[WIEN] Repressionswelle gegen Wagenplatz Treibstoff seit 31.8. - 2 Räumungen, 3 Festnahmen

Cops am Gaswerk Wien

Die seit 2009 bestehende Wiener Wagengruppe Treibstoff, die sich einem gemeinschaftlichen, alternativen, selbstorganisierten Leben verschrieben hat, hat es nicht leicht in Wien. Schon über 20 mal musste das Kollektiv mit seinen bewohnbaren Wohn- und umgebauten Lastwägen übersiedeln. Am 31. August lief eine Sondergenehmigung der Stadt Wien für ein Grundstück beim Gaswerk Leopoldau aus - die Gruppe übersiedelte notgedrungen auf eine Industriebrache. Dort wurde sie am 2. September zunächst polizeilich vertrieben, drei Tage später, am nächsten Standort, kam es aus der permanenten Belagerungssituation durch Verfassungsschutzbeamte zu einem Großeinsatz mit drei vorübergehenden Festnahmen, einer verletzten Person und einer rechtswidrigen Einziehung eines Fahrzeuges zur Kontrolle an der Landesprüfstelle. Mangels Alternativen blieb man in der Nähe des Gaswerks Leopoldau - aber  schon am Mittwochabend, den 11. September 2013, rückten Bereitschaftspolizei und Verfassungsschutz zur nächsten Räumung aus.

 

Das rot-grüne Wien, welches sich die Legalisierung von Zwischennutzungen ins Koalitionsabkommen hineingeschrieben hat, setzt in enger Zusammenarbeit mit der Polizei seine Zermürbungstaktik auch im dritten Jahr der rot-grünen Koalition unbeirrt fort. Ein Rückblick auf die Ereignisse der letzten Tage:

 

31. August - Abschied von der Baldassgasse 5 (beim Gaswerk Leopoldau)


Am 31. August lief die Sondergenehmigung der MA 18 für das Abstellen von "Bauwägen" auf Grünland aus - der Standort Baldassgasse 5 beim Gaswerk Leopoldau musste nach über einem Jahr verlassen werden. Da ohne Sondergenehmigung der Stadt Wien "Bauwägen" nur auf als Wohnfläche gewidmeten (unbebauten) Grundstücken stehen dürfen - aber selbst ein Mietvertrag schützt nicht vor den Schikanen der städtischen Behörden und der Polizei - ist guter Rat teuer. Die Stadt verfügt zwar über zahlreiche leerstehende Grundstücke, für die vielfach noch keine Pläne vorhanden sind - doch will sie diese nicht für Wagenplätze zur Verfügung stellen. Nicht per Sondergenehmigung (weder für die Wagentruppe Treibstoff noch für die ebenfalls bedrohte Wagengruppe Gänseblümchen gab es Angebote oder Entgegenkommen) und auch nicht per städtischer Verordnung, wenngleich dies (eine Legalisierung von Zwischennutzungen leerstehender Gebäude und Grundstücke) Teil des rot-grünen Koalitionsabkommens der Legislaturperiode 2010-2015 zwischen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Vassilakou (Grüne) ist.

 

2. September: Erste Räumung (Gaunersdorfergasse)


Da die Wägen nicht einfach irgendwo am Straßenrand geparkt werden dürfen - das verstößt gegen die "Wiener Kampierordnung" [sic] - muss zwangsläufig irgendein Grundstück bezogen werden. Irgendwo in einem Industriegebiet, in der Gaunersdorfergasse, wird still besetzt - bis am 2. September Verfassungsschutz und Polizei zur Räumung ausrücken. Im Treibstoff-Blog heißt es dazu:

Es ist wiedermal soweit. Seit letztem Samstag stehen wir, die Wagentruppe Treibstoff, in Wien ohne festem Standplatz da. Das Grundstück welches wir seitdem still besetzt hielten wurde heute polizeilich geräumt. Dieses wunderbare Grundstück steht seit über 8 Jahren ungenutzt da und wird es nun wohl auch weiterhin bleiben.

Nach einer ersten Polizeivisite zu Mittag bekamen wir Besuch von Bereitschaftspolizei und Verfassungsschutz. Nach der Verlesung einer polizeilichen Verordnung machten sich die Bullen ans Werk. Alle Anwesenden wurden nach draußen gebracht und perlustriert, die Wägen fotografiert und das Grundstück durchsucht. Danach mußten wir unsere Sachen packen. Ca. 50 Kibera in Montur und einige vom Verfassungsschutz führten die Räumung durch. Etwa 3 Stunden später waren alle draußen. Wieder erwarten haben wir uns danach nicht in Luft aufgelöst. Wir stehen jetzt auf der Straße neben dem Grundstück im Industriegebiet am Rande Wiens. Eine Straße die heute Nacht wohl zum ersten Mal so etwas wie Leben erahnen läßt. (http://treibstoff.wagenplatz.at/archives/1078)

Für die Räumung gab es offenbar keinen Bescheid - die Polizei verweigert die Auskunft, die Grundstückseigentümer geben an, keine Polizei angefordert bzw. einen Räumungsbescheid unterschrieben zu haben (vgl. Aufarbeitung der letzten Tage, 7.9.)!

 

5. September: Verbot einer Kundgebung am Schillerplatz und mehrere Festnahmen


Nach der Vertreibung zog die Wagengruppe zurück zum Gaswerk Leopoldau - und errichtete eine "Begegnungszone" auf der Zufahrtsstraße. Doch Polizeibeamte verwiesen auf die Kampierverordnung. Wenig später tauchte auch ein Beamter des Verfassungsschutzes auf, der - laut Blogeintrag - auch damit drohte, die Fahrzeuge einer Kontrolle auf der Landesprüfstelle unterziehen zu lassen, sollte eine Kundgebung am Schillerplatz abgehalten werden. Die behördliche Untersagung für die angemeldete Kundgebung hatte er ebenfalls dabei. Die durch die Fahrzeuge entstehende "Lärmbelästigung" (in Kastanienwurfdistanz zur Ringstraße!) sei "nicht zumutbar" und die Grünflächen (am SchillerPLATZ?) würden zerstört. So der gewohnt lockere Umgang der Wiener Polizei mit dem Versammlungsrecht.

Es gab also keine Kundgebung am Schillerplatz. Stattdessen rückte die Polizei selbst mit einem Großaufgebot zum Gaswerk Leopoldau aus - und ließen ein Fahrzeug auf die Landesprüfstelle (kostenpflichtig) abschleppen. Die Polizei verhaftete drei Personen - sie wurden für acht Stunden eingesperrt - und verletzte eine weitere (http://treibstoff.wagenplatz.at/archives/1085). derstandard.at berichtete ("Der tägliche Umzug: Wagengemeinschaft wieder auf Quartiersuche", 10.9.).

Am 9. September besuchte eine Delegation des Wagenplatzes das Wiener Rathaus und forderte die Stadtregierung sowie die MA 18 (Abteilung für Stadtentwicklung) zu Gesprächen auf. Folgende Erklärung wurde übergeben:

Am 31. August verließen wir das Grundstück in der Baldassgasse 5 in Floridsdorf „besenrein“ nachdem die baupolizeiliche Sondergenehmigung für unsere Wägen mit diesem Datum abgelaufen war.

Daraufhin besetzten wir ein Grundstück in der Martin-Gaunersdorfer-Gasse ebenfalls im 21. Bezirk. Dieses Grundstück ist jahrelang leer gestanden. Am darauffolgenden Montag räumte die Polizei das Grundstück nach Verlautbarung der Räumungs-Verordnung. Wir hatten zwar mit dem Eigentümer der Fläche telefoniert, dieser hatte aber bereits (wahrscheinlich vom angrenzenden Unternehmen verständigt) die Räumung veranlasst. Unsere Personalien wurden aufgenommen und die Wägen wurden von außen und teilweise auch von innen fotografiert, obwohl wir das nicht wollten, wir wollten aber keine Eskalation und haben uns daher nicht mit Gewalt widersetzt.

Danach parkten wir auf den Parkstreifen in der Baldassgasse. So verbrachten wir 2 Tage auf der Strasse- ironischer weise in unmittelbarer Nachbarschaft der zwei brachliegenden Grundstücke. Da wir uns durch die ständige Polizeibeobachtung in unserer Privatsphäre eingeschränkt fühlten, und auch von der Verkehrspolizei aufmerksam gemacht wurden, dass wir hier nicht stehenbleiben können, fuhren wir an den Stadtrand auf einen Parkstreifen in der Petritschgasse neben dem Gaswerk Leopoldau.

Am nächsten Tag wurden wir vom Herrn Lett vom LVT aufgesucht, der uns persönlich die Untersagung von einer von uns angemeldeten Kundgebung am Schillerplatz überreichte. Herr Lett, welcher auch bei der Räumung dabei gewesen war, drohte uns auf subtile Art mit der technischen Überprüfung unserer Fahrzeuge, sollten wir dennoch die Kundgebung mit all unseren Wägen abhalten.

Nach kurzer Diskussion teilten wir Herrn Lett mit, dass wir uns über die Sache beraten werden und Herr Lett verschwand. Wenige Minuten später traf die erste Polizeistreife ein, welche nach eigenen Angaben die Aufgabe hatte, uns zu beobachten. Nach unseren Unmutsäußerung über dieses Vorgehen, forderte der Beamte vermutlich Verstärkung an, worauf vier Busse der Bereitschaftseinheit anrückten.

Nachdem wir Stunden unter Beobachtung standen, verlangten die Beamten ohne ersichtlichen Grund die Papiere eines unserer Mitbewohner. Nachdem dieser dies verweigerte und Diskussionen über das schikanöse Vorgehen der Polizei begannen, eskalierte die Situation und endete mit drei brutalen Festnahmen, einer technischen Untersuchung eines Fahrzeuges auf der Landesprüfstelle (ohne rechtliche Deckung, weil keine Angabe konkreter technischer Gründe und außerhalb der 10 km Entfernung zur Landesprüfstelle, innerhalb derer man einer solchen Anordnung Folge leisten müsste- das Fahrzeug wies keine gefährlichen technischen Mängel auf und wurde wieder entlassen ) und hohen Geldstrafen. Nach dem Schock dieses Tages beschlossen wir wieder zu besetzen. Seitdem beleben wir wieder ein seit Jahren leeres Gelände.

Auf Grund der Vorkommnisse der letzten Woche, mussten wir feststellen dass selbstverwaltetes, alternatives Wohnen in Wien weder erwünscht, noch geduldet ist. Erneut geben wir hiermit die Chance mit der Wagentruppe Treibstoff in Dialog zu treten. Folgend erläutern wir unsere wichtigsten Anliegen.

Die Polizeirepression muss ein Ende haben!Wir benötigen vor dem Winter einen sicheren Platz!Keine negativen Intervention der Stadt- und Bezirkspolitik, wenn Mietverhältnisse oder Duldungen mit Privaten zustande kommen!Um die fatale kapitalistische Verwertungslogik einzubremsen, muß Leerstandsnutzung und Nachnutzung privater als auch städtischer Liegenschaften möglich sein! Abschaffung des §60 Abs. 2 in der Wiener Bauordnung, der unsere Wägen zu Bauwerken macht!Anwendung der Sonderwidmung „alternatives Leben“!Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung gehört abgeschafft!Bewegungs- und Bleibefreiheit für alle Menschen!

 

11. September - Zweite Räumung

 

Die Wagengruppe Treibstoff übersiedelte also auf ein neues Grundstück, eine Brache in der Rappachgasse, Ecke Haidegasse. Kurz bevor sie auch dort geräumt wurden  erschien im Treibstoff-Blog noch ein Communique mit dem Titel Stehen wir über diesen Winter auf der Straße??, in dem es u.a. heißt:

Die Vorkommnisse der letzten 10 Tage haben uns wieder einmal vor Augen geführt, dass Wien wirklich anders ist. Alles was hier ein bisschen von der Norm abweicht, wird zu Tode verordnet und verwaltet. Das Grundstück in der Rappachgasse, das wir gestern Nacht besetzt haben, gehört nach unseren Informationen der Stadt Wien. Es steht seit einigen Monaten leer. Nach unserer Odyssee der vergangenen Tage hoffen wir, hier zumindest über den Winter bleiben zu können.

Denn obwohl wir als Individuen mobil sind, brauchen wir einen Platz für längere Zeit, um unsere Infrastrukturen aufbauen zu können. Nicht einmal Wohnungsmieter_innen, die sich nicht um die Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung etc. selbst zu kümmern haben wird zugemutet, alle paar Monate auszuziehen und etwas Neues zu suchen.

Am Abend, acht Stunden vor der Räumung, hieß es noch im offiziellen Channel auf indy.im: "Polizei in der Rappachgasse anwesend. Verhalten sich kooperativ. Besuch vom Büro für Sofortmaßnahmen angekündigt." Dann gegen Mitternacht die letzte Meldung: "Werden gerade geräumt. Brauchen dringend Leute vor Ort. Wer kommen kann: Rappachgasse Ecke Haidegasse, S-Bahn Station Haidestraße. #wagenplatz #treibstoff brennt!". Weitere Infos liegen zur Zeit noch nicht vor.

 

Auch Wagenplatz Gänseblümchen bedroht

 

Kurios angesichts der laufenden Vertreibungsaktionen der Stadt: ein Foto des Wagenplatzes Gänseblümchen ziert die Werbebroschüre der Seestadt Aspern, als Beispiel für den "Platz für alternative Lebensformen", den es in der Seestadt Aspern angeblich gäbe - und mit dem Wagenplatz Gänseblümchen von Anfang Juli 2012 bis 5. April 2013 auch gab. Dann lief das "zweite Entgegenkommen" der Seestadt Aspern aus - es gäbe keinen freien, ungefährlichen Platz mehr am Gelände. Dem widerspricht Gänseblümchen jedoch entschieden: Im Bauabschnitt 3 gäbe es beispielsweise ein Grundstück, das "frühestens 2022" verwertet wird. Zur Zeit befindet sich der Wagenplatz Gänseblümchen am Verbindungsweg zwischen Pilotenweg und Johann-Kutschera-Gasse in Donaustadt (U2 bis Aspernstraße, dann 26A bis Lohwaggasse) und lädt diesen Freitag, 13. September, auch zu einem Nachbarschaftsfest ab 14 Uhr ein. Am 27. September ist dann bereits die letzte Gelegenheit, den Wagenplatz zu besuchen. An diesem Abend findet die letzte Freitagsbar statt, bevor auch die Wagengruppe Gänseblümchen wieder - im wahrsten Sinne des Wortes - auf der Straße steht.

 

[cc by & thx to http://www.liv3.at/article/repressionswelle-gegen-wagenplatz-treibstoff-... / photo: treibstoff.wagenplatz.at ]

 

LINKS

* Fotostrecke Wagenplatz Treibstoff am 5.9.2013 beim Gaswerk Leopoldau (Martin Juen-Fotoblog)
* Foto-Rückblick: Wagenplätze in Wien und deren Stationen (ab 2009) (Martin Juen-Fotoblog)
* Wagenplatz Treibstoff: Aufarbeitung der letzten Tage (7.9.)
* Wagenplatz Treibstoff: Stehen wir über diesen Winter auf der Straße?? / Indymedia (11.9.)
* schmecksblog: Stadt Wien jagt Wagentruppe Treibstoff (12.9.)