Nein zu Rassismus und Gewalt

Den Eindruck von Berufsdemonstranten erweckten die rund 50 Teilnehmer der Kundgebung vor dem Kirchheimer Rathaus ganz gewiss nicht. Dafür wirkte vieles noch zu unsicher. Doch vor dem Auftakt des NSU-Prozesses führte sie das Entsetzen über die Verharmlosung von Rassismus und Neonaziterror zusammen.

 

Kirchheim. Die freundliche Begrüßung durch den Ersten Polizeihauptkommissar erfolgte mit Handschlag. Zunächst galt es, einige Fragen und Formalitäten zu klären. So versicherten sich zwei Polizisten, dass die Handynummern der Verantwortlichen bekannt waren, und dass der benachbarte Kuchenverkauf der Jesinger Neuntklässler durch die Kundgebung ungestört blieb. Dann zogen die Beamten weiter. Dagegen sprach nichts, denn die gut einstündige Kundgebung hätte friedlicher nicht sein können.

Dazu aufgerufen hatte das Offene Antifaschistische Bündnis Kirchheim/Teck (OAB). Die Teilnehmer kamen unter anderem aus dem AK Asyl, dem Türkischen Volkshaus und von der Linkspartei. Dass die Kundgebung noch etwas ruhiger wurde als geplant, lag an einem hartnäckigen technischen Problem. Die Zusammenarbeit zwischen Smartphone und Lautsprecherbox wollte partout nicht klappen, deshalb fiel die Musik aus.

Das Megafon für den Redner des OAB funktionierte aber. Er kritisierte, der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) sei vor eineinhalb Jahren nur durch einen Zufall und nicht durch die Arbeit der Ermittler aufgeflogen. „Die letzten 18 Monate waren erfüllt von Behördenversagen auf der ganzen Linie.“ Die Bandbreite reiche von schlampigen Ermittlungen der Polizei über bewusstes Vertuschen durch die deutschen Geheimdienste bis zur Förderung der Nazistrukturen durch V-Männer. „Noch immer ist nicht geklärt, wie viel die Sicherheitsbehörden wussten, ob die Morde hätten verhindert werden können, und wie weit dem NSU freie Hand gelassen wurde.“

Der NSU-Skandal sei nur die Spitze des Eisbergs. Seit 1990 seien in Deutschland mehr als 180 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Solche Gewalt finde nicht nur im Osten Deutschlands statt. Es habe grausame rechte Gewalttaten in Winterbach, Göppingen und Leonberg gegeben. Der Redner verwies auf die Formierung der „Freien Nationalisten Esslingen“. Sie hätten versucht, das schlimme menschliche Drama in der Kirchheimer Unterkunft für Asylbewerber für ihre ausländerfeindliche Stimmungsmache auszunutzen. „Wir sagen nein zu rassistischer Gewalt, nein zu brauner Meinungsmache, egal wann und egal in welcher Form.“

Der Prozess gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Tschäpe und vier mutmaßliche Helfer beginnt am 17. April vor dem Oberlandesgericht München. Acht der zehn zwischen den Jahren 2000 und 2007 Ermordeten haben türkischen Hintergrund. In Kirchheim hatte das OAB Fotos der Opfer an der Rathauswand befestigt. Zum Gedenken wurden Grablichter entzündet und Blumen niedergelegt.

Mit ausdauernd verteilten Flugblättern wurde zur Großdemonstration zum Prozessauftakt am 13. April in München am Stachus eingeladen. Rechte Gesinnung, so das Hauptinfoblatt, habe beim Verfassungsschutz (VS) Kontinuität. Schon 1950 sei er mit ehemaligen Nazis gegründet worden, später habe er die Studentenbewegung bekämpft und das Material für die Berufsverbote linker Aktivisten geliefert. Vor neun Jahren sei das NPD-Verbot nicht zuletzt daran gescheitert, dass die Partei bis in die höchsten Führungsetagen von V-Leuten durchsetzt war. Einzige Konsequenz der Verstrickungen könne sein, den Verfassungsschutz abzuschaffen.

„Sarrazin ist die menschenverachtende Theorie, NSU die mörderische Praxis“, so ein anderes Flugblatt. Sarrazin sei wissenschaftlich widerlegt, dennoch habe ihn sein Bestsellerbuch zum Millionär gemacht.

Das Bündnis sammelte auch Unterschriften. Es fordert, dass die Stadt Kirchheim dem früheren Gau­leiter Wilhelm Murr und dem früheren Ministerpräsidenten und Kultusminister Christian Mergenthaler die 1933 verliehene Ehrenbürgerschaft offiziell aberkennt. Dies ginge über den im Dezember 2007 vom Gemeinderat beschlossenen Zusatz, die Ehrenbürgerschaft würde „aus heutiger Sicht nicht mehr erfolgen“, hinaus. Das Bündnis teilt nicht die Auffassung der Verwaltung, nach der Gemeindeordnung erlösche die Ehrenbürgerwürde ohnehin mit dem Tod. Vorbild für die Forderung ist die Stadt Böblingen, die Murr die Ehrenbürgerwürde im Jahr 2011 posthum aberkannt hat – unabhängig davon, ob sie bereits erloschen war oder nicht.