Burschenschaften noch radikaler

Burschenschaftliche Herbst-Winter-Kollektion in dezentem Graumeliert. / Foto: Jasper Ovy
Erstveröffentlicht: 
16.12.2012

Die Sängerhalle ist weiträumig abgesperrt. Zwei Hundertschaften der Polizei stehen knapp 200 Demonstrierenden gegenüber. Beritten, behelmt und den Schlagstock griffbereit, sollen die Polizisten etwa 500 Burschenschaftler schützen, die in Stuttgart ein Sondertreffen abhalten.

 

Nachdem der Burschentag in Eisenach im Juni in einem Eklat endete, reisten nun Anwälte, Hochschuldozenten, Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft nach Stuttgart, um den Streit zu schlichten, an dem der Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) zu zerbrechen droht. Doch die Wogen zwischen den beiden Lagern, den nationalistisch-liberalen Bünden der Initiative Burschenschaftliche Zukunft (IBZ) und den völkisch-radikalen der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) lassen sich nicht mehr glätten.

 

Erfolgreich setzt sich die BG für den Verbleib dreier Burschenschaften in der DB ein. Deren Ausschluss haben drei IBZ-Bünde beantragt, weil ihre zu offensichtlichen Verstrickungen mit der rechten Szene dem Ruf der DB schaden. Die zwei wichtigsten Ämter gehen an BG-Bünde: Den Vorsitz übernimmt die Wiener Burschenschaft Teutonia und Michael Paulwitz von der Normannia Heidelberg wird neuer Chefredakteur der Verbandszeitschrift. Sein Vorgänger, Norbert Weidner von den Raczeks zu Bonn, wurde abgewählt.

 

Das ehemalige FDP-Mitglied hatte im August vom Amtsgericht Bonn einen „Strafbefehl wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ erhalten, weil er die Hinrichtung des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer als gerechtfertigt bezeichnet hatte. Paulwitz schreibt für die Junge Freiheit, einer Zeitschrift, die Volker Weiß in seinem Buch „Deutschlands Neue Rechte“ als einschlägig rechtes Organ benennt.

 

Der Streit in der Deutschen Burschenschaft dreht sich vor allem um die Definition der Volksgemeinschaft. Gemäßigt konservative Bünde schlagen nun einen Kompromiss zwischen Abstammungs- und Bekenntnisgemeinschaft vor. Damit hoffen sie, den Austritt finanzstarker Bünde zu vermeiden.

 

In dem Artikel „Was sich ändern muß“ vom 13. Oktober postuliert Paulwitz, dass der Sozialstaat nur in Bezug auf die Nation als Solidargemeinschaft denkbar sei und wirbt für eine selbstbewusste Einstellung zu dieser: „Die deutsche Geschichte ist kein Verbrecheralbum“, schreibt er. Wer sich für den Fortbestand dieser Gemeinschaft nicht nach traditioneller Manier einsetzt, soll Paulwitz zufolge auch nicht unterstützt werden: „Vorrangige Aufgabe des Staates ist weder die Begünstigung von Abtreibung und die Privilegierung von Randgruppen-Lebensstilen zu Lasten der Familien noch die Entmündigung von Eltern durch Krippenprogramme.“ In seinem Buch „Deutsche Opfer, fremde Täter“ fordert er zudem mehr „Assimilationsdruck auf Einwanderer.“

 

„Assimilation“ steht auch beim Burschentag auf der Tagesordnung: Die Deutsche Burschenschaft kann sich in Bezug auf Artikel 9 ihrer Verfassung einfach nicht entscheiden, ob das deutsche Volk eine Abstammungs- oder eine Bekenntnisgemeinschaft ist. 2011 gab es wegen des „Arierparagraphen“ Pressewirbel. Damals argumentierten sie mit Begriffen wie „europäische Körpermorphologie.“

 

Inzwischen bedienen die Burschenschaftler sich einer salonfähigeren Rhetorik und fordern eine „vollendete Assimilation an das deutsche Volk.“ Ein Bewerber „nichtdeutscher Abstammung“ darf „hinsichtlich Sprache und Kultur nicht von einem Bewerber deutscher Abstammung unterscheidbar“ sein. Bewerber aus dem „abendländisch-europäischen Kulturkreis“ haben bessere Chancen als Bewerber, deren Herkunft jenseits dieses „Kulturkreises“ liegt.

 

Klaus von Beyme, Professor für Politikwissenschaft, hält diese Klassifikation für faschistoid. Alexander Salomon, baden-württembergischer Landtagsabgeordneter der Grünen, erinnert diese Wortwahl an Sarrazin. Ein in der DB-Verbandszeitschrift veröffentlichter Artikel bestätigt diese Annahme. In „Weg in die Freiheit: Deutschlands Aufbruch 2012“ bezieht sich Michael Friedrich Vogt, der ehemalige Journalistikdozent der Universität Leipzig, mehrmals auf die Sarrazin‘sche „Selbstabschaffung“ Deutschlands.

 

Schuld an dieser seien „Migrationsindustrie“ und „Gutmenschrassisten“, so der Autor. „Die Burschenschaften heute stehen im Vormärz“, meint Vogt, „im Widerstand gegen das System“ und die „zunehmend totalitären Strukturen“ einer „Parteien- und EU-Finanzdiktatur.“ Vogt fordert eine „revolutionäre Neuordnung“, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle „autochthonen Deutschen“ etwa oder Steuerfreistellung für Mütter ab dem vierten Kind.

 

Mit derlei radikalem Gedankengut wollen die gemäßigt reaktionären Bünde der Initiative Burschenschaftliche Zukunft nicht in Verbindung gebracht werden, weshalb einige bereits aus der DB ausgetreten sind. Dabei geht es ihnen viel mehr um die Wahrung ihres Rufes als um eine glaubwürdige Distanzierung zum Rechtsextremismus.

 

So gibt sich die Freiburger Burschenschaft Teutonia beispielsweise damit zufrieden, dass ihr Mitglied, der Anwalt Klaus Harsch, seiner Kanzleiangestellten Nicole Schneiders im Dezember 2011 „aufgrund des enormen öffentlichen Drucks“ gekündigt hat. Die Anwältin hatte als ehemalige NPD-Funktionärin den mutmaßlichen NSU-Mittäter Ralf Wohlleben verteidigt. „In den konkreten Details war das unserem Mitglied Herrn Anwalt Harsch nicht bekannt. Er hat es im Nachhinein bedauert, dass er sich vorher nicht gründlicher um Recherchen bemüht hatte“, erklärt Rolf Piechowicz von der Teutonia.

 

Christian Becker von der Initiative „Burschenschafter gegen Neonazis“ meint dazu: „Viele Burschenschafter gehen mit dem akademischen Rechtsradikalismus nicht offen um. Das wird oft nur im Verborgenen besprochen. Die Folge ist, dass wir zu lange weggeschaut haben. Wir müssen uns mit dem Thema intensiver beschäftigen, um die Gefahr einschätzen zu können, denn manche Burschenschaften bieten Rechtsextremen Schutzräume.“

 

Becker wurde im Sommer aus seiner Burschenschaft, den Raczeks zu Bonn, ausgeschlossen, da er seinen Bundsbruder Norbert Weidner als einen Kopf einer rechtsextremen Bewegung aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften bezeichnet hatte. „Man merkt, dass die NPD probiert, sich über Burschenschaften reinzuwaschen und immer mehr am rechten Rand der Mitte fischt“, so Salomon.

 

Um einen kritischen Blick auf Rechtsradikalismus bei Burschenschaften zu bekommen, dienen Antifa-Materialien oft als wichtige Quelle. „Da die offiziellen Stellen versagt haben, fühlten sich diese Gruppen herausgefordert, etwas zu tun und das ist verdienstvoll“, bemerkt von Beyme.

 

von Jasper Ovy