// "Wählen statt arbeiten" heißt es bei einer Aktion von Beschäftigten der Modehauskette gegen den verkaufsoffenen Sonntag in Berlin. //
Das Wahlrecht soll in der Demokratie das höchste Gut sein. Doch für Beschäftigte des Einzelhandels in Berlin steht es hinter dem Recht der KonsumentInnen, am Sonntag billige, von Kindern in Bangladsch genähte T-Shirts kaufen zu können. Denn der Berliner Senat hatte den diesjährigen Wahlsonntag zu einem der acht verkaufsoffenen Sonntage des Jahres erklärt.
Dagegen protestierten rund 50 Menschen vor der Filiale von H&M in der Friedrichstraße in Berlin-Mitte. "Wir setzen ein Zeichen: Wir wollen Freizeit mit unserer Familie", so Lou Rodrigues, die seit acht Jahren in der Filiale arbeitet und nun an ihrem freien Tag mit ihrem Sohn zur Protestaktion gekommen ist. Auch die Gewerkschaft ver.di und Studierende zeigten sich solidarisch.
"Seit sieben Jahren haben wir gegen die Sonntagsöffnung protestiert", so Betriebsrat Jan Richter. 2006 wurden die Ladenöffnungszeiten in Berlin liberalisiert, und zwar mehr als in jedem anderen Bundesland – "dem rot-roten Senat sei dank!" so Richter über den Beschluss der damaligen Regierung aus SPD und Linkspartei. Nun ist es dem Senat "offensichtlich egal, ob wir wählen gehen oder nicht". Eine weitere Arbeiterin von H&M kritisiert, dass "Konsum stärker gefördert wird als Demokratie."
Die Belegschaft dieser Filiale verweigert seit 2006 geschlossen jede Sonntagsarbeit. Nun sind allerdings Beschäftigte aus anderen Filialen geholt worden und bekommen dafür 120 Prozent mehr Lohn. Einige KollegInnen aus der Stammbelegschaft sind in ihrer Freizeit zu der Aktion gekommen und bieten den PassantInnen Kaffee und Kuchen an.
Viele gehen trotz des Protests in den Laden rein. Wie Jaqueline (18), die eine Mütze gekauft hat. Sie und ihre FreundInnen verweisen darauf, dass sie bei der Ausbildung im sozialen Bereich am Samstag arbeiten müssen. "Es ist praktisch, am Sonntag einkaufen zu gehen." Eine Krankenpflegerin von der Charité, die den Streikposten verstärkt, erwidert darauf, dass sie auch am Wochenende arbeiten müsse, aber trotzdem für die Wochenenden der EinzelhändlerInnen eintrete.
Am Dienstag hatten Beschäftigte von H&M eine Protestkundgebung an der Charié unterstützt. Nun drücken die KrankenpflegerInnen ihrerseits Solidarität aus. "Bei uns ist die Sonntagsarbeit objektiv notwendig", so Stephan Gummert, Personalrat an der Charité. "Aber wir wollen auch, dass sie besser entlohnt wird." Susanne Mantel von H&M stellt fest, dass es an der Charité "um Leben und Tod, hier aber nur um Schlüpfe geht." Es gibt ja auch am Sonntag keine Kita und keine Schule für die Kinder. "Und wo soll das aufhören?" Die Antwort darauf weiß nur der Berliner Senat.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt am 23.9.