GÖPPINGEN: Wohlfühlort für Nazis

Wie sich eine Stadt binnen eines Jahres zum Wohlfühlort für Neonazis entwickelt, lässt sich in Göppingen beobachten. Kritiker werfen Stadt und Polizei die falsche Taktik vor. Denn die Nazis wollen wiederkommen.

 

Wenn Neonazis marschieren, sorgt das für Schlagzeilen. So wie Anfang Oktober, als in Göppingen 150 Rechtsextremisten ihre in letzter Minute vom Verwaltungsgerichtshof genehmigte Demonstration abhielten. Doch die Aktivisten sind in dem Landkreis vor den Toren Stuttgarts und vor allem in der Kreisstadt mittlerweile nahezu omnipräsent, mit zahlreichen kleinen und größeren Aktionen sind sie im Jahr 2012 aufgefallen. Zuletzt hatten sie auf dem Weihnachtsmarkt in Nikolauskostümen Flugblätter und CDs mit "Liedern für die revolutionäre Jugend", mit dem Göppinger Hausberg Hohenstaufen auf dem Cover verteilt.

 

Schon vor Jahren waren in dem Landkreis immer wieder Neonazis aktiv, doch die Zeiten haben sich geändert: Die martialisch auftretenden Skinheads sind weitgehend verschwunden, jetzt haben die sogenannten "Autonomen Nationalisten" das Ruder übernommen. Sie geben sich betont lässig - was sie nach Ansicht der Polizei nicht weniger gefährlich macht. Und sie fühlen sich im Kreis Göppingen offenbar wohl. Hauptkommissar Thomas Schmolz berichtete unlängst im Kreistag: "Die Autonomen Nationalisten scheinen sich selbstbewusst im Landkreis zu etablieren. Mit weiteren Aktionen ist zu rechnen." Zwar handele es sich beim harten Kern nur um zwei oder drei Aktivisten. Es gebe aber rund ein Dutzend Mitläufer vor Ort und die Göppinger seien bundesweit gut vernetzt.

 

 

Viele Menschen im Landkreis wundert Schmolz Einschätzung nicht. Sie sehen im Verhalten der Göppinger Stadtverwaltung eine der Ursachen des Problems. So auch Leni Breymaier, SPD-Vize-Landeschefin und Landesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi: "Die Stadt hat in diesem Jahr fünf Naziaufmärsche genehmigt. Für mich ist das die grottenfalsche Strategie, eine Stadt muss nein sagen." In der Tat: Erst die bislang letzte Demonstration, die eine Woche vor der Oberbürgermeisterwahl in Göppingen am 6. Oktober stattfand, wurde von der Verwaltung untersagt. In erster Instanz hatte das Verbot Bestand, bis es dann vom Verwaltungsgerichtshof in Stuttgart aufgehoben wurde. Die kleineren Aufmärsche und Kundgebungen, die zuvor stattfanden, wurden nicht verboten. Dazu gab es noch etliche unangemeldete Veranstaltungen wie etwa ein "Heldengedenken" am Volkstrauertag oder das Aufstellen lebensgroßer mit Spruchblättern geschmückter Puppen in der Innenstadt, auch die Gedenkstätte am Synagogenplatz wurde geschändet.

Harsche Kritik kommt vom DGB. Dessen Regionsvorsitzender Bernhard Löffler ist "entsetzt", weil die Stadt die Rechtsextremisten am 6. Oktober am Gewerkschaftshaus hat vorbeimarschieren lassen. In anderen Städten sei es "völlig klar", dass Nazis weder an Synagogen noch Gewerkschaftshäusern demonstrieren dürfen. Was Löffler besonders ärgert: In Absprache mit der Stadtverwaltung und der Polizeiführung hatte der DGB eine Kundgebung vor dem Haus angemeldet - gerade auch, um den Nationalisten möglichst wenig Raum zum Marschieren zu geben.

 

Was dann geschah, berichtet Manuel Schäfer, Gewerkschaftssekretär bei der Göppinger IG Metall: Am Vortag des Aufmarschs, einem Freitag, habe das Göppinger Ordnungsamt zwischen 12 und 13 Uhr angerufen und ihn vor die Alternative gestellt, entweder die Anmeldung zur Kundgebung zurückzuziehen oder sie werde von der Stadt verboten, weil sie in einer "Sicherheitszone" liege. "Nach der Androhung des Verbots haben wir dann die Anmeldung zurückgezogen", erzählt Schäfer. Der DGB habe am Freitagnachmittag nicht die personellen Kapazitäten und die Zeit, noch juristisch gegen die Stadt vorzugehen. "Aber ich frage mich schon, was in Göppingen für ein Wind weht. Die Polizei tut hier alles, um einen Marsch mit allen Mitteln durchzusetzen, was sie andernorts so nicht tut." Schäfer verweist auf die Taktik in Heidelberg wenige Tage vor dem Göppinger Aufmarsch: Hier ließ die Polizei den Gegendemonstranten Raum, den Bahnhof zu blockieren. Die Neonazis mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, für sie gab es buchstäblich keinen Platz.

Schäfers Kollege Löffler betont: "Ich mache das nicht an Oberbürgermeister Guido Till fest. Denn die Demoroute wird in Polizeizirkeln entschieden. Ich glaube, dass von der Stabsleitung viele Fehler gemacht wurden und es einfach die falsche Taktik war." Und dies räche sich nun: "Es bringt gar nichts, wenn man die Nazis so marschieren lässt wie in Göppingen. Es wird verharmlost und es wird untertrieben - und dahin, wo solche Aktivzellen sind, kommen auch die Sympathisanten gerne wieder." Ins gleiche Horn stößt SPD-Landesvize Breymaier: "Dass hat sich dieser Kreis selber zuzuschreiben, dass die Nazis immer wieder kommen." Wie Löffler sieht auch sie die Polizeiarbeit kritisch. "Die Polizei muss sich manchmal fragen lassen, ob sie ihren Job richtig macht - ist die Strategie so richtig?"

 

Die Kritiker haben noch weitere Beispiele für das ihrer Meinung nach falsche Vorgehen von Stadt und Polizei. So berichtet Jessica Messinger, Sprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg, dass sie mit etwa 25 Mitstreitern - zehn davon Mitglieder der Grünen Jugend - auf dem Weg zur Gegenkundgebung von der Polizei eingekesselt und rund zwei Stunden festgehalten wurde. "Es war eine sehr durchmischte Gruppe, da war aber niemand gewaltbereit oder so." Sie habe den Polizeieinsatz als "sehr hart" erlebt - und dann seien auch noch Platzverweise ausgesprochen worden.

Das wiederum bestreitet die Göppinger Stadtverwaltung, sie ist zuständig für Platzverweise in der Stadt und muss die Polizei beauftragen. Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne), die mit dem Grünen-Landesvorsitzenden Chris Kühn außerhalb des Polizeikessels stand, hat die Situation anders erlebt: "Wir sind daneben gestanden und haben gehört, wie die Polizei Platzverweise ausgesprochen hat." Sie hat Oberbürgermeister Guido Till schriftlich um Aufklärung gebeten. In seinem Antwortschreiben bleibt das acht Tage nach der Demo wiedergewählte Stadtoberhaupt bei seiner Darstellung. Es habe an besagter Stelle keine Platzverweise gegeben, das könne er "nach nochmaliger Überprüfung versichern".

 

Der evangelische Dekan Rolf Ulmer war vom Bündnis "Kreis Göppingen nazifrei" als Sprecher für die Gegenkundgebung eingeladen worden. Und er wundert sich, dass die die Stadt und auch die örtliche CDU eine eigene Kundgebung veranstaltet und sich vom Bündnis distanziert haben. "In anderen Städten sind schließlich auch Konservative und die Stadtverwaltung bei solchen Bündnissen dabei." Bündnissprecher Alex Maier wertet die Arbeit im abgelaufenen Jahr dennoch als erfolgreich: "Ich denke, die Nazis haben versucht, uns zu zermürben, indem sie ganz viele Aufmärsche gemacht haben. Das ist ihnen aber nicht gelungen."

Die Göppinger Rechtsextremisten allerdings planen weitere Aktionen. Auf ihrer Homepage steht: "Ein ereignisreiches und erfolgreiches Jahr neigt sich nun allmählich dem Ende zu. Auch im nächsten Jahr werden wir wieder mit vollem Einsatz für unsere Sache einstehen und haben bereits jetzt einiges in Planung. Freund und Feind dürfen also durchaus gespannt sein."