Rechtswidrige Festnahme?
Eine Schanzen-Aktivistin steht wegen Widerstands gegen Polizisten vor Gericht. Jetzt steht das mutmaßlich rechtswidrige Vorgehen der Zivilfahnder im Mittelpunkt.
Böse Zungen behaupten, es gehe um Rache. Die Strafanzeige gegen Claudia Falke wegen Widerstands und versuchter Gefangenenbefreiung wäre eine Revanche – für die vielen Schlappen, die die renitente 49-Jährige den Zivilfahnderinnen des Pelizeireviers Lerchenstraße beigebracht hat. Die Ereignisse nach dem Schanzenfest 2012 hätten sich einfach angeboten, der Aktivistin am Zeug zu flicken.
In jener Nacht zum 26. August vorigen Jahres wollten die Zivilfahnder Jens R. und Thorsten H. auf dem Schulterblatt zwei Jugendliche festnehmen, die sie für verdächtig hielten, weil sie sich mehrfach umdrehten. Das sei das „klassische Verhalten“ bei einer Flucht aus dem Flora Park nach einem Raub, sagt Fahnder Jens R.. Zusammen mit den Kollegen Krischan K. und Claudia Sch., die ihnen entgegenkamen, wollten die Beamten das Duo festnehmen und brachten es zu Fall.
Im Nu war das Quartett von einer Menschentraube umgeben, die wissen wollte, was den beiden Heranwachsenden vorgeworfen wird. Unter ihnen auch die polizeibekannte Claudia Falke. Sie kniete neben den am Boden fixierten Personen, um ihre Namen zu erfahren. Als der Beamte R. Falke am Arm packte, habe sie seine Hand „weggeschlagen, ohne verletzten zu wollen“, sagte R. vor Gericht. Dennoch hatte er Anzeige erstattet.
Der Vorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung ist inzwischen vom Tisch. Es bleibt der des Widerstands. Doch der Prozess hat auch in diesem Punkt eine Wende genommen. Im Mittelpunkt steht mittlerweile die Frage, ob die Festnahme rechtswidrig war. Die Beamten hätten sich als Polizisten zu erkennen geben und ausweisen sowie den Jugendlichen den Tatvorwurf unterbreiten müssen. Doch das hat offenbar keiner gemacht. „Beim Schanzenfest kann man nicht so normal agieren wie an anderen Tagen“, sagt R. Er glaubt zumindest, „halt Polizei“ gerufen zu haben, was sein Kollege H. nicht bestätigt. Fahnderin Sch. schließt sogar aus, dass sie ihren Dienstausweis gezückt habe. „Es ging alles super-superschnell.“
Polizei im Anmarsch
Für eine Überraschung sorgte nun Marco Philippe O., einer der beiden festgenommenen Jugendlichen. Der 19-Jährige gibt an, dass er zusammen mit seinen Freund Kai B. im Flora Park gewesen sei, als er über Handy von einem Kumpel an der Max-Brauer-Allee einen Anruf bekommen habe, dass die Polizei zur Räumung anrücke.
Da B. gerade zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, seien sie Richtung U-Bahn Feldstraße über das Schulterblatt weggerannt. Plötzlich seien Personen von der anderen Straßenseite gekommen, hätten sie angegriffen und an die Hauswand gestoßen „Wir haben uns gewehrt und haben zurückgeschlagen“, sagt der 19-Jährige. „Ich dachte, das sind Jugendliche, die eine Schlägerei anfangen wollen, um uns abzuziehen“, sagt O. „Wir wussten nicht, dass das Polizisten waren, weil sie in Zivil waren“, sagt er. „Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir unsere Personalien angegeben und nicht zurückgeschlagen“, so O. weiter. „Wir wissen doch, dass es bei Widerstand Riesenärger gibt. Und wenn man wegrennt, wird man fertig gemacht“, bekräftigt er, durchaus glaubhaft, denn der Raub-Vorwurf hat sich später nicht bestätigt.
Im Verbindung mit den Polizeiangaben und der Aussage O.s regte Falkes Verteidigerin Ingrid-Witte-Rhode an, das Verfahren einzustellen und auf die Aussage von Kai B, der nach einem Haftaufenthalt zurzeit unauffindbar ist, zu verzichten. „Das war komplett ein völlig rechtswidriger Einsatz“, sagte die Anwältin.
Das Recht der "Nothilfe"
Das Ansinnen löste sichtbar die Zustimmung beim Amtsrichter Sören Braun aus. Doch Staatsanwältin Berit von Laffert erwiderte: Wenn es so gewesen wäre, hätte Falke vom Recht der „Nothilfe“ Gebrauch machen müssen. Dann hätte Falke zur „Abwehr eines rechtswidrigen Einsatzes einschreiten müssen“, sagt sie. Das bloße Aufnehmen der Personalien schaffe keine Abhilfe, sondern habe den Polizeieinsatz nur behindert, sagt die Anklägerin.
„Wollen Sie meiner Mandantin empfehlen, sich vor Ort mit mehreren Zivilpolizisten zu prügeln? Das ist doch nicht Ihr Ernst!“, fauchte Verteidigerin Witte-Rhode die Staatsanwältin an. Zumal Falke die Zivilpolizisten kannte und nach der Rechtssprechung Nothilfe gegen Maßnahmen von Polizisten nicht straffrei ist. „Nee“, erwidert von Laffert, „sie hätte den Notruf 110 wählen können.“
Da es sich bei der Angeklagten um Claudia Falke handele, komme für die Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens nicht in Frage, sagte sie. Und deshalb muss Amtsrichter Braun weiter nach dem verschollenen Kai B. fahnden.