SZ - "Das Problem sind Polizisten, die denken, sie dürfen alles"

Erstveröffentlicht: 
07.02.2013

Platzwunden, Prellungen, Schüsse: Immer wieder überschreiten Polizeibeamte Grenzen. Zuletzt brach ein Münchner Polizist einer gefesselten Frau mit der Faust die Nase. Ein Strafrechtler erklärt, was sich ändern muss.

 

Von Anna Fischhaber

Ein Auge ist blau, die Nase blutig. Wer die junge Frau so übel zugerichtet hat? Ein Münchner Polizist. Er hat der gefesselten 23-Jährigen mit der Faust ins Gesicht geschlagen - und ihr die Nase gebrochen. Aus Notwehr, sagt der Beamte. Ein Gewaltexzess, sagt der Anwalt der 23-Jährigen. Prügelnde Polizisten, verletzte Bürger - immer wieder wurden solche Geschichten in den vergangenen Monaten öffentlich debattiert.  Und vor allem bayerische Polizisten gelten als nicht gerade zimperlich.


Beispiel Rosenheim: Dort schlug der Polizeichef höchstpersönlich den Kopf eines gefesselten Schülers auf der Wache gegen die Wand, trat und ohrfeigte den Jungen. Oder der Fall Tennessee Eisenberg. Der Student wurde in Regensburg von der Polizei erschossen - nicht mit einem, sondern mit zwölf Schüssen. Die Liste ließe sich lange erweitern. Strafrechtler Tobias Singelnstein von der Freien Universität Berlin ist einer der wenigen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Polizeigewalt auseinandergesetzt hat. Er hat sich unter anderem der Frage gewidmet, warum Anzeigen gegen Polizisten so selten zur Anklage führen. Das Problem seiner Arbeit: Der Mangel an Daten, die eindeutige Schlüsse kaum zulassen. Dennoch sieht er Handlungsbedarf. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt er, was sich ändern muss.


Süddeutsche.de: München, Rosenheim, Regensburg - mehren sich die Fälle von rechtswidriger Polizeigewalt, Herr Singelnstein?


Tobias Singelnstein: Das ist leider schwer zu sagen. In Deutschland hat sich die Zahl der Anzeigen gegen Polizisten bei gut 2000 im Jahr eingependelt. Doch das sagt wenig darüber aus, was wirklich passiert. Die meisten Fälle werden nicht angezeigt, die Dunkelziffer ist sicher um ein Vielfaches höher. Deshalb kann man eigentlich keine verlässlichen Aussagen darüber machen, ob Polizeigewalt zunimmt.

 

Dennoch entsteht der Eindruck, dass es mehr Fälle gibt ...


Die öffentliche Wahrnehmung hat sich sicherlich verändert. Früher wurden Anzeigen gegen Polizisten sehr schnell abgetan - nach dem Motto, das sei unberechtigt und eine Retourkutsche gegenüber den Beamten. Das hat sich in den vergangenen Jahren ein Stück weit verändert, zumindest ein Teil der Fälle wird ernster genommen. Auch weil die Medien das Thema ernster nehmen und weil Betroffene bereit waren, mit ihren Geschichten in die Öffentlichkeit zu gehen - wie die Familie aus Schechen. Dies trägt sicher zu dem Eindruck bei, dass sich die Fälle von Polizeigewalt mehren.

 

In Bayern scheint die Polizei besonders brutal zu sein. Lässt sich das statistisch belegen?


Die bayerische Polizei hat den Ruf, zur härteren Fraktion zu gehören und es gab in Bayern in den vergangenen zwei Jahren auch gleich eine Handvoll prominenter Fälle rechtswidriger Polizeigewalt und entsprechender Vorwürfe. Doch auch hier fehlt es für belastbare Aussagen und Zahlen an differenzierten und umfassenden Untersuchungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Thema leider recht unterbelichtet.

 

Warum?


Das Thema ist ein heißes Eisen und es gibt viele Widerstände. Lange Zeit wurde es auch von den Medien und der öffentlichen Debatte schlicht nicht wahr- oder ernst genommen.

 

Nach dem Fall in Rosenheim war die Empörung in Bayern groß. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Polizeibeamte wurden danach auf zwei zentrale Ermittlungsstellen konzentriert. Bringt das etwas?


Eine solche Spezialisierung ist gut. Allerdings ist das nur eine kleine Verbesserung. Nach wie vor ermitteln hier ja Polizisten gegen Kollegen. Wichtiger wäre, dass da jemand von außen draufschaut, der wirklich unabhängig ist. In anderen Ländern wie Großbritannien oder Irland gibt es längst eigene Behörden für so etwas.

 

Wenn in Deutschland Fälle von Polizeigewalt öffentlich werden, sagen Beamte gerne: Das war ein bedauerlicher Einzelfall. Sind das wirklich nur Einzelfälle?


Sicher nicht, das ist ein strukturelles Problem. Die Polizei darf in gewissen Situationen Gewalt anwenden. Und natürlich kommt es da zu Grenzüberschreitungen, das wird es immer geben. Die Frage ist allerdings, wie man damit umgeht - ob das gedeckt und unter den Teppich gekehrt wird oder ob solche Fehler thematisiert und aufgearbeitet werden. Das Problem sind Polizisten, die denken, sie dürfen alles.

 

Liegt das an der Ausbildung der deutschen Polizisten?


Eher nicht. Grund- und Menschenrechte etwa sind Bestandteil der Ausbildung. Das Problem ist eher, dass nach der Ausbildung im Alltag die Regeln der Praxis gelten, die eine solche Ausbildung schnell überlagern können. Wenn dann - wie im Fall des Rosenheimer Polizeichefs - sogar Vorgesetzte rechtswidrig Gewalt anwenden, bleibt das natürlich nicht ohne Folgen für die lokale Polizeikultur.

 

Was schlagen Sie vor?


Das Wichtigste scheint mir zunächst einmal zu sein, dass das Problem ernst genommen und als solches anerkannt wird - und nicht als Ausrutscher einzelner schwarzer Schafe abgetan wird. Nach dem Motto: Wir-machen-doch-alles-richtig. Hier ist insbesondere bei der Polizei, aber auch in erheblichen Teilen von Politik und Verwaltungen noch viel zu tun.