Seit Jahreswechsel führt die österreichische Teutonia die deutschen Burschenschaften an. Liberalere Verbindungen, die in Deutschland noch Tradition haben, flüchten aus dem Dachverband – eine Zerreißprobe.
Von Karl Gaulhofer (Die Presse)
Augen wie Mandeln, Haare wie Pech – und dazu Kappe und Schläger? Für Fred Duswald, „Alter Herr“ einer Münchner Verbindung, war die Burschenherrlichkeit vorbei: Die Mannheimer Hansea hatte einen chinesischstämmigen Studenten aufgenommen. Und nun strebte dieses „Männlein aus dem Lande des Lächelns“ auch noch einen Vorstandsposten bei den Deutschen Burschenschaften an und steckte damit „den Verband in Brand“. So klagte Duswald im heißen Sommer 2011 in der österreichischen „Aula“. Wie könne man da noch „glaubwürdig gegen Umvolkung und Überfremdung auftreten“, mit einem „Pigmentierten“? Etwas präziser formulierte es eine Bonner Verbindung in ihrem Ausschließungsantrag: Eine „nicht europäische Gesichts- und Körpermorphologie“ weise auf die „Zugehörigkeit zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung und damit auf eine nicht deutsche Abstimmung hin“. Mandelaugen müssen draußen bleiben.
Was wie eine Posse unter Ewiggestrigen klingt, war Teil einer der schwersten Zerreißproben in der fast 200-jährigen Geschichte der deutschen Burschenschaften. Auf der Wartburg in Thüringen hatten sie sich 1817 versammelt, die Kämpfer für Ehre und Vaterland – vor allem aber für Freiheit, die Rechte der Bürger und ein Ende der absoluten Monarchie.
Großdeutsche Fantasien
An diesem geschichtsträchtigen Ort wurde nun auf einem Burschentag so heftig über Aufnahmeregeln gestritten, dass eine Spaltung unausweichlich schien: in einen liberaleren und einen völkisch-rechten Flügel. Die Liberaleren setzten sich noch einmal durch. Ein Etappensieg, wie sich vor Kurzem herausstellte: Ende November wurde die Wiener Teutonia zur vorsitzenden Burschenschaft für das Jahr 2013 gewählt.
Eine Verbindung, die laut Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus in den Neunzigerjahren als „Hochburg der militant-rechten“ Szene galt, gibt damit den Ton an. Spiegel Online hat nun ein nur drei Jahre altes Flugblatt ausgegraben. Es zeigt eine Großdeutschlandkarte samt Südtirol, „Deutschböhmen“ und Ostpreußen, und es wettert gegen „Schandverträge“ und Gebietsabtrennungen. Als verantwortlich zeichnet die Teutonia, die ihre Urheberschaft auf Anfrage nicht dementiert.
Mit solchen revisionistischen Fantasien wollen viele moderate Verbindungen in Deutschland nichts zu tun haben. Ein gutes Dutzend hat den Dachverband in den letzten Wochen verlassen. Darunter eben jene Hansea, die Kai Ming Au in ihren Reihen hat. Kurz vor Weihnachten kündigte sie ihre fast 60-jährige Zugehörigkeit zum Verband. Die sich breitmachende Gesinnung sei mit ihren „demokratischen Überzeugungen nicht mehr vereinbar“.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Österreicher die Gemeinschaft in eine schwere Krise stürzen. Zu Zeiten der 1968er-Umbrüche war die Streitfrage, ob die österreichischen Verbindungen wieder in einen gemeinsamen Dachverband aufgenommen werden sollen. Eine durchaus ideologische Weichenstellung. Mit der Aufnahme der Österreicher 1971 hat sich ein „volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff“ durchgesetzt. In dieser Tradition argumentieren die Gegner von Kai Ming Au: Auch die deutsche Staatsbürgerschaft mache den in Mannheim geborenen Chinesen nicht zu einem Deutschen.
Mit historischer Logik ist auch zu erklären, wieso österreichische Burschenschafter meist nationalistischer gesinnt sind als ihre deutschen Brüder. Schon mit der Reichseinigung 1870 hatten die Deutschen ihre meisten Ziele erreicht: Die Kleinstaaterei hatte ein Ende, die Freiheitsrechte waren durchgesetzt, Kanzler Bismarck war mächtiger als der Kaiser. Aus dem Kampf wurde Patriotismus als Folklore. Die Österreicher aber fühlten sich im multikulturellen „Völkerkerker“ der Habsburgermonarchie getrennt von der „Volksgemeinschaft“ – und radikalisierten sich, oft auch durch deutlicheren Antisemitismus.
Macht statt Folklore
Während sich die deutschen Burschenschafter aus der Politik zurückzogen, blieben sie in Österreich präsent – gerade heute, durch die engen Verbindungen zur FPÖ. Das verschafft der zahlenmäßig kleinen Gruppe ein anderes gesellschaftliches Gewicht und Selbstbewusstsein als in Deutschland, wo sie meist als kuriose Subkultur belächelt wird. Ein Dritter Nationalratspräsident als stolzes Mitglied einer Verbindung, die Holocaust-Leugner und Liedermacher aus dem Neonazi-Milieu einlädt, wäre in Deutschland schwer vorstellbar. So stramme Wertkonservative wie CSU-Urgestein Günther Beckstein, auch ein „Alter Herr“ einer "musischen Studentenverbindung", ziehen die Grenzen selbst: Als bayerischer Innenminister beklagte er, dass Rechtsextreme versuchen, in Burschenschaften einzudringen. Die Botschaft: Rechts von ihm dürfe es nichts geben.
Die nun ausgetretenen liberaleren Burschenschaften existieren auch ohne Dachverband weiter. Und selbst alle rund 300 sind nur ein kleiner Teil der etwa 2000 Studentenverbindungen im deutschen Sprachraum: katholische Bünde, Landmannschaften, Corps. Für das Gros gilt die Formel: viel Tradition, wenig Ideologie. Manche nehmen Frauen auf. Und die meisten Chinesen.
Auf einen Blick
Im Dachverband der deutschen Burschenschaften hat die Wiener Studentenverbindung Teutonia den Vorsitz übernommen. Ein gutes Dutzend liberalerer Gruppierungen hat in den letzten Wochen den Verband verlassen. Auslöser des Richtungsstreits war 2011 ein chinesischstämmiger Student in einer Mannheimer Verbindung, dessen Aufnahme das rechte Lager nicht akzeptieren wollte.