Homophobie und Hassverbrechen

Erstveröffentlicht: 
01.03.2013

Ein neunzehnjährger Transsexueller wird an einer Haltestelle angepöbelt. "Depperte Schwuchtel" - die Situation eskaliert, der Teenager erleidet einen Kieferbruch. Ist Österreich ein gefährliches Pflaster für offen homosexuelle oder transsexuelle Menschen?

 

Berichte über den gewalttätigen Vorfall lösten diese Woche in den Social Networks heftige Emotionen aus. Unheimlich erschien vielen vor allem, dass das Opfer der Gewalt von einer achtköpfigen Gruppe misshandelt wurde.

 

Die Homosexuelle Initiative (HOSI) hat in ihrer 34jährigen Geschichte immer wieder Erfahrungen mit Gewalt und Drohungen gemacht. Im Wiener Vereinslokal wurden über Jahrzehnte immer wieder Glasscheiben der Eingangstür zerschlagen. Vor zwei Wochen, sagt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl, wurde der Verein via Internet bedroht – auf seiner Facebook-Site: „Es begann mit einem Kommentar, wo einer schrieb: ‚Das ist nicht euer Ernst‘. Wir fragten nach, was er denn damit meint. Er antwortete: ‚Ein Verein für Homosexuelle, das ist ja abartig‘. Anhand dessen entspann sich eine Diskussion, bei der Freunde von ihm wüsteste Beschimpfungen und Drohungen hinterließen. Man müsse uns anzünden. Wir würden uns bei der nächsten Parade noch wundern. Wir haben das alles dokumentiert und Anzeige wegen Verhetzung und gefährlicher Drohung erstattet“

 

Die schwere Misshandlung des neunzehnjährigen Niko B. in einer Straßenbahnstation schockiert auch Christian Högl. Im Internet verbreitete Spekulationen, ob vielleicht eine Bande in Wien organisiert Jagd auf Schwule macht, weist er aber zurück - dafür gebe es keine Hinweise. „Dass es zu einem derart brutalen Übergriff kommt, wo jemand im Spital behandelt werden muss, ist zum Glück extrem selten“. Junge Menschen, die in der HOSI das Gespräch suchen, würden eher von Problemen in der Schule, in der Lehrstelle oder zu Hause berichten: „Es gibt nach wie vor Jugendliche, die Konflikte mit ihren Eltern austragen. Die Hausarrest bekommen, weil die Eltern beim Aufräumen im Zimmer eine Broschüre entdecken. Wir hatten neulich einen erbosten Vater im Vereinslokal stehen, der seinen Sohn abholen wollte. Solche Dinge passieren immer wieder“. Im schulischen Umfeld leiden junge Homosexuelle, weil sie unbeabsichtigt geoutet wurden - oft reicht dafür schon ein falsches Like auf Facebook. „Oder ein Schüler erzählt nur seiner besten Freundin davon – doch die Geschichte macht die Runde, und der Schulweg wird plötzlich zum Spießrutenlauf“.

 

Zur Zeit des Totalverbots von Homosexualität in Österreich (das erst im Jahr 1971 aufgehoben wurde) oder des Vereinsverbotes (aufgehoben 1996) verhielten sich Schwule und Lesben unauffälliger als heute. Aufgrund der heute größeren Sichtbarkeit könne der falsche Eindruck entstehen, die Gesellschaft sei insgesamt homophober geworden. „Paare gehen Händchen haltend spazieren oder küssen einander - dadurch kommt es auch zu mehr Konfrontation“, sagt Högl. „weil einem etwa jemand ein Schimpfwort hinterherruft. Das hätte er früher nicht gemacht, weil er nicht erkannt hätte, dass es sich bei der Person um jemanden handelt, der eine andere sexuelle Orientierung hat“. Konfliktsituationen würden situationsbedingt entstehen - und manchmal, wie in Nikos Fall, eskalieren.

 

Mit der Arbeit der Polizei zeigt sich Högl im Großen und Ganzen zufrieden. Beamte würden im Umgang mit homo- und transsexuellen Menschen geschult und die Rechtslage gebe keinen Anlass mehr, sich vor der Polizei zu fürchten: "Früher haben wir uns vor der Polizei versteckt. Wenn wir händchenhaltend auf der Straße gingen, ließen wir beim Anblick eines Streifenwagens los. Heute ist das kein Thema mehr". Es sei allerdings ein "Lotteriespiel", ob man beim Erstatten einer Anzeige an einen Beamten gerate, der schwulenfreundlich ist oder nicht. Homophobe Gewaltverbrechen scheinen außerdem nicht als solche in den österreichischen Kriminalstatistiken auf.

 

Unterscheiden müsse man jedenfalls zwischen Homophobie und Transphobie: Transsexuelle und Männer, die sich sehr feminin kleiden, seien wesentlich mehr Diskriminierung ausgesetzt, so Christian Högl. Um gegenzusteuern veranstaltet die HOSI seit einigen Jahren Aufklärungs-Workshops in Schulen. „In zwei Schulstunden wird über das Thema Homosexualität und auch über Rollenbilder gesprochen: Was ist ‚typisch männliches‘ , was ist ‚typisch weibliches‘ Verhalten – oder was wird dafür gehalten?“ Die Reaktionen auf diese Workshops seien überwiegend positiv. „Die Workshopleiter gehen aus der Schule hinaus und merken, dass sich etwas geändert hat. Typen, die zuerst homophobe Sprüche geklopft haben, kommen nachher und entschuldigen sich. Man kann innerhalb von zwei Stunden in einem Kopf etwas bewegen.“