrenlage unterschätzt. 130 Beamte waren vor Ort, ein Teil von ihnen kesselte eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten ein. Die Einsatzkräfte direkt an der Demonstration waren allerdings nach eigener Auskunft nur für die Regelung des Verkehrs zuständig. Dennoch gelang es den Beamten, wenigstens zwei der zahlreichen Hitlergrüße aus der Demonstration strafrechtlich zu verfolgen.

Im Vorfeld der Demonstration waren auf Facebook die Gerüchte um angebliche Straftaten im Flüchtlingsheim angeheizt worden. Der Großteil der 540 Asylsuchenden war erst Ende September von der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz nach Schneeberg gebracht worden. In dem völlig überfüllten Chemnitzer Heim war es zuvor zu Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Nordafrikanern gekommen, 21 Menschen wurden verletzt. Familien aus dem Flüchtlingsheim wurden daher in der ehemaligen Kaserne von Schneeberg untergebracht, wo sie einem Teil der Anwohner ein Dorn im Auge sind. Viele Neonazis, die teilweise aus Entfernungen bis zu 100 Kilometern angereist waren, mischten sich am Samstag unter die Demonstration. Einen verstärkenden Effekt auf die Mobilisierung dürfte auch das zuvor stattgefundene Spiel des lokalen Zweitligisten FC Erzgebirge Aue gegen den VfL Bochum gehabt haben.

Die Teilnehmer des „Lichtellaufes“ zogen „Wir sind das Volk“ rufend mit Fackeln und Lampions durch die Bergstadt und hinterließen einen bedrohlichen Eindruck. Eine wirklich breite Zustimmung beim Rest der Anwohner konnte die NPD mit ihrem Marsch so nicht gewinnen. Zwar war die hohe Zahl der bürgerlichen Teilnehmer erschreckend, aber durch die klare Federführung der lokalen NPD und der Teilnahme der NPD-Landtagsabgeordneten Arne Schimmer und Gitta Schüßler, konnte der Großteil der örtlichen Bevölkerung mit rassistischen Ressentiments nicht angesprochen werden. Zudem ist es auch fraglich, ob ohne die personelle Unterstützung zahlreicher sächsischer Kameradschaften überhaupt so viele Menschen gegen die Flüchtlingsunterkunft auf die Straße gegangen wären. Erschreckender als die Unterstützer aus der Bevölkerung war für viele, dass es nur vereinzelt Menschen gab, die gegen den Aufmarsch protestierten.

 

Von Johannes Grunert